Nr. 168.
Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.
90. Jahrgang.
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Donnerstag, de« 22. Juli ISIS.
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Die Einkreisung von Warschau gehl weiter.
Die Lage auf den Kriegsschauplätzen.
Die militärische und politische Lage.
Wenn wir die eingehenden Berichte lesen Wer die Kämpfe, die unsere braven Truppen nun schon wieder seit zwei Monaten entlang der ganzen Westfront bestanden haben, dann wird uns erst so recht klar, was unsere heldenmütigen Feldgrauen gerade auch auf jenem Kriegsschauplatz an übermenschlicher Aufopferung und Ausdauer leisten. Die Kämpfe bei Arras, in den Argonnen, zwischen Maas und Mosel und in den Vogesen haben den Engländern und Franzosen wohl so nach und nach die wenigstens im llnterbewußtsein vorhandene Ueberzeugung beigebracht, daß sie die deutsche Front aus eigener Kraft nicht mehr zum Weichen bringen können, denn wie man hört, hat der große Kriegsvat in Calais, zu dem der italienische Delegierte leider zu spät gekommen sein soll, beschlosten, man wolle zu der alten sog. „Abnutzungstheorie" zurückkehren, also zur systematischen Defensive, wobei die Deutschen zur Offensive gezwungen werden sollen, damit sie soviel wie möglich Menschen verlieren. Es mehren sich aber andererseits auch die Anzeichen dafür, daß Italien nun dazu bestimmt wurde, dem Dreiverband auch tätige Hilfe auf anderen Kriegsschauplätzen angedeihen zu lasten. Seit einiger Zeit beschäftigt sich die italienische Presse auffällig mit angeblichen Schikanen, denen die Italiener in der Türkei ausgesetzt seien, und es wird schon bekannt, daß die italienischen Konsuln abberufen wurden. Man wird in Rom wahrscheinlich solange warten, bis man den größten Teil auch der Zivilbevölkerung namentlich aus Kleinasien herausgebracht hat. um dann sich an dem Dardanellenabenteuer zu beteiligen. lieber die Pressestimmen bezüglich der Verwendung der Italiener auf dem Balkankriegsschauplatz, — was also eine Unterstützung der Serben und Montenegriner bedeuten würde, da man hier eher Aussichten auf ein Vorwärtskommen zu haben glaubt als am Jsonzo und im Trentino. — und an der Westfront kann man nur Vermutungen anstellen. Daß aber irgend etwas „Neues" geplant wird, ist begreiflich, denn die jetzige Lage wird für die feindlichen Westmächte unhaltbar in dem Augenblick, in dem die Russen ihren letzten Schlag erhalten. Das weiß man natürlich im westlichen Ententelager wohl, und wir dürfen deshalb für die nächsten Wochen sowohl auf militärischem als auch auf politischem Gebiet hochinteressante Schritte von dieser Seite erwarten. Bezeichnend für die englische Auffassung über den Krieg ist es, daß. trotzdem man sich in England über den Ernst der Lage keinem Zweifel hingibt, das englische Expeditionsheer nicht in dem Matze verstärkt wird, als es die Verbündeten Albions angesichts ihrer ungeheuren Opfer verlangen könnten. England giebt in erster Linie Geld, opfert auch die Kanadier, Australier und Indier, aber seine eigenen Landsleute hält es so gut wie möglich zurück. Das Prinzip dieser Haltung ist durchaus englisch: Zuerst mögen sich die andern verbluten. dann sind wir oben, und vermögen unsere unverbrauchten Kräfte bei den Friedensverhand- lungen in Rechnung zu stellen. So wird Heer und Flotte geschont, daß man auch auf das Schlimmste nämlich eine Invasion, gefaßt ist. und daß man auf Grund der lleiberlegenheit der Flotte die Kolonien im Schach halten kann. Das Lxempel auf die Richtigkeit dieser Rechnung ist feiner Lösung vielleicht näher als man denkt.
Erstens ist auch der englische Geldbeutel nicht unerschöpflich; schon hat man nach Petersburg und Rom wissen lasten, daß in London das Geld auch nicht mehr so flüssig sei, und das Ergebnis der bisherigen englischen Anleihen hat nach dieser Richtung der englischen Regierung ja Recht gegeben. Zweitens wird es sich zeigen, ob der englische Faktor von Heer und Flotte noch so bedeutsam ins Gewicht gestellt werden wird, wenn die russische Hauptmacht vor Warschau geschlagen ist. Denn daß die verbündeten Heere nach einer genial vorbereiteten Organisation diesem Endziele sich von Tag zu Tag mehr nähern, das geben jetzt auch die tonangebenden militärischen Kreise im feindlichen Lager zu. Im Norden stehen die deutschen Truppen an dem letzten Warschauer Brückenkopf, der Festung Nowo—Geor- gijewsk, im Westen ziehen sich die Rüsten in Erkenntnis der großen Gefahr schon von der Blonie— Grojekstellung zurück, sodaß unsere Truppen hier direkt vor den Mauern der Festung stehen, im Südwesten wurden die Linie Radom—Jwangorod erreicht, und die russischen Stellungen vor Jwangorod ebenfalls schon angegriffen. Nordöstlich von dieser Festung, im Bereich von Weichsel und Bug haben die Rüsten erneut alle verfügbaren Reserven »eingesetzt, aber die Armeen Mackensens stehen im Begriff, auch diesen verzweifelten Widerstand zu brechen. der ihren Vormarsch gegen Lublin aufhallen möchte. Gleichzeitig mit dieser Einkreisung Warschaus vollzieht sich aber auch jenseits der ganzen ostpreußischen Grenze der Vormarsch der Hindenburg- schen Armeen, die in den letzten Tagen wieder Bewundernswertes geleistet haben. Der Vorstoß gegen Kurland geschah in Gewaltmärschen von mehr als 100 Kilometern innerhalb 3 Tagen, da man die abziehenden Russen daran hindern wollte, die Eisenbahnlinie Libau—Schawle—Wilna zu zerstören. Weiter südlich sind unsere Truppen jetzt im Bereich der Festung Kowno angekommen, die schon beschossen worden ist. Auch am Bobr und Narew wird weiter Gelände gewonnen. In Ostgalizien und am Dnjestr versuchen zwar die Russen immer noch die Lage durch fortwährende Gegenangriffe zu retten, aber auch hier macht sich die Ueberlegenheft der Verbündeten schon bemerkbar. So vollzieht sich mit mathematischer Sicherheit die Zuriickdrängung der ganzen russischen Armee. Die Verbündeten haben den russischen Heerführern das Gesetz der militärischen Handlungen aufgezwungen. Es ist den Russen nun nicht mehr möglich, einen günstigem Kampfplatz zu wählen: die russische Hauptmacht muß sich im Süden von Warschau zur Entscheidung stellen, wenn man überhaupt daran denkt, die polnische Riesenfestung ernstlich zu verteidigen. Der Ausgang dieses Entscheidungskampfes ist angesichts des andauernden Rückzuges der Russe.n nicht mehr zweifelhaft. Der Festungsgürtel mag die Widerstandskraft etwas stärken, die sicherlich bereitgestellte schwere Artillerie der Verbündeten wird aber auch diese Schwierigkeiten überwinden.
Der militärische Himmel ist also nach der Seite der Entente düster bewölkt, und es ist verständlich, wenn man nach allen Seiten nach Hilfe ansschaut. Auf dem Balkan wird mit Hochdruck gearbeitet. Aber die russischen Niederlagen sind nicht dazu angetan, den neutralen Balkanstaaten die Notwendigkeit eines Eingreifens ersichtlich zu machen. Ja, man hört in letzter Zeit recht merkwürdige Dinge über die Anschauungen dieser Staaten. Charakteristisch für die dortige Stimmung ist. daß Bulgarien
rung seiner Küste erhoben hat, und in Rumänien begrüßt es die regierungsfreundliche Presse, daß im Hinblick auf die Vorgänge ftn Osten der rumänische Eeneralstab die tatsächliche Lage besser festgestellt habe als die Köpfe exaltierter Politiker, die das rumänische Heer nutzlos geopfert hätten. Ohne Interesse darf uns der Balkan jedoch nicht lassen, denn es ist immerhin von Belang, daß man in Bulgarien große Manöver abhalten will, an denen türkische Offiziere teilnehmen werden, und auch Griechenland hat Manöver angemeldet. Wenn dann noch Italien auf dem Balkan erscheinen will, dann könnten plötzlich Ereignisse eintreten, die auch diesen gefährlichen Wetterwinkel wieder in Alarm bringen könnten. O. k?.
Die deutsche amtliche Meldung.
(WTB.) Großes Hauptquartier 21. Juli. (Amtlich.) Westlicher Kriegsschauplatz. Im Ostteile der Argonnen stürmten unsere Truppen zur Verbesserung ihrer neuen Stellung noch mehr französische Gräben nahmen 5 Offiziere, 365 Mann gefangen und erbeuteten ein Maschinengewehr. Zn den Vogesen fanden in der Gegend von Münster hartnäckige Kämpfe statt. Die Franzosen griffen mehrfach unsere Stellungen zwischen Lingekops (nördlich von Münster) und Mühlbach an. Die Angriffe wurden abgeschlagen. An einzelnen Stellen drang der Feind in unsere Stellungen ein und mußte in erbitterten Nahkämpsen hinausgeworsen werden. Südwestlich des Reichsackerkopses hält er noch ein Stück eines unserer Gräben besetzt. Tag und Nacht lagen die angegriffene Front und unsere anschließenden Stellungen bis Didelshausen unter heftigem feindlichen Feuer. Wir nahmen 4 Offiziere und 12V Mann, zum großen Teil Alpenjäger gefangen. Ein deutscher Kampfflieger zwang ein französisches Flugzeug bei Bapaume zur Landung. Das Flugzeug ist unversehrt in unserem Besitz. Kolmar wurde von feindlichen Fliegern mit Bomben beworfen, von denen 1v auf Häuser und Straßen der Stadt fielen, eine Zivilperson wurde getötet und eine Frau verletzt.
Oestlicher Kriegsschauplatz. Oestlich von Popeliani und Kurschany zieht der Gegner vor unfern vordringenden Truppen ab. Westlich von Zawle wurden die letzten feindlichen Verschanzungen im Sturm genommen und besetzt und die Verfolgung in östlicher Richtung fortgesetzt. An der Du- bissa, östlich von Rossijni durchbrach ein deutscher Angriff die russische Linie. Auch hier weicht der Gegner. Südlich der Straße Mariainpol—Kowno führte ein Vorstoß zur Fortnahme der Dörfer Kie- kieryszki und Tanowka. Drei hintereinander liegende russische Stellungen wurden erobert. Ebenso waren Angriffe unserer Landwehr auf die noch gehaltenen feindlichen Stellungen nördlich von Nowogrod von vollem Erfolg begleitet. Die Russen gingen unter Zurücklassung von 3VVV Gefangenen und 2 Maschinengewehren zurück. Weiter südlich am Narew wurde ein starkes Werk der Vorstellungen von Rozan erstürmt, 56V Gefangene gemacht und 3 Maschinengewehre erbeutet. Der Gegner versuchte an diesem Fluß hartnäckigen Widerstand zu leisten; seine verzweifelten Gegenstöße mit zusammengerafften Truppen auf die Brückenlopfstellungen von Rozan— Pultnsk und Nowo Georgiewsk mißlangen. Die Russen erlitten schwere Verluste, 1VVV Gefangene blieben in unserer Hand. Die Blonie—Grojecstel- lung gewährte dem Feind nur kurzen Aufenthalt.