Nr. 114. Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw. 90. Jahrgang.
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Mittwoch, den 19. Mai 191S.
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Der deutsche ReWuizler wr die itulieuische Zruie.
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Italien vor der Entscheidung.
Aiorgen tritt die italienische Kammer zusammen, die darüber zu entscheiden haben wird, ob Italien weiterhin seine Neutralität aufrecht erhalten will unter Annahme des österreich-ungarischen Angebots, das die Wünsche der italienischen Irredentisten und die territorialen Ansprüche Italiens auf dem Balkan beinahe völlig befriedigt, ohne daß nur ein italienischer Soldat geopfert wird, oder ob das italienische Volk vor der Geschichte das Odium auf sich nehmen will, aus einem durch dunkle, fragwürdige Existenzen rein gefühlsmäßig gesckchrten Hatz heraus seine Bundesgenossen, in deren Mitte es Jahrzehnte lang Vorteil um Vorteil genossen hat, schmählich zu verraten. Man sollte meinen, es müsse dem italienischen Parlament, wenn es über die mit allen Einzelheiten bekannt gegebenen Konzessionen Oesterreich-Ungarns orientiert ist, und wenn es die Erklärungen der leitenden Staatsmänner Deutschlands und Oesterreich-Ungarns sich vergegenwärtigt, nicht schwer fallen, seine Entscheidung zu treffen.
Und doch möchten wir im jetzigen Stadium der Lage in Italien kaum ein Wort riskieren, um etwa noch heute irgend welchen Optimismus zu unterstützen. Die Politik der Straße hat, geduldet oder unterstützt von der Regierung, das italienische Volk in einen Zustand versetzt, der verstandesmäßige lleberlegung so ziemlich ausschaltet. Und dieses Ziel war ja auch von den systematisch organisierenden Kriegshetzern bezweckt worden, denn diese wußten ganz genau, daß die Mehrheit des italienischen Parlaments bisher hinter Giolitti stand, der die Erfüllung der italienischen Forderungen und Wünsche auf dem Wege der friedlichen Verständigung anstrebte, und sich dadurch als größter Naterlandsfreund dokumentierte. Durch mit größtem Raffinement inszenierte Massendemonstrationen sollte aber das Parlament der beabsichtigten Suggestion zugänglich gemacht werden, als seien die weitesten Kreise des Volkes für den Krieg gegen Oesterreich um jeden Preis. Wenn man in Italien den Kopf nur bis zu einem geringen Grad klar behalten hätte, so hätte man schon angesichts der Teilnahme der englischen und französischen Kreise an dieser Kriegshetze stutzig werden sollen, und sich darüber Rechenschaft geben müssen, daß Italien, wenn es den Krieg gegen seine früheren Bundesgenossen beginnt, in erster Linie doch nur die traurige militärische Lage der Entente verbessern sollte. Und weiter mußte man sich sagen, auf der einen Seite erhält Italien ohne Schwertstreich den größten Teil seiner Wünsche befriedigt und noch Aussicht aus weitere Erwerbungen im Falle der unausbleiblichen Niederlage des Dreiverbands, (Malta, Tunis, Stärkung seiner Mittelmeerstellung), auf der andern Seite aber stürzt man sich unter Opferung von Hunderttausenden von Menschenleben in ein gewagtes Abenteuer, das, darüber dürfte auch bei den italienischen Kriegsfanatikern kein Zweifel sein — nicht mit allzu- grotzer Hoffnung auf Gelingen betrachtet werden kann. Deutschland und Oesterreich-Ungarn besitzen noch Kräfte genug, um auch einem etwaigen neuen Gegner mit Ruhe entgegensehen zu können, und sie sind auf die italienischen Exzesse hin auch sicherlich vorbereitet. Dazu kommt noch, daß die verbündeten Heere zum vernichtenden Schlage gegen den größten Teil des russischen Heeres ausholen, und wohl in ein paar Wochen in der Lage wären, große Massen gegen Italien zu werfen. Und überdies, — das italienische Heer hat sich im letzten Jahrhundert keine Lorbeeren geholt, seine Organisation
hat erst in den vergangenen Monaten einen moderneren Ausbau erhalten, man könnte 10 gegen 1 wetten, daß es sich nicht gegen die Heere Oesterreich-Ungarns und Deutschlands durchzusetzen vermöchte. Würde aber Italien geschlagen, dann hätte es die ganze Schwere der Vergeltung gegenüber seiner treulosen Haltung zu tragen.
Wir wollen annehmen, daß im ital. Parlament morgen noch Stimmen vorhanden sind, die allen diesen Erwägungen die Beachtung zu verschaffen vermögen, die ihnen in diesem bedeutsamen Augenblick zukommt. Es muß auch daran gedacht werden, die definitive Stellungnahme Italiens wird nicht nur auf die Dauer des mropiiischen Krieges von Wirkung sein, sie wird auch entscheidend sein für die künftige Konstellation der Mächtegruppen Europas.
Mit dem Eintreten Italiens in den Krieg würde auch das Balkanproblem wieder stärker hervortreten. Noch den bisherigen Beobachtungen ist nicht anzunehmen, daß Rumänien sich ohne weiteres dem italienischen Vorgehen anschließen würde. Es wird wohl ebenso wie Griechenland auch weiterhin die militärischen Entscheidungen abwarten. In dieser Stellungnahme dürften beide Staaten wohl durch Bulgariens Haltung bestärkt werden, das seine Ansprüche in vollem Umfang nur durch den Sieg der Zentralmächte befriedigt sehen wird. O. 8.
Der deutsche Reichskanzler über das Verhältnis zu Italien.
(WTV.) Berlin, 18. Mai. Im Reichstag hielt heute der Reichskanzler folgende Ansprache: Meine Herrn! Ihnen ist bekannt, daß sich die Beziehungen zwischen Italien und Oesterreich-Ungarn in den letzten Monaten stark zugespitzt haben. Aus der gestrigen Rede des ungarischen Ministerpräsidenten Grafen Tisza werden Sie entnommen haben, daß das Wiener Kabinett in dem aufrichtigen Bestreben, die ständige Freundschaft zwischen der Doppelmomarchie und Italien zu sichern und den dauernden großen Lebensinteressen beider Reiche Rechnung zu tragen, sich zu weitgehenden Konzessionen territorialer Natur an Italien entschlossen hat. Ich halte es für zweckmäßig, Ihnen diese Konzessionen wörtlich zu bezeichnen.
Das Angebot Oesterreich-Ungarns.
1. Der Teil von Tirol, der von Italienern bewohnt ist, wird an Italien abgetreten. 2. Ebenso das westliche Ufer des Jsonzo, soweit die Bevölkerung rein italienisch ist und die Stadt Eradisca. 3. Triest soll zur k. freien Stadt gemacht werden, eine den italienischen Charakter der Stadt sichernde Stadtverwaltung und eine italienische Universität erhalten. 4. Die italienische Souveränität über Valona und die dazu gehörige Interessensphäre soll anerkannt werden. 5. Oesterreich-Ungarn erklärt seine politische Uninteressiertheit hinsichtlich Albaniens. 6. Die nationalen Interessen der italienischen Staatsangehörigen in Oesterreich-Ungarn werden besonders berücksichtigt. 7. Oesterreich-Ungarn erläßt eine Amnestie für militärische und politische Verbrecher, die aus den abgetretenen Gebieten stammen. 8. Wohlwollende Berücksichtigung von weiteren Wünschen Italiens und die Gesamtheit der das Abkommen bildenden Fragen wird zugesagt. 9. Oesterreich-Ungarn wird nach dem Abschluß des Vertrags eine feierliche Erklärung über die Abtretungen abgeben. 10. Gemischte Kommissionen zur Regelung der Einzelheiten der Abtretungen werden ein
gesetzt. 11. Nach Abschluß des Abkommens sollen die Soldaten der österreichisch-ungarischen Armee» die aus den besetzten Gebieten stammen, nicht mehr an den Kämpfe« teilnehmen.
Ich kann hinzufügen, daß Deutschland, um die Verständigung zwischen seinen beiden Bundesgenossen zu fördern und zu festigen, dem römischen Kabinett gegenüber im Einverständnis mit dem Wiener die volle Garantie für die loyale Ausführung dieser Anerbietungen ausdrücklich übernommen hat. Oesterreich-Ungarn und Deutschland haben hiermit einen Entschluß gefaßt, der, wenn er zum Ziele führt, nach meiner festen Ueber- zeugung von der überwältigenden Mehrheit der 3 Rationen gutgeheißen werden wird. Mit seinem Parlament steht das italienische Volk vor der freien Entschließung, ob es die Erfüllung alter nationaler Hoffnungen in weitestem Umfange auf friedlichem Wege erreichen, oder ob es das Land in den Krieg stürzen und gegen seine Bundesgenossen von gestern und heute morgen das Schwert ziehen will. Ich mag die Hoffnung nicht ganz aufgeben, daß die Wagschale des Friedens schwerer sein wird, als die des Krieges. Wie aber Italiens Entscheidung auch ausfallen möge, in Gemeinschaft mit Oesterreich-Ungarn haben wir alles im Bereiche der Möglichkeit Liegende getan, um ein Bundesverhältnis zu stützen, das im deutschen Volke feste Wurzel gefaßt hatte, und das den drei Reichen Nutzen und Gutes gebracht hat. Wird der Bund von einem der Partner zerrissen, so werden wir in Gemeinschaft mit dem anderen auch neuen Gefahren unerschrockenen und zuversichtlichen Mutes zu begegnen wissen. (Lebh. stürm. Beifall und allg. Händeklatschen. Der Reichskanzler verneigt sich mehrmals. Wiederh. stürm. Beifall und Händeklatschen.)
Das Parlament hat die Entscheidung.
Zürich, 18. Mai. Der „Luzerner Tages-Anzeiger" meldet aus Rom : Der Ministerrat hat beschlossen, die Entscheidung dem am 2V. ds. Mts. zusammen« tretenden Parlament oorzubehalten.
Demonstrationen für und wider den Krieg.
Lugano, 18. Mai. Die Regierung fährt fort, öffentliche Kundgebungen für den Krieg zu begünstigen und Maßnahmen zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe erfolgen nur dort, wo, wie in Turin, die Bevölkerung dem Friedenswunsche starken Ausdruck zu geben sucht. In Rom hatte Sonnino, wie sich die „Deutsche Tageszeitung" drahten läßt, auch Unterhandlungen mit dem bulgarischen Gesandten. Man hält es nicht für nötig, zu beanstanden, daß französische und englische Diplomaten Ansprachen an die Menge halten, die die sogenannte Bundesgenossenfchaft Italiens mit Frankreich und England diensteifrig bekunden. Der Bürgermeister Roms, Fürst Colonna, hielt an die von Garibaldi und d'An- nunzio geführten Demonstranten, welche an dem geschlossenen eisernen Tor der deutschen Botschaft vorbei auf den Kapitolhügel gezogen waren, eine kriegerische Ansprache und erfüllte ihren Willen, die Kapitolglocken läuten zu lassen. Bei einer solchen öffentlichen Stimmung und bei den obwaltenden diplomatischen Tatbeständen ist nicht zu erwarten, daß die neutralistischen Parlamentarier am Donnerstag den Mitteilungen, sowie der der Regierung erteilten Vollmacht mehr entgegensetzen werden, als die Erklärung, daß sie das Ministerium für die Folgen seiner Handlungsweise ausschließlich verantwortlich machen. Der Kammer wird