Rationales Nachrichten- und Anzeigenblatt für die Oberamtsbezirke Nagold, Ealw, Freudenstadt und Neuenbürg

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«ummer 172 I Alteusteig, Freitag, den 27. Zuli 1934 !S7. Jahr,««,

Nie Wim« Revolte nieöersesibliigrn

SeuMland völlig unbeteiligt - Die Trauer um Dollfuß Starbemberg übernimmt die Negierung

Standrecht in Wien und Steiermark Mffenverboftungen

von WM zum Evndllgeiandten SeMWMs M Wien berufen

Berlin, 27. Zuli. (Telegramm.) Der Führer hat Vizekanzler v. Papen unter Ausscheiden aus dem Reichs­kabinett und Entbindung vom Amt des Saarkommissars znm Sondergesandten Deutschlands für Wien berufen.

Zn dieser Eigenschaft untersteht v. Papen dem Führer persönlich.

Ein Schreiben des Führers an den Vizekanzler

Reichskanzler Adolf Hitler hat an Vizekanzler v. Papen nachstehendes Schreiben gerichtet:

Bayreuth, 26. 7. 34.

Sehr verehrter Herr von Papen!

Zn Verfolg der Ereignisse in Wien habe ich mich ge­zwungen gesehen, dem Herrn Reichspräsidenten die Ent­hebung des deutschen Gesandten in Wien Dr. Rieth von seinem Posten vorzuschlagen, weil er auf Aufforderung österreichischer Bundesminister bezw. der österreichischen Aufständischen sich bereit finden ließ, einer zwischen diesen beiden getroffenen Abmachung bezüglich freien Geleites und Abzug der Aufständischen nach Deutschland ohne Rück­frage bei der deutschen Reichsregierung seine Zustimmung zu geben. Der Gesandte hat damit ohne jeden Grund das Deutsche Reich in eine interne österreichische Angelegenheit hineingezogen.

Das Attentat gegen den österreichischen Bundeskanzler, pas von der deutschen Reichsregiernng auf das schärfste verurteilt und bedauert wird, hat die au sich schon labile politische Lage Europas ohne unsere Schuld noch weiter ver­schärft. Es ist daher mein Wunsch, wenn möglich zu einer Entspannung der Gesamtlage Leizutrage-n und insbesondere das seit langem getrübte Verhältnis zu dem deutsch-öster­reichischen Staat wieder in normale und freundschaftliche Bahnen geleitet zu sehen.

Aus diesem Grunde richte ich die Bitte an Sie, sehr ver­ehrter Herr v. Papen, sich dieser wichtigen Aufgabe zu unterziehen, gerade weil Sie seit unserer Zusammenarbeit im Kabinett mein vollstes und uneingeschränktes Vertrauen besagen und besitzen.

Ich habe daher dem Herrn Reichspräsidenten vorgeschla­gen, dag Sie unter Ausscheiden aus dem Reichskabinett und Entbindung von dem Amt als Saarkommissar für eine be­fristete Zeit in Sondermifsion auf den Posten des deutschen Gesandten in Wien berufen werden. Zn dieser Stellung werden Sie mir unmittelbar unterstehen.

Zndem ich Ihnen auch heute noch einmal danke für alles, was Sie einst für die Zusammenfllhrnng der Regierung der nationalen Erhebung und seitdem gemeinsam mit uns für Deutschland getan haben, bin ich Zhr sehr ergebener

(gez.s Adolf Hitler.

LMMsvrkteur MW seines Postens enthoben

Berlin, 26. Zuli. Amtlich wird mitgeteilt: Noch in der gestrigen Nacht wurden von der Reichsregierung Unter­suchungen angestellt, ob sich irgend eine deutsche Stelle im Zusammenhang mit den österreichischen Vorgängen eine direkte oder indirekte Beteiligung hat zuschuldenkommen lassen. Die im Laufe des heutigen Tages abgeschlossene eingehende Prüfung und Vernehmung ergab, daß keine deutsche Stelle in irgendeinem Zusammenhang mit den Er­eignissen steht, sowie daß alle nach Bekanntwerden der Vor­gänge erlassenen Anweisungen sofort und restlos durchge­führt wurden. Insbesondere erfolgte, um jedes uner­wünschte Ueberschreiten der Grenze zu verhindern, eine durchgehende Absperrung sämtlicher Straßen nach Oester­reich, während andererseits den Insassen der Anhaltelager der österreichischen Flüchtlinge und Emigranten jedes Ver­lassen der Unterkünfte untersagt wurde. Es ist daher weder vor- noch nachher eine Grenziiberschreitung von auch nur einer Person vorgekommen, die in Verbindung mit diesen Ereignissen gebracht werden könnte.

Bei schärfster Ueberprüfung gelang es, nur einen ein­zigen Fall festzustellen, bei dem durch eine nicht gründlich genug erscheinende Kontrolle von Meldungen, die aus Oesterreich kamen und weiterverbreitet wurden, ein viel­leicht gegenteiliger Eindruck hätte erweckt werden können. Der für die über den Münchener Sender gegangenen Mel­dungen verantwortliche Landesinspekteur Habicht wurde daraufhin heute vormittag 1v Uhr seines Postens als Landesinspekteur enthoben und zur Dis­position gestellt.

Die Vorgänge im Bundeskanzleramt

Wien, 26. Zuli. Ueber die Vorgänge in Wien am Mittwoch ergibt sich aus den amtlichen österreichischen Meldungen folgen­des Bild:

Um 11 Uhr vormittags trat im Bundeskanzleramt «in M! nisterrat zusammen, währenddessen dem Minister Fey von einigen Heimwehrleuten mitgeteilt wurde, daß sich in der Siebensterngasse Leute in Uniformen von Wachbeamten und Heeresangehörigen jammelten, die angeblich eine Aktion oorhätten. Fey unterrichtete sofort den Bundeskanzler Dollfuß, der den Ministerrat unterbrach, um die notwendi­gen Erhebungen anzustellen. Der Bundeskanzler berief Minister Fey, den Staatssekretär für die Landesverteidigung und den Staatssekretär für das Sicherheitswesen in seine Kanzlei zu einer Beratung. Der Staatssekretär für die Landesverteidigung wurde beauftragt, im Landesverteidigungsministerium die nöti­gen Vorbereitungen zu treffen, während sich Staatssekretär Karwiiisky mit dem Polizeipräsidium in Verbindung setzte, um ebenfalls Maßnahmen zu treffen und festzustellen, was an de» Mitteilungen richtig sei. Minister Fey veranlaßte die Alar­mierung des Heimat schutzes. Während noch beraten wurde, erschienen plötzlich einige Automobile mit bewafsuete» uniformierten Leuten im Hof des Bundeskanzleramtes. Sie drangen sofort in alle Räume des Hauses ein, überwältigte« die Wache und schlossen die im Bundeskanzleramt befindliche» Regierungsmitglieder und Beamten in ihren Kanzleien ei«. Unter den Eingeschlossenen besanden sich Bundeskanzler Dollfuß. Minister Fey und Staatssekretär Karwinsky. Einer der Ein­dringlinge gab auf den Bundeskanzler zwei Revolverjchüsse ab. Sie diesen tödlich verletzten. Ein sofortiges energisches Vorgehen gegen das Bundeskanzleramt, wie es gegen das gleichfalls von Uniformierten besetzte Gebäuöe der Ravag ftattgefunöen hatte, war nicht möglich, weil die Eingedrungenen zahlreiche Personen festgenommen hatten. Es wurden daher Verhandlungen aus­genommen. die aber zunächst zu keinem Ergebnis führten. Schließlich wurde gegen 18 llhr den Eindringlingen vom Mi­nister Neustädter-Stürmer im Auftrag der Bundesregierung, die mittlerweile vom Bundespräsidenten telephonische Vollmachten erhalten hatte, mitgeteilt, daß sie bis 19.30 llhr das Bundes- kanzleramr zu räumen hätten. Gleichzeitig wurden starke mili­tärische Kräfte bereitgestellt, um nach Ablauf des Ultimatum» mit Waffengewalt einzugretsen. Den Eindringlingen wurde freies Geleit zur Ausreise aus Oesterreich in Aussicht gestellt, falls von den im Bundesamt Festgenommenen niemand ums Leben gekommen sei. Daraushin ergab sich die Besatzung des Bundeskanzleramts gegen 20 Uhr.

Bundeskanzler Dr. Dollfuß war vor der llebergabe seinen schweren Verletzungen erlegen.

Die Führung des Kabinetts hat bis zum Eintreffen des Vize­kanzlers Starhemüerg aus Venedig der Minister Schuschnigg übernommen.

Bei den Personen, die den Anschlag auf Las Bundeskanzleramt und das Gebäude der Ravag unternahmen, handelt es sich an­scheinend meist »m ehemalige Angehörige des Bundesheeres, die wegen politischer Betätigung aus dem Heere entlasse« morden find.

In Steiermark versuchten zahlreiche Personen die Gebäude von zwei Bezirkshauptmaunschaften zu besetzen. Sie wurden jedoch abgewiesen und zum Teil gefangen genommen. Zn Innsbruck wurde, wie bereits gemeldet, ein Polizeioffizier erschosseen. I» Len übrigen Gebieten Oesterreichs ist es zu Zwischenfällen an­scheinend nicht gekommen. ^

Wiener Stimmungsbild vom Donnerstag

Wien, 26. Juli. Das Straßendild weist noch immer ein außer­ordentliches Gepräge auf. Schon um Mitternacht war die ganze Stadt, sowohl die inneren Bezirke als auch die äußeren, von zahllosen Hei mwehrposten besetzt. Polizei und Bundes- beer sah man nur sehr wenig. Auch am Donnerstag beherrschen die Heimwehren und die Schutzkorpsabteilungen das Straßen- bild. Das Regierungsviertel ist durch Polizei im Stahlhelm von allen Seiten abgeschlossen. Alle öffentlichen Gebäude haben Trauerfahnen angelegt. Bei der Polizeidirektion herrscht leb­hafter Betrieb; ununterbrochen sieht man die grünen Wagen, die zur Beförderung von Verhafteten bestimmt sind, an- und abfahren Der Kardinalerzbischof von Wien. Dr Jnnitzer, kün­digte an, daß anläßlich des erschütternden Todes des Bundes­kanzlers Dr. Dollfuß in allen Kirchen der Erzdiözese Wien ei» feierliches längeres Trauergeläut mit allen Glocken stattzufin­den hat. Die Gattin des getöteten Bundeskanzlers traf erst am Donnerstag im Flugzeug in Men aus Italien ein.

Sämtliche Gesandtschaften haben zum Zeichen der Trauer die Fahnen auf Halbmast gesetzt; die deutsche Gesandtschaft hat i» gleicher Weise an der allgemeinen Trauer des diplomatische» Torps teilgenommen Der erste Bürgermeister von Wien. Schmitz, richtet an die Bevölkerung die Aufforderung, zum Zei­chen der Trauer Trauerfahnen zu hissen.

Das Ravaghaus hat durch den Kamps, der um das Ge­bäude tobte, sehr stark gelitten. In den einzelnen Stockwerke» steht man an Türen, Büromöbeln und Mint n die Spure» zahlreicher Geschoßeinschläge. Auch Fensterscheiben und Rahme» sind völlig verschossen.

Starhemberg übernimmt die Leit»»g -er österreichische« Negierung

Wie«. 28. Juli. Amtlich wird mitgeteilt: Vizeka»zler Fürst Starhemberg, der am Donnerstag vormttt« «ach Wien aus Venedig zurückgekehrt ist, begab sich nach feinem Empfang beim Bundespriifident Miklas sofort z«o Tagung des Ministerrats, wo ihm von dem interimistisch mit der Leitnng der Regiernag betrauten Minister De. Schuschnigg der Vorsitz im Ministerrat «nd damit die Lei­tnng der Geschäfte übergeben wurde. Er hat die Führung der Regierung bis z« de« Zeitpaukt übernommen, wo Bundespriifident Niklas de« nenen Bundeskanzler ernennt «nd diesen mit der endgültigen Bildung des Kabinetts be­auftragt.

Das Kabinett hat über die Beisetznngsseierlichkeiten des ermordeten Bundeskanzler» beraten, dem ein Staatsbe­gräbnis bereitet wird.

Beisetzung des Bundeskanzlers bereits am Samstag

Wien, 28. Zuli. Die Beisetzung des Bundeskanzler» Dr. Dollfuß wird, wie amtlich mitgeteilt wird, bereits am Samstag um 16 Uhr stattfinden.

Aufbahrung des Bundeskanzlers im Rathaus

Wie», 26. Juli. Die Leiche des Bundeskanzlers Dollfuß, die noch in seinem Arbeitszimmer im Bundeskanzleramt aufgebahrt ist, wird Freitag in die Volkshalle des Rathauses überführt, w» der Bevölkerung Gelegenheit geboten wird, an der aufgebahrren Leiche vorbeizuziehen.

Ministerrat beschließt Einführung eines Militärgerichts-

Hofes

Wien, 26. Zuli In dem Ministerrat, bei dem Unterrichts- Minister Schuschnigg den Vorsitz an den Vizekanzler Starhem­berg übergab, ist ein Gesetz über die Einführung eines Militav- gerichtshofes beschlossen worden, der als Ausnahmegerichtshos für die Aburteilung der mit dem Umsturzversuch vom 25. Zull im Zusammenhang stehenden strafbaren Handlungen zuständig erklärt worden ist. Der Militärgerichtshof tritt an die Stelle de» Standgerichte und der ordentlichen bürgerlichen Strafgericht» für alle Handlungen, die mit dem Umsturzversuch in Zusammen­hang stehen.

Bor dem Abschluß der polizeilichen Untersuchung gegen die Wiener Aufständischen

Wien, 26. Zuli. Die polizeiliche Untersuchung gegen die am Mittwoch im Bundeskanzleramt verhafteten 159 Aufständischen soll am heutigen Donnerstagabend abge­schlossen werden. Die polizeilichen Erhebungen richten sich zunächst ausschließlich auf die Feststellung, welche Personen unter den Verhafteten als Rädelsführer angesehen werde« können, und welche Personen die Ermordung des Bundes­kanzlers vorgenommen haben. Die weiteren Ermittlungen nach den Ursachen und Zusammenhängen des Aufstande» liegen sodann in den Händen des außerordentlichen Mili­tärgerichtshofes, der voraussichtlich am Freitag zusammen­treten wird.

Ar Gegenaktion

Wien, 26. Juli. Im Laufe der Nacht und des Donnerstag find Verhaftungen von Nationalsozialisten in großem Ausmaß durchgefiihrt worden. Die bei der Entsetzung des Bundeskanzler­amtes festgenommenen Aufständischen in einer Gesamtzahl von 140 bis 150 befinden sich noch unter strenger Bewachung in ei­ner Polizeikaserne. Eine Entscheidung der Regierung, wann das Staudgerichtsversahren gegen die Ausständischen beginnen soll, liegt noch nicht vor. Man erwartet, daß die Regierung eine ein­gehende Untersuchung der Ursachen und Beweggründe des Auf­standes einleiten wird. Die Zahl der Todesopfer in Wien wird von amtlicher Seite nur mit zwei angegeben, die bei der Er­stürmung der Ravag fiele».

2m Zusammenhang mit der Verhaftung des Gesandten Ri«- telen find auch andere Festnahmen erfolgt. Verhaftet wurden der Präsident der österreichischen Luftverkehrs AE., Wagner, Hemaliger Sekretär des christlich-sozialen Arbeiterbundes i» Graz, ferner Hofrat Böhm, ehemaliger leitender Beamter im Bundeskanzleramt und einer der intimsten Freunde Dr. Rin» telens. Einer von de« beiden Verhafteten soll Selbstmord be­sangen habe«