Nr. 150. Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw. 90. Jahrgang.

Erscheinungsweise: 6mal wöchentlich. Anzeigenpreis: Im Oberamts­bezirk Calw für die einspaltige Borgiszeile 10 Pfg., außerhalb desselben I2Pfg., Reklamen 25 Pfg. Schluß für Jnseratannahme 10 Uhr vormittags. Telefon 9.

Donnerstag, de« 1. Juli 1915

Bezugspreis: In der Stadt mit Trägerlohn Mk. 1.25 vierteljährlich. Post- bezugspreis für den Orts- und Nachbarortsverkehr Mk. 1.20. im Fernverkehr Mk. 1.30. Bestellgeld in Württemberg 30 Pfg.. in Bayern und Reich 42 Pfg.

ErfolMsprekWer KWs m die KW seinWev Stellungen in Snlizien.

Auch ein Sieg Deutschlands.

Die Erfolge der verbündeten Zentralmächte in Galizien haben auf unsere Feinde eine eigentümliche Wirkung gehabt. Man ist im Ententelager der An­schauung, daß der Hauptsaktor dieses glänzenden Eiegeszuges die artilleristische Ueberlegenheit unserer Heere und die verschwenderische Anwendung von Munition gewesen sei. Nun ist über diese Staaten ein direktes Munitionsfieber hereingebrochen, und man klammert sich, da die neuen Verbündeten an­scheinend nicht in der Lage sind, die Kriegslage aus­schlaggebend zu beeinflussen, die neutralen Balkan­staaten sich auch immer weniger geneigt zeigen, ihre Haut für andere zu Markt zu tragen, an das Phan­tom, dag eine ungeheure Munitionsproduktion dem augenblicklich recht schlechten Stand der Dinge doch noch eine andere Wendung zu geben vermöchte. Die Munitionslieferungen aus Amerika genügen also nicht; man befürchtet wohl auch im Ententelager, daß diese Quelle in absehbarer Zeit infolge der durch Bryan nachdrücklich unterstützten Agitation der Deutschamerikaner verstopft werden könnte, und so haben die Regierungen des Dreiverbands ihre ganze Kraft daran gesetzt, eine gewaltige Munitionspro­duktion zu organisieren. England hat auch auf die­sem neuen Wege die Initiative ergriffen, indem die englische Regierung geradezu revolutionäre Umwäl­zungen in sozialistischem Sinne einzuführen plant. Es wurde ein Gesetzentwurf eingebvacht, der die Verpflichtung der Eintragung aller Männer und Frauen von 15 bis 65 Jahren in die nationalen Re­gister vorsieht, und zwar zwecks Aufrechterhaltung der industriellen und finanziellen Stellung Eng­lands. Die eingetragenen Arbeitskräfte sollen dann durch Gesetz dazu verpflichtet werden können, in den von der Regierung ebenfalls in Beschlag genomme­nen industriellen Unternehmungen in der Muni­tionsfabrikation auf irgend eine Weise tätig zu sein. Das bedeutet natürlich nichts mehr und nichts we­niger. als die Anwendung des Hauptprinzips des sozialistischen Programms, wonach der Staat der alleinige Arbeitgeber ist. Man braucht natürlich nun nicht daran denken, daß diese zwangsweise wirt­schaftliche Rekrutierung der Bevölkerung eventuell symptomatische Bedeutung für die Zukunft haben werde, auch wir in Deutschland haben auf gewissen Gebieten, durch die Lage gezwungen, Matzregeln treffen müssen, die mit sozialistischer Auffassung voll­ständig übereinstimmen. Wir erinnern nur an die Beschlagnahme und die dadurch ermöglichte gleich­mäßige Verteilung der wichtigsten Volksnahrungs­mittel. Durch den Gesetzentwurf der englischen Re­gierung gesteht man aber in England nicht nur ein, daß die Beschränkung der persönlichen Freiheit auch in diesem Land höchster individueller Ungebundenheit im nationalen Interesse zu gewissen Zeiten geboten ist (wir haben hier eine wirtschaftliche Mobilmach­ung in weitestgehender Form, die den deutschenMi­litarismus" in letzter Konsequenz weit hinter sich läßt), der englische Industriestaat giebt durch der­artige Matznichmen auch indirekt zu. datz sein Or­ganismus nicht in der Lage ist, dem deutschen Kon­kurrenten, der ihn seit Jahrzehnten fast auf allen Gebieten im friedlichen Wettbewerb aus dem Felde geworfen hat, in diesem höchsten Kampf sowohl um nationale als in besonderem Grade auch internati­onale Geltung Schach zu bieten. England, der größte Industriestaat der Welt» hat versagt. Während die deutsche Industrie auf allen Gebieten mit einer ge­

radezu fabelhaften Schnelligkeit sich auf der Grund­lage einer meisterhaft arbeitenden Wissenschaft den Bedürfnissen des Krieges anpatzte, durch geeignete technische Umwandlung der Betriebe die neuen An­sprüche befriedigen konnte, während unsere chemische Industrie und Wissenschaft mit Erfolg bemüht war, die bisher vom Ausland bezogenen Roh- und Hilfs­stoffe der Fabrikation durch gleichwertige neue zu ersetzen, deren Herstellung innerhalb unserer Be­schaffungsmöglichkeiten lag, erlitt die englische Re­gierung mit allen ihren Kriegsansprüchen an die heimische Industrie ein vollständiges Fiasko. Wir erinnern nur an den Zusammenbruch der Anilin E. m. b. H.» die gegründet wurde zurErfindung" der für die Tuchfabrikation so notwendigen deutschen Anilinfarben.

Dieselbe Unfähigkeit, sich den veränderten Ver­hältnissen anzupassen, hat sich nun eben auch bei der englischen Munitionsfabrikation gezeigt. Was die deutsche Industrie ohne irgend welches Eingreifen des Staates in kürzester Zeit zuwege gebracht hat, mit einem Minimum gelernter Arbeitskräfte und unter dem Mitzstande des Mangels vieler Rohstoffe und Halbfabrikate, das hat die englische Industrie nicht nachmachen können, die die meisten ihrer Arbeits­kräfte behalten hat und die außerdem über eine un­erschöpfliche Zufuhr aller Hilfsmittel vom Ausland verfügt.

Öb es jetzt unfern Feinden, und namentlich also England gelingen wird, das ihnen notwendig erschei­nende Matz von Munition zu beschaffen, ist für uns eine Frage von untergeordneter Bedeutung. Wir sind der Ansicht, datz nicht die Ueberlegenheit der Muni­tion den Sieg davon tragen wird, sondern der Geist des Menschenmaterials, den die Gegner noch besitzen. Und auch in Bezug auf dieseMunition" sind wir unfern Feinden über. Hier wie dort aber ist es der deutscheMilitarismus", der unserm Siege sei­nen Stempel aufgedrückt hat, und der auch wirklich das ganze deutsche Volk beherrscht, nicht wie unsere Feinde meinen, nur das Hohenzollernhaus. Aller­dings ist seine Grundlage eine andere als die von den Feinden erdichtete und von vielen geglaubte: Der deutscheMilitarismus", der bisher dem Ansturm der halben Welt siegreich widerstanden hat, er ist nicht als Selbstzweck zu rücksichtsloser Machtentfal­tung zu betrachten, wie das beim englischen Marinis­mus der Fall ist, dazu ist das deutsche Volk in seiner Gesamtheit viel zu friedlich und rechtlich gesinnt, er ist aber der Ausdruck deutschen Charakters, der Un­terordnung des Einzelwillens unter den Gesamt­willen, treuester Pflichterfüllung auf jedem Platze, und der aus diesen beiden Eigenschaften resultieren­den planmäßigen Organisationsfähigkeit auf allen Gebieten staatlichen und kulturellen Lebens. Und auf diesen deutschenMilitarismus" sind wir stolz, denn er ist der Ausdruck hoher sittlicher Bolkskraft, die sich sowohl in der Disziplin des Geistes wie des Körpers äußert. O. 8.

Die Lage auf den Kriegsschauplätzen.

Die deutsche amtliche Meldung.

(WTB.) Großes Hauptquartier. 30. Juni. (Amtlich.) Westlicher Kriegsschauplatz. Bei Arras fanden größere feindliche Unterneh­mungen auch gestern nicht statt. Hingegen machten wir in der Vertreibung des Gegners aus den Gra­benstücken. die er im Laufe seiner wochenlangen An­strengungen uns zu entreißen vermochte, weitere

Fortschritte. Ein feindlicher Vorstoß im Labyrinth nördlich Ecurie wurde abgewiesen. Durch fast un­unterbrochene Angriffe aus den Maashöhen, west­lich von Les Eparges versuchte der Gegner seit dem 26. Juni abends vergeblich, die von uns eroberten Stellungen wieder zu gewinnen. Auch gestern unter­nahm er vier heftige Vorstöße, die sämtliche unter großen Verlusten scheiterten.

Oestlicher Kriegsschauplatz. Keine Ereignisse.

Südöstlicher Kriegsschauplatz. Unser Angriff an der Gnila-Lipa macht Fortschritte. Oest- lich und nordöstlich von Lemberg ist die Lage unver­ändert. Zwischen dem Bug und der Weichsel erreich­ten deutsche und österreichisch-ungarische Truppen die Gegend von Belz. Komarow. Zamocz und den Nord­rand der Waldniederung des Tanewabschnittes. Auch auf dem linken Weichselufer in der Gegend Zawichost und Ozarow hat der Feind den Rückzug angetreten. Ein feindliches Flugzeug wurde hinter unserer Linie zum Landen gezwungen. Die Insassen wurden ge­fangen genommen.

Oberste Heeresleitung.

Der österreichisch-ungarische Tagesbericht.

(WTB.) Wien, 30. Juni. Amtlich wird mit­geteilt vom 30. Juni mittags: Russischer Kriegsschauplatz. In Ostgalizien sind an der Gnila-Lipa und am Bug abwärts Kamionka-Spru- milowa Kämpfe im Gange, die für uns erfolgreich verlaufen. Zwischen Bug und Weichsel weicht der Gegner weiter zurück. Die seinen Rückzug deckenden Nachhuten wurden gestern überall angegriffen und geworfen. Unsere Truppen haben die Tanewniede- rung durchzogen und den Höhenrand bei Frampol und Zaklikow genommen. Durch die Erfolge der ver­bündeten Armeen östlich der Weichsel gezwungen, räumen die Russen auch westlich des Fluss« Stellung nach Stellung. So sind sie seit heute nacht aus ihrer starken Gefechtsfront Zawichost-Ozarow-Sienno im Rückzüge gegen die Weichsel. Zawichost wurde von unseren Truppen besetzt.

JtalienischerKriegsschauplatz. Nach mehrtägiger Pause entfalten die Italiener wieder eine lebhafte Tätigkeit an der Jsonzosront. Vorge­stern abend wiesen unsere Truppen einen Angriff bei Plaoa ab. Im Abschnitt Sagrado-Monfalcone er­folgten mehrere kleine vergebliche Vorstöße des Fein­des, in der vergangenen Nacht ein allgemeiner An­griff. Auch dieser wurde überall zurückgeschlagen. Ebenso erfolglos für den Gegner blieben heute mor­gen neuerliche Angriffsversuche bei Selz und Mon- falcone. Die Geschützkämpfe dauern an der ganzen Südwestfront fort und sind namentlich am Jsonzo sehr heftig.

Südöstlicher Kriegsschauplatz. Als Antwort auf einen von den Serben durchgeführten Ueberfall bei Sabas bombardierte eines unserer Flugzeuggeschwader gestern früh die Werft Belgrad und das Truppenlager Orasac südwestlich Obreno- vac mit sehr gutem Erfolge.

Aus Galizien und vom Jsonzo.

(WTB.) Wien, 30. Juni. (Wien. Korr.-Vur.) An der Gnila-Lipa und bei Kamionka-Sprumilowa bereiteten die Nutzen der Verfolgung einigen Aufent­halt. Nordwärts machte das Vordringen der Ver­bündeten große Fortschritte. Die Armee Joseph Ferdinands hat bereits den Höhenrand nördlich der