Nr. 284. Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

90. Jahrgang.

Samstag, den 4. Dezember 1M5.

Vrzua-vrriH: In der Stadt mtt Dcägerlohn Mk 1.25 vierteljährlich. b-LUg^,r«ir für den Ort«- und Rachbarortsverkehr Mk. l.20. 'M Fernverke

England und das Völkerrecht.

Am englischen Pwrkkment wurtzr einmal wieder die Regierung angegriffen, was eigentlich jetzt ani der Tagesordnung in England ist. "Der Grund liegt' im allgenieinen darin, daß die Herren Krämer an der Themse in diesem-Kriege, den sie aus reiner Pro-, fitgier und Konkurrenzneid begonnen haben, nicht das Geschäft machen, das sie sich davon versprochen haben. Das Geschäft macht der amerikanische Detter, und das Unangenehme an der Bache ist, datz man in die faule Geschichte nun täglich soundsoviel hin- . einstecken mutz, ohne datz Aussicht besteht, datz es sich auch nur annähernd rentiert. Wie soll das der eng­lische Profitgeist ertragen, der nur an geringes Ri­siko und höchste Dividenden gewöhnt ist' Kern Wun­der also, datz die Geschäftsführer wegen ihrer fahr­lässigen Handlungsweise bei jeder Gelegenheit ge­hörig abgerüffelt werden. Die Regierung wurde diesmal auf die Ausfuhr der Waren nach neutralen Landern aufmerksam gemacht. Bekanntlich verfolgt England den Plan, alle neutralen Lander unter wirtschaftliche Kontrolle zu zingcn, um einerseits zu verhindern, datz Deutschland irgend welche Waren vom Ausland erhält, andereserts aber. uNd das wirb natürlich geheim gehalten den Handel an­derer Staaten auszuspionieren und für spätere Zeiten daraus Nutzen ziehen zu können. Nnn hat es zwar einmal eine sog. Londoner Deklaration im Völkerrecht gegeben, nach welcher gewisse Waren als Bannwaren bezeichnet wurden, und dementsprechend auch auf neutralen Kiffen von den kriegführenden Parteien beschlagnahmt werden konnten, wenn der Beweis erbracht wurde, das; dem Feinde dadurch Mittel zur Kriegführung zu geführt würden. Eine Verhinderung der Kräftigung der feindlichen Schlagfertigkeit wird jedermann in der Ordnung finden, soweit sie die kriegführende Macht selbst, also die militärischen Streitkräfte anbelangt. Als aber England einsah. datz seine Berechnung. Deutsch­land mit Hilfe der stärksten europäischen Landheere in verhältnismässig kurzer Zeit niederwerfcn zu können, falsch war, da lietz es, treu seinen Ueber- lieserungen eine um die andere der heuchlerischen Hüllen fallen, die seinen wackren Egoismus um­geben hatten mit den schillernden Farben des Schutzes der kleinen schwachen neutralen Staaten. Eine königliche Verordnung erklärte rundwog alles, was England beliebte, als Bannware, und die neu­tralen Staaten wurden in ihrem Handel den ge­meinsten Schikanen ausgesetzt, da nur der blotze nn- erwiesene Verdacht jedes neutrale Handelsschiff der Gefahr der Beschlagnahme aussetzte. Infolge dieses rücksichtslosen Vorgehens sahen sich die meisten klei­nen Staaten gezwungen, ihre ganze Einfuhr der englischen Kontrolle zugänglich zu machen, indem sie in den famosen Einfuhrtrusts englische Aufsichtsbe- ämte zulassen mutzten, die darüber zu wachen hatten, datz kein Lot der gnädigst von England gestatteten Einfuhrware in feindliche Hände gerate. Sogar der Handel vom neutralen zum neutralen Staat wurde beaufsichtigt, mährend aber, wie die amerikanische Note an England treffend bemerkte, England selbst die von ihm beschlagnahmte Ware cm die betreffenden Neutralen ruhig ausführte. Es wäre nun ein Leichtes gewesen, das gemeingefähr­lich Treiben Englands in die Schranken zu weisen, wenn die betreffenden neutralen Mächte, in erster Linie die Seehandel Treibenden, sich zu einer ge­meinsamen energischen Vorstellung aufaorafft hätten, aber der einzige Staat, dessen Führung einen ge^ wissen realen Rückhalt geboten hätte, Amerika, hat sich bisher auf papierene Proteste beschränkt, die im

Hinblick auf die ungerechtfertigte drohende Gebärde; gegenüber Deutschland sich 'Mir Als Scheinmanöver' erwiesen haben. 'Von Herrn Wilson, der theoretisch stets mit Würde die Rechte -und /Freiheiten der Neutralen zu verteidigen vorgirsbt, wird wohl auch für die Zukunft nichts für eine Regelung des inter­nationalen Seekriegsrechts zu erwarten sein, datz «der die kleinen europäischen Staaten sich bei der künftigen Erörterung dieser Fragen, die unbedingt kommen must, und denen Regelung auch von Deutsch­land als Krirgsziel angetündigt worden ist. auf un­sere Seite stellen werden, das'Hai England auch init der rMsichstslosen Ausnützung siiner Seehervschaft erreicht. Vorerst duckt man sich gezwungenermaßen noch unter dem englischen Joch, aber von überall her mehren sich die Stimmen, die sich gegen die englischen Eingriffe in den neutralen Handel und die Unabhängigkeit der i kleinen Staaten auf lehnen. Die neunte Debatte im englischen Ober­und Unterhaus wird die Entwicklung dieser Stim­mung nur zu beschleunigen vermögen. Es wurde geklagt, datz Holland trotz der Kontrolle immer noch zu viel fetthaltige Stoffe einführe, man solle alle Einfuhr'.dieser Stoffe verbieten, selbst aus die Ge­fahr hin, datz die Einfuhr niederländischer Marga­rine nach EnghaiS. aurhsire. Es wurde nun vom Regierungstisch geantwortet, es sei England gelun­gen, die Schutzmahrcgeln gegen die Wiederausfuhr nach Deutschland zu verschärfen, indem britische Bücherrevisoren von Zeit zn Zeit die Micher der hol­ländischen Margarinefabriken darauf prüfen, was mit Len Erzeugnissen geschehen sei. Im Oberhaus kritisierte ein ehren inerter Lord die gnädige Er­laubnis der englischen Regierung, datz 'Dänemark das Recht haben solle, Güter, die leine Bannware seien, nach neutralen nnd kriegführenden Staaten auszuführen. Mit dieser Erlaubnis habe die Re­gierung Verrat an der Natron geübt, lleberhaupt müsse man den ganzen Plunder der Londoner Er­klärung der Haager Abmachung und ähnlicher juri­stischer Feinheiten los werden, und die Interessen Englands und seiner Verbündeten einzig und allein allem niederen vorziehen. Der Vertreter der Re­gierung aber sagte daraus, die Londoner Erklärung besitze keinerlei internationale Rechtskraft (da sie bekanntlich von England nicht ratifiziert worden ist) die Regierung habe daher das Gesetz den absoluten (englischen) Bedürfnissen der Lage angepatzt. Es sei den Neutralen mitgeteilt worden, datz England nicht zugeben könne, datz der Feind infolge Güter- zusuhr den Krieg zu verlängern vermöge. Deutlicher konnte sich die Regierung nicht aussprechen. Die ver- schiedentlichen Offenherzigkeiten lassen aber mehr wie alle sonstigen Berichte darauf schlietzen. datz die Erregung in England einen verzweifelt hohen Grad erhalten hat. 0. 8.

Die Lage auf den Kriegsschauplätzen.

Die deutsche amtliche Meldung.

(WTB.) Grotzes Hauptquartier, 8. Dez. Amt­lich Westlicher Kriegsschauplatz. Zwei feindliche Monitors beschossen wirkungslos die Ge­gend von Westende. Südlich von Lombardzide, bei Nieuport wurde ein französischer Posten überrascht. Einige Gefangene fielen in unsere Hand. Im übri­gen zeigte die Eefechtstätigkcit an der Front keine Veränderung gegen die vorhergehenden Tage. West­lich von Roye mutzte ein französischer Doppeldecker im Feuer unserer Abwehrgeschütze landen. Die In­sassen, 2 Offiziere, wurden gefangen genommen.

Oöstlicher Kriegsschauplatz. Aus dem größten Teil der Front hat sich nichts von Bedeutung

ereignet. Bei der Heeresgruppe des Generals von Li »singen überfielen unsere Truppen bei Pod- czercwicze am Styr. nördlich der Eisenbahn Kowel Sarny, eine vorgeschobene russische Abteilung und nahmen 66 Mann gefangen.

Dalkankriegsschauplatz. Zm Gebirge, südwestlich von Mitrowitza spielen sich erfolgreiche Kämpfe mit vereinzelten feindlichen Abteilungen ab. Dabei wurden gestern über 1208 Serben gefan­gen genommen.

Oberste Heeresleitung.

Der österreichisch-ungarische Tagesbericht.

(WTB.) Wien, 3. Dez. Amtliche Mitteilung vom 3. Dezember mittags:

Russischer Kriegsschauplatz. Stellen­weise Geschützkampf und Geplänkel.

Italienischer Kriegsschauplatz. Nach den wieder gänzlich mißlungenen feindlichen An­griffen der letzten Tage auf den Tolmeiner Brücken­kopf und auf unsere Bergstellungen nördlich davon trat gestern dort Ruhe ein. Bei Oslaoija wurde heute nacht abermals ein Vorstoß der Italiener ab­gewiesen, ebenso scheiterten Angriffe auf den Monte San Michele und den Rordhang dieses Berges. Bei San Martina wurde eine italienische Abteilung aufgerieben, die sich mit Sandsäcken herangearbeitet hatte. Görz stand unter besonders lebhaftem Feuer, das namentlich im Stadtinnern neuen bedeutende» Schaden verursachte.

Südöstlicher Kriegsschauplatz. West­lich nnd südlich von Novibazar nahmen österreichisch­ungarische Abteilungen, denen sich viele bewaffnete Mohammedaner anschlossen, vorgestern und gestern 3508 Serben gefangen. Bei den Kämpfen im Grenz­gebiet zwischen Mitrowitza und Zpek griffen auf unserer Seite zahlreiche Arnauten ein. An der Ge­denkfeier, die unsere Truppen am 2. Dezember im Novibazar und in Mitrowitza begingen, nahm die einheimische Bevölkerung begeistert teil.

Ein neutrales Urteil über die Siegesaussichten.

Basel, 3. Dez. DerBasler Anzeiger" schreibt in bemer­kenswerter Weise über die Kriegslage: Das sicherste Matz zur Beurteilung der Endentscheidung in dem modernen Kriege, der keine Massenschlachten als Entscheidung mehr könnt, bietet das eroberte Gebiet. Es ist, wie schon der rus­sisch-japanische Krieg gezeigt hat, das einzige Mittel zum Entscheid, wenn es zu keinem völligen Vernichten des Geg­ners gekommen ist. Will man den Wert des von den Zen­tralmächten besetzten Gebietes militärisch festlegen, dann er­gibt das gesamte besetzte Gebiet in Frankreich, Belgien, Ruß­land und Serbien ungefähr 470 000 Quadratkilometer mit einer Bevölkerung von 32,7 Millionen Menschen. Das ent­spricht, da das ganze europäische Gebiet der Entente 6 773 000 Quadratkilometer groß ist, mit einer Bevölkerungsziffer yon 277 Millionen, nicht weniger als zwei Fünfteln des europL- schen Rußlands oder dem Werte von ganz Italien oder zwei Dritteln von England. Es ist also ganz bedeutend. Wenn man berücksichtige, daß diese Resultate nach Kämpfen und Schlachten von beispielloser Größe von den Zentralmächten errungen worden seien, dann erhält man ein Bild, wie sich der Krieg voraussichtlich entscheidet. Es nicht einsehen wol­len, so schließt derAnzeiger". ändert an dieser Tatsache nichts.

Gerüchte über das Schicksal von Monaftir.

Athen, 3. Dez. (Agence Havas.) Die Meldun­gen aus Monastir l-auten widerspruchsvoll. Einzel­nen Berichten zufolge sollen die Bulgaren ihren Marsch gegen Monastir unterbrochen, jedoch eine llmzingclungsbewegung unternommen Hoden, um den Serben den Rückzug nach der griechischen Grenze abzuschneiden..