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Schwaezwälder Tageszeitnns
Nr. ^.3
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OMitar eingesetzt
Heilloses Durcheinander im Londoner Straßenleben
Birnen von Pnnttco und Lambeth die Vauxhall-Bridge, die einen großen Teil des Fußgänger- und Wagenverkehrs zwischen dem nördlichen Victoria-Bahnhof und den Wohnvierteln von Kennington vermittelt.
Der Stadtteil von Chelsea, durch den der massierte Eisenbahnverkehr zur Victoria-Station läuft, hat mit zwei dicht »ebeneinanderliegenden Themsebrücken, von denen die eine dem Krachtverkehr und die andere dem Fußgängerverkehr zwischen s^n nördlichen Public-Garden und dem südlichen Battersea-Park Dient, einen erheblichen Anteil am Themseverkehr. Die Grünanlagen des Battersea-Parks ziehen sich etwa ein Kilometer den Strom herauf und werden dann durch die Albert-Bridge, abge- tzchnitten, die zwischen dem nördlichen Fulham und dem südlichen «Sandsworth liegt. Der Stadtteil Fulham hat noch eine zweite Verbindung nach dem Südufer; sie geht über die Vattersea- ivridge, die aber ein ganzes Stück von Battersea entfernt ist, so t>aß der Brückenname mehr als eine Richtungsbezeichnung gewertet werden kann. Mit der Hammsmith-Bridge, die von dem Londoner Stadtteil gleichen Namens nach Taftelpan und Barnes Kinunterführt, ist die Reihe der großen und breiten Brücken im engeren Londoner Stadtbereich beendet.
Die Themse wird hinter Chiswick immer schmäler. Die Vrük- tenanlagen nehmen deshalb an Häufigkeit zu. I« der Umgebung »on London liegen stabile Brücken bei den Ortschaften Mortlaks, Gunnersbury, Jsleworth, Strawberryhill, Ham, Teddington und ! Kamptonwick. Sie haben alle nur eine lokale Bedeutung. Ein »oehrwirtschastlich wichtiges Ziel im Zuge der Vergeltungs- Angriffe gegen London aber war die Waterloo-Brücke im Heiße« der englischen Hauptstadt, weil sie zur Aufnahme eines erheblichen Teils des Londoner Nord-Süd-Verkehrs bestimmt ist.
ArrfrLurmmgsarbeiten in London
auf London abwerfen können, und wir hätten ihm keine Antwort geben können."
Deutschland dachte nicht daran, auch nur eine Bombe irgendwo abzuwerfen, denn der Führer wollte den Frieden, um der Welt die Schrecke» eines Krieges zu ersparen. Chamberlain aber wollte de» Frieden, «eil er noch „keine Spitsire" hatte. Deshalb fuhr er «ach München, um Zeit zu gewinnen. Mit teuflischer Gelassenheit Unterzeichnete er die Münchener Erklärung, in der es hieß: „Wir sehen das Abkommen als symbolisch für den Wunsch unserer beiden Völker an, niemals wieder gegeneinander Krieg zu führen." Schrieb seinen Namen und fuhr mit höhnischem Grinsen nach Hause, um Spitfires zu bauen und dann am 3. September 1939 dem Deutschen Reich den Kriegzuer- klären.
Wenn es noch eines Beweises für die deutsche Friedensliebe und die Hinterlist der britischen Kriegshetzer, die nur Zeit gewinnen wollten, bedurft hätte, so konnte ihn die prahlerische Rede Hendersons nicht besser geben. „Deutschland hätte täglich 2909 Bofmben abwerfen können..." und tat es nicht, weil es den Frieden liebte. Das Abkommen on München jedoch, das damals so herzlichen Jubel in allen nichtenglischen Ländern auslöste, wurde „symbolisch" für die britische Niedertracht.
Berlin, 19. Nov. Die Gegensätze zwischen britischer Armee und Zivilverwaltung bei den Aufräumungsarbeiten in dem durch Pie deutschen Vergeltungsangriffe an so zahlreichen Stellen zer« störten London werden aus einem Eigenbericht von „Svenska Dagbladet" aus London deutlich. Danach hat man sich in London «ach monatelangen Ueberlegungen dazu entschließen müssen, die »anzen Aufräumungsarbeiten unter militärische Kontrolle zu stellen. Die oberste Leitung der Aufräumungsarbeiten wurde dem Generalmajor Taylor übertragen. Im Stabe Taylors arbeite» »icht weniger als fünf Obersten und 26 Majore und Hauptleute, seiner 84 Zivilsachverständige und 3999 MannJngenie u r- truppen und noch viele tausend Mann des militärischen Hauptpionierkorps. Die Londoner hoffen, datz «un endlich die Aufräumungsarbeiten mit der notwendigen Schnelligkeit bewerkstelligt werden. Nachdem die Kommunalbehörden alle irgendwie verfügbaren Privatunternehmer bei den Nusräumungsarbeiten herangezogen haben, ohne daß der ge-j ivünschte Erfolg schnell erreicht wurde, hofft man, nun auf diese Weise die Aufräumungsarbeiten schneller zu meistern. .
, Der Londoner Bericht weist darauf hin, wie riesengroß diese Nusgabe sei. Es gelte nicht nur die Trümmer hinwegzuräumen, lonoern auch Sie durch die Bombeneinschläge entstandenen Kräcker auszusüllen, dann auch noch die ganzen Wasserleitungen und Kanailsationsanlagcn zn erneuern, die an zahlreichen Stellen in »er Riesenstadt zerstört seien. Gleichzeitig müßte» auch die Verkehrswege weitgehend geordnet werden, provisorische Brücken hergestellt und alles getan werden, um den Verkehr wieder zu ermöglichen.
Lange Zeit haben sich die Militärbehörden dem Einsatz von Truppen bei den Aufräumungsarbeiten widersetzt, da sie der Auffassung waren, daß es sich hier um eine zivile Aufgabe handle. Erst jetzt habe sich die Ueberlegung durchgesetzt, daß die Aufrechterhaltung des Verkehrs in London auch eine besondere Bedeutung für die Kriegshandlungen habe. Mit diesem Gesichtspunkt, so schließt der Berichr, wird jetzt auch der Einsatz von Truppen begründet, besonders für die Wiederherstellung der. Verkehrswege der Großstadt.
Doch nicht nur die unabsehbaren Aufräumungsarbeiten, die im Hinblick auf die sich mit größter Durchschlagskraft erneuernden deutschen Vergeltungsangrisse immer hoffnungsloser werden, tnachen den Amisstellen Kopfzerberchen, die mit banger Sorge die skandalösen Verhältnisse und das heillose Durcheinander im Londoner Straßenleben verfolgen. Diese unhaltbaren Zustände können auch von der britischen Presse auf die Dauer nicht mehr totgeschwiegen werden. Diese gibt nun zu. wie der Londoner Vertreter von „Tokio Nichi-Nichi" in einem Sonderbericht meldet, daß bereits fast der gesamte U-Bahn-Verkehr zum Stillstand ge- kommmen sei, da die Bahnhöfe mit zahllosen schlassüchtigen Menschen Lbersät seien. Männer rebellieren össentlich gegen die Regierungsverordnung. wonach nur Frauen und Kindern das Schlafen aus den U-Bahnhöfen gestattet sei. Die verängstigte Bevölkerung versuche krampfhaft — den Schilderungen in der britischen Presse zufolge — sich durch laute Jazz-Musik zu betäuben und den Lärm der deutschen Bomber zu übertönen. Der gesamte Fernsprech- und Telegramm-Verkehr sei eingestellt. Mehrere Minister seien bereits gezwungen, die vernichteten Häuser zu verlassen. Auch könne die Londoner Presie nicht umhin, so bemerkt abschließend der Tokioter Berichterstatter, über die sich täglich mehrenden Plünderungen, Raub- und Zuchthausverurteilungen, hauptsächlich von Soldaten, zu berichten.
Englische Niedertracht
Weshalb Chamberlai« nach München ging
Madrid, 19. Nov. Chamberlain, dessen Leben für alle Zeiten dadurch gezeichnet wurde, daß er die Menschheit in einen neuen Krieg Hineintrieb, scheint auch mit seinem Tode alle bösen Gei-, Krr beschworen zu haben, die durch den Mund britischer „Staats- Männer" den heuchlerischen Greis charakterisieren. Die Nachrufe, hie jetzt dem toten Chamberlain von englifchen Zeitungen und Politikern gewidmet werden, enthüllen immer wieder mit geradezu zynischer Offenheit das Verbrechen, das der damalig« englische Ministerpräsident bewußt in München beging.
Am Montag erklärte der frühere Botschafter in Berlin, Sir tzkeville Henderson, in einer Rede in Ipswich, er wisse sticht, ob die Kritiker an Chamberlain heute oder damals sich vor Augen hielten, daß England am 28. September 1938 kei«e Kpitfire hatte? „Wir hatten", so sagte er wörtlich, „ein bis zwei Üebungshurricaues und sieben moderne Flakgeschütz« für die Verteidigung Londons. Deutschland hätte täglich 2990 Bomben
„Wir brauchen mehr Schiffe-
Notschrei eines britischen Marinesachverständigen
Berlin, 19. Nov. Der Marinesachverstänige des britischen Rund« sunks, Ronald Croß, hielt im Londoner Rundfunk einen Vortrag über die augenblickliche Lage zur See für Großbritannien. Er erklärte wörtlich: „Wir haben große Verluste, aber wir können die Verluste auf uns nehmen, genau so wie London die Luftangriffe über sich ergehen läßt und aus sich nimmt. Die Verluste, die wir bis jetzt erlitten haben, sind schwer, aber nicht zu schwer für uns, und wir sind nicht einer wirklichen Hungersnot ausgesetzt. Aber wir müssen daran denken, daß wir noch Jahr« und Monate des Krieges vielleicht vor uns haben. Wir hängen sehr von dem Import von Nahrungsmitteln und Rohmaterial ab. Diese Einfuhr 'ist natürlich stark herabgesetzt, denn die Schiffe brauchen viel längere Zeit, um England zu erreichen, sie müssen länger im Hafen warten und durch das System der Eeleitzüge wird ebenfalls viel Zeit verloren. Aber wir müssen auch bedenken, daß wir nicht von Schweden und Frankreich und dem halben Europa einführen können, sondern unsere Güter von weither holen müssen. Viele Schiffe sind zur Zeit auch in Reparatur. Durch den Verlust der französischen Flotte, durch den Kriegseintritt Italiens, durch die Kontrolle der Atlantischen Küste durch Deutschland wurde die Schiffahrt weitestgehend erschwert. Wir brauchen mehr Schiffe, so viel Schisse wie möglich. Unsere Schiffe müssen, wenn sie Waren aus Aegypten holen, den Weg um das Kap der Guten Hoffnung nehmen, was viermal so viel Zeit in Anspruch nimmt als der Weg durch das Mittelmeer."
Der Vergleich des augenblicklichen Zustandes der britische» Handelsflotte mit dem von ununterbrochenen deutschen Lufsti angriffen sehr schwer mitgenommenen London ist in de» vo» stehenden Aussiihrungen besonders interessant. i
Starke Verbrauchseinschränkungen in England
Stockholm, 19. Nov. Die zunehmende Wirksamkeit des deutsche«! Handelskrieges und die immer stärker fühlbaren Folgen der pau^ senlosen Luftangriffe auf die englische Wirtschaft haben die britische Negierung zu einer zwangsweisen Drosselung des Verbrauchs veranlaßt, wie man sie im reichen England wohl niemals für möglich gehalten hätte. Wie aus dem Londoner Eigenbericht einer schwedischen Zeitung hervorgeht, sind für 17 verschiedene Produktionszweige von den zuständigen Behörden scharfe Einschränkungen angeordnet worden. So ist der Handel mit Pelzen, Matratzen, Linoleum, Glas, gewissen Möbeln, Messern, Gaben!, Tassen, Photos, Musikinstrumenten, Sportartikeln, Spielzeug, Füllfedern, Juwelen, Parfüm und Regenschirmen nur im Umfange von 25 v. H. des Friedensbetrages gestattet. Ferner sind Beschränkungen für den Verkauf von Handschuhen, Kleidern und einigen anderen Gegenständen vorgesehen, die nur noch im Umfange von 33 v. H. des bisherigen Betr.ages umgesetzt werden dürfen. Diese Einschränkungen sind noch wesentlich höher, als es diese Zahlen widerspiegeln, weil sie nach dem Wert berechnet werden und die Preise für sämtliche dieser Er-e'-'n'ss" wesentlich ano"'-w>-n haben.
Neue britische Drohrmgeu gegen Irland
Raffinierter Trick des Hetzers King Hall
Stockholm, 19. Nov. Obgleich in Amerika in den letzten Tagen Stimmen laut wurden, die England rieten, bezüglich seiner Absichten in Irland mit Vorsicht zu verfahren, um nicht durch eventuelle Gewaltanwendung gegenüber einem Kron-Dominion den Unwillen der anderen Dominien zu erregen, verkündete der Londoner Kurzwellensender am 17. November, daß die englische Oeffentlichkeit neues Interesse für die Frage der Luft- und Marinebasen in Süd-Irland zeige. Er zitierte dann den bekannten Hetzer King Hall, der in seiner Zeitschrift „News Leiters" nochmals den Vorschlag machte, Irland durch einen eleganten Trick in das englische Kriegszeüiet einzubeziehen, indem die Vereinigten Staaten und Kanada Irland veranlassen sollen, sich in den amerikanischkanadischen Verteidigungsausschuß einbeziehen zu lassen und Kanada Luft- und Flortenstützpunkte für die Dauer von zehn Jahren zu überlassen.
Am 18. November geht der englische Kurzwellensender jedoch schon wieder weiter. In einer Sendung über die schweren Verluste der englischen Handelsschiffahrt wies er darauf hin, daß feindliche U-Boote gegen die englischen Schiffe in voller Stärke tätig seien und daß England im Vorgehen gegen die U-Boote dadurch behindert sei, daß es keine Stützpunkte in Irland habe. Aus diesem Grunde seien die englischen Schiffsverluste in den letzte« ein oder zwei Wochen ziemlich schwer gewesen. „Deshalb seienSie nicht überrascht", wandte sich der Kurzwellensender an seine Hörer, „wenn Sie in der nächsten Zukunft von recht lebhafter Tätigkeit gegen diese ll-Bootsbedrohung hören." -D« England genau weiß, daß es nicht i« der Lage ist, mit seiner Flotte irgend etwas gege» die deutsche» U-Boote auszurichten, k««n diese Ankündigung ei«er „lebhafte« Tätigkeit i« der nächsten Zukunft" nur als eine u»v«rhohle«e Drohung gegen Irland verstanden werde«, das de« ««glifcheu Wünschen nicht will- fäbrig ist.
Empire im Ausverkauf
Abgabe weiterer Stützpunkte an die USA.
Madrid, IS. Nov. Der Ausverkauf des sterbenden britische» Empires geht weiter: Nach dem kürzlichen Alteisen-Zerstörer» Handel wird jetzt in London amtlich bekanntgegeben, daß ei» neues Abkommen über folgende Plätze, die den Vereinigte» Staaten als Stiitzprukte verpachtet werden sollen, grlrosfr» worde» ist:
Bermuda: Plätze im äußersten Osten der Kolonie.
Bahama: Ein Platz auf der Insel Mayaguana.
Jamaica: Plätze an der Portland-Vucht, an der Südküsts deck Insel, ungefähr 49 Kilometer westlich von Kingston.
Antigua: Plätze in der Nähe von Port Panham, an der Nord» Niste der Insel.
Santa Lucia: Ein Platz an der Bucht von Gros Jslet, i» äußersten Norden der Insel.
Britisch-Guayana: Plätze am Ufer des Flusses Demarara, ««» gefähr 49 Kilometer vom Meer entfernt, und an der MünduuA des Flusses Essequibo.
Wie Reuter hierzu schreibt, werde die Frage der VerwaltunG und Rechtsprechung in den verpachteten Gebieten viele Pro» bleme (!) bieten, die von britischen und amerikanischen Sachver» ständigen im Laufe von Diskussionen geprüft werden müssen. De« wolle jedoch nicht heißen, so versichert Reuter eilfertig, daß d» Arbeiten über die Lbereingekommenen Plätze in Erwartung de» Resultate dieser Besprechungen anfgeschoben würden. Im Gegeuy reil, die vorbereitenden Arbeiten würden demnächst in den mei» sten dieser Plätze beginnen. Das Uebereinkommen hätte im übrbs gen so schnell getroffen werden können, weil sich bereits in jede Kolonie ein amerikanischer Jnspektionsrat begeben hatte.
AlHee, der „Arbeiterführer-
Churchill und sein „Major" sind sehr enge Geistesverwandt,
Der Lordstegelbewahrer Major Attlee hat kürz, lich an die von ihm geleitete Arbeiterpartei eine» Aufruf „zum Ausharren bis zum Endsieg" gerichtet Das Blut der englischen Arbeiter. das in diese« Kriege vergossen wurde und noch vergossen werde» wird', kommt über sein Haupt.
Ein Herbstabend im Jahre 1905. In dem größten Bersamm- lungssaal der Stadt Woodford in der Grafschaft Essex spricht ei« junger, elegant angezogener Mann zu einigen hundert Menschen, die teils aus politischem Jnreresse, teils aus Neugierde dem Ruf der Konservativen Partei gefolgt sind. Neugierde gilt dem Referenten dort oben auf dem Podium, dem 22jährigen Rechtsanwalt Clement Attlee, dem Sohn eines der bekanntesten Adoo»' katen Englands, der geradewegs aus der Universität Oxford hierher gekommen ist und sich als „Bewunderer Joseph Cham- berlains und Cecil Rhodes", als glühender Verfechter der imperialistischen Politik, den Konservativen angeschlossen hat. Aber die Zuhörer sind enttäuscht und — gelangweilt: die monoton« trockene Vortragsweise ermüdet sie, langsam, schwerfällig flieht der Redestrom Attlees dahin, nein, sprechen sie nachher zueinander, der Mann besitzt nichts, was fesseln, packen, faszinieren kann. Er ist ein lebendes Schlafpulver, dieser Rechtsanwalt Attlee...
Wenn Richard Attlee auch nicht politische Versammlungen z» fesseln vermag — die Frauen, die jungen Töchter des Landess können ihm diese Fähigkeit nicht absprechen. Auf diesem Gebiet ist er so rührig, daß der erboste Vater, Henry Attlee of West- cott, ihm heftige Vorwürfe wegen seiner Schulden machen und ihm mindestens ein dutzendmal mit mehr oder weniger große» Schecks unter die Arme greifen muß. In seinem Beruf versagt der blasierte Jüngling ebenso katastrophal wie in der Politik,^ und schon im Sommer 1907 muß er seine Praxis in Woodford aufgeben und nach London ziehen, weil er fast sämtliche Prozess« verliert und kein Mandant mehr zu ihm kommt. Und in London greift der verkrachte Anwalt zu dem letztenRettungs- anker seines verpfuschten Lebens: er tritt in die A r b e i t erst a r t e i ein, geißelt in ihren Versammlungen die Politik Joseph Lhamberlains und der Imperialisten, verdient sein Geld als Sekretär der Labour Party und muß sich von ihren Führer« sagen lassen, daß er zu schwunglos rede und daher keine Aussicht! habe, jemals in das Unterhaus zu kommen. Ein Unterhausmandat ist doch aber gerade das lockende Ziel seines brennenden Ehr,' geizes....
Eines Tages kommt Attlee nicht in das Parteibüro. Auch naH einer Woche läßt er sich nicht sehen. Ist er krank? fragen seine! Genossen besorgt. Sie schicken in seine Wohnung. „Mister Attlee ist ausgezogen", antwortet man ihnen. Niemand weiß, wohin. Na^ drei Wochen erzählt ein Dockarbeiter, daß auf einem Dock ein junger Mann arbeite, der sich agitatorisch für die Partei betätige und sich so gebildet ausdrücke, daß man annehmen müsse, einen Studenten vor sich zu haben. Und bald weiß die Labour Party, daß ihr hoffnungsvoller Sekretär in Eastend wohnt und dort unter seinen Arbeitskameraden Wähler stimmen sam-, melt — nicht für sie, sondern für sich. Die Partei spricht ihm ihr Mißfallen aus, aber sie mutz ihn behalten, denn es hat sich herausgestellt, daß die gesamte Dockarbeiterschaft hinter dem scheinbar so selbstlosen Attlee steht. Er wird zum Sekretär der Tonybee Hall, die im Volksmünd „Universität der Slums" heißt, ernannt und gelangt einige Jahre später dorthin, wovon er seit Beginn seiner politischen Laufbahn geträumt hat: in das Parlament. Die Komödie, die der Dockarbeiter spielte, hat sich glänzend gelohnt. ^
Was Clement Richard Attlee in den folgenden Jahren geworden ist, hat er einzig und allein einem Mann zu verdanken:. Ramsay Macdonald, dem Führer der Labour Party, der. ihn zu seinem Sekretär erwählt und ihn in seinen beiden Kabinetten zum Vize-Kriegsminister, zum Generalpostmeister u«Ä Kanzler des Herzogtums Lancaster ernennt. „Auf Attlee kan« ich mich voll und ganz verlassen", pflegt Macdonald von seinen^ ruhigen, fleißigen Sekretär zu sagen. Wäre er der große Men-' schenkenner, als den man ihn in seiner Partei bezeichnet, müßte ihm auffallen, daß Attlee in vertraulichen Gesprächen andeutet, er halte George Lansbury auf dem Posten des stellvertretende» Parteivorsitzenden für ungeeignet.
Aber da „der Major" seine Person niemals in den Vordergrund stellt und sich in vorgetäuschter Bescheidenheit zurückhältz- schenkt Macdonald ihm volles Vertrauen. Und darum kann mau! es verstehen, wenn der temperamentvolle Mann in aufwalle»» dem Zorn seinen Mitarbeiter eine« Verräter nennt, der „mit! ei««» Fußtritt aus der Partei geworfen werden müßte", als ik« kaltschnäuzig ins Gesicht sagt, er denke nicht daran.