Nr. 154. Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw. 90. Jahrgang.

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Dienstag, de» 6, Juli 1815.

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DluHrnkh der Verbündet

Symptome.

Fast jeder Tag bringt uns gegenwärtig frohe Siegeskunde, sei es vom Osten, fei es vom Westen. Auf dem südöstlichen Kriegsschauplatz, wo es jetzt gilt, die russische Hauptmacht, die sich von der Bukowinischen Grenze über Ostgalizicn bis zu dem russisch-polnischen Festungsgürtel hinzieht, zur endgültigen Auflösung zu zwingen, sind die Truppen der verbündeten Zentral­mächte in andauerndem Vorwärtsschreiten. Ihr äußer­ster linker Flügel hat nun schon die russische Verteidi­gungslinie bei Krasnik durchstoßen und sich dadurch den Weg auf Lublin freigemacht, dem wichtigen Bahnkno­tenpunkt zu dem Festungsbereich Iwangorod-Vrest. Am Bug und an der Zlota Lipa wird der durch den natür­lichen Schutz der Flußläufe unterstützte Widerstand des Feindes nach und nach gebrochen. An der Westfront stehen unsere Aussichten heute, trotzdem wir uns dort doch nur in der Defensive halten, sehr gut, denn unsere braven Truppen haben sich seit einiger Zeit nicht nur auf die Abwehr der feindlichen Angriffe beschränkt, sie sind auch selbst zu großangelegten Gegenstößen überge­gangen, die, wie die neulichen Operationen in den Ar- gonnen und jetzt wieder im Priesterwald, westlich von Pont ä Mousson, von vollem Erfolg begleitet waren. Die große Anzahl von Gefangenen, die da gemacht wurde, will bei dem Charakter des Stellungskrieges schon etwas heißen. Unsere tapferen türkischen Bundes­genossen halten an den Dardanellen treue Wacht, und beschleunigen dadurch nicht nur den russischen Auf­lösungsprozeß, da den Russen die größte Zufahrtsstraße für ihre Kriegsmaterialien abgeschnitten ist, sie geben auch den neutralen Balkanstaaten einen Rückhalt zur Weiterbewahrung ihrer Neutralität. Die Italiener ha­ben sich bei ihren Angriffen an der österreichischen Grenze bisher nur schwere Verluste geholt.

Die so gekennzeichnete militärische Lage ist natür­lich auch unfern Feinden bekannt; die Regierungen aber wenden selbstverständlich mehr denn je alle Künste an, um ihre Völker über die wahre Kriegslage hinwegzu­täuschen. Zuerst war es das Munitionsfieber, das die Völker in ihrem Dämmerzustand festhalten sollte. Man versprach sich alles Heil von der Mobilisierung der In­dustrie zum Zwecke ungeheurer Munitionsfabrikation. Jetzt sind aber die Niederlagen der Russen und die Un­fähigkeit der Westmächte, die deutsche Front zu durch­brechen, so offensichtlich zu Tage getreten, daß auch die­ser Wechsel auf die Zukunft nicht mehr zieht. Wie das italienische Volk angesichts der erfolglosen Angriffe des italienischen Heeres an der österreichischen Grenze damit vertröstet weären soll, daß man den Sieg eben erst nach langer Zeit zu erwarten habe, so bereitet nun auch die französische Presse das Volk auf einen Winterfeld­zug vor, das ist also nichts mehr und nichts weniger, als das Eingeständnis der Unfähigkeit, Deutschland in absehbarer Zeit niederzuringen. Der sozialistische Mi­nister Sembat hatte zwar erst kürzlich sich einer Depu­tation gegenüber geäußert, daß man mit einem Winter­feldzug nicht rechnen brauche, denn es beständen An­zeichen dafür, daß der Feind schon vorher aus Frank­reich und Belgien vertrieben werde, man hat sich nun aber anscheinend im französischen Ministerium anders entschieden. Charakteristisch sind die Aeußerungen der russischen Presse. Man ist auch hier wie anderswo recht kleinlaut geworden in der Beurteilung der Haltung der Balkanstaaten und steht nun nach einem neuen Helfer aus. Ausgerechnet soll es nun gerade Japan sein, der stärkste Konkurrent des Zarenreichs neben Eng­land. Man will ein Bündnis mit Japan, das dann wahrscheinlich Zugeständnisse in Asien erhalten soll für eine eventuelle Hilfe auf dem europäischen Kriegsschau­platz. Ob die japanischen Staatsmänner gewillt sind, den Zersetzungsprozeß des ruffischen Heeres aufzuhalten, kann füglich bezweifelt werden. Was sie in Asien wol­len. erhalten sie nach einer Niederwerfung Rußlands und einer Schwächung Englands sowieso, ohne Opfe­rung ihres Menschenmaterials für fremde Interessen. Die englische Presse aber bemüht sich, den Engländern

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die Kriegslage so düster wie möglich zu schildern und verfolgt dabei natürlich das Ziel, die Rekrutierung zu stärken.

Wir sehen also, die tapferen Heere der verbündeten Zentralmächte und der Türkei haben es vermocht, trotz der Uebermacht der Feinde, trotz aller Lügen und Ent­stellungen, auch die politische Situation so zu gestalten, daß wir damit zufrieden sein können: .Unsere Gegner find nervös geworden. Das ist aber der erste Schritt zu der Einsicht, daß es nicht möglich ist, Deutschland und seine Verbündeten niederzuringen. Noch aber sträuben sich die feindlichen Machthaber begreiflicherweise da­gegen, die Konsequenzen dieser dämmernden Einsicht zu ziehen. Daher auch die krampfhaften Versuche, einen letzten Ausweg zu finden. Die deutschen Waffen werden aber auch hier die Richtlinie geben muffen und wir haben das Vertrauen in sie, daß sie die Feinde letzten Endes den rechten Weg weisen werden. O. 8.

Die Lage auf den Kriegsschauplätzen.

Die deutsche amtliche Meldung.

(WTB.) Großes Hauptquartier, 5. Juli. (Amt­lich.) Westlicher Kriegsschauplatz. Ein englischer Angriff nördlich von Hpern an der Straße nach Pilkem und ein französischer Vorstoß aus Sou- chez wurden blutig abgewiesen. Beiderseits Croix de Carmes, am Westrand des Priesterwaldes, stürm­ten unsere Truppen gestern die feindliche Stellung in einer Breite von etwa 1580 Meter und drangen durch ein Gewirr von Gräben bis zu 180 Meter vor. Unter schweren Verlusten mußten die sich verzweifelt wehrenden Franzosen Graben auf Graben räumen und etwa 1888 unverwundete Gefangene, darunter einen Bataillonsstab, 2 Feldgeschütze, 1 Maschinen­gewehre, 3 leichte sowie 4 schwere Minenwerfer in unserer Hand lassen. Ebenso gelang ein gleichzeitig ausgeführter Ueberfall auf eine französische Block­hausstellung bei Haut de Ricupt, südlich von Noroy an der Mosel, die mit Besatzung und eingebauten Kampfmitteln in die Luft gesprengt und dann plan­mäßig wieder geräumt wurde. Unsere Flieger be­wiesen erneut im Luftkampfe ihre Ueberlegenheit. Nördlich und westlich von Manonviller wurde am 1. und 2. Juli je ein französisches Flugzeug zur schleu­nigen Landung gezwungen. Mit Erfolg wehrte gestern nd vorgestern ein deutscher Kampfflieger den Angriff von drei Gegnern ab. Die beiden gestern gemeldeten Luftangriffe auf Brügge geschleuderten Bomben fielen in der Nähe der wertvollsten Kunst­denkmäler der Stadt nieder.

OestlicherKriegsschauplatz. Die Lage ist unverändert.

Südöstlicher Kriegsschauplatz. Die Truppen unter dem Befehl des Generals v. Lin­singen haben auf ihrer ganzen Front dieZlota-Lipa erreicht. Das Westufer ist von den Russen gesäubert. Die Armee hat Außerordentliches geleistet. In fast lltiigigen Kämpfen erzwang sie angesichts einer star­ken feindlichen Stellung den Uebergang über den Dnjestr und trieb den geschlagenen Gegner von Stel­lung zu Stellung vor sich her. Am Bugabschnitt räumte der Feind heute nacht den Brückenkopf Ry- low. Zwischen Bug und Weichsel wurden die Russen gestern bei PlonkaTurobin, nördlich des Porab- schnittes und bei Tarnawka-Krasnik erneut geworfen.

Oberste Heeresleitung.

Ein mißglückter Vorstoß gegen die deutsche Nordseebucht.

(WTB.) Berlin, 5. Juli. (Amtlich.) Am 4. Juli morgens versuchten die Engländer einen großen

Erfolge im PrWermld.

Flugzeugangrisf gegen unsere Stützpunkte in der deutschen Bucht der Nordsee anzusetzen. Der Versuch scheiterte. Unsere Luftschiffe stellten die anmarschie­renden englischen Streitkräfte in Stärke von mehre­ren Flugzeugmutterschiffen, begleitet von Kreuzern und Torpedobootszerstörern bereits bei Tagesanbruch an der Höhe der Insel Terschelling und zwangen sie zum Rückzug. Ein englisches Wasserflugzeug, dem es gelungen war, aufzusteigen, wurde von unsern Flug­zeugen verfolgt und entkam dadurch, daß es über hol­ländisches Gebiet flog.

Der stellv. Chef des Admiralstabs: gez. Behacke.

* Terschelling ist eine der zu Holland gehörigen, der Zuiderjee vorgelagerten westfriesischen Inseln.

Der österreichisch-ungarische Tagesbericht.

(WTB.) Wien, 5. Juli. Amtlich wird mitge­teilt vom 5. Juli mittags: Russischer Kriegs­schauplatz. In Ostgalizien erreichten die verbün­deten Truppen der Armee Linsingen nach zwei Wo­chen siegreicher Kämpfe in der Verfolgung die Zlota- Lipa, deren Westufer vom Feinde gesäubert wurde. Im Abschnitt Kamionka-Strumilowa-Krasnik dauern die Kimqife gegen ruffische Nachhuten noch an. Bei Krylow räumte der Gegner das westliche Bugufer und brannte den Ort Krylow nieder. Verbündete Truppen warfen den Feind aus seinen Stellungen des oberen Wieprz nördlich des Por-Baches und drangen bis gegen Plonka vor. Westlich anschließend hat die Armee des Erzherzogs Joseph Ferdinand die russische Hauptfront beiderseits Krasnik in mehr­tägigen Kämpfen durchbrochen, die Russen unter gro­ßen Verlusten in nördlicher Richtung zurückgeworfen und in diesen Kämpfen 29 Offiziere. 8800 Mann ge­fangen, 6 Geschütze. 6 Munitionswagen und 6 Ma­schinengewehre erbeutet. Westlich der Weichsel ist die Lage unverändert.

Italienischer Kriegsschauplatz. Die Kämpfe am Rande des Plateaus von Doberdo wie­derholten sich gestern mit gleicher Heftigkeit. Abends war der Angriff von zwei italienischen Divisionen gegen den Frontabschnitt südlich Polazzo abgeschla­gen. Weiter nördlich dauerte das Gefecht noch fort. Im Kärntner und im Tiroler Grenzgebiet fanden nur Geschützkämpse statt.

Der Stellvertreter des Chefs des Eeneralstabs: von Höfer, Feldmarschalleutnant.

*

DieTimes" über die Kriegslage im Osten

London, 4. Juli. Der militärische Sachverstän­dige derTimes" bespricht die Kriegsvorgänge auf dem östlichen Kriegsschauplatz unter der Ueberschrift Der Einfall irr Lublin" folgendermaßen:Es ist nun die Frage, ob die Heere von Woyrsch, des Erz­herzogs Friedrich und des Teiles der Armee v. Mak- kensen, der bei der Verfolgung entbehrt werden kann, nun mit Sicherheit die ernsthaften Operationen be­ginnen können, um die Weichsellinie mit den Ar­meen des Generals Iwanow zu umgehen und auf­zurollen und sie von der Buglinie zurückzutreiben. Es ist möglich, daß die Armeen der Generale Böhm- Ermolli, Bothmer und Pflanzer nun als stark genug betrachtet werden können, um mit General Iwanow sich einzulassen. Aber ohne nähere Informationen über die Anzahl, Bewaffnung und die gegenwärtige Stärke der Armeen können wir zu einem Schluß hin­sichtlich dieses Punktes nicht kommen. Alles, was wir wissen, ist, daß der Großfürst nicht in der Lage war, am Tanew standzuhalten, und daß die Tren­nung seiner Zentral- und südlichen Armeetruppey