SchwarzwAder Tageszeitung
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Rr. 303
Neues vom Tage
Speer vom Rührer beauftragt
Planung für den Wiederaufbau der bombardierten Städte DNB Berlin, 26. Dez. Der Führer hat Neichsmmister Speer als Nachkriegsausgave den Wiederaufbau der vom Bombenterror betroffene« Städte übertragen. Mit der Planung und Borbermtung dieses Wiederaufbaues soll sofort begonnen werden. Reichsminister Speer wird hierzu die besten deutschen Städtebauer, die sich vor dem Kriege als besonders geeignet für die städtebaulichen Ausgaben erwiesen haben, zusammensassen und für diese Aufgabe Einsetzen.
Hohe Auszeichnung für den Sieger von Korosten DNB Führerhauptquartier, 23. Dez. Der Führer verlieh am IS. Dezember das Eichenlaub zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes an General der Infanterie Kurt von der Cheval - lerie, Kommandierender General eines Armeekorps, als 357. Soldaten der deutschen Wehrmacht^
General von der Ehevallerie hat das Ritterkreuz als Generalleutnant und Kommandeur einer Jägerdivision am 23. Oktober 1941 für seinen Anteil an den Kämpsen um Kiew im August und September 1941 erhalten.
Nach wochenlangen schweren Abwehrkämpfen gegen feindliche llebermacht nützte General der Infanterie von der Ehevallerie die erste leichte Entspannung vor der Front seines Armeekorps aus, um in selbständig angesetzter Operation seinerseits zur Offensive Lberzugehen, die Bolschewisten zu schlagen und starke Teile ihrer Kräfte in Korosten zu vernichten. General der Infanterie von der Ehevallerie wurde 1891 als Sohn des späteren Generalmajors Hans v. d. CH. in Berlin geboren.
Eichenlaub für Oberst Wilhelm Schmalz ^ DNB Berlin, 24. Dez. Der Führer verlieh das Eichenlaub zum iiterkreuz des Eisernen Kreuzes an Oberst Wilhelm Schmalz, rigadekommandcur in der Panzerdivision „Hermann Göring", jils 388. Soldaten der deutschen Wehrmacht.
^ Oberst Wilhelm Schmalz ist aktiver Offizier. Er zeichnete sich !m Frankreichfcldzug als Kommandeur eines Schützenregiments mehrfach aus, so das; ihm das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes verliehen wurde. Oberst Schmalz war dann Kommandeur,eines Panzergrenadierregiments an der Ostfront. Die harten Kämpfe an der Mittelmeefront sahen ihn in diesem Jahr bei der Panzerdivision „Hermann Göring" auf Sizilien und bei Salerno, wo Oberst Schmalz durch sein entschlossenes Handeln Kampfentscheidungen von hohem Wert herbeiführte.
j Oberst Wilhelm Schmalz wurde 1901 in Reußen bei Theißew iKkris Weißenfeks) geboren. Er ist auch Inhaber des Deutschen Kreuzes in Gold sowie des Panzerkampfabzeichens, s Begrühungstelegramm des DRK. an unsere Kriegsgefangenen
DNB Berlin, 24. Dez. Zum Weihnachtsfest und zum Jahreswechsel 1943/44 hat das Deutsche Rote Kreuz an unsere Kriegsgefangenen und Zivilinternierten im feindlichen Ausland rin Vegrüßungstelegramm gerichtet. Das durch Vermittlung des internationalen Komitees vom Roten Kreuz in Genf in alle in Frage kommenden Länder übermittelte Telegramm hat folgende» Wortlaut: „In treuem Gedenken sendet das Deutsche Rote Kreuz zusammen mit allen Angehörigen den kriegsgefangenen Kameraden und den Zivilinternierten die herzlichsten Weih- inachts- und Neujahrswünsche der Heimat."
^ Hohe Auszeichnung für das Erenadierregiment „List" j^DNB Berlin, 26. Dez. Der Führer hat dem Erenadierregiment
199 und dem Erenadierersatzdataillön 199 einen Aermelstreifen mit der Aufschrift „Jnfanterierigement List" verliehen. Dis Ucbergabe der Aermelstreifen an das im Osten eingesetzte Regiment ist am 25. Dezember in feldmäßiger, würdiger Feier erfolgt.
Erfolg der japanischen Luftwaffe
DNB Tokio, 24. Dez. Wie erst jetzt bekannt wird, erzielten starke japanische Heeresgruppen am 13. Dezember vor Toro- kina (Vougainville) bedeutende Erfolge gegen Stellungen de» Feindes. Dem Feind wurden Verluste zugefügt und feine Stellungen genommen. ^ ..
Am 23..Dezember versuchte der Feiird, Kan ton anzugreifen. Japanische Jäger stiegen sofort auf. schossen 12 Maschinen ab und jagten die übrigen zum Teil schwer beschädigt rn d,e Flucht. Japanische Verluste sind nicht zu verzeichnen.
Bei einem japanischen Luftangriff auf die Insel Araw» am Donnerstag wurde, wie das Kaiserliche Hauptquartier meldet, an acht verschiedenen Stellen Feuer in den militärischen Anlagen des Feindes verursacht. Außerdem wurden zwei Landungsboote in Brand gesetzt.
Am gleichen Tage konnten die Japaner 24 zemdliche Maschinen aus einer Formation von ungefähr 70 Angreifern ab-
Die Netzsperre
DNB Berlin, 23. Dez. Zu der im Wehrmachtberit vom 18. Dezember gemeldeten Versenkung'von 6 bolschewistischen U-Booten und her wahrscheinlichen Vernichmng einer ganzen Anzahl weiterer durch deutsche Sicherungsverbänoe im finnischen Meerbusen wird jetzt ergänzend noch Folgendes mitgeteilt :
Der im Wehrmachtbericht oft verwandte Begriff Sicherungsstreitkräfte der Kriegsmarine umsaßt die verschiedenartigen Verbände, zu denen u. a. auch die Minen- und Netzleger, 1l- Jagd-, Minensuch- und Wachbootflottillen gehören. Eine solche, alle diese Einheiten umfassende Kampfgruppe hat den Erfolg gegen die bolschewistischen U-Boote errungen, die durch eine riesige Netzsperre von den finnischen Schären bis zur estländi-^ scheu Küste in Verbindung mit ausgedehnten Minenfeldern daran gehindert wurden, in die Ostsee einzudringen.
Nach umfangreichen Vorarbeiten löste der Netzspchrverband die ihm gestellte Aufgabe, den etwa 89 Kilometer breiten Finnenbusen unter Berücksichtigung seiner verschiedenen Wasserstreifen gegen durchbrechende U-Boote abzuriegeln, so vollständig/daß auch die unbeschädigt durch die Minenfelder gekommenen U- Boote sich in den Netzen verfingen und dann erfolgreich bekämpft werden konnten. Während von den frühen Morgenstunden bis zum Einbruch der Dunkelheit Netzlvnge um Netzlänge ausgelegt wurde, verminten unsere Minenlegervcrbände nachts das für einen Durchbruch in Frage kommende Seegebict. Als mit dem Netzende das gegenüberiegende Land erreicht und alle Minen geworfen waren, begann der sich über das ganze Jahr hinziehende Nachtdienst der bei Tag und Nacht eingesetzten Wachboot- und U-Jagdverbände. Um diesen Verbänden inmitten der auch vom Gegner in großer Zahl ausgelegten Minen jederzeit volle Bewegungsfreiheit zu geben, wurden von einer in harten Kämpfen stehenden Minensuchflottille, deren Chef vor dem Feind geblieben ist, minenfreie Wege geschaffen.
Ueber das Ausmaß und die Materialmengen des bisher größten Stahlnetzes können folgende Angaben gemacht werden:
schießen, die über dem japanischen Stützpunkt Rabaul erf schienen. Vier dieser Abschüsse konnten noch nicht bestätigt wer» den. Auf der japanischen Seite gingen sechs Maschinen ve» loren.
Das Kaiserliche Hauptquartier gab am Samstag bekannt» Luftstreitkräfte der Marine belegten am Freitag bei Tage» anbruch die feindlichen Stellungen bei Kap Merkus und bei Insel Pilelo mit Bomben und verursachten an einer Stelle eint schwere Explosion sowie an vier Stellen große Brände. Am Fretk tagmorgen stellten Luftstreitkräfte der Marine einen Verband von 135 feindlichen Flugzeugen, der versuchte, Rabaul anzu« greifen, um Kampf und schossen 58 feindlicheFlugzeng, ab. Unsere Verluste beliefen sich auf sechs Flugzeuge, die noch nicht zu ihrem Stützpunkt zurückgekehrt sind.
Die feindlichen Verluste während der Landungen auf Kap Merkus wurden vom Sprecher der Regierung auf der Presse» konferenz am Freitag nach „vorsichtiger Schätzung" mit 4vüt> Mann angegeben.
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Das USA.-U-Boot „Erayling" ist überfällig und mutz als verloren gelten, teilte das Marineministerium in Washington nach einer Reutermeldung mit. Das Hoot wurde erst am 3. Januar 1941 in Dienst gestellt und hatte eine Wasserverdrängung vo» 1475 Tonnen. Es war also eines der größten und modernste« nordamerikanischen U-Boote.
im Finnenbusen
Die Länge der gesamten Sperre beträgt 165,3 Kilometer. Besonders anschaulich werden die Ausmaße dieses Netzes a« Hand eines flächenmäßiggn Vergleiches. Ausgebreitet würde« die Netze ein Fläche von 3347 Quadratkilometer bedecken. Dieses Quadrat mit einer Seitnlänge von 57, 8 Kilometer würde mehr als das Achtfache des Hamburgischen Landesgebietes oder rund das Vierfache der Vodenfläche Groß-Berlins bedecken. Die Netze ohne Bojen, Anker und sonstiges Zubehör haben eine Ge» wicht von rund 3000 Tonnen. Das gesamte für die Sperre verwandte Material, zu dem außer den Netzen noch die Trage» bojen und Teeranker gehören, wiegt weit über 10 500 Tonne» und' benötigte m einer Beförderung 41 Eisenbahnzüge mit jr 50 Waggons. Das aus vielen, Einzelstücken zusammengesetzt» Netz wird von Tausenden von Bojen getragen. Die Verankerung des Netzes am Grunde der See erfolgte durch Tellerankey,- die ebenfalls zu Tausenden Verwendung fanden. Alle ausgrz legten Anker auseinander geschichtet, würden eine Säule voü 2016 Meter Höhe ergeben und damit fast die Höhe des Sank Gotthard-Passes erreichen.
Neben der Bekämpfung und Vernichtung der in den Minen^ nd Netzsperren festgestellte-n U-Boote hatten unsere zur Abwehr feindlicher Seestreitkräfte eingesetzten Sicherungsfahrzeuge vor allem im Laufe des Sommers häufige Gefechte mit sowjetischen Schnellbooten, Kanonenbooten und Flugzeugen, von denen ein» größere Zahl versenkt bzw. abgeschossen wurde. In treuer Waß- fenkameradschaft mit finnischen See- und Luftstreitkräften standen unsere' Verbände — von der eigenen Luftwaffe wirksam unterstützt — in erfolgreichem Kampf mit einem Gegner, der immer wieder erfolglose und für ihn verlustreiche Durchbruchs» ver'uchv, unternahm.
Mit dem Beginn der Vereisung des Finnenbufens, die in der Kronstadtbucht eingesetzt hat und rasche Fortschritte macht, ist da» Ziel, die Ostseeflotte der Bolschewisten in ihren Häfen cinzuschließen und jede Bedrohung der Ostseeschiffahrt zu verhindern^ auch in diesem Jahr voll erreicht worden.
Tnvl? K L.-O., UÄLvkSL 1A40
13. Fortsetzung
Als sie nach einer Weile wieder erwachte und sich mühsam zurechtfinden mußte, nahm sie die beiden Briefe vom Tisch, schaltete das Licht aus, entkleidete sich und ging ins Bett. Sie weinte die ganze Nacht leise vor sich hin, ohne Dorrit auch nur eine einzige Frage zu beantworten. Sollte Dorrit den Arzt holen? Die Mutter sah so bleich und verfallen aus. Nicht einmal in der Nacht, m der der Vater starb, war Dorrit so bange gewesen.
Doch die Mutter ließ kein Gespräch aufkommen.
Dorrit Schäfer ging durch den Park von Dornburg. Unter ihrem Kleid knisterte Maltes Brief. Er knisterte bei jedem Schritt, aber Dorrit war nicht so glücklich wie sonst Aber dieses kleine Geräusch. Also Maltes Vater hatte ein halbes Jahr Bedenkzeit gefordert, um seine Zustimmung zu geben oder nicht zu geben. Malte hatte dies so hin- aeschrieben, als sei es nichts oder doch fast nichts. Aber in dunklen Untergründen wußte Dorrit, er täuschte sie.
Diesen Morgen hatte sie unersättlich geweint. Nun war sie still geworden. Blieb nicht die Hauptsache, daß Malte sie liebte? Daß er zu ihr hielt, daß er sie brauchte? Dorrit war leicht verwundbar, sie unterlag leicht. Aber fast ebenso leicht fand ihre Natur Trost. Sie ging durch den Laubengang, stand vor der Bacchantin, die Goethe einst aus Fontainebleau mitgebracht, schaute in das schöne, lächelnde Gesicht. Traubengewinde flössen über die Brüste, ein kleiner Schmetterling kam herbeigeweht, setzte sich in die steinernen Locken. Wie oft war Dorrit hier mit Malte zusammen gewesen! Sie holte seinen Brief hervor, las den Satz, der sie am meisten berührt hatte: „Ich glaube, daß wir einander fürs Leben angehören werden. Weißt Du, was Glaube heißt. Dorrit? Ich habe gestern eine wunderbare Definition gelesen. ,Glaube bezeichnet einen Zustand, der mitten- inne zwischen Ueberzeugung und Vertrauen schwebt.'"
Dorrit hob den Blick. Die Bacchantin lächelte sie an. Niemand kam durch den Laubengang. Der Teeplatz lag verlassen. Vor dem Rokokoschloß blühten die unzähligen Rosen dieses Sommers. Ich glaube auch!, dachte Dorrit.
Sie ging nach Hause, schrieb an Malte: „Es gibt eine Zeit für den Verzicht, es gibt eine Zeit für das Glück, es gibt eine Zeit für das Leid und eine für das Wiedersehen. Ich gebe Dir Deine volle Freiheit zurück, Du sollst um meinetwillen nicht mit Deiner Familie in Unfrieden geraten." Tränen rannen ihr über das Gesicht. Sie mußte ihm das schreiben, aber es tat doch unsäglich weh. Als sie den Brief in den Kasten warf, lächelte sie schon wieder. Hatte sie Malte wirklich abgeschrieben? Oder verriet nicht vielmehr jedes ihrer Worte die unbesiegbare Kraft, mit der sie ihn liebte?
*
In Lichtenfels ist die Korbwarenindustrie zu Hause. Taupadel wußte das nicht, aber er wurde sehr schnell darüber belehrt. Schon am Bahnhof türmten sich, des Ab- tranHwrt« im Güterwagen harrend, Strohstühle und Tische,
Körbe in jeder Größe und Art, Waschkörbe, Tragkörbe, Handkörbe, Reisekörbe.
Herr von Taupadel stieg im „Anker" ab, besah sich die kleine Stadt. Ihr größter Reiz ist die Umgebung, das weite Maintal, das sie umfängt, das herrliche Panorama, das sie den Blicken in jeder Himmelsrichtung schenkt. Rechts des Stroms ragt Schloß und Kloster Banz, links steht der tafelförmige Stafselberg und die Wallfahrtskirche von Vierzehnheiligen. Das Maintal ist hier bei, Lichtenfels besonders reich und fruchtbar, eine Kornkammer, eine lachende Sommerflur, ein blühender Paradiesgarten im Frühling. Die Stadt selbst hat hübsche Winkel, altertümliche Häuser, eine sehr große katholische Kirche, um die Baumschatten webt.
Im Vorübergehen nahm Taupadel das Bild geräumiger Lagerhäuser mit offenen Toren auf. durch die man hineinsah in die peinliche Ordnung und Uebersicht wohlverwahrter, aufgestapelter Korbwaren. Wagen mit Korbstühlen fuhren vorbei, wechselten ab mit Wagen voller Weidenruten. Wuchsen sie am Main? — Es machte keine Mühe, die Wohnung des Kommerzienrats Undorf zu erfahren. Taupadel wurde in ein freundliches Haus eingelassen, in einen Vorraum geführt, dessen Wände mit alten Landkarten geschmückt waren, ein paar Minuten später in das Privatkontor gebeten.
Hinter einem Schreibtisch erhob sich ein großer, hagerer Herr in den Sechzigern. Graue, kurzgeschorene Haare, ein lederfarbenes Gesicht, über der Nasenwurzel zusammengewachsene Brauen, verbindliche Gebärde, die den Besucher einlud. Platz zu nehmen.
Taupadel machte in Sekundenschnelle hundert Wahrnehmungen, die er innerlich notierte. Wenn er euren Raum betrat, spiegelte sich dieser sofort in ihm, fiel sozusagen in ihn hinein. Ein glänzendes Gedächtnis unterstützte diese Anlage.
Taupadel kam Fragen zuvor, erklärte seinen Auftrag, bat um Aufschluß, ob sich der Herr Kommerzienrat an ein Waisenkind namens Hildegard Schulz erinnern könne» das einst sein Herr Vater ausgenommen.
Undorf bejahte. Aber ehe er weiterreden konnte, fragte Taupadel, mit einem Blick aus die kostbaren Landkarten, die auch hier die Wände bedeckten, ob der Herr Kommerzienrat Sammler sei?
Ja, das sei er! Ueber das sehr ernste Gesicht huschte die Andeutung eines Lächelns. — Er habe einst Geographie studieren wollen, dann jedoch durch einen Verwandten die Fabrik geerbt — der Herr Major verstehe. — Nun, man sei wohl nicht hienieden, um seine persönlichen Wünsche zu erfüllen. — Aber natürlich, die alten Liebhabereien blieben. — -
Kommerzienrat Undorf gab sich einen Ruck, besann sich auf Taupadels Anliegen. Was er in Sachen Hildegard Schulz sagen konnte, war folgendes:
„Ich kam mit sechzehn oder siebzehn Jahren vom Bay- reuther Gymnasium gerade in Ferien nach Hause — mein Vater war damals Pfarrer in Ludwigsstadt, einem Städtchen an der bayrisch-thüringischen Grenze —, als mein Vater ein kleines Mädchen aufnahm, dessen Vater, glaube ich, auf Abwege geraten war und dann starb..."
„Auf Abwege?"
„Soviel ich mich entsinnen kann, handelte es sich bei dem Manne um geschäftliches Unglück. Die kleine Waise kam also zu uns, aber wir waren bereits eine so zahlreiche Familie, neun Kinder, daß das Mädelchen in all dem Hin und Her, dem Geplauder bei Tisch, dem Spielen und Singen und Arbeiten, gar nicht weiter auffiel. Als mein Vater nach Nürnbera verlebt wurde, gab er die Kleine wieder
fort. In die Diakonissenanstalt Neudettelsau. Erinnere ich mich recht, so teilte sich der Vater mit der Heimatgemeinde des Kindes in die Kosten. Wechselndes Geschick, Verantwortung für die große Familie, Amtsbürden, die auf meinem Vater lasteten, ließen ihm wohl nicht viel Zeit, sich um das Kind zu kümmern. So schwand sie uns au» dem Blick. Nur einmal erinnere ich mich, daß Vater erwähnte, das Mädchen habe sich verheiratet. Es muß sich um eine gute Partie gehandelt haben, denn Vater machte ein sehr zufriedenes Gesicht bei dieser Mitteilung."
Undorf schwieg, schien angestrengt nachzugrübeln. Endlich sagte er: „Mit dem Vater der kleinen Hildegard Schulz muß damals etwas Schwerwiegendes vorgekommen sein, es fällt mir aber nicht mehr ein..."
Taupadel wandte den Blick vom Schreibtisch, auf dem er eben zwischen Preisverzeichnissen, Geschäftspost, Abrechnungen und Kontoauszügen einen Sternatlas entdeckt hatte. — ^
„Es wäre mir außerordentlich wichtig, zu erfahren, worum es sich bei dem Vorkommnis handelte, Herr Kommerzienrat!"
Undorf sah ihn an, fuhr in seinem Bericht fort: „DÄ Mann starb dann, glaube ich, so um das Jahr 1893. — Aber ist es nicht das einfachste, Herr Major, Sie fahren nach Ludwigsstadt? Es ist nicht weit von hier. Dort finden Sie sicher noch ortsangesessene Leute, die sich an die Begebenheit erinnern. Sie wirbelte viel Staub auf seinerzeit..."
In jedem Beruf gibt es ein Grunderlebnis, das sich wiederholt. Bei Herrn von Taupadel hieß das: Reisen, Standesamt, Pfarramt, immer neue Gesichter. .
Auch in Ludwigsstadt befand sich der Pfarrer gerade in Sommerurlaub. Sein Stellvertreter wollte gern in den Kirchenbüchern Nachforschungen nach der Familie Edmund Schulz anstellen. Da er aber augenblicklich viele andere Geschäfte zu erledigen hatte, war er sehr zufrieden, daß der Major außerdem noch ältere Leute ausforschen wollte. Er empfahl besonders die fünfundsiebzigjährige Witwe Froeb als beste Ortschronik.
Gut, daß es Sommer ist! dachte Taupadel. Die dunklen, schiefergedeckten Dächer des kleinen Ortes, seine eingezwängte Lage in dem engen Tal, vor allein die riesenhafte Eisenbahnbrücke, die sich über Häuser, Kirche und Kirchhof wirst, hatten etwas Bedrückendes.
Jedes Ding läßt sich von verschiedenen Seiten betrachten.
Dies erfuhr Taupadel bei der Witwe Froeb. Sie saß auf ihrer Haustreppe und häkelte ein rosa Kindermützchen. Nichts war einfacher, als sie anzureden, denn »sie hatte den vorübe'zchenden Fremden bereits entdeckt und Neugier war r, vom Gesicht abzulesen. Er blieb stehen, grüßte, rühmte die köstliche Gebirgsluft der Gegend. Das schien sie zu erfreuen. Die Gasse war teer, der Nachmittag ereignislos. Da verlohnte es sich schon, den Fremden etwas festzuhalten. Sie begehrte nun zu wissen, was der Herr zu der Drücke sage, zu der Brücke, die Berlin und Rom verbind^ über die Tag und Nacht die mächtigen D-Züge brausten? Sie fei der Stolz der Ludwigsstädter. Frau Froeb kannte weder Berlin noch Rom: aber aus der Art, wie sie sprach, konnte man entnehmen, daß die beiden Städte nach Ansicht der Witwe Froeb ohne die Ludwigsstädter Brücke nichts bedeuten, ja, kaum existieren würden.
Taupadel blieb ernst. Wer überschätzt, was er liebt, ist glücklich. Er bat, ob er sich nicht ein wenig auf die bequemerj, kühlen Stufen des ^Hauses setzen dürfe.
(Fortsetzung folgt)