Wilna und Riga.

Kopenhagen, 29. Aug. Die russische Post hat die Beförderung privater Briefe und Telegramme nach den Bezirken westlich der Bahnlinie WilnaOstrog eingestellt. Die russischen Westbahnen fahren seit Montag nicht mehr nach Wilna, sondern werden von Petersburg über Witewsk geleitet. Das Gouverne­ment Estland wurde unter militärische Leitung ge­stellt.

(WTB.) Kopenhagen, 29. Aug.Berlingske Tidende" meldet aus Petersburg: Wilna wird ge­räumt. Täglich kommen Ströme von Flüchtlingen aus Kownö und den umliegenden Gegenden nach Petersburg. Die Flüchtlinge erzählen, daß die russi­schen Soldaten ihre Wohnsitze in rauchende Trümmer­haufen verwandelt haben. Die Straßen seien ange­füllt mit Trümmern von Möbeln und anderem Haus­rat. Nur wenige Menschen seien zurückgeblieben. Man arbeitet nun in Petersburg mit grösstem Eifer daran, die Erzeugung von Munition zu verdoppeln. Eine grosse Anzahl von Fabriken wurde für die Her­stellung von Munition eingerichtet. Schüler der Tech­nischen Hochschulen bilden die Arbeiter aus. Die Frage des Vordringens nach Petersburg hängt damit zu­sammen, ob es den Deutschen gelingt, die Bucht von Riga zu erobern und sich dort einen Stützpunkt zu verschaffen. Man hält diesen Versuch für ein gewag­tes Spiel, weil im Spätherbst dort das Gelände zwi­schen Narew und Düna in einen Zustand gerät, der für die Truppenbewegungen der Deutschen beinahe unüberwindliche Schwierigkeiten bietet. Immerhin ist es Tatsache, dass die deutschen Heere in Kurland so stark ausgerüstet sind, daß man auf grosse Pläne schlie­ßen muss. Man nimmt an, daß die Artillerie in die­sem Abschnitt über 2000 Kanonen zur Verfügung hat.

Petersburg und Moskau geräumt.

Berlin, 29. Aug. Aus Stockholm wird demLo­kalanzeiger" gemeldet:Svenska Dagbladet" bestä­tigt auf Grund privater Meldungen aus Petersburg, dass dort Vorbereitungen zur Räumung der russischen Hauptstadt getroffen werden.

(WTB.) Berlin, 30. Aug. Wie demBerliner Tagebl." über Stockholm gemeldet wird, scheinen sich auch in Moskau die Russen nicht mehr sicher zu fühlen. Die Kunstschätze, Wertsachen, Dokumente u. dergl. von Petersburg werden nicht nach Moskau, sondern nach dem bedeutend östlicher gelegenen Nishni-Nowgorod übergeführt werden.

Nicht zweckentsprechend."

Petersburg, 28. Aug. Die Zentraldirektion des Eeneralstabs hat gestern bekannt gegeben: Gewisse Berliner Telegramme melden, daß die Festung Brest- Litowsk nach dem Sturm deutscher und österreichisch­ungarischer Truppen gefallen sei. Diese Mitteilung ist unzutreffend und tendenziös. Tatsächlich war be­reits seit einiger Zeit entschieden, daß die Einschlie­ßung einer Garnison von 100 000 Mann in diesem festen Platznicht zweckentsprechend" wäre. Infolge­dessen wurde das wertvollste Material zu rechter Zeit von dort zurückgezogen und die Werke auf dem linken Bugufer leisteten nur Widerstand, um der in jener Gegend operierenden Armee die Möglichkeit eines Rückzuges nach Osten zu geben. Als diese Bewegung ausgefllhrt war, wurden Befestigungen und Brücken zerstört und die Besatzung dieser Werke schloß sich der Feldarmee wieder an, wie dies in der amtlichen Mit­teilung aus dem Stabe des Grossfllrsten-Oberbefehls- chabers bekannt gegeben worden ist.

Rußland mißtraut Rumänien.

Berlin. 28. Aug. Aus Lzernowitz meldet der Lokalanz.": Die Nervosität der Russen in Bessara- bien hat ihren Höhepunkt erreicht. Bemerkenswert ist. daß sie ihre Anlagen nicht für den Einfall der Zentralmächte einrichten, sondern die Fortifikations- anlagen längs des Pruth beweisen, dass Rußland Ru­mänien mißtraut und den Einfall von dieser Seite befürchtet.

Ioffre zu einem Winterfeldzug.

Haag, 29. Aug. Ioffre hat einen Befehl er­lassen, in dem er seinen Truppen die Notweudigkeit eines neuen Winterfeldzugs ankündigt. Gewisser­maßen als Trost ist dieser Ankündigung beigefügt, daß dieser Winterfeldzug sich zu« größten Teile in der Rhringegend abfpielen werde. Bekanntlich hat Ioffre schon im Mai am Rhein sein wollen.

Die rätselhafte Beschießung von Compiögne.

Berlin, 28. Aug. Aus Genf meldet derLokal­anzeiger": Noch weit wirksamer als das Anfang August gegen Cornpisgne gerichtete Bombardement war die gestrige Beschießung,, die insgesamt 1 Stunde dauerte und in sämtlichen Teilen der Stadt Verhee­rungen anrichtete, die schwersten in dem vorzugsweise

Militärzwecken dienenden Bahnhofsviertel. Man stellte 7 Hauptbrände fest. Die Deutschen haben aus einer den Franzosen vollkommen unbekannten Entfernung 7 Schüsse abgegeben, die lauter Treffer waren. Das Bombardement erfolgte, als sich gerade die Stadtdiener anschickten, Vivianis Kammerrede öffentlich anzuschlagen. Im amtlichen Bericht werden nur Tote und Verwundete des Zivilstandes erwähnt, während anderweitig bestimmt versichert wird, daß in den Kasernements zahlreiche Militärpersonen der Beschießung zum Opfer fielen. Der Eindruck des Bom­bardements in Paris war sehr stark, namentlich in den Kreisen der Kammer-Opposition gegen Mille­rand.

Die tapfere Dardanellenwacht.

(WTB.) Konstantinopel, 28. Aug. Das Haupt­quartier teilt mit: An der Dardanellenfront griff der Feind in der Gegend von Awaforta am 27. August nach artilleristischer Vorbereitung zu Wasser und zu Lande bei Kiretschtepe und südlich Asmakderez an. Er wurde an beiden Orten unter schweren Verlusten zurückgeschlagen, ohne irgend einen Erfolg erzielt zu haben. Bei Kiretschtepe vernichteten wir ein feind­liches Bataillon. Unser Zentrum griff der Feind drei­mal an. Wir wiesen ihn jedesmal mit schweren Ver­lusten zurück. Unsere Artillerie traf wiederholt einen feindlichen Kreuzer und ein Transportschiff bei Ari Burnu. Auf dem rechten Flügel fand in der Nacht vom 26. zum 27. August wiederholt Bombenwerfen statt. Unsere Artillerie beschädigte ein feindliches Transportschiff und einen Schlepper. Bei Seddul Bahr das gewöhnliche Artillerie- und Infanterie­feuer. Von den übrigen Kriegsschauplätzen nichts be­sonderes.

Ein feindlicher Kreuzer gescheitert.

Konstantinopel. 28. Aug. Aus Smyrna wird ge­meldet, daß von den zwei Kreuzern, die am 25. Aug. Geukabatli ,an der Südspitze des Golfes von Koß, südlich von Smyrna, bombardierten, einer gescheitert ist. Der andere Kreuzer versuchte ihn flott zu machen, wurde aber durch die türkische Artillerie daran ge­hindert. Der gescheiterte Kreuzer ließ eine bemannte Schaluppe nieder, von der vier Mann getötet wur­den. Die übrigen sprangen ins Wasser, um zu dem Kreuzer zurückzukehren. Die Schaluppe wurde sodann von den Türken samt den Waffen erbeutet. Acht Mann der Besatzung des Kreuzers, die sich auf dem Verdeck befanden, wurden getötet, ebenso vier Mann des anderen Kreuzers. Von den türkischen Soldaten geworfene Bomben trafen den gescheiterten Kreuzer, doch war es unmöglich, die Wirkung festzustellen. Auf der Seite der Türken wurde ein Mann getötet und ein Mann verwundet.

Meuterei vor den Dardanellen.

Wie«. 28. Aug. DasNeue Wiener Journal" erfährt über die bereits gemeldete Meuterei englischer Truppe« auf Zyper« aus Athen noch, daß die Ur­sache in der schlechten Verpflegung bestanden habe. Kanadische Truppen wurden gegen die Meuterer geführt. Es kam zu einem heftigen Kampf, wobei es auf beiden Seiten zahlreiche Tote gab. Die Meuterer wurden schließlich überwältigt und nach Malta abgeführt.

Die Neutralen.

Griechenland und das türkisch-bulgarische Abkommen.

Athen, 29. Aug. An der Unterzeichnung des tür­kisch-bulgarischen Abkommens wird in hiesigen diplo­matischen Kreisen nicht mehr gezweifelt. Die griech­ische Presse beschäftigt sich mit dem Abkommen als mit einer Tatsache und bezeichnet es als bedeutsames Ereignis, das auf die Balkanverhältnisse großen Ein­fluß ausüben werde. Durch das Abkommen, das ein Erfolg der deutschen Diplomatie sei, werde Bulga­riens Stellung gegenüber dem Vierverband endgül­tig geklärt und seine Stellungnahme auf der Seite der Zentralmächte unzweideutig erwiesen. Damit sei es natürlich unvereinbar für Bulgarien, auf die Vor­schläge des Vierverbandes einzugehen, die eine selt­same Unkenntnis der Absichten Bulgariens bewiesen, Griechenland und Serbien unnötig verstimmten und eine Einbuße an ihrem Prestige erfahren hatten. Vom griechischen Standpunkt aus betrachtet, enthält das Abkommen keinen Angriffsplan gegen Griechen­land. sondern bedeutet die Beobachtung einer defen­siven Haltung für Griechenland, falls dieses für eigene oder für Rechnung der Entente aus seiner Neutrali­tät heraustreten sollte. Die Frage der Abtretungen, welche der Vierverband von Griechenland verlangt, sei damit abgetan und Griechenland von der Gefahr, daß die Entente Zwangsmaßregeln anwenden könnte, befreit. Vielmehr wird die Entente geneigt sein,

sich wieder Griechenland zu nähern, um vor Anbruch des Winters ihre Eroberungspläne an den Darda­nellen durchführen zu können.

Ernüchterung griechischer Freiwilliger.

Athen, 28. Aug. DerNat.-Ztg." wird von hier berichtet: Der kriegerische Eifer der griechischen Frei­willigen, die in den Heeren des Vierverbandes die­nen, ist stark erkaltet. Eine griechische Abteilung, die unter dem Befehl eines griechischen Hauptmanns bisher auf den Kriegsschauplätzen in Frankreich ge­kämpft hatte, wurde nach Mudros gebracht, um vor den Dardanellen verwendet zu werden. Die Frei­willigen weigerten sich auf Grund ihrer Vereinba­rungen, dem Befehl nachzukommen und verlangten die Erlaubnis zur Rückkehr in ihre Heimat. Da­raufhin wurden sie von englisch-französischen Trup­pen umzingelt, entwaffnet und interniert. Gegen­wärtig stehen sie unter der Bewachung von Senegal­schützen! Trotz der scharfen Aufsicht ist es ihnen ge­lungen, der griechischen Regierung ein Schriftstück zukommen zu lassen, worin sie ihre Lage darlegen und um Schritte zu ihrer Befreiung bitten, da sie nicht gewillt seien, noch weiter Kriegsdienste für den Vier­verband zu leisten.

Entspannung im FallArabic."

(WTB.) Paris, 29. Aug. Die Blätter melden aus Washington, daß in den deutsch-amerikanischen Beziehungen, die sich infolge der Versenkung der Arabic" ziemlich zugespitzt hatten, eine Entspan­nung eingetreten sei, so daß sehr wahrscheinlich eine günstige Lösung in den allernächsten Tagen erfolgen werde. Die Presse, die mit allen Mitteln versucht hatte, denArabic"-Zwischenfall aufzubauschen und die deutsch-amerikanische Spannung durch Hetzereien zu verschärfen, verbirgt ihre Enttäuschung darüber nicht, daß auch in diesem Fall von einem Abbruch der diplomatischen Beziehungen keine Rede sein kann.

Bon unseren Feinden.

Eine militaristische Rede Vivianis.

(WTB.) Paris, 28. Aug. (Agence Havas.) Da in den letzten Tagen in den Parlamentsgruppen der Ge­danke aufgetaucht war, die Kammer als Eeheimausschuß tagen zu lassen, um Fragen der Landesverteidigung zu prüfen, hielt Ministerpräsident Vioiani am Donnerstag in der Kammer eine beredte Ansprache über diesen Ge­genstand, die den begeisterten Beifall des Hauses er­weckte. Der öffentliche Anschlag der Ansprache wurde ein­stimmig beschlossen. Viviani erinnerte daran, daß die Re­gierung kein Mittel vernachlässigt habe, um den Parla­mentsausschüssen, in denen alle Parteien vertreten seien, immer die weitestgehende Prüfung zu gestatten. Viviani stellte sich dann der Kammer zur Abhaltung einer Ee- heimfitzung zur Verfügung, obwohl die Regierung ihr nichts neues mitzuteilen habe, und fuhr fort: 48 Jahre lang ertrug die Republik die Last ihrer furchtbare« Wunde, aber die Behauptung, daß sie nicht für ihre mili­tärische Verteidigung sorgte, ist falsch. Ich muß folgende Worte Joffres, die in der letzten Sitzung beifällig auf­genommen wurden, in Erinnerung bringen: Die Repu­blik kann auf ihre Armeen stolz sein, die sie gemäß den modernen Anschauungen in Verehrung der Gerechtigkeit und in Liebe zum Recht aufgebaut hat. Am Tage des Krieges scharten sich die Kinder Frankreichs um dieses hohe Ideal, ohne das nur eine Armee von Söldnern bestehen kann. (Einmütiger Beifall.) Die deutsche Presse versucht zu sagen, in Frankreich herrsche ein Zwie­spalt. Solange wir das heldenmütige Belgien nicht wie­derhergestellt und Elsaß-Lothringen nicht wieder erobert haben, wird es keinen Zwiespalt bei uns geben. Sei es drum, daß unsere Feinde sich noch durch einen schweren psychologischen Irrtum irreführen lassen, wir tun das nicht, die wir Arbeiter und Arbeitgeber, Reiche und Arme, Bürger aller Parteien und Bekenntnisse, in der­selben Aufwallung die gleiche militärische und mensch­liche Pflicht erfüllt haben, als sie den Frieden (?) der Welt verteidigen. Die Gewißheit kommt uns vom Par­laments, das dem Lande ein wunderbares Schauspiel bot, als es am 4. August 1914 seine Seele zu den Höhen der Zukunft erhob. Das Parlament schöpft aus der Herr­schaft der Nation das Recht zur Kontrolle, aber die Macht, die der Regierung vom Parlament verliehen ist, muß desto stärker sein, je größer die Verantwortung der Regierung ist. (Langanhaltender Beifall.)

Die Zustünde in Rußland.

(WTB.) Petersburg, 27. Aug. DerPetersburger Kurier" ist entrüstet über die Presse der Rechten, die gegen die Opposition in der Duma den allerschlimmsten Krieg eröffnet habe. Sie gehe sogar soweit, zu behaup­ten, daß die Opposition die Niederlage Rußlands wünsche, um die Macht in die Hände zu bekommen. Das Blatt sagt, daß eine solche Frechheit selbst von den be­kannten Pogromisten nicht zu erwarten gewesen sei, die selbst von Bestechungen, Unterstützungen und Diebstahl an Staatsgeldern lebten. Der Abgeordnete der Lin­ken Skobelew hat sich an den Minister des Innern mit einer Eingabe gewandt, in der er sich über die Behand­lung der Gefangenen in den russischen Gefängnissen be­schwert. Er führt Beispiele aus dem Gouvernement Baku