Rr. 259

90. Jahrgang.

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

Erscheinungsweise: Srnal wöchentlich. Anzeigenpreis: Im Oberamts­bezirk Lalw für die einspaltige BorgiSzetle 10 Pfg.. außerhalb desselben 12 Pfg., «eklamen 25 Pfg. Schluß für Jnseratannahme 10 Uhr vormittags. Telefon 9.

Freitag, den 5. November 1913.

I! Bezugspreis: In der Stadt mit Trägerlohn Mk. 1.25 vierteljährlich. Post-

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Die rhetorischen

Der zuversichtliche Briand. Carsons Antwort auf Asquith'sRede.

Die französische Regierungserklärung.

(WTB.) Paris, 4. Nov. DieAgence Havas" meidet: Die Erklärung der Regierung, die gestern nachmittag von Briand in der Kammer und von Vi- oiani im Senat verlesen wurde, bautet: Smarten Sie keine langen Erklärungen von uns. Die Stunde gehört der Tat. Auf die Tat hin müssen alle Kräfte der Regierung angespannt sein. Jeder Verstoß gegen die durch das Lebensinteresse des Vaterlandes gebo­tene Disziplin wird unverzüglich nach Feststellung der Verantwortlichkeiten geahndet werden. Jedem Fehler und jeder Schwächeanwandlung wird die Sühne folgen. Auf der Grundlage dieses Programms wurde die Regierung gebildet, die sich Ihnen vor- stellt. Sie wurde als das Abbild des Volkes selbst ge­bildet, welches aus eigenem Antrieb eine vollstän­digere Einigkeit aller Bürger gegenüber dem Feind vewirklichte. Männer aller Parteien vergessen die Meinungsverschiedenheiten, die sie einst trennen konn­ten, und sie nähern sich einander mit der einzigen Sorge: Landesverteidigung! und mit dem Ziele: Sieg! Niemals hatte Frankreich eine würdigere Ar­mee, um zu siegen. Mit einer solchen Armee, die von einem solchen Führer befehligt wird, und mit einer Marine die sie so warm unterstützt, sind alle Hoff­nungen erlaubt. So folgt das Land, das des Ab­schlusses des Krieges sicher ist, den Wechselfällen mit unverwirrbarer Gelassenheit und Kaltblütigkeit. Sein Stoizismus zeigt sich zu allen Opfern, selbst zu den grausamsten u. schmerzlichsten bereit. Es wird, der Regierung am Herzen liegen die Kontrolle des Parlaments über ihre Handlungen zu erleichtern. So wird sich auch weiterhin die Einigkeit der Nation, des Parlaments und der Regierung bekräftigen. Durch sie werden wir den Krieg zu Ende führen, das heißt bis zu einem Siege, der den Feind aus allen be­setzten Gebieten vertreiben wird, sowohl aus den­jenigen. die seit mehreren Monaten unter dem Ein­fall leben, wie auch aus denjenigen, die sie seit vielen Jahren ertrugen. Frankreich störte den Frieden nicht, indem es allen Herausforderungen widerstand. Es lat alles, um den Frieden zu erhalten. Es ist das Opfer eines vorbedachten Angriffs, den kein Sophis­mus jemals wird rechtfertigen können. Main zwang ihm den Krieg auf, den es furchtlos annahm. Es wird erst einhalten, wenn der Feind zur Ohnmacht niedergerungen sein wird. Frankreich wird den Frie­den erst nach der Wiederherstellung des Rechtes durch den Sieg, erst wenn es alle Gewähr für einen dauer­haften Frieden erhalten haben wird, unterzeichnen. Dieses Ziel werden die Völker durch ihre praktische und enge Solidarität erreichen, die ihren Zusammen­schluß täglich fester knüpft und die jetzt wieder durch den Beitritt Japans zum Abkommen vom S. Sept. 1914 verstärkt wurde, wodurch die Mächte die feierl. Verpflichtung eingingen, Keinen Sonderfrieden zu schießen. Aber wir sind der Ansicht, daß das Jnein- klangbringen der Anstrengungen der alliierten Na­tionen noch vollkommener sein kann und sein muß. Dem Rufe Serbiens folgend, eilte Frankreich ihm so- fort zur Hilfe. Wir sind mit der englischen Regierung völlig einig über die Führung der Militär. Unter­nehmungen auf dem Balkan Das augenblickliche Unternehmen Deutschlands auf dem Balkan bezeugt

Anstrengungen

den Mißerfolg seiner Bemühungen auf den Haupt­kriegsschauplätzen. Weil seine Offensive auf der fran­zösischen und russischen Front gebrochen wurde, unter­nimmt es jetzt diesen ablenkenden Schritt. Deutsch­lands Hoffnungen werden enttäuscht 'werden. Wir dagegen sind entschlossen bis zum Ende zu gehen. Die Feinde dürfen auf keine Mattigkeit und Schwäche unsererseits zählen. Nachdem wir unsere Aufgabe ermessen haben, so hart sie auch sein mag, wollen wir sie bis zu ihem Abschluß fortsetzen. Wir haben den Willen zum Sieg, wir werden siegen!

Das Amtsblatt veröffentlicht den zweiten Teil der Rede Br.iands, in der es u. a. heißt: Das Land packte den Angreifer und hält ihn fest. Solange die Niiubernation (?) ihre Krallen, ihren Schnabel und ihre mörderischen Absichten behält, ist es unmögl. von Frieden zu sprechen. (Lebhafter Beifall.) Erst wenn wir es ihr unmöglich machten, die Völker während langer Jahre zu beunruhigen, werden wir von Frie­den sprechen. Es wird ein französischer und ruhm­reicher Friede sein. (Lebhafter Beifall.) Dann wird unser Boden befreit und die entrissenen Provinzen Frankreich wiedergegeben sein. (Einstimmiger Bei­fall.) Belgien wird dann in seine Rechte und Frei­heiten wieder eingesetzt und Serbien befreit sein. Frankreich ist der Vorkämpfer des Rechts. (Einstim­miger Beifall. Die Deputierten erheben sich.) Trotz aller Herausforderung hat das Land Wer 4 Jahre lang auf die Sühne für das ihm zugefügte Leid ge­wartet und plötzlich stürzte man sich auf das Land, um es zu zerschmettern. Man will es in seinen Freiheiten vernichten, in ihm einen der größten Tr.ger der Zi­vilisation der ganzen Welt töten.

Vertrauensvotum der Kammer.

(WTB.) Lyon» 5. Nov. Nach der Verlesung der minist,erteilen Erklärung in der Kammer interpel­lierte Ranreil über die Mißbräuche bei der Hand­habung der Zensur. Unter steigendem LLärm warf er Bivian vor, er habe seine Interpellation als den parlamentarischen Gebräuchen zuwiderlaufend zu- rückgewisssn. Renaudel (Sozialist) hofft, daß man zu einem Preßregime gelangen werde, das den Zei­tungen gestatte, dem Lande die Wahrheit zu sagen. Er forderte eine bessere Finanzpolitik und Beschrän­kung der Verdienste der Kriegslieseranten. (Die Aeußerung des Redners, er hoffe, daß es weder An­nektierungen noch Eroberungen geben werde, beglei­teten die Sozialisten mit lebhaftem Beifall, die Mehr­heit mit Protestvufen und Zischen. Der Hinweis Re- naulds, daß dies die Worte des Ministerpräsidenten selber seien, rief Widerspruch im Zentrum hervor; Ruf: Nein, er sprach von de Niederringung des preuß. Miitarismus.) Renaudel: Unsere Soldaten wollen den preußischen Militarismus nieder ringen, weil sie hoffen daß dieser Krieg der letzte sein wird. (Beifall, auf der äußersten Linken. Protestrufe und Zischen.) Der ehemalige Unterstaatssekretär Maginot, der an der Front schwer verwundet worden war: rief' Kein Soldat im Schützengraben hat Renaudel beauf­tragt, diese Erklärung abzugeben. Solange noch ge­kämpft wird, sind solche Worte unangebracht und peinlich. (Lebhafter Beifall und Bravorufe bei der Mehrheit. Zischen auf der äußersten Linken.) Im weiteren Verlauf der Debatte verlas Vincent eine Erklärung der radikal-sozialistischen Partei, in der diese unter gewissen Bedingungen, die die Kon­trolle anbetrafon, der Regierung ihr Vertrauen ge­währt. Die Partei fordert ferner Steuern auf Kriegs-

unserer Gegner.

verdienst und eine Eörterung aller durch den Krieg aufgeworfenen wirtschaftlichen Fragen. And-rieu namens der Linksradikalen und Pou namens der liberalen Aktion sprachen ihr Vertrauen zur Regie­rung aus. Das Haus nahm sodann, wie bereits gemeldet, mit allen gegen eine Stimme eine Ber- trauenstagesordnung an, die lautet: Die Kammer, die die Regierungserklärungen billigt, und der Re­gierung vertraut, geht zur Tagesordnung über.

Das Gegenstück zu Asquith's Prahlereien.

(WTB.) London, 4. Nov. (Unterhaus.) Carson sagte in seiner Rede: Wir stehen im 13. Monat des Krieges und geben täglich 5 Millionen Pund Sterling aus. Unssre Verluste betrugen eine halbe Million Mann. Der Kriegsschauplatz erweitert sich beständig und droht, sich auf den Osten auf die Lebensinterssen des brittischen Reiches auszudehnen. Wir sehen nach 15 Kriegsmonaten die Feinde im Besitze Belgiens, ei­nes Teiles von Frankreich und Polen. Sie drohen, binnen kurzem Serbien zu zermalmen. Unsere Truppen auf Gallipoli werden in Schach gehalten. Die dortigen Kämpfe verursachen zahllose Verluste durch Verwun­dungen und Krankheiten. Das bedeutet eine schwere Gefahr. Man wird nichts durch den Versuch gewinnen, die Gefahr vor der Nation zu verkleinern. Die Nation ist sehr beunruhigt wegen der Vorgänge aus den ver­schiedenen Kriegsschauplätzen. Gab cs jemals ein sol­ches Beispiel falscher Berechnung als das, was an den Dardanellen geschah? (Beifall.) Der erste Rechenfehler war die Flottenexpedition, der zweite war die Trup­penlandung. die 40 OVO Mann kostete und mit zu schwachen Truppen ausgeführt wurde, um vorwärts kommen zu können. Ein weiterer Fehler war die Lan­dung in der Suvlabai, die gleichfalls mit zu geringen Streitkräften und ebenfalls mit einem Verlust von 40 000 Mann ausgeführt wurde, wobei die Expedition keine einzige Meile vorrückte. Vom Tage dieses Un­glücks bis heute war das Kabinett unsähig, einen Ent­schluß zu fassen, ob es die Expedition fortsetzen sollte und könnte. Das Kabinettsnstem ist gut für den Frie­den, aber die krampfhaften Sitzungen und Debatten des Kabinetts sind gänzlich fruchtlos für die Kriegs­führung. Nötig ist eine kleine Anzahl von Männern, die täglich, nicht wöchentlich zusaminentreten. Larson erklärte: Vielleicht der ernsteste Fall des Gebarens des Kabinetts ist die Valkanfragc. Nichts setzte mich mehr in Erstaunen als der Anblick, wie unsere Balkan- politik sich im Kreise hcrumdrehtc. Grey gab am 28. September eine Erklärung ab, die Serbien tatsächlich Hilfe versprach. Ich glaubte, unsere militärischen Be­rater würden diese Erklärung niemals erlaubt haben, wenn sie nicht Vorbereitungen und Pläne fertig ge­habt Hütten, um, sobald der Augenblick kam, Serbien militärisch zu unterstützen.

Redmond ergriff darauf das Wort und betonte die Loyalität Irlands. Er kritisierte die Bildung der Ko­alitionsregierung. Niemand könne sagen, daß die jetzige Regierung irgendwie stärker sei wie die frühere. Redmond sprach dann über die Verluste der irischen Regimenter und sagte: Wir kennen doch die Wahrheit über die Suvlabai. Ich erhielt Briese von hochstehenden Ofsizheren, die ich nicht vorlesen darf. Sir John Hamilton ist jetzt zurück. Eines Tages müs­sen diese Dinge untersucht werden. Barnes (Ar­beiterpartei) kritisierte die Wirkungen des Munitions­gesetzes. Lord Charles Beresford sagte, die Rede Asquiths werde die Beunruhigung der Nation wenig verringern. Die ganze Dardanellenerpedition sei von Anfang bis zum Ende verpfuscht. And was nütze es,