Nummer 271
Kerb»
Nun werden uns die Lampen wieder wert,
Die stillen Bücher und der warme Herd.
Dahin des Sommers gold'ner Ueberschwang.
Die Nacht wird mächtig, fragend, prüfend-Icmg.
Des Lebens Wunderweise schweiget nie.
Nur leiser wurde ihre Melodie.
Wohl dir, o Seele, wenn du in dir hast Das große, sanfte Licht, das nie verblaßt.
Anna Enders-Dix
Seele und Sott!
Von Geh. Regierungsrat vi. R. H. Erützmacher, Professor an der Universität Berlin
Wenn dem schles. Dichter Stehr zu seinem 70. Geburtstag weiteste Kreise des deutschen Volkes huldigttn, so galt >a- män nur der Urgewalt seiner eigenwillig ichöpferijaeu Sprache und der Fülle packender Gestalten in einer Vielzahl von Romanen und Novellen. Der tiefste Grund von Stehrs Schätzung liegt in der Tatsache, dag sem Schassen dem innersten Anliegen jedes Menschen gilt, der Verbindung seiner Seele mit Gott.
zwei Romanen empfängt seine Lebensanschauung ihre Krönung in dem wiederkehrenden Satze „So tief ist das göttliche Wesen, das wir in uns Seele, außer uns Gott nennen". Stehr weiß, daß er mit diesen Gedanken an große Vorfahren in der Eeistesgeschichte der Menschheit anknüpft. Er beruft sich auf außereuropäische Meister wie Buddha und Laotse. Vor allen Dingen aber knüpft er an Jesus und noch stärker an den deutschen Mystiker Eckehart an, „den tiefsten Christen aller Zeiten". Als Schlesier weiß er sich mit dem Dichter Angelus Silesius und dem Schuhmacher Jakob Böhme verbunden. So macht Stehr in der Gegenwart die Mystik, die Gott und die Seele verbindet von neuem lebendig. Er tut es in bildhafter, eindrucksvoller Gestaltung.
Die tragenden Figuren in Stehrs größtem und verbreitetstem Roman „Ter Heiligenhof", einer der tiefsten religiösen Schöpfungen aller Zeiten, haben nur ein Ziel: sich mit Gott zu verbinden. Ein blindgeborenes Kind besitzt schon von Natur die mystische Gottverbundenheit der Seele und schaut darum klar das Ewige. Der Vater sagt: „Dieses mein Kind war nicht blind, es war auf eine andere, geheimnisvolle Art sehend als die gewöhnlichen Menschen. Wir schauen mit Hilfe der Dinge in die Welt; in diesen Augen schimmerte klar das Licht, das wir anderen mühsam und dunkel ahnen." Aus solcher Gottesverbundenheit einer Seele erwächst ein heiliges Leben. Lenlein ist von unbeschreiblicher Zartheit und Reinheit, erkennt und verabscheut instinktiv alles Gemeine. Diese Heiligkeit entfremdet jedoch nicht der Welt und den Menschen. Das blinde Kind genießt vielmehr auf seine Weise alle Gaben der Erde, sonderlich der Natur, und ist allen Menschen innerlich verbunden. Auch als das Mädchen später sehend wird, die Welt schaut und genießt, verliert es nicht die geheimnisvolle Verknüpfung Mit Gott: „Allein in dem Feuerkochen des erwachten Welthungers verlor Lenlein niemals ganz die Verbindung mit dem schattenlosen Licht ihrer verklärten heiligen Zeit. Wenn sie an der neuen Süße der Erde atemlos selig geschwärmt hatte, geschah es immer, daß sie die Lider über die Augen fallen ließ, als müßte sie in der Mutterstube ihres alten jenseitigen Traumschauens auf
Altensteig, Dienstag, den 2V. November 1934
Augenblicke zurücksinken, nur weil in der lautlosen Seelenstille das zu verstehen sei, was sie in der Sonnenglut entzückte." Freilich als später in der Gestalt eines Nachbarsohnes das Irdische in voller Seelenlosigkeit und Gemeinheit auf sie eindringt, zerbricht sie ihr leibliches Leben, um ihre Seele zu retten, die fortan — im Symbol einer Glocke — einen noch viel reineren und göttlicheren Klang ertönen läßt.
Nicht so leicht von Natur wie der Tochter wird dem Vater, dem Sintlinger Bauern, die Verbindung seiner Seele mit Gott. In ihm ist viel stärker das gegensätzliche Grundwesen des Menschen ausgeprägt: „Wird der Mensch geboren, so fängt im selben Augenblick ein Zweigeläut an. Eine Glocke läutet unten, eine oben; eine gleichsam auf der Erde, eine — wie die Leute sagen — im Himmel. Dieses doppelte Geläut hört nicht auf, so lange wir leben. Und je nachdem der Mensch mehr die Glocke von droben oder von drunten hört, ist er gut oder böse geht es bergauf oder bergab."
Der derbe und tätige Bauer im Münsterer Lande arbeitet an der Verinnerlichung und Vergöttlichung seiner Seele. „Da sollte man in seiner Seele verfahren wie jemand, der in seinem Hause einen Raum sucht, wo er am ungestörtesten ist. Alles kann die Seele ertragen, nur keinen Lärm. Sie ist still und geheimnisvoll wie das Lautlose, aus dem der Getreidehalm wächst und der Klee blüht." Der Sintlinger wird ganz zum Mystiker. Aber seine Entwicklung hat einen Fehler, sie vollzieht sich in vollkommener Abhängigkeit von seiner Tochter; er ist kein selbständiger Seelen- und Gottsucher. Darum kommt es bei ihm zu einem Zusammenbruch: „Solange das Lenlein blind war, sah ich. Nun mein Kind das äußere Gesicht erlangt hat, bin ich im Geist erblindet." Als Lenlein stirbt, löst sich die Verbundenheit seiner Seele mit Gott vollständig. Zuletzt kommt ihm die Klärung in der geheimnisvollen Gestalt eines Mannes namens Faber, der durch die verschiedensten Romane Stehrs geistert. Dieser Faber erklärt den Bauern: „Der göttliche Geist verlangt, daß der Mensch sich nur von ihm leiten läßt."
Echte Mystik, sonderlich die des deutschen Eckehart, schließt jede Vermittlung und Hilfe aus und verweist die menschliche Seele ganz auf ihre persönliche Verbindung, auf den unmittelbaren Verkehr mit Gott. „Selbst die reinste Liebe ist ein Jrrbild, wenn sie dich nicht ganz auf den Pfaden deines Geistes führt, und zu allerletzt im Tiefsten darf kein Mensch jemand anders angehören als nur Gott." Es ist die Grundwahrheit deutscher Mystik, was Hermann Stehr verkündet. Er darf gerade als Siebzigjähriger in der Gegenwart aus williges Gehör in deutschen Landen hoffen.
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5 7. Iahrgan,
Schüsse Hallen am Sinai
Von Kurt Ellern
Eine der eigenartigsten Kultstätten des Christentums ist das uralte Kloster am Sinai, wo der Ueberlieferung nach die Ursprungsstätte der Zehn Gebote ist. Fern, welteniern von allem Getriebe der Erde, in eine starre, seit Jahrhunderten unverändert gebliebene Form gepreßt, leben dort Mönche. Während Krieg und Frieden, Glück und Leid in stetem Wechsel über die Erde gehen, steht das Sinai-Kloster unberührt von alledem. Es hat die Welt vergessen, wie die Welt es gleichermaßen vergaß.
Die Sorgen der Erde und die Freuden der Erde —. beide machen am Rand der Wüste halt, am Rand der grausamen Wüste Sinai; irdische Freuden und Sorgen bleiben jenseits dieses ewigen, bösen Sandes. Gleichmäßig wie ein Uhrwerk läuft Tag für Tag das Leben der Mönche dahin, und keiner dieser Tage hat etwas, wodurch er sich besonders in Sie Erinnerung hasten könnte. Begrifse wie Zeit verloren ihren Sinn-
Eins nur mag in diesem Kloster irdisch erscheinen: Ein geheimnisvoller Trank, den die Mönche nach einem jahrhundertealten Verfahren sich brauen, ein Getränk, von dem sie selber jagen, er sei eine flüssige Flamme zur Stärkung des Lebens. In den Krügen, in denen dies Getränk — Ma- stika heißt es — ausbewahrt wird, schlummert der letzte Rest irdischer Lebensfreude der Mönche am Sinai
Selten — für ein Jahrhundert an den Fingern abzuzählen — findet bewußt oder unbewußt Besuch den Weg zu dieser urchristlichen Stätte. Nur die geistliche Obrigkeit kümmert sich gelegentlich einmal um das Kloster, das zum Amtsbereich des Bischofs von Aegypten und Sudan gehört. Kürzlich hat allerdings sogar der Bischof selber die beschwerliche Reise durch den Elutjand der Wüste Sinai nicht gescheut und persönlich das abgelegenste Stück Christentum der Welt in Augenschein genommen.
Dem Bischof mag es vorgekommen sein wie eine Fahrt aus der modernen Zeit ins Alte Testament, als schließlich die trutzigen, wehrhaften Mauern des Klosters vor ihm auftauchten und der Hornrus des Wächters >ein Nahen den Mönchen verkündete. Flintenschüsse rollten zum Salut die Bergwände des Sinai entlang, und die Glocken dröhnten ihr ehernes Lied über die unendliche Wüste.
Mächtige Tore taten sich aus. Das Mittelalter —. nein, das Altertum öffnete seine Arme, um den East zu einmaligen. Die neue Zeit gab dem Kloster nichts als die Feuerwaffen, deren es oft genug bedurfte, um räuberische Araberhorden von leinen Toren sernzuhalten.
Der ägyptische Bischos hat nach seiner Rückkehr leider geäußert. wie ergriffen er von dem Empfang und von dem Willkommensgruß gewesen ist, der in der letzt geübten Form schon vor fünfzehn Jahrhunderten der Brauch war. Dieses Fleckchen Erde verriet in jeder Kleinigkeit, wie spurlos anderthalb Jahrtausend Weltgeschichte an ihm vorübergegangen sind.
Es ist aber nicht nur >o, daß die Weltgeschichte lenserts des einsamen Klosters blieb, sie hat auch jedes Recht an ihm verloren. Der Bischof sprach mrt den Mönchen über die Wirren, die zur Zeit die Welt erschüttern. Die Gesichter >er- ner Zuhörer blieben teilnahmslos. „Dann wollen wir weiter für die Welt beten, auf daß Gottes Reich sich in ihr ausbreite!" Das war die Antwort, die er erhielt.
Ein paar Schüsse gegen räuberische Araber, ern paar Salutschüsse zu Ehren eines hohen Gastes-. das ist die
ganze Weltgeschichte des Klosters Sinai, wenn man sie au äußeren Ereignissen ablejen will.
Anderthalb Jahrtausende lebt das alte Kloster lenseits Ser Welt in einem Frieden, den es sich selber bestimmt. Ls wird auch kommenden Jahrhunderten Leitlos trotzen.
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2 .
Ernst Oberhof faß an dem großen Schreibtisch seines i Vaters und arbeitete an irgendeiner Zeichnung, die er frei- ! willig für den Kantor machte; denn jetzt waren bereits ! Ferien, und er hätte eigentlich nichts zu tun gehabt. Seine
j Tante, die Schwester feineck' Vaters, die feit dem Tode der
Oberhofbäuerin die Wirtschaft führte, faß am Ofen und hatte eine große weiße Katze auf dem Schoß. Sie vergötterte den Jungen ihres einzigen Bruders, denn sie hatte niemand, dem sie sich anschließen konnte. Vielleicht wollte sie es auch nicht. Jedenfalls lebte sie wunschlos und zufrieden dahin. Sie war nicht verheiratet gewesen. Vielleicht war nur die Krankheit der Schwägerin schuld daran, daß die Tochter des Oberhofes sich nach keine Manne umgesehen, denn es hätte ihr, der vermögenden Bertha Oberhof, nicht an Freiern gefehlt. Aber gleich nachdem der Junge angekommen war, hatte die Schwägerin gekränkelt, und mit den Jahren war es immer schlimmer geworden. Und so hatte es sich ganz von selbst ergeben, daß Bertha Oberhof die Leitung des Haushaltes wieder in ihre bewährten Hände nahm, wie sie es ja schon vor der Heirat des Bruders getan hatte. Die Ehe des Bruders war trotz de: Krankheit der Frau sehr glücklich gewesen. Aber der robuste Oberhofbauer mußte wohl viel einsargen von dem, was er sich einst erträumt. Seine Schwester hatte nach dem Tode der Frau immer damit gerechnet, daß der Bruder wieder heiraten würde, denn er war doch noch in den besten Jahren. Aber er war Witwer geblieben bis jetzt. Und
gerade heute hatte sie wieder darüber nachgedacht, während sie hier am warmen Kachelofen saß, daß es doch recht seltsam sei, daß gerade sie und der Bruder ohne persönliches Glück wunschlos dahinlebten. Es waren immer nur sehr gute Ehen in der Familie gewesen. Nun machten sie beide eine Ausnahme. Hoffentlich würde es bei Ernst einmal anders sein.
Ernst Oberhof hob plötzlich den Kopf.
„Vater kommt!"
Da ging auch schon die Tür auf, und der Oberhofbauer trat ein, Christa an der Hand.
Ernst und feine Tante blickten sprachlos auf dieses Bild, und über die Stirn des Jungen lief ein roter Streifen. Ein ungeheurer Zorn wallte in ihm empor. Wollte sein Vater dieses Mädel etwa gar hier bei sich aufnehmen? Das wäre nicht auszudenken! Diese fremde Göre? Diese — Gemeindelast? Fritz Keller hatte es heute zu ihm gesagt, daß, nachdem die Frau Wellin gestorben sei, nun ihre Tochter der Gemeinde zur Last falle.
Und jetzt sollte sie gerade hier Aufnahme finden?
Nein! Nein! Es würde gewiß anders fein. Der Vater mochte das Mädel zunächst hierhorgebracht haben, weil man noch nicht wußte, wo man es unterbringen sollte. Aber dann hätte man es doch bei der alten Mühlerten lassen können?
Blitzschnell kreuzten die Gedanken hinter der Stirn des schönen, großen Jungen, während er mit feindlicher Abwehr auf die Kleine blickte.
„Guten Abend! Na, da wäre ich, und ich bringe einen kleinen Gast mit. Nein, eigentlich keinen Gast. Christa bleibt ja für immer bei uns. Und sie soll es gut haben bei uns."
Der Oberhosbauer sah wohl, welch einen Sturm diese Erklärung im Innern seines Sohnes hervorrief, aber er tat, als merke er es nicht. Denn es war noch nie Mode gewesen auf dem Oberhof, daß sich Söhne oder Töchtre gegen den Willen des Vaters auflehnen durften. In verbissener Wut schwieg Ernst Oberhof also still. Aber Christa
sah furchtsam auf ihn und griff dabei wieder nach der Hand des Bauern.
Bertha Oberhof warf einen Blick auf ihren Neffen, dann stand sie langsam auf und trat auf ihren Bruder zu.
„Andreas, ist das alles schon ganz festgemacht?"
Die Stimme des Bauern klang grollend..
„Ja! Ich stoße nichts um, was ich mal für gut befunden habe. Und ich will, daß ihr alle recht freundlich zu dem Kinde seid."
Bertha Oberhof nickte dem Bruder zu.
„Gewiß, Andreas, es soll schon rote Backen bekommen hier auf dem Oberhof."
Es schien, als wolle er hierauf etwas entgegnen, dann unterließ er es aber und wandte sich zur Tür.
„Wir können gleich essen, Andreas. Ernst und ich haben auf dich gewartet", sagte seine Schwester noch hinter ihm her.
Er nickte zurück.
„Das ist sehr nett von euch. Ihr sollt aber nicht warten. Na, nun mache nur alles zurecht. Christa ißt mit uns. Und für diese Nacht kann sie wohl in deinem Zimmer auf dem Sofa schlafen? Morgen bekommt sie dann das Stübchen neben dir eingerichtet."
„Gewiß, Andreas!"
Der Oberhofbauer schloß die Tür und Christa stand und blickte in Bertha Oberhofs Gesicht. Die hob die Hand und strich über das Goldhaar, aber da begegnete sie einem so finsteren Blick ihres Neffen, daß ste verlegen die Hand sinken ließ.
„Komm, Christa, setz dich einstweilen hier an den warmen Ofen! Ich mutz mich jetzt um unser Abendbrot kümmern."
Bertha Oberhof schickte zu dem Neffen einen bittenden Blick hinüber. Er hatte gerade trotzig hinausgehen wollen.
Fortsetzung umstehend.