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Altensteig, Dienstag, de» 31. Juli 1934.

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Re Selllußmikbll »er dem Rililtirgeilchl

Re Anklagerede des Staatsanwalts Vernehmung der Sauptangeklagten

Nor zwanzig Satiren

Bor Kriegsausbruch

Die ungeheure Erregung, die die Nachricht von dern Für- ftenmord in Serajewo ausgelöst hatte, war zunächst einer ruhigeren Betrachtungsweise gewichen, nachdem der diplo­matische Apparat zu spielen begonnen hatte. Alle Hoffnun­gen waren zuerst auf eine friedliche Beilegung, dann zum mindesten auf eine örtliche Begrenzung des Streitfalls zwi­schen Oesterreich und Serbien gerichtet. Der Kaiser befand sich an Bord seiner JachtHohenzollern" auf seiner gewohn­ten Nordlandreise. Gegenstand größerer Aufmerksamkeit war auf dem Welttheater neben der österreichisch-serbischen Spannung lediglich Poincares Besuch beim Kaiser von Nütz­lich. Dieses Bild veränderte sich, als am 25, Juli bekannt wurde, daß Oesterreich-Ungarn eine kurzbefristete Note an die serbische Regierung gerichtet hätte, und datz Serbien eine befriedigende Antwort dieser Note abgelehnt habe. Gefühlsmäßig jagte sich jeder, datz mit dieser Ablehnung die Gefahr kriegerischer Verwicklungen in unmittelbare Nähe gerückt war, und die Tatsache unseres Bündnisses mit Oester­reich-Ungarn Netz kaum einen Zweifel darüber aufkom- men, datz unsere Bündnisverpflichtung im Falle eines Krie­ges eingehalten werden würde. In den Großstädten kam es zu nationalen Kundgebungen, aber es veranstalteten auch die Sozialdemokraten Protestkundgebungen gegen den Krieg. Noch immer erhoffte man von dem Hin und Her der Botschafterberichte, der Verhandlungen und der Vermitt­lungsversuche eine friedliche Lösung in letzter Stunde,

Der 28. Juli brachte die Kriegserklärung Oesterreich-Ungarns an Serbien Am 28. und 29. Juli machten sich die ersten Anzeichen einer starken Sorge vor dem, was kommen wurde, bemerkbar. Tausende lehrten aus Urlaub und Ferien zurück. Verängstigte Men­schen suchten ihre Sparguthaben abzuheben. Auch in den folgenden Tagen hielt dieser Sparkassensturm noch an, bis es endlich mit vieler Mühe gelang, die aufgeregten Gemü­ter zu beruhigen.

. Im Mittelpunkt der öffentlichen Erörterung stand nun die österreichische Mobilmachung und daneben vor allem die in diesem Augenblick noch nicht voll durchsichtige Haltung Rußlands. Der 31. Juli, ein Freitag, ein schöner sonniger Eommertag, ließ die letzte Hoffnung dahinstnken, datz die über Europa liegende Spannung noch auf friedlichem Wege beseitigt werden könnte. Rußland hatte mobilge­macht. Unter dem 30. Juli hatte ein Erlaß des Zaren die Reservisten in den meisten Gouvernements des Riejenrei- ches zu den Fahnen gerufen. In Berlin stieg die Aufregung zur Siedehitze. Der Kaiser hatte im Hinblick auf die russi­sche Mobilmachung den Zustand der drohenden Kriegsgefahr befohlen. Mit rasender Geschwindigkeit wickelten sich nun die Ereignisse ab.

Am 1. August nachmittags erschien Unter den Linden im Menschengedränge in Begleitung eines Wachkommandos ein Oberleutnant vom Kaiser-Alexander-Erenadrer-Regi- ment. Durch einen Trommelwirbel ließ er sich Ruhe ver­schaffen, dann verlas er die Bekanntmachung des Oberst­kommandierenden in den Marken und Gouverneurs von Berlin, Generaloberst v. Kessel, der die Verhängung des Kriegszustandes über Berlin und die Provinz Brandenburg verkündete. Am Denkmal Friedrichs des Gro­ßen, vor dem Zeughauje und an anderen Stellen wurde die Bekanntmachung verlesen und vom Publikum teils mit schweigendem Ernst, teils mit Hurra-Rufen ausgenommen. In der ganzen Stadt waren an diesem Sonnabend die Le­bensmittelgeschäfte von Tausenden von Frauen belagert, die sich mit Vorräten einzudecken suchten. Nachmittags um 5.15 Uhr erging der Mobilmachungsbefehl. Wieder brandeten an den Mauern des Schlosses die vaterländischen Lieder empor, plötzlich und spontan abgelöst durch das von vielen tausend Kehlen gesungene LutherliedEin' feste Burg ist unser Gott". In Scharen strömten die Menschen in den Dom zum Bittgottesdienst, immer stärker wird der Zu­strom zum Lustgarten. Gegen acht llhr abends tritt der Kaiser an das große Fenster in der ersten Etage über dem Portal 4 des Schlosses, in sichtlicher Erregung redet er zur Menge und spricht dabei das historisch gewordene Wort, datz er keine Parteien mehr kenne, sondern nur noch Deutsche. Auch der Reichskanzler mutz neue Huldigungen entgegennehmen, auch er richtet vom Fenster aus eine Ansprache an die Menge, in der er nochmals in letzter Stunde die schwache Hoffnung durchblicken läßt, datz der Krieg uns noch erspart bleiben könnte.

Eine Hoffnung, die trog, wie jo viele Hoffnungen getro­gen hatten! Das Verhängnis war nicht mehr aufzuhalten. Im vollen Bewußtsein seiner Schuldlosigkeit an allem, was vorangegangen war und was bevorstand, rüstete sich das deutsche Volk für den Waffengang, Sonntag, der 2. AugustwarderersteMobilmachungstag, Der Krieg, der zum Weltkrieg werden und eine Welt zerstören sollte, war da!

Wien, 31. Juli. Vor dem Militärgerichtshof fand am Mon­tag die erste Verhandlung statt, und zwar gegen den Mörder des Bundeskanzlers Dr. Dollfuß, den 34jährigen Otto Planetta, und gegen den Anführer des Ueberjalls gegen das Bundeskanz­leramt, den '29jährigen Franz Holzweber. Beide sind des Hochverratsplanes, überdies des Mordes angeklagt. Knapp nach 5 Uhr erschien der Gerichtshof im Saal. Den Vorsitz führte Oberst Kubi n. Der Saal steht unter militärischer Bewachung. Zunächst wurden die Leiden Angeklagten nach ihren Personalien befragt. Aus diesen geht hervor, datz beide unbescholten sind.

Hierauf erhob sich der Staatsanwalt zur Anklagerede, in der er etwa ausführte: Am 25. 7. fuhren vor dem Ballhausplatz, ein Personenauto und elf Lastkraftwagen vor, auf denen sich 150200 als Militärpersonen verkleidete Männer befanden. Das Personenauto und vier Lastautos fuhren in den Hof des Bun­deskanzleramtes ein. Di« Insassen aller Wagen sprangen von den Autos, überwältigten die Militärwache und die Kriminal­beamten und stürmten die Stiegen hinauf, wo sie mit vorgehal- tenen Pistolen in die verschiedenen Zimmer eindrangen. Der Türhüter Hedvicek sah vom Fenster aus das Einfahren der Kraftwagen und hörte den Lärm, Er trachtete danach, zunächst den Bundeskanzler in Sicherheit zu bringen. Er traf den Bun­deskanzler im Säulensaal an und bat ihn, ihm doch so schnell wie möglich zu folgen. Er hatte die Absicht, ihn durch einen rückwärtigen Ausgang ins Freie zu führen. Während Hedvicek den Bundeskanzler aufforderte, ihm zu folgen, wurden die zum Säulensaal führende Tür von außen gewaltsam eingedrückt und zehn bis zwölf Aufrührer drangen in den Raum ein. Eine Flucht war nun nicht mehr möglich, da die Aufrührer ihre Pisto­len anschlugen. Einer der Terroristen, so schilderte Hedvicek den Anschlag auf den Bundeskanzler, hat, vor dem Bundeskanzler stehend, in dem Augenblick, als der Kanzler wie zur Abwehr die Hände über dem Kops zusammenschlug, knapp hintereinander zwei Schüsse auf ihn abgegeben. Die weiteren Vorgänge konnte Hedvicek nicht mehr verfolgen, weil er von den Leuten gezwun­gen wurde, die Hände hochzuhalten und sich mit dem Gesicht zur Zimmerwand zu stellen. Wie die bisherigen Erhebungen er­geben haben, blieb Dr. Dollfuß trotz seiner schweren Verletzungen noch einige Stunden am Leben und teilweise auch bei Bewußt­sein, obwohl er erst nach 20 Minuten verbunden wurde. Gegen 3.45 llhr nachmittags ist der Bundeskanzler seinen Verletzungen erlegen. An seiner Leiche wurden zwei Schußverletzungen fest­gestellt. Mehrere Verdachtsmomente lenkten sich aus Planetta, daß er die tödlichen Schüsse abgefeuert hat. Dieser gab auch zu, daß er einen, möglicherweise auch beide Schüsse auf den Bun­deskanzler abgegeben hat. Er erklärt jedoch, datz er nicht die Absicht gehabt habe, den Bundeskanzler zu treffen, geschweige denn zu töten, umso weniger, als ausdrücklich die Parole aus- gegeben worden sei, daß keinerlei Gewalttaten dieser Art, ins­besondere Erschießungen, vorgenommen werden durften, aus­genommen in den dringendsten Notfällen.

Auf Antrag der Verteidigung unterbrach nach der Anklage­rede der Vorsitzende die Behandlung, um der Verteidigung die Möglichkeit einer Rücksprache mit den Angeklagten zu geben.

Nach der Wiederaufnahme der Verhandlung wurde vom Militärgerichtshof der Hauptangeklagte Planetta zuerst ver­nommen. Auf die Frage des Vorsitzenden, warum Planetta in das Bundeskanzleramt eingedrungen sei, erwiderte der Ange­klagte:Ans Befehl!" Er gab jedoch nicht an, auf wessen Be­fehl. Der Angeklagte erklärte sodann, daß er dem Bundesheer bis zu seiner Entlassung wegen verbotener Betätigung für die nationalsozialistische Partei bis zum Jahre 1932 angehört habe. Zuletzt sei er Stabswachtmeister gewesen. Planetta gab nun eine genaue Darstellung seiner Anordnungen. Sein Kraftwagen war der letzte, der vor das Bundeskanzleramt kam und war die Wache bereits überwältigt. Planetta schilderte dann ein­gehend, wie er die Schüsse auf den Bundeskanzler abgegeben habe. Als er den Kanzler niedersinken sah, sei er sofort aus dem Zimmer gelaufen, um Verbandswatte zu holen. Am Schluß seiner Vernehmung erklärte Planetta, es tue ihm sehr leid, daß er den Bundeskanzler erschaffen habe.

Der Prozeß nahm nunmehr bei der Vernehmung des Ange­klagten Holzweber eine aufsehenerregende Wendung. Es kam zunächst das Abkommen zwischen den Putschisten und den ein­geschlossenen Regierungsmitgliedern auf freien Abzug zur Sprache. Der Berhandlungsleiter fragte den Angeklagten Holz­weber: Hat bei der Uebergabeoerhandlung Minister Fey schon von der schweren Verletzung des Bundeskanzlers gewußt? Ange­klagter: Der Minister hat davon gewußt und auch den Bundes­kanzler in seinem Blut liegen sehen. Auch Minister Neustädter- Stürmer hat durch Fey von der schweren Verletzung des Kanzlers Kenntnis erhalten. Minister Fey hat auch an das Heeresmini- fterium um 2.3« llhr telefoniert, daß der Kanzler im Sterben liege.

Minister Fey erklärte bei seiner darauffolgenden Berneh- j mung, daß die Angabe des Angeklagten Holzweber richtig sei;

er habe das freie Geleit unter Soldateuehreuwort zugesichert, wenn die Putschisten die Waffen streckten. Zu dieser Zeit haLe er von dem Tode des Bundeskanzlers bereits gewußt. Die Verteidiger beantragen die Vernehmung des Gesandte» Dr. Rieth.

Minister Fey schilderte die schon bekannten Ereignisse von der Besetzung des Bundeskanzleramtes und die verschiedenen Gespräche mit dem sterbenden Bundeskanzler, dessen letzte Worte gelautet hätten:Kein Blutvergießen, es soll Frieden gemacht werden!" Der Minister fuhr fort: Am späteren Nachmittag ist dann Minister Neustädter-Stürmer vor dem Gebäude des Bundeskanzleramtes erschienen und hat im Namen der Regie­rung ein Ultimatum gestellt, daß das Haus zu räumen und die Gefangenen sreizulassen seien, widrigenfalls gestürmt würde; andernfalls würde freier Abzug gewährt.

Vorsitzender: Sind an diesen anderen Fall Bedingungen geknüpft worden?

Minister Fey: Nein. Ich wurde dann neuerdings auf de» Balkon geholt, um mit Minister Neustädter-Stürmer zu spre­chen. Es ist dann noch mehrfach verhandelt worden.

Vorsitzender: Ist nicht die Vereinbarung sofort zurückgezo­gen worden, als bekannt wurde, daß der Herr Bundeskanzler tot sei?

Minister Fey (lebhaft): Nein! Der Minister schilderte dann den bekannten Hergang der Herbeirufung des damaligen deut­schen Gesandten Dr. Rieth, worauf der

Vorsitzende fragte: Haben Sie sich dafür eingesetzt, daß das Uebereinkommen eingehalten wird?

Minister Fey: Ich habe mich dafür eingesetzt und darauf hingewiesen, daß diese Vereinbarung getroffen wurde.

Ein Verteidiger: Haben Sie nicht Ihr Wort gegeben, daß die Aufrührer freigelassen werden?

Vorsitzender: Diese Frage lasse ich nicht zu.

Minister Fey: Ich habe keinen Grund, diese Frage nicht zu beantworten. Bezüglich dieser Vereinbarung habe ich weder mein Wort noch mein Soldatenwort gegeben, weil ich keine Ver- cinbarung treffen konnte. Diese Vereinbarung wurde zwischen Minister Neustädter-Stürmer und den Aufständischen getroffen. Ich habe lediglich als Dolmetsch fungiert. Richtig ist nur, daß der Angeklagte bezw. andere Aufrührer mich gefragt haben, ob sie sicher sein können, daß die Vereinbarungen eingehalten wer­den, worauf ich erklärte: Ich glaube, datz Sie sicher sei» können.

Auf die Frage des Vorsitzenden, wie sich Fey das erkläre, daß die Gefangenen nicht freien Abzug bekommen haben, er­widert der Minister: Später ist von Seiten der Regierungsmit- glieder von dieser Bedingung gesprochen worden.

Darauf wurde Minister Neustädter-Stürmer vernommen. Dieser gab zuerst eine Darstellung des mit den Aufruhrern ipi- ftande gekommenen Abkommens und sagte weiter: Als der Her­gang des Todes des Kanzlers bekannt wurde, hat der mittler­weile vor dem Bundeskanzleramt erschienene Bundesminifte, Schuschnigg gesagt: Da ergibt sich ja eine ganz neue Situation. Hier ist ja ein Mord geschehen. Infolgedessen wird die Regie, rung vorläufig bis zur Klarstellung des Falles die gesamte» Aufständischen in Gewahrsam nehmen.

Ein Verteidiger: Unbekümmert um das Schicksal des Bun­deskanzlers war die Zusicherung des freien Geleites gegeben, wenn von da an nichts geschieht; das steht einwandfrei fest.

Vundesminister Neustädter-Stürmer: Ich möchte darauf Hin­weisen, daß ich mein Soldatenehrenwort gegeben habe. Ein Soldatenwort gibt man Soldaten. Ich überlasse es dem Ge­richt, zu beurteilen,, ob sich Soldaten so benommen hätten, daß sie ärztliche Hilfe und geistlichen Beistand eines Todverwundeten verweigern.

Nachdem sodann >wch Staatssekretär Karwinsky, der Polizei­vizepräsident Skubl sowie der Diener, der bei der Erschießung des Bundeskanzlers dabei war, vernommen waren, beantragten die Verteidiger die Vernehmung de. ehemaligen Gesandten Dr. Rieth und des Bundeskanzlers Dr. Schuschnigg.

Nach 1« Minuten Beratung teilte der Vorsitzende mit, die, ser Antrag sei abgelehnt. Die Verteidiger erklären darauf, außer Stande zu sein, auf Grund ihrer Ueberanstrengung wei­ter zu verhandeln. Sie bäten um Unterbrechung des Prozeßes.

Als der Vorsitzende trotzdem weiter verhandeln zu wolle« erklärte, kam es zu einer sehr erregten Szene. Die Verteidiger legten ihr Amt nieder.

Der Vorsitzende beantwortete diesen Schritt damit, daß er erklärte, er wolle Anzeige an die Rechtsanwaltskammer erstatt ten. Die Verteidiger erwiderten, sic würden das selbst tun.

Mangels einer Verteidigung für die Angeklagten mußte de, Prozeß unterbrochen werden. Es find augenblicklich Verhau», langen im Gange, damit die Verteidiger ihr Amt Dienstagfrii» wieder übernehmen.

Die Verhandlung wird am heutigen Dienstagoormittag um 9 Uhr fortgesetzt werden.