Winterfeldzüge

Von Oberstleutnant a D. Venary

Der Winter hat in der Weltgeschichte nicht minder glänzende Feldzüge, nicht weniger glorreiche Siege gesehen, als Frühling, Sommer und Herbst. Mochte er dem Angreifer Schneewehen ent­gegentürmen, mochte er dem Verteidiger Gräben und Unterstände im Frost erstarren lassen, oes Menschen Wille war stärker als das Wien der Elemente. Er setzte sich durch, er wand den Lorbeer uni seine im winterlichen Sturm rauichenden Fahnen.

Am Anfang der preugisch-brandenburgischen Geschichte steht ein tiutziges Winterbild. Der Grosze Kurfürst und seine Musketiere sahren mit klingendem Spiel auf Schlitten über das Eis des Frischen und Kurischen Haffs, um die Schweden aus Ostpreußen zu vertreiben. Unfern Labiau, an der Mündung der Eilge, hielt -er Kurfürst Heerschau über seine Getreuen nach den Worten des Lhronistenin einer Gegend mit ihren Oeden von durchwühltem 5and. eingefrorenen Fischcrweilern, zchneebedeckten Tannen- hiigeln, wüst aussehend, finster wie Grönland oder noch düsterer. Die Mannschaften starren vor Kälte. Bärte, Waffen und Klei­dung hingen voll Eis. Den Trompetern fror fast das Mundstück am Munde fest, die Trommler vermochten kaum die Hände zu rühren, den Pfeifern erstarrten die Finger an den Instrumenten. Aber der Mut der Tapferen war ungebrochen, und sie verlangten, wie ihr fürstlicher Führer, nach dem Kampfe mit den räuberrschen Landesverwüstern. Dann ging es ohne Rast weiter. Der Schnee knirschte unter den Fügen der Krieger und der Rosse, Vögel fielen erstarrt von den Bäumen, Scharen von Raben umkreisten das Heer, Wölfe heulten im Frost".

Am Spätnachmittag zersprengte der Vortrab unter Hennigs von Treffenfeld die Nachhut der Schweden und nahm ihnen viele Gefangene und ihr gesamtes Gepäck ab. Unter dem Eindruck dieser Niederlage räumte die schwedische Hauptmacht Tilsit. Der Kur­fürst verbrachte die Nacht in einem Dorf, dessen elende Hütten Schweineställen ähnlicher waren als menschlichen Wohnungen". Aber das Ziel war erreicht. Er konnte am flackernden Kerdfeuer schreiben:Ich habe billig dem Höchsten zu danken, daß durch seinen Beistand der Feind ungeachtet er sich ausgeruht und in guten Quartieren gestanden, dagegen meine Leute innerhalb 1t Tagen bei 100 Meilen in dieser Jahreszeit marschiert, inner­halb zwei Tagen, wie ich ihn nur mit der Kavallerie einholeu konnte, ruiniert und aus dem Lande gejagt worden".

Kesselsdorf, Roßbach. Leuthen, drei Entscheidungsschlachten in -en Schlesischen Kriegen Friedrichs des Großen, fielen in die Mo­nate November und Dezember. Die Siegessonne von Austerlitz ging für den Schlachtenkaiser Napoleon über einem Dezembertag auf. Schneetreiben nahm stundenlang fast jede Sicht, als am 8. Februar 1807 die Preußen unter L'Estocq und Scharnhorst im Verein mit den Russen dem französischen Imperator bei Preu- ßisch-Eylau zum erstenmal den Sieg streitig machten. In der Neujahrsnacht des Jahres 1814 ging Blücher bei Caub über den Rhein und eröffnete damit einen Winterfeldzug reich an Mär­schen, Scharmützeln und Gefechten, der bis vor die Tore von Paris führte und in dem bei dichtem Schneetreiben erfochtene» Siege bei La Roihiöre gipfelte.

Der Feldzug um die Befreiung Schlewswig-Holsteins im Jahre IM sing im Winter an. der Feldzug in Frankreich sieben Jahr« stäter ging in einem für jene Breiten selten kalten Winter zu Ende. Unsere Väter und Großväter erzählten voller Stolz, wie sie semm Unbilden an der Lisaine und Loire trotzten, wie sie die Franzosen über die vereisten Felder und vereisten Straßen von Öleans bis Le Mans, von der Somme bis an die Seine und über Besancon und Dijon bis an die Schweizer Grenze bei Pontarlier jagten.

Der Weltkrieg machte keinen Unterschied zwischen Sommer und Winter, wenn auch im Winter die Bewegungskämpfe hinter den Stellungskämpfcn zurücktraten. Der Winter im Westen hieß Nebel, Regen, Lehmbrei, Finsternis, bedeutete unergründlich« Wege, zusammenstürzende Unterstände und Erabenwände, ver­schlammte Laufgräben, feuchte Kleider, Erkältungskrankheiten. Der Winter im Osten hatte ein helleres Gesicht: flimmernde Echneebreiten, blitzende Eisflächen. Aber der Steppenwind brauste über sie hin und türmte Schneeschanzen auf, in denen Pferde und Fahrzeuge versanken, trieb die Kälte durch Pelz und Wollschal. Die Männer in Feldgrau wurden beider Tücken Herr, wunten

ihnen die besten Seiten abzugewinnen. Die Weihnachtsschlaht 1914, der Angriff der Brandenburger bei Soissons im Januar, die Winterschlacht in der Champagne im Februar 1015, die ersten stegreichen Kämpfe vor Verdun im Februar 1916 sind die hervor­stechendsten Winterschlachtcn des Westens. Im Osten füllte den ganzen Winter 1914/13 eine ununterbrochene Kette von Kämp­fen, die bald um Lodz, bald in Masuren, bald in den Karpathen zu grandioser Wucht emporflammtcn. In Schnee und Eis er­klangen die großen Offensiven im Herbst 1915 in Rußland und Serbien. In Ostgalizien wurde noch im November bei Simi- chowce erbittert gekämpft, und die Verfolgung der Serben endete gar erst im Dezember in den albanischen Bergen."

Um die Jahreswende 1915/16 lebten die Kämpfe im Osten mit russischen Durchbruchsversuchen wieder auf und ebbten erst ab, als im März mit Eintritt der Schneeschmclze die russischen Sturm­angriffe von Postawiy nach den Worten des Eeneralfeldmar- schalls von Hindenburgin Schlamm und Blut erstickten". Der rumänische Feldzug des gleichen Jahres fand in der Weihnachts­schlacht von Rimnicul-Sarat seinen Abschluß. Die Operationen gegen das Rußland Lenins und Trotzkis wurden nach den geschei­terten Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk im Februar 1918 wieder ausgenommen und die Besetzung Estlands und Liv­lands, Weißrußlands und der Ukraine trotz Wetterunbillen in kürzester Frist durchgeführt. Nicht vergessen werden sollen auch die hervorragenden Marschleistungen deutscher Truppen während der Räumung der besetzten Gebiete im Frühwinter des Jahres 1918.

Das großdcutsche Heer hat die Erfahrung aller dieser Winter­kämpfe organisatorisch, technisch und taktisch mit Bedacht aus­gewertet und sie in zwei Kriegswintern vertieft und erweitert. Es hat gelernt, alle Hilfsmittel neuzeitlicher Wissenschaft und Technik in den Dienst eines Winterfeldzuges zu stellen. Es zählt eine Jugend zu den Seinen, die ganz anders wie die Jugend vergangener Tage durch den Wintersport mit den Härten eines Winters vertraut ist. Es weiß seine Kampfesweise den Sonder­forderungen eines winterlichen Geländes anzupassen. Es wird so auch denGeneral Winter" nicht, wie es die angelsächsischen Machthaber ihren Völkern weismachen wollen, als Feind, son­dern als Bundesgenossen ansehen.

Geners'sSerft Freiherr von Weichs 6V Jahre all

DNV Berlin, 12. Nov. In seinem Hauptquartier im Osten, inmitten der Entscheidungskämpfe gegen die Sowjetunion, voll­endet am heutigen 12. November Generaloberst Maximilion Freiherr von Weichs sein 60. Lebensjahr.

Freiherr von Weichs wurde am 12. November 1881 in Dessau geboren, wo sein Vater als Oberstallmeister in herzoglich-anhal» tischen Diensten stand. Nach dem Besuch des Wilhelmgymnasiums in München trat er im Jahre 1900 als Fahnenjunker in das

2. Vayr. Reiterregiment ein. 1914 zum Rittmeister befördert, zog er bei Ausbruch des Weltkrieges als Adjutant der 4. Bayr^ Kavallerie-Brigade ins Feld. Nach dem Krieg wurde Rittmeister von Weichs in verschiedenen Front- und Eeneralstabsstellungen verwendet. Vom 1. Februar 1928 bis zum 1. März 1930 war^ er Kommandeur des Reiterregiments 18 in Stuttgart- Cannstatt. Nach der Machtübernahme wurde er als General­major Jnfanterieführcr III, danach Kommandeur der 3. Kaval­lerie-Division. In dieser Stellung stellte Generaloberst v. Weichs nach der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht aus der

3. Kavallerie-Division die erste Panzerdivision des deutschenHeeres auf, deren Kommandeur er bis zu feiner Ernennung zum Kommandierenden General des XIII. Armee­korps in Nürnberg war. In dieser Stelle wurde er am 12. Okto­ber 1937 General der Kavallerie. 1938 marschierte er mit seinem Armeekorps mit in die Ostmark und in den Sudetengau ein.

Nach Ausbruch des großdeutschcn Freiheitskrieges erzwingt das Korps Weichs im Polenfeldzuge auf dem rechten Flügel der schlesischen Armee den Uebergang über die Warthe und mar­schiert in Lodz ein. Während der Schlacht an der Bzura gingen seine Divisionen gegen die polnische Hauptstadt vor, an deren Fall das Korps Weichs erfolgreich Anteil batie. In Anerkennung seiner Verdienste ernannte der Führer General der Kavallerie von Weichs dann am 26. Oktober 1939 zum Oberbefehlshaber

im Westen kämpfte. Das Ritterkreuz und die Beförderung zur Generalobersten waren die äußeren Zeichen der Anerkennung de besonderen Leistung des Armeeführers und seiner Truppe? März 1941 wurde Generaloberst von Weichs mit der An

Im

cabe betreut, mit einer Armee zwischen Save und Drau geg Jugoslawen in das Gebiet westlich Belgrad vorzustoßen undi -m Zu,ammenwirken mit den aus Bulgarien und Rumänie« - Ä*"d vorgehenden Kräften des Generalfeldmarschalls Li« die in Nordgugoslawien stehenden Feindkräfte zu vernichten. Sei« ner geschickten Führung ist es zu verdanken, daß trotz des schwi« rigen Geländes die Aufgabe in der kurzen Zeit von neun Tage« gemeistert wurde^ Im Ostfeldzug gegen die Sowjetunion kämpft« ore Armee des Generaloberst Freiherr von Weichs im Rahmen der Heeresgruppe des Generalfeldmarschalls von Bock und war maßgeblich an den siegreichen Schlachten von Smolensk und Eo- mel beteiligt. An der großen Schlacht von Kiew hatten die Divisionen der Armee von Weichs ruhmreichen Anteil.

Erfolg der Flaschensammlung

DNB Berlin, 11. Nov. Der Reichskommissar für Altmaterial­verwertung und Reichsbeauftragter der NSDAP, für Altmats» rialerfassung teilt mit:

Wie die bisher vorliegenden Teilergebnisse erkennen lassen, wird die am 8. November durchgeführte ReichssammlungFla­schen für unsere Wehrmacht" einen über alle Erwartungen hin­aus guten Erfolg haben. Die Spendefreudigkeit der deutschen Hausfrauen war derart gr-sß,.daß die zur Sammlung bereit­gestellten Fahrzeuge und Sammler, insbesondere in den Groß­städten, die gespendeten Mengen vielfach nicht bewältigen konn- ien. Wo dies der Fall war und die bcreitgestellten Flaschen noch nicht abgeholt wurden, springen die deutschen Schülerinnen und Schüler in die Bresche. Sie nehmen die für die Wehrmacht be­stimmten Leer-Flaschcn in die Schule mit, wo durch die zu­ständigen Beauftragten der Partei die sofortige Weiterleitung veranlaßt wird.

Kleine Nachrichten aus aller Wett

Der rumänische Handelsminister in Berlin. Dienstag vor­mittag traf der rumänische Handelsminister Marinescu in Begleitung des Generalsekretärs im rumänischen Handels­ministerium, Julia Orbonas, und des Handelsattaches Sil- vin Orbonas auf Einladung des Reichswirtschaftsministers und Präsidenten der deutschen Reichsbank, Walther Funk, zu einem mehrtägigen Besuch in der Neichshauptstadt ein.. Reichsminister Funk begrüßte seinen Gast auf dem Bahnhof.:

Neue Berater im Autzenamt Tokios. Als Nachfolger der gemeinsam mit Matsuoka im Sommer dieses Jahres zurück-j getretenen Berater im Außenamt, Toshio Shiratori (früher Botschafter in Rom) und Dr. Sloshie Saito wurden der qrühere Botschafter in Paris und Außenminister im Hayashi-- Kabinett, Naotake Satoh, sowie der frühere Botschafter in. China, Shigeru Kawagoe, zu diplomatischen Ratgebern iin Außenamt ernannt.

Generalleutnant von Seidel 50 Jahre alt. Der General» quartiermeister von Seidel, seit Aufstellung der Luftwaffe in führenden Eeneralstabs- und Truppenstellungen, begingt am 11. November seinen 50. Geburtstag.

Erste Schule in Bulgarisch-Mazedonien. Am Sonntag, fand in Skopje die feierliche Einweihung der ersten deutschen Schule im befreiten Bulgarisch-Mazedonien statt.

Kommunistennest in Buenos Aires ausgehoben. Am Mon­tag hob die argentinische Polizei erneut ein Kommunisten­nest aus. Hierbei wurden sechs berüchtigte Agitatoren fefb- genommen.

Schweres Unglück in USA.-Truppenlager. Ein USA.-Ar- meebomber stürzte laut Associated Preß über dem Truppen­lager in Raleich (North Carolina) ab und fiel auf ein mit Soldaten belegtes Zelt. Den spärlichen Berichten nach wur­den zwei Mann getötet und fünf verletzt.

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Nun ging er durch die Straßen wie ein Träumender. Da er nie ans Sparen gedacht hatte, war er nahezu mit­tellos. Blieb nur das kleine Legat aus dem Moorhof, das vor wenigen Tagen emgetroffen und von ihm mit einem Fluch begrüßt worden war. Jetzt war dieses Geld sein letzter Notgroschen. . ^ ^

Wie manche Gewaltnaturen neigte er dazu, gch selber - zu bemitleiden. Die Wunde an seiner Wange brannte höllisch. Jedem körperlichen Schmerz gegenüber aber war oer starke, stiernackige Steffen Weidacher ein Feigling, er schäumte innerlich vor Wut und Ungeduld, war aber gleichzeitig weinerlich wie ein Kind. . .

Die Türme der altertümlichen Stadt, die mit ihren Laubengängen und flachen Dächern schon einen südlichen Einschlag hatte, ragten in die mondbleiche Nacht, als Steffen wie ein Betrunkener durch die Straßen stolperte. Aber er hatte heute noch keinen Tropfen über die Lippen gebracht. Der schäumende Krug hatie seine Anziehungs­kraft verloren und das hieß viel bei Steffen; denn ge­rade dieser Krug war es gewesen, der ihn einst aus dem Moorhof fvrtgelockt hatte. Eine frohe, wilde Jugend hatte er verlebt, die keine schwere Bauernarbeit mehr drückte, weite Ucberlandfahrten hatten ihm ein schönes Stück engere Heimat gezeigt, und am Abend, wenn der Lastwagen, den er früher mit Stolz und Sorgfalt gepflegt hatte, in der Garage stand, dann hatte sich der Steffen voll- gepumpt mit dem gleichen guten Nah, das er den länd­lichen Wirten tagsüber ins Haus gebracht hatte, voll­gepumpt, als wäre er selber ein Faß, schier ohne Boden. Dabei hatte er gar nicht gemerkt, wie sich sein schlanker, inniger Banernkörper, dem das lange Sitzen ohnehin schlecht bekam, langsam veränderte, wie er aus allen Fu­gen quoll und fett und schwammig wurde.

So war er nun, wie er einsam durch die Straßen strich und zum ersten Male die lärmenden Schänken mied, ein uicht mehr ganz junger Mensch, arbeitslos, bleiern müde. Eulieu Schweiß auf oer Stirn. Gerade tu oer letzte» Zeit

hatte er öfter auch an leichten Asthmaanfällen gelitten. Es war nicht mehr viel los mit Sleffen Weidacher. Das Leben war auf einmal weniger schön. Die erste Ahnung der Dämmerung war hereingebrochen.

Was sollte werden? Himmel, was sollte nun werden?

Bisher hatte im Hintergrund immer noch der gute, wartende Moorhof gestanden. Der war die Sicherheit ge­wesen, der Rückhalt. Solang der Vater noch lebte, hatte Steffen nie daran gezweifelt, daß die Tür des Moorhofes sich ihm jederzeit wieder auftun würde. Bloß heimgehen hätte er müssen und den alten Moorwcg wieder unter die Schuhe nehmen, wenn die Stadt eines Tages nimmer hielt, was sie versprach.

Aber jetzt war ein eiserner Riegel vorgeschoben an der alten Sterntür, es gab keine Rückkehr mehr.

Vater, hätt'st halt gewartet ich wär' schon noch kom­menEs war nur ein halblautes Aechzen, das über Stessens Lippen drang. Aber er war uicht ehrlich genug, sich einzugestehen, daß der Vater lang gewartet und viel Geduld gehabt hatte. So brannte das eingebildete Un­recht, das ihm geschehen war, noch schlimmer als die näs­sende Brandblase auf der Wange.

Schließlich schellte er an der Marktapotheke und kaufte etwas Del für die Wunde. Dann warf er sich daheim vier möblierte Wände waren sein Daheim auf sein schlechtgemachtes Bett, schmökerte in einem Kriminal­roman, stand nochmal auf, holte sich zwei Flaschen ab­gestandenes Bier hinter seinem Waschtisch hervor, trank gierig mit fieberig aufgesprungenen Lippen und schlief endlich ein.

Aber der Moorhof geisterte auch noch durch seine Träume. Er sah den mondblauen Steinwürfcl weit drau­ßen im Moor und fuhr ratternd darauf zu, immerfort mit angespannten Sinnen, das Steuerrad in schweißigen Händen aber der Hof wich immer weiter zurück. Er stöhnte und fluchte und schluchzte schließlich wie der kleine Moorbauernbub, der sich einst in der Filze verlaufen hatte. Es war ein großer Jammer. Dann versickerte der Traum.

Aber sofort kam ein anderes Bild. Er stand an der geschlossenen Tür des Moorhofes und wollte hinein, pochte an, trommelte mit den Fäusten gegen das harte Holz. Hörte endlich von innen einen Schlüssel knirschen. Der Vater trat heraus, zog aber sofort die Tür hinter sich zu und hatte ein fremdes, verschlossenes Gesicht. In der Hand hielt er ein weißes Blatt. Das nagelte er mit wenigen Hammerschlägen an die Tür. lind die etwas ge­

bückte Gestalt des Vaters löste sich in bläuliches Gewölk und war verschwunden.

Das weiße Blatt an der Tür aber war das Testament die Ausweisung für den Steffen, der schweißgebadet erwachte.

Schon im Morgengrauen lief er wieder ziellos durch die Stadt, schauernd vor Kälte, denn der erste Nachtfrost hatte Reif gebracht. Welke Blätter raschelten in den Alleen. Dann kam Steffen an einer Autoreparaturwerk­statt vorbei, die ihn irgendwie angezogen hatte. Da sah er den Wagen seinen Wagen bereits aufgebockt, ein Mechaniker kratzte im Bauch des Ungeheuers herum.

Steffen stand und starrte. Seine rotgeründerten Augen streichelten den alten Freund, die verbeulten Kotflügel, die wehmütig gesenkte Kühlerschnauzc.

Ich hol dich schon wieder!" murmelte er. Tausend tolle Pläne durchzuckten sein Gehirn.

Es war Sonntag, und die Walp hatte Schmalznndeln gebacken.

Rakes so bescheiden gewordener alter Magen wehrte sich beinahe gegen soviel Guttat. Sie saß am Nachmittag in einem schrägen Winkel der Oktobersvnne neben ihrem Lieblingsfenster und schnupperte behaglich den Düften nach, die noch in der Stube hingen. Im ganzen Hans war feiertäglicher Friede. Hartl war gleich nach dem Essen ins Dorf geradelt. Und die Walp spürte zum ersten Male wieder nach drei unruhvollen Tagen ein gestillteres Herz.

Sie hatte sich jetzt angewöhnt, manchmal mit sich selber zu reden und wußte nicht, daß Rake ein besonderes Ge­schick zum Lauschen hatte. Die Alte hatte ihre Ohren, ihre Augen, ihre Nase einfach überall. Und so hörte sie zu­weilen einen schweren Seufzer der Walp:Lieber Herr­gott, muß denn das sein, daß man soviel Not und Last mit sich selber hat? Das Herz möcht man sich aus der Brust reißen und drauf trampeln mit genagelten Schuhen, da­mit endlich einmal ein Fried werden täi"

Dann schlich die Alte weg mit großen, verschreckten Augen, ganz blaß um die Nasenspiye, als hätte sie in einen glühenden Kerker geschaut. In diesem Kerker aber saß die Walp gefangen, konnte uicht aus der eigenen Haut, konnte nicht los von ihrem geweckten und gepeinigten Weibtum. Die Rake, die schon den kühlen Schnee deS Alters auf der Stirn trug, erschauerte manchmal wie ein alter Baum, den noch einmal ein Frühlingssturm streift. War das auch so gewesen, wie sie jung war? Sie wußte es nimmer. l