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Schwarzwälder Sonntagsblatt

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-Mine anfänglichen Bedeuten waren geschwunden.Beinahe wie iw Flugzeug." stellte er befriedigt fest und besah sich behaglich die Gegend. Sehr hübsch! Zum mindesten sehr originell, diese Hochzeitsfahrt..." Fast hatte er seine gute Laune wiedsr- gefunden.

Da plötzlich! Gerade zwischen zwei besonders hohen Masten, über einem tiefen schmalen Taleinschnitt, begann sich die Ge­schwindigkeit merklich zu verlangsamen. Die Drähte zitterten und spannten sich, noch einmal ein leichtes Schaukeln und Schwingen... die kleine Badewanne hielt! Genau mitten über -er Schlucht. Und mit ihr all die anderen, die bisher auf der Gegenseite an Anton oorbeigesaust waren.Hm! Sehr merk­würdig." stellte Anton leicht beunruhigt fest.Vielleicht eine kleine Betriebsstörung. Oder Anhängen eines neuen Kastens/ Anton war mit der Einrichtung einer solchen Bahn nur un­vollkommen vertraut. Er sah flach auf dem Boden der Wanne bequem zurückgelehnt, über sich den großen Drahtbügel, und nu> wem er über den Rand in die grausige Tiefe blickte, wurde ihm etwas ängstlich zu Mute. Er steckte sich also eine Zigarette an stellte das Fehlen von Schlips und Hut fest und tat zunächst das was auch andere Zeitgenossen bei unfreiwilligen Aufenthalten moderner Verkehrsmittel zu tun pflegen: er wartete und schimpfte leise vor sich hin:Bummelei! Wirtschaft!" Häufig sak er nach der Uhr. blieb aber im allgemeinen ruhig.

Er konnte natürlich nicht ahnen, dah Alois Kegelmeier, der wie schon der Name sagt, nicht mit besonderem Scharfsinn aus gcstattet war, denMeister" nur vorübergehend zu vertreten ge­habt hatte, dereben mal einen Augenblick gehen wollte". Und dieser nichtsahnende Meister war kurz nach zwölf Uhr zurück- gekehrt und hatte, da Sonnabends nur bis Mittag gearbeitel wurde, die Drahtseilbahn pflichtgemäh stillgelegt. Alois aber war seines Weges gegangen,ohne sich dabei etwas zu denken" wie er später, zur Rede gestellt, aussagte. Das waren die Vor­gänge hinter den Kulissen, von denen Anton natürlich noch nichts ahnte. Doch allmählich begann er unruhig zu werden Der Uhrzeiger rückte mit Riesenschritten vor. aber die vermale­deite Bahn rührte und regte sich nicht. Die ersten Anzeichen der Verzweiflung stellten sich bei Anton ein. Er raufte sich die Haare. Dann überlegte er, ob er an dem Hängeseil zum nächste,! Masthangeln" sollte und an diesem in die Tiefe... lieber nicht Dann rollte womöglich das Wägelchen los und ihm über di, Finger. Anton stieß einen brüllenden Schrei aus, in höchste, Qual. Das Echo antwortete ihm in Gestalt einer fernen pfeifenden Lokomotive.. Anton schlug in seiner Wanne di; Hände vors Gesicht:Aus! Aus!" schluchzte er ein über da; andere Mal. Dort fuhr der Zug...! Keine Seele war web und breit, e r allein mit seinem Schmerz in schwindelnder, lufti­ger Höhe-

Antons Seelenzustand zu schildern, ist schwer. Er lachte unk weinte abwechselnd, schrie und tobte, rüttelte an den Bord­wänden und schüttelte de» Drahtbügel. Den Kragen hatte ei abgerissen und über Bord geschleudert. Mehrmals war er dran und dran, sich selbst Hinte: gor zu stürzen. Das ging so bis ein» vier Uhr nachmittags. Dann gab er den Kampf aus. Nun wai daheim ja doch alles vorbe:. Vor seinem geistigen Auge er­schienen Standesbeamter. Braut, Kirche. Pastor, Festtafel. Nu, schwer besann sich Anton aus leinen Beruf als Philosoph. Nur hieß es eben warten und das Unvermeidliche mit Würde tragen. Einmal mußte doch die Bahn wieder zu laufen beginnen! Dte Leute können mich doch hier oben nicht einfach verhungern oder vertrocknen lasten." schrie er mit dem gellenden Gelächter eines Wahnsinnigen in den Abend hinaus.

Um sieben Uhr begann es zu regnen, langsam und dauerhaft, wie ein Landregen zu sein pflegt. Ein Glück, daß dieser Regen tam und Anton etwas obkühlte Anton lachte blöde vor sich hin. Die Nacht vertrieb er sich damit, das Master auszuschöpfen: bald gab er es auf.So etwas habe ich mir ja schon lange einmal gewünscht." kreischte er ingrimmig. Der Morgen kam, hell, wärmend und strahlend.Na. nu wird's aber bald Zeit." raste er von neuem los und wippte wie ein Affe in leinem luftigen Käfig hin und her. D»... er gefror fast zu Eis! Beinahe wäre er über die Brüstung gefallen! Gestern war doch Sonnabend gewesen, und heute?! Was soll man weiter berichten? Anton saß auch noch den ganzen Sonntag in seiner Wanne. Wo sollte er auch anders hin? Der Hunger quälte ihn; am Abend bekam er Wahnvorstellungen, und die ganze zweik Nacht bis zum Montag früh sang, schrie, lachte und weinte er durchein­ander. Er fand sein seelisches Gleichgewicht erst wieder, als er im Halbschlaf durch das Rütteln und Quietschen der Drähte ge­weckt wurde

Montag, sechs Uhr dreißig war es. als dieBahn" ihren Betrieb wieder aufnahm! Nach genau 36stllndigemAufent­halt" Einige Minuten später luden an der kleinen Haltestelle einige Arbeiter ein stark angefeuchtetes höchst mangelhaft be­kleidetes menschliches Wesen aus. worin sie ihren Nachbarn aus dem Gebirge nur mit Mühe wieder erkannten. Dadurch blieb auch dem zufällig anwesenden Gendarmen das Einschreiten er­spart. Drei Stunden später war Anton zu Hause. Er fand eine gebrochene Braut und eine weinende Mutter. Natürlich hatte der Dampfer das rechtzeitig an Bord geschaffene Hochzeitsreise­gepäck entführt, da man in der allgemeinen Aufregung vergessen hatte, es zurückzurufen. Die Fahrkarten waren verfallen. Nicht nur dieHochzeitsgesellschaft", sondern auch die halbe Stadt be­fand sich in der größten Aufregung über diefesonderbare" Hochzeit.

Komm," sprach Anton darauf gefaßt zu seiner immer noch schluchzenden Amalia,komm und tröste dich! Wir holen heute alles nach und fahren dann zu mir hinaus. In die Berge!"

Amalia nickte weinend Bejahung.Aber nicht mit der Draht­seilbahn" .. das war der einzige zusammenhängende Satz, den sie Hervorbringen konnte.

Allerlei Wissenswertes

.Mehr als 9 Prozent aller Häuser ,n Schottland haben pur Zimmer, während mehr als 36 Prozent aus nur zwei Ziin- Mern bestehen.

Eine Geburtenstatistik für England und Wales weist nach, "atz in den letzten drei Monaten mehr Knaben als Mädchen geboren wurden, und zwar kamen auf 1666 Mädchen je 16-15 Knaben.

Ein Tapezierer in Aberdeen, der nie mehr als 3 Pfund wö­chentlich oeröleiit hat. ist kürzlich gestorben und hat der Uni­versität Aberdeen 5666 Pfund als Stipenüiensonds für mittel­lose Studenten hinrerlaflen.

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Roosevelt fährt i Urlaub

An Bord des amerikanischen KreuzersHouston", den unser Bild vor den Wolkenkratzern von Newyork zeigt, hat Präsident Roosevelt seine diesjährige Sommerferienreise nach Wcstindien Hawai angetrete,,.

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Von Hermann Ulbrich-Hannibal

Der Ruf des Nordens

Jeder, der im lappländischen Schweden das Polargebiet kennen lernen will, wo Werden und Vergehen der Natur hart aneinander stoßen und das Wunder der Mitternachts­sonne erleben möchte, sieht sich auf die Touristenstation Abisko angewiesen.

Dort saßen wir es ging gen Mitternacht und warteten darauf, daß der Himmel seinen Wolkenschleier zerreißen sollte, um uns die Sonne zu zeigen. An einem Tisch ein deutscher Schmetterlingssammler mit drei Wan­dervögeln, in einer Ecke ein Studienrat aus Berlin mit ! seiner Frau, in einer anderen einige kölnische Mädchen, die allein mutig durch die Welt reisten, weiterhin ein buntes ! Gemisch deutscher Reisender und in einer anderen Ecke ein deutscher Journalist und ich.

Während wir auf das mitternächtliche Wunder warte­ten, sagte plötzlich der Journalist an meinem Tisch humor­voll:Es wäre sehr gut, wenn hier ein Schild angebracht würde: Hier wird auch schwedisch gesprochen." z

Da wurde uns erst allen klar, daß sich hier oben im ! schwedischen Norden nur Deutsche züsainmengefunden hat­ten, um die Mitternachtssonne zu sehen.

Der Ruf des Südens

Bei einer Bergbesteigung in Lappland hatte sich eine Touristin zu mir gesellt, eine Lehrerin aus Oslo. Wir waren, da sie vier Reisen durch Deutschland gemacht hatte, in eine angenehme Unterhaltung gekommen. Ich schwärmte von dem Norden, sie lobte Deutschland, erzählte von Swine­münde, von Berlin, Hamburg, Nürnberg und Rothenburg.

Was hat Ihnen denn", so fragte ich sie,in Deutsch­land am besten gefallen?"

Einen Augenblick Stille, dann kam die Antwort:Das Bier."

Und wenn jetzt statt der Regentropfen", so fuhr sie fort,deutsches Bier vom Himmel käme, dann würde ich immer mit ausgestreckter Zunge gehen."

Alte Erinnerung

In einer norwegischen Stadt war ich vor einem Regen­schauer in einen Hausflur geflüchtet. Es war der Eingang eines Ruhesitzes für alte Seeleute.

Plötzlich stand ein alter Seemann neben mir und fing in englischer Sprache eine Unterhaltung mit mir an.

Woher sind Sie?"Aus Stettin?"Oh", fuhr er fort,ich war oft in Stettin, eine schöne Stadt."

Ich fragte ihn, warum Stettin eine schöne Stadt sei.

Er sah mich mit freudestrahlenden Augen an:Dort kostet eine Flasche Kognak nur zwei Mark" er spuckte feinen Priem ausund hier fünfzehn."

Wer regiert hier?

Das Schiff glitt ruhig durch den Geirangerfjord und er­schloß uns die schönste norwegische Märchenwelt. Ich stand neben dem Kapitän und blickte auf den engen grünen Fjord, in den sich die hohen Berge steil Hinabstürzen.

Es war, wie man so sagt, beängstigend schön. Man konnte denken, das Schiff würde jeden Augenblick irgend­wo auf die Felswand stoßen.

Ich teilte dem Kapitän meine Besorgnis mit.

Ja", sagte er,das geht allen Menschen so, die zum ersten Mat durch den Geirangerfjord fahren. Das ging auch dem Beherrscher einer fremden Großmacht so. Als er zum ersten Mal mit seiner Jacht Lurch diesen Fjord fuhr, dachte er, der Lotse wollte sein Schiff gegen die Fjordwand steuern. Er ging aufgeregt auf den Mann zu, um ihm das j Kommando zu nehmen. Der aber drängte ihn mit seinem ! Arm zurück und sagte gelassen:Majestät, hier regiere ich." s

Lappen ;

In Vardö hatten das Tourschiff vierzehn Lappen be- - stiegen. Der Steuermann erzählte mir, es seien sehr reiche j Männer, die in Vordö bei einer Gerichtsverhandlung gewe- !

fen waren und nun nach ihren einsamen Plätzen Finnmar­ken s zu den Renntierherden zurückfuhren.

Nachdem jeder von ihnen eine Flasche Bier getrunken hatte, war kein weibliches Wesen mehr auf dem Schiff vor ihnen sicher.

Da kam ein Lappe taumelnd auf mich zu:Wo ist der Steuermann?" Mich belustigte der nordische Nomade, und ich führte ihn zum Steuermann.

Steuermann", sagte der Lappe,Branntwein!"

Der Steuermann schüttelte den Kopf.Ausnahme" bat der Lappe.

Nein", sagte der Steuermann,warum?"

Weil wir nur ganz selten auf solchem schönen großen Dampfer fahren", antwortete der Lappe.

Aber der Steuermann war trotz des Schweichelns nicht zu erweichen. Er kannte die Lappen.

Ser oute Kitte

Eine heitere Erinnerung von Richard Vrendel.

In der neueren Erziehungskunst wird stark betont, daß der Lehrer seine Schüler nicht mit totem Wissensstoff über­häufen darf, den sie.in kritiklosem Gehorsam hinzunehmen haben. Er soll sie zu selbstschöpferischen Menschen heran­bilden. Eine Erfindung unserer Tage ist diese Forderung natürlich nicht. Tüchtige Schulmänner haben sie schon im­mer von selbst erfüllt.

Noch heute erinnere ich mich mit großer Freude meines guten alten Klassenlehrers Doktor Peter Pieper. Mit sei­nem köstlichen Humor, ohne den eine Erziehung der Jugend unmöglich ist, verstand er es glänzend, uns Oberprimaner überraschend vor die schwierigsten Aufgaben zu stellen.

Eines Tages lasen wir gerade die große Leichenrede Marc Antons in ShakespearesJulius Caesar" und zer­brachen uns den Kopf über die psychologischen und rhetori­schen Gründe ihrer gewaltigen Wirkung, als Pieper plötz­lich sein Buch schloß und sagte:

So, nun wollen wir einmal die alten Römer beiseite legen. Jeder von Ihnen wird jetzt eine kurze Grabrede auf

mich verfassen. Wir nehmen an, ich sei heute nacht ver­storben, ganz ohne aufregende Nebenumstände schlicht und einfach gestorben. Wer die beste Grabrede zustande bringt, erhält den EhrennamenMarc Anton". Preisrichter ist die Klasse, Stimmenmehrheit entscheidet. Ich lasse 15 Mi­nuten Zeit zur Ueberlegung, dann beginnt der Redekampf in der Reihenfolge des Klassenplatzes."

Verdammt! Als Primus so etwas gab es damals noch mußte ich zuerst daran glauben. Ein krampfhafter Versuch, mich in die erforderliche tiefe Trauerstimmung zu versetzen, fieberhaftes Grübeln, einige Satzbrocken auf ein Blatt Papier geworfen, ein paar beklommene Seufzer, ei« letzter verzweifelter Blick auf meine Taschenubr, dann stand ich aus dem Katheder. Durch kerzengerade Haltung, herausgedrückte Hemdbrust und schmetternden Fanfaren- ! ton versuchte ich, Sicherheit und Gewandtheit vorzutäuschen. Noch immer im Bann der alten Römer, begann ich wie ein Tragödienheld also zu deklamieren:

Nicht wie Alexander der Große von Ser Hand trunkener Untergebener, nicht wie Cäsar unter dem Dolche von Meu­chelmördern, nicht wie Hannibal durch Selbstmord, um der Auslieferung an die Feinde zu entgehen, nicht wie Nero in gerechter Strafe für ein sittenloses und ausschweifendes Leben, nein, wie ein guter Hirte inmitten seiner Schafe, so ist unser hochverehrter Herr Professor heute nacht plötzlich sanft entschlafen. Denn er war unser!"

Tosender Beifall unterbrach den Strom meiner Red«. Ich verschluckte, was ich noch auf dem Herzen hatte, und be­schwor nur noch die drei Richter der Unterwelt, dem Schat­ten des Entseelten gnädig zu sein, klappte rechtwinklich zu­sammen und überließ das Rednerpult dem Nächsten.

Die weiteren rednerischen Ergüsse habe ich natürlich nicht mehr so im Gedächtnis wie mein eigenes Meisterstück. Mit innigem Vergnügen aber entsinne ich mich verschiedener köstlicher Entgleisungen und Zwischenfälle.

Dem langen Dowitz war die tückische Halsbinde bis unter das linke Ohr gerutscht. Mit todernstem Gesicht, verschleier­ter Stimme und mit ausholenden Armbewegungen hielt der also Entstellte eine tief ergreifende Predigt. Die Wir­kung war erschütternd. Kopfschüttelnd schlich Dowitz, der die Ursache der allgemeinen Heiterkeit nicht ahnte, zu seinem ! Platz zurück. j

Der dicke Wackeldey litt an Stimmbruch und erhöhte so

eigentlich auf unlautere Weise die Wirkung seiner Rede, denn jedes Überschlägen seiner Stimme klang wie ein Schluchzen der Ergriffenheit.

Den Vogel aber schoß ein Jüngling ab, dessen Namen ich nicht verraten darf. Er ist heute ein berühmter lyrischer Dichter, mit dem ich mich nicht verfeinden will. Was ein Häkchen werden will, dichtet beizeiten. Also hatte er als einziger der ganzen Klasse seine Grabrede in Verse ge­bracht. Als letzter Wettredner betrat er in ruhiger Würde

ohne Konzept und Aufregung das Pult, strich mit edler Handbewegung die Locke aus der Stirn, versenkte stim­mungsvoll die Hände in die Jackentaschen, blickte weltent­rückt zur Zimmerdecke empor und begann:

So leb' denn wohl"

Du alte« Haus", vollendete Pieper, wehmütig nickend.

Der Dichter schüttelte abwehrend das Haupt und begann von neuem:

So leb' denn wohl, Du treuer Freund und Lehrer!

Du warst uns Führer stets und Wissensmehrer.

Lang war Dein-."

Peinliche Stille. Gern hätte ich geholfen, wenn ich nur eine Ahnung gehabt hätte, was an dem braven Pieper lang gewesen sein sollte. Einen Bart trug er nicht, und als alter Junggeselle war er zwar in Ehren dick, aber nicht lang geworden

Lang war Dein-Erneutes Stocken. Da erhob

der Dichter wie absichtslos den rechten Arm, betrachtete nachdenklich sein Sparröllchen und fand dort glücklich, was er suchte.

Lang war Dein Wirken in der Oberprima,

Ein so verehrter Meister war noch nie da!" j