Nr. 199.

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw. 90. Jahrgang.

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Freitag den 27. August ISIS.

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Brest-Litowsk erstürmt.

Die Lage aus den Kriegsschauplätzen.

Sieg auf Sieg im Osten.

Brest Litowsk, der letzte Pfeiler im russisch-pol­nischen Festungsgürtel, ist gestern nacht von den ver­bündeten Truppen mit stürmender Hand genommen worden. Wenn wir auch in der beinahe überschweng­lich gewordenen Siegeszuversicht die Behauptungen der feindlichen Presse keinen Glauben schenkten, daß diese Festung monatelang sich halten werde, um den russischen Heeren Zeit zur Reorganisation zu geben, so rechneten doch selbst die draufgängerischsten Zivil­strategen nicht mit einem so frühen Fall der Festung, besonders da man wußte, daß sämtliche Stellungen nicht nur durch eine hervorragende Befestigungstech­nik, bei der sich auch die japanischen Bundesgenossen beteiligt hatten, verteidigt wurde, sondern daß vor allem auch ganz gewaltige Truppenmassen ver­schiedene Armeen jeden Fußbreit Geländes mit echt russischer Zähigkeit festzuhalten versuchten. Wir haben uns in den letzten 4 Monaten infolge des un­ausgesetzten Siegeslaufs der verbündeten Armeen im Osten so sehr an den militärischen Erfolg gewöhnt, daß wir Gefahr laufen, den Maßstab für die Bedeu­tung der überwältigenden Leistungen unserer Heere zu verlieren, und als fast selbstverständllich anzu­sehen, was unsere heldenmütigen Truppen in bei­nahe übermenschlichen Anstrengungen unter der Leitung genialer Führer tagtäglich erreichen. Der Durchbruch am Dunajec, die glänzend zusammen­arbeitenden Operationen zur Wiedereroberung Ga­liziens, die zwecks Vorbereitung des Angriffs gegen die russische Weichselstellung gefiihrten Kämpfe zwi­schen Weichsel und Bug. die durch die Hindenburg- ische Strategie genial eingeleiteten Flankierungs- bewegunqen des ganzen russischen Anmarschfeldes in Polen durch den Vormarsch der deutschen Heere in Nordwostrutzland und entlang der ostpreußischen Grenze, alle diese kunstvoll und planmäßig in einander greifenden Aktionen sind nicht allein durch die überlegene Kriegskunst und Kriegstechnik, er­reicht worden, sondern auch zum größten Teil mit durch den unerschütterlichen Willen unserer braven Truppen, die schier unerfüllbar erscheinenden Anforderungen ihrer Führer inbezug auf Mut. Ener­gie und Ausdauer auch durchzuführen. Gerade die letzten drei Wochen haben wieder so recht gezeigt, was von unseren Truppen verlangt wird, und was sie auch zu leisten in der Lage sind. Nachdem mit der Einnahme von Warschau und Jwangorod die erste große Verteidigungslinie der Russen durchbrochen wurde, die durch die meisterhafte russische Vertei­digungstechnik und natürliche Schutzmittel in eine Riesenfestung verwandelt worden war, schickten sich die verbündeten Heere sofort an, nach der Weichsel­stellung auch die zweite Verteidigungslinie der Rus­sen, die NarewBugNjemenstellung zu gewinnen. Heute, nach 3 Wochen, ist diese Herkulesarbeit getan. Was das bedeutet, wird uns erst recht klar, wenn wir überlegen, welcher Widerstand bei diesem Unter­nehmen zu überwinden war. Nicht nur. daß die vor­dringenden Heere dem größten Teil der russischen Heeresmacht gegenüberstanden, die Stellung war im Norden durch starke Festungen, (Kowno, Grodno, Ossowiez, Lomsha, Ostrolenka. Nowo Eeorgiewsk), die allerdings gegen alle Ueberlieferung nur wenige Tage dem Ansturm der deutschen Sturmkolonnen und der schweren Artillerie die Stirn zu bieten ver­mochten, durch kunstvolle Feldbefestigungen, die an jedem Flußlauf, an jeder Bahnlinie, an jedem Wald-

und Sumpfgelände errichtet wurden, und die stets regelrecht bekannt werden mußten, also durch alle nur denkbaren Mittel einer neuzeitlichen Verteidi­gungskunst von einem sich aufs hartnäckigste weh­renden Gegner verteidigt.

Man kann sich noch nicht darüber klar werden, welche Bedeutung der Eroberung von Brest Litowsk, wohl der stärksten der russischen Festungen, beigemes­sen werden muß. Zwar wird gemeldet, die Beute übertreffe allen Anzeichen nach noch diejenige von Nowo Eeorgiewsk, aber die Fassung der Nachricht unserer obersten Heeresleitung, daß der Feind, nach­dem unsere Truppen in das Kernwerk eingedrungen seien, die Festung freigegeben hätte, läßt uns da­vor warnen, mit Phantasiezahlen zu operieren. Mit Ausnahme von Nowo Georgijewsk haben die Russen nach den bisher im feindlichen Lager gemachten Er­fahrungen die Verteidigung ihrer Festungen nur mit dem Charakter als Rückzugsstellungen betrieben, es ist nach den niederschmetternden Niederlagen der letzten Wochen trotz aller gegenteiligen Behaup­tungen also nicht anzunehmen, daß sie bei Brest Li­towsk mehr wagen wollten. Sicherlich ist ein großer Teil der westlich der Festung zusammengedrängten russischen Armeen zurücktransportiert worden, es fragt sich aber nun, ob es möglich war. in dieser ver­hältnismäßig kurzen Zeit so große Truppen- und Materialrllcktvansporte zu bewerkstelligen, daß man alles in Sicherheit bringen konnte. Wieweit das gelingen wird, hängt von den Erfolgen der nord- und südöstlich der Festung gegen die rückwärtigen Bahnverbindungen vordringenden Verbündeten ab, die den zurückflutenden Feind verfolgen u. zwar vom Bialowiskaforst an bis zum Sumpfgebiet des Prip- jet, eines durch ganz Wolhynien laufenden Neben­flusses des Dnjepr. Mindestens ebenso große Schwie­rigkeiten wie die Verfolger, werden aber dem flieh­enden russischen Heer die im Bereich des Pripjet liegenden Sümpfe und das Urwaldgebiet des Bialo- wiska verursachen. Man macht sich von den Roknito- sümpfen eine rechte Vorstellung erst, wenn man weiß, daß sie eine Ausdehnung von annähernd 100 000 gtzin haben, daß sie beinahe wegloses und unbewohntes Gelände darstellen. Also eine wenig aussichtsvolle Rückzugsmöglichkeit des russischen Heeres.

Inzwischen gehen aber auch die Bewegungen der deutschen Truppen in Nordwestrußland, gegen Wilna und auf der Linie KownoBjalostok-Brest Litowsk weiter, sodaß die Verbündeten in einer wesentlich abgekürzten von Norden nach Süden fort­laufenden Linie RigaKownoBjalostokBrest LitowskSokalTarnopol den Russen ins Innere des Feindeslandes Nachfolgen.

Die deutsche amtliche Meldung.

(WTB.) Großes Hauptquartier, 26. August. (Amtlich.) Die Festung Brest-Litowsk ist gefallen. Deutsche und österreichisch-ungarische Truppen stürm­ten die Werke der West- und Nordwestfront und drangen in der Nacht in das Kernwerl ein. Der Feind gab darauf die Festung frei.

(WTB.) Großes Hauptquartier, 26. August. (Amtlich.) Westlicher Kriegsschauplatz. Nördlich von Beaus'jour in der Champagne wurde ein vorgestern besetzter Sprengtrichter gegen fran­zösische Angriffe behauptet. Zwei feindliche Flug­zeuggeschwader warfen gestern im Saartal oberhalb

und unterhalb Saarlouis Bomben. Mehrere Per­sonellen wurden getötet oder verletzt. Der Sachschaden ist unwesentlich. Vor ihrem Start waren die Ge­schwader in ihrem Hafen Nancy mit gutem Erfolg von unfern Fliegern angegriffen worden, außerdem büßten sie 4 Flugzeuge ein. Eines stürzte bei Dol­chen brennend ab.Führer und Beobachter sind tot. Eines fiel bei Remilly mit seinen Insassen unzerstört in unsere Hand. Ein drittes wurde von einem deut­schen Kampfflieger bei Harancourt (nördlich von Luneville) dicht vor der französischen Linie zur Lan­dung gezwungen und von unserer Artillerie zerstört. Das vierte landete im Feuer unserer Abwehrgeschütze bei Moivrons (südlich von Nomeny) hinter der feind­lichen Front.

Oestlicher Kriegsschauplatz. Heeres­gruppe des Generalfeldmarschalls v. Hinden- burg: Bei Baust und Schönberg (südöstlich von Mi­lan) haben sich Gefechte entwickelt. Oestlich und süd­östlich von Kowno nahmen die Kämpfe ihren Fort­gang. Vor Olita nähern sich unsere Truppen den Vorstellungen des Feindes. Zwischen Sejny und Me- recz (am Njemen) wurde der Feind geworfen. Auch im Walde östlich von Augustow dringen Teile der Armee des Generalobersten v. Eichhorn nach Osten vor. Weiter südlich wird um den Berzowka-Abschnitt gekämpft, andere Spitzen haben Bialostok erreicht. Die Armee des Generals v. Gallwitz warf den Feind vom Orlenka-Abschnitt nördlich und südöstlich von Bielsk zurück.

Heeresgruppe des Generalfeldmarschalls Prinz Leopol von Bayern: Der schwer geschlagene Feind flüchtete in das Innere des Bialowiesskaforstes. Nur südlich des Forstes, in der Gegend nordwestlich von KamieniecLitowsk hält er noch Stand.

Heeresgruppe des Eeneralfeldmarschalls o. M a k- kensen: Die Festung Brest-Litowsk ist gefallen. Während das östereichisch-ungarische Korps des Feld- marschalleutnants v. Arz gestern nachmittag nach Kämpfen zwei Forts der Westfront nahm, erstürmte das Brandenburgische 22. Reservekorps die Werke der Nordostfront und drang in der Nacht in das Kern­werk ein. Der Feind gab daraus die Festung frei. Auf der ganzen Front der Heeresgruppe, vom Bialo- wieskaforst bis zum Sumpfgebiet im Pripjet (süd östlich von Brest-Litowsk) ist die Verfolgung in vol­lem Gange.

Oberste Heeresleitung.

Der österreichisch-ungarische Tagesbericht.

(WTB.) Wien, 26. Aug. Amtliche Mitteilung vom 26. August mittags. Russischer Kriegs­schauplatz: Die Festung Brest-Litowsk ist ge­fallen. Die ungarische Landwehr des Generals von Arz entriß gestern dem Feind das südwestlich der Fe­stung gelegene Dorf Kobqlany, durchbrach damit die äußere Gürtellinie und fiel dem zunächst liegenden Werk in den Rücken. Westgalizische, schlesische und ncrdmährische Heeresinsanterie erstürmte gleichzeitig ein Fort südlich der Ortschaft Koroszczyn. Deutsche Truppen bemächtigten sich dreier Werke an der Nord­westfront und besetzten heute früh die an der Brücke gelegene Zitadelle. Unterdessen drängten die Ver­bündeten den Feind auch über die Lesna und ins Wald- und Sumpsgebiet südöstlich Brest-Litowsk zu­rück. Unsere von Kowel nordwärts verfolgende Rei­terei warf russische Nachhuten bei Vucyn und Wyzwa. Bei den in Ostgalizien stehenden Armeen nichts Neues. ^ ,8