Aus Stadt und Land.
Calw, 19. den Oktober 1914. Kreuzritter.
Mit dem Eisernen Kreuz sind geschmückt worden:
Oberleutnant Schnitzer, Bataillons-Adjudant im Jnf.-Regt 126. (Er erhielt noch den Zähringer Löwenorden mit Schwertern. Oberleutnant Schnitzer war lange Jahre hier Bezirks-Adjutant.) Georg Eroßhans, Oberhaugstett, Musketier im Jnf.-Regt. 126. Reinhold Straile, Altheng stell, Ulan im Ulanen-Regt. 20
(An unsere Leser.) Die Leitung unseres Blattes übernimmt heute Herr Dr. Wiebach, früherer Lehrer an der Neuen Höheren Handelsschule, nachdem die HH. Dr. Nadig und Dr. Etzel ihre Lehrtätigkeit an der genannten Schule wieder ausgenommen haben. _
(Die landwirtschaftlichen Winterschulen.) Von
den landwirtschastlichenWinterschulen werden, falls genügend Anmeldungen einkommen, voraussichtlich eröffnet werden können diejenigen in Heilbronn am 17. Nov., vormittags 10 Uhr, in Reutlingen am 11. Nov., nachmittags 1 Uhr, in Gmünd am 12. Nov., vormittags 10 Uhr, in Hall am 16. Nov., vormittags 01 Uhr, in Ravensburg am 4. Nov., vormittags 9 Uhr, in Ulm am 4. Nov., vormittags 10 Uhr. Die Eröffnung der Schule in Reutlingen ist nur dann möglich, wenn der dortige Schulvorstand nicht zum Heer einberufen wird. Der Unterricht dauert 4^ bis 5 Monate und wird aus Grund eines für sämtliche Winterschulen einheitlichen Lehrplans in 38 Stunden wöchentlich erteilt. Der gesamte Unterrichtsstoff ist auf zwei Winter verteilt. Neueintretende Schüler müssen das 15. Lebensjahr zurückgelegt haben. Die Anmeldung zur Aufnahme hat spätestens bis zum 31. Oktober ds. Js. zu erfolgen.
Althengstett, 18. Okt. Die hiesigen Soldaten im Feld haben es schon verspürt, daß der Hilfsdienst für sie in unserer Gemeinde gut organisiert ist. Die Strickabende sind stets sehr gut besucht. Jedem hiesigen Ausmarschierten ist schon ein reiches Paket mit warmer Unterkleidung, Hartwurst usw. zugegangen. Auch für das Rote Kreuz und die umliegenden Lazarette sind reichlich Gaben in Geld und Naturalien geflossen. Nun haben noch die bürgerlichen Kollegien beschlossen, zur Verwendung für nützliche Pakete an hiesige Soldaten im Feld 1000 Mark aus der Eemeindekasse zu verwilligen.
(S.E.B.) Hechingen, 17. Okt. (Erdstoß.) Ein überaus heftiger Erdstoß wurde am Mittwoch abend kurz nach 8 Uhr in der ganzen Stadt wahrgenommen; er war einer der stärksten in unserer Gegend.
Vermischtes.
Segen die sinnlose Versendung von Ansichtskarten
an unsere Truppen im Felde wendet sich in der Zeitschrift „Das neue Deutschland" der Straßburger Philosophieprofessor von der Pfordten, da er hierin eine Benachteiligung der wirklich wichtigen und eiligen Feldpostsendungen erblickt. Er gebraucht kräftige, aber wahrlich wohl angebrachte Worte, wenn er dazu schreibt:
„Der Hauptübelstand ist das ganz sinnlose und massenhafte Schmieren von Ansichtskarten aller Art, mit den wertlosesten Notizen darauf, Stammtischgrüßen, gleichgültigen Bemerkungen usw. Gerade das ist die Absicht dieser Zeilen, einmal energisch darauf hinzuweisen, daß alle diese nichtigen, albernen Karten die Bestellung der wichtigen und dringlichen direkt verzögern. Jeder Absender einer solchen Karte ins Feld sollte sich sagen: durch diesen deinen Leichtsinn und deine Dummheit leiden die ernsten und wertvollen Sendungen, einfach nach dem Gesetz der Masse; für jede alberne Karte erhält ein Mann später Nachricht von Frau und Kind, ein Sohn von seinen Eltern, ein Bräutigam von seiner Braut und so fort. Nicht nur negativ ist der Schund zu bedauern, sondern positiv: er ist es, der erschwert und verzögert, und durch die ins Maßlose anschwellende Masse den postalischen Verkehr lähmt und hindert.
Jeder sollte es sich zum Gesetz machen: schreibe nur Wichtiges ins Feld, schmiere nicht gedankenlose Karlen, adressiere und verpacke ordentlich: du beanspruchst mit deinen Nichtigkeiten sonst die Zeit und Arbeitskraft der Angestellten, raubst sie deinem ernsthaften Nächsten und handelst unsozial. Den Unternehmern aber, die zu ihrem Profit die Unmassen von Ansichtspostkarten ins Publikum werfen, vom Kaiser, vom Grasen Häseler usw. über hübsche Mädchenbilder bis Lu albernen und unflätigen Verhöhnungen unserer Feinde — denen gehörte das Handwerk gelegt! Wegen dieses groben Unfugs wartet der Landwehrmann umsonst auf Nachricht Don seinen Lieben und den Tapferen erreicht vor seinem Tod der Gruß der Seinen nicht mehr, der ihm eine letzte Freude auf Erden bereitet hätte! Fort mit dieser Postkartentndustrie m Krtegszeiten: höhere und edlere Interessen stehen auf dem Spiel.
Für die Behörden aber wäre die Einschränkung der Portofreiheit dringend zu erwägen und noch wäre es dazu Mt zu spät. Unsere Soldaten im Feld können keine -marken kaufen; wer aber dummes Zeug ins Feld schreiben
will, der soll es und kann es zahlen. Die Portofreiheit könnte auf die amtlich vorgedruckten und übersichtlichen Karten beschränkt werden, kostet das andere alles Geld, so wird sich mancher eher besinnen, der Post ihre Zeit mit Ge- schmacklosigkeiten und Unfug zu stehlen. Oder man könnte die Postbeamten ermächtigen und beauftragen, alle und jede Ansichtskarte, die ins Feld adressiert ist, wegzuwerfen und nicht zu bestellen, damit Luft und Raum frei wird für das Ernsthafte und Wichtige. Es ist heute wahrlich eine große Zeit für Deutschland: seien wir auch in dieser gar nicht unwichtigen Sache energisch und zielbewußt, daß man sich nicht der Albernheit und des Leichtsinns vieler zu schämen braucht."
Im „feisten Kapaun" zu Bordeaux.
Im schönen Bordeaux, ganz ferne vom Schuß,
Sind Frankreichs Minister zu fchau'n:
Sie widmen sich heiter dem Tasrlgenuß Und schmausen im „feisten Kapaun".
Da lauschen auch Frauen voll Scharm und voll Schick Der Boulevards letztem Bonmot,
Umworben von manchem begehrlichen Blick Im „feisten Kapaun" zu Bordeaux.
Sie sind von den „Siegen" beinah' schon blasiert:
„Der Feind ist gezwungen zu fltehn!
Die Elbe ist längstens von den Briten blockiert,
Die Russen sind bald in Berlin! . . .
Denn endlich besiegen muß Frankreichs Kultur Was deutsch und barbarisch und roh! ... .
Man jubelt und macht bei Champagner die Kur Im „feisten Kapaun" zu Bordeaux.
Doch draußen im Graben der Schützen bei Toul,
Bon grimmigen Gegnern umstellt.
Liegt hungernd und durstend in schlammigem Pfuhl So mancher französische Held.
Und ahnt wohl nimmer, wenn blutend er ruht Todwund auf fauligem Stroh,
Wie seiner Regierung so wohlig zu Mut Im „feisten Kapaun" zu Bordeaux.
Dem ewigen Leichtsinn folgt ewiger Fluch,
Wenn jäh die Vergeltung sich naht;
Der Weltgeschichte wahrhaftiges Buch Verzeichnet die niedrige Tat.
Es fand, so kündet das düstere Blatt,
— Das Schicksal wollte es so —
Die Henkersmahlzeit von Frankreich statt Im „feisten Kapaun" zu Bordeaux!"
Leo Leipziger.
Lesefrüchte aus dem Matin.
vp. Der Zufall bringt uns die Nummer des „Matin", vom 27. Sept. zu, die einige für die französische Stimmung und Gemütsverfassung überaus bezeichnende Auslassungen enthält. An seiner Spitze bringt das Blatt einen Artikel „Son Gott", der die Fortsetzung einer Aufsatzserie über Kaiser Wilhelm den II. bildet und sich mit der Religiosität des Kaisers befaßt. Er darf insofern besonderes Interesse beanspruchen, als seine alles Maß überschreitenden Gehässigkeiten der Feder des früheren Marineministers Camille Pelletan entflossen sind, es heißt darin:
„Interessant ist, daß er (Wilhelm II) zu allem- hin noch Pietist, Frömmler und Mystiker ist. Dieses blutige Ungetüm spricht immer nur vom Himmel. Als er beschlossen hatte, daß alle Schrecken eines Krieges mit einer Wildheit und einer Fülle von Unheil, wie man sie bis zum heutigen Tage nicht gesehen hat, auf die zivilisierte Welt losbrechen sollten, und daß Tausende von Männern einander hinmorden sollten, weil er es so haben wollte, da hat er das Bedürfnis empfunden, mit seinen Verbrechen seinen „Familiengott" in Verbindung zu bringen. In seinem Herzen erneuert er die abscheulichsten Greuel eines Attila. Er hat den Ehrgeiz, selber eine „Geisel Gottes" zu sein. Er fordert seine Haudegen auf, bei ihren schlimmsten Räubereien den Segen des Höchsten her- abzuslehen. Und widerwärtigerweise ist der Gott, den er anruft, nicht die zerstörende Gottheit der So- ythen, irgend ein nach Menschenblut dürstendes Götzenbild, irgend ein Moloch, der darnach lechzt, den scharfen Geruch von verbranntem Fleisch einzuatmen, nein, der Gott des Evangeliums, der gesagt hat: „Liebet einander". Man müßte für diese Religion einen neuen Dekalog haben, dessen Artikel lauten würden: Du sollst töten, Du sollst niederstechen, Du sollst plündern, Du sollst stehlen, Du sollst die Erde mit Blut überschwemmen und Du sollst sie mit Vvand-
trümmern bedecken.Ein sonderbarer Gott, der
Hunderttausendmal mehr Menschenopfer braucht, als die unversöhnlichsten Gottheiten der barbarischen Völkerschaften.
Die Frömmelei ist in der Familie althergebracht. Der Vorsahrer des gegenwärtigen Kaisers, der Begründer der preußischen Macht, den man den „Großen Kurfürsten" nannte, brachte seine Länder mit einer allzu großen Geschicklichkeit wieder in die Höhe, indem er alle seine Verbündeten betrog und keine seiner Verbindlichkeiten einhielt. Bevor er aber eine seiner Freveltaten beging, trat er in einer frommen Andacht in Verbindung mit dem „Gott" des Herrscherhauses, der es nie versäumte, ihm irgend eine selbstsüchtige Gemeinheit zu inspirieren. Um sich den preußischen Gewohnheiten anzupassen, führte Bismarck, dieses Genie der Verschlagenheit und der rücksichtslosesten Gewalt, immer die Vorsehung im Munde. Er behauptete, daß er
immer bloß an den Himmel denke und tat, als lese er während des französischen Feldzugs ohne Unterlaß fromme Andachtsbllchlein.
Aber das ist nichts im Vergleich zu den Handlungen des gegenwärtigen Kaisers. Ihr werdet sehen, daß sein Gott ihm die Zerstörung der Kathedrale von Reims aufgetvagen hat! Dieser Gott, der Kathedralen verbrennt, bildet eine recht eigentümliche Figur in dem Göttertempel aller Zeiten. Offen gesagt, der „Gott Wilhelms des II." ähnelt schrecklich dem Satan. Fa, der Satan selber ist blaß und fast unschuldig angesichts dieser wütenden Schlächtereien und Verwüstungen . Wenn ich gläubig wäre, würde ich
glauben, daß Gott ihn (Wilhelm II) mit einer derartigen Herausforderung und mit einer so gottvergessenen Beleidigung straft. Seine Truppen haben unsere Felder mit Toten besät, ohne daß sie auch nur von ferne die Forts von Paris haben sehen können, und schon hört man das schreckliche Gedröhn der ungeheuren russischen Invasion sich nähern. Sicherlich ist der Satan, der bei Wilhelm II den „Gott" vertritt, nicht der stärkste."
Wir haben nicht nötig, den Kaiser und die deutsche Geschichte gegen diese Zynismen zu verteidigen. Es fällt keinem Deutschen ein, irgendwelche Gewalttätigkeiten mit Gott in Beziehung zu bringen, — vor allem nicht Scheußlichkeiten, wie sie nur von den feindlichen Truppen und Zivilpersonen begangen werden. — Wenn der Kaiser und mit ihm Heer und Volk von Anfang dieses Kriegs fromm und ruhig vor Gott traten, so beweist das — nicht, daß der deutsche Gott „ein Satan" ist —, sondern daß wir ein gutes Gewissen haben. Auch wir können mit dem Senator von Bouches-du-Rhone ruhig abwarten, was sich in diesem Kampf als das Stärkere erweist. Deutschlands moralische und religiöse Kraft oder Frankreichs Frivolität.
Kriegs- und Tagesbilder.
Die Spende der Arbeiterin.
In der Franks. Schulzeitg. schildert Pfarrer Traub folgendes Erlebnis: Ich redete in Düsseldorf. Die Menschen bezahlten ihr Eintrittsgeld zum Zweck der Kriegs- Fürsorge. Da kommt auch eine Arbeiterin und erlegt ihre zwanzig Pfennig wie jeder andere und schon greift der Kassier zu den nächsten Groschen, die eingezahlt werden Da legt sie stillschweigend einen zusammengesalteten Brief- Umschlag aus den Teller und geht lautlos weg, hinein in den Saal. Die etwas unsaubere Hülle hebe ich mir unter meinen Kostbarkeiten auf. Es stand in unbeholfenen Schrist- zügen darauf: „Für unsere Krieger. Eine Arbeiterin." Darin liegen ein Fünfzigmarkschein, zwei Zwanzigmarkschein und fünf Zweimarkstücke, macht zusammen: einhundert Mark. Lies es noch einmal, lieber Freund! Meine Hand zittert, so schwer wiegt das leichte Papier. Einhundert Mark — was mag die Frau davon erwartet und geträumt haben? Sie gab es sicher nicht vom Ueberfluß, sondern sie tat sich weh und gab, was sie hatte. Aber nicht einmal die Höhe der Summe ist das größte. Welche Feinheit liegt in der Art des Opfers! Sie kommt, gibt und geht weg. Niemand kennt sie, keiue Hausnummer verrät ihre Wohnung, keine Aufschrift ihre Herkunft. Das ist Würde. Man wird andächtig und schämt sich seiner Kleingläubigkeit und seines Mißoertrauens. Wie viele sind im Saal, die sich mit dieser Ungenannten vergleichen können? Vielleicht ist es dort die Frau, die du g« nicht beachtet hattest. Vielleicht ist sie schon wieder fort gegangen Die linke Hand hat nicht gewußt, was die rechte tat. Ich freue mich dieses seelischen Anstandes. Ein Volk, das solche Frauen zählt, geht nicht unter.
Feldpostbrief.
Dem Briefe eines jungen Eöppinger Malermeisters aus dem Felde entnimmt die „Göpp. Ztg.":
Cierges, 30. September.
Mir geht es den Umständen nach ordentlich. Wir haben schon seit Mittwoch Waldgefechte, das Schlimmste- was man sich denken kann. Es war Mittwoch früh, als unsere Brigade den Befehl erhielt, gegen die Wälder von Montfancon und Avocoutt vorzugehen. Gleich von vornherein wurden wir von der französischen Artillerie heftig beschossen. Wir, 3. Bataillon, kamen glücklicherweise in einen Abschnitt, den die Beschießung noch streifte; wir wußten aber nicht, was uns aufhalten sollte. Also vor, ausgeschwärmt. Bald knallte es hier und dort: Waldgefecht! Durch Büsche, durch dickes Unterholz. Vorsichtig gingen wir voran. Aufgepflanztes Seitengewehr! Aber bald hieß es Seitengewehr an Ort, weil man sonst einen eigenen Kameraden erstechen konnte. Der erste Wald zu Ende, hinlegen, beobachten, feuern, überall knallts. Hierher 2. Zug! Hier 12. Kompagnie! Heraus aus dem Wald über die Wiese, marsch, marsch. Gegenüber ins Unterholz! Aber Feuer überall! Nicht schießen ihr Hinteren Linien, vorne eigene Truppen! Doch nur stärkeres Feuer. — In Gottes Namen vor. Die Stiefel gefüllt in einem kleinen Bächlein, das uns durch den Abhang notdürftig deckte. Dann auf march, marsch in den Wald. Vergessen ist das schwere Atemholen. Vergessen der schwere Tornister; von Baum zu Baum Deckung. Feuer überall, jetzt Pausen im Feuer. Aha, Franzosen! Vorwärts auf den Weg! Sammeln in Linie! Befehl vom Bataillons-