»7. Zahrg««-

Altensteig, Mittwoch, den 25. April 1834

Nummer 95

FranzMAe MtenakrobM

Von Kapitän zur See a. D. v. Waldeyer-Hartz.

Wir wissen, datz gerade durch das Diktat von Versailles, das der Welt den Völkerbund bescherte und damit den Pa­zifismus krönte, die Ruhe auf Erden zertrümmert und das Rüstungsfieber zu nie geahnter Hitze gesteigert wurde. Wer trägt die Schuld daran? Die Antwort läßt sich leicht finden: Frankreich ist der Störenfried! Es will Europa unter seiner Fuchtel halten, es strebt in Afrika und Asien die Entfal­tung eines Weltreiches an, es will der Staat sein, an dessen Rüstungsstärke nichts heranreicht. Es redet doch immer von Abrüstung, laut und lärmend, wie es nun einmal gallischer Art entspricht. Wie reimt sich das zusammen? Auch hier ergibt sich die Antwort von selbst: Frankreich jongliert mit Zahlen, die niemand ernst nehmen darf.

Jenseits der Vogesen brüstet man sich, 1923 habe man die Dienstzeit von drei Jahren auf 18 Monate und 1928 sogar auf ein Jahr herabgesetzt. Die Nachteile, die hierdurch ent­standen, hat man wohlweislich dadurch ausgeglichen, datz man die Jugend vom 6. Lebensjahre ab einer scharfen mili­tärischen Ausbildung unterzog: datz man alle Wehrmachts­angehörigen rein militärisch verwandte und den gesamten Schreib- und Wirtschaftsbetrieb etwa 50 OM Angestellten übertrug: datz man das Ausbildungspersonal, sowie das langdienende Personal stark vermehrte 43 v. H. dienen über die gesetzliche Dienstpflicht hinaus, und datz man den Reservisten durch Erhöhung der Uebungsquote und durch Verlängerung der Uebungsdauer, sowie durch beson­dere Lehrgänge für Reserveoffiziere und Reserveunteroffi­ziere eine viel engere Verbindung mit der stehenden Wehr­macht vermittelte, als dieses früher der Fall war. Vor al­lem ist eines aber nicht zu übersehen: für die lleberseetrup- pen, für die farbigen Franzosen, ist keine Verkürzung der Dienstzeit eingetreten. Sie machen den Kerntrupp des fran­zösischen Heeres aus eine Schande für die Kulturwelt der Weitzen und dienen nach wie vor drei Jahre?

Frankreich brüstet sich des weiteren, es habe seine Heeres­stärke gegen 1914 um 55 v. H. und gegen 1921 um 42 v. H. heradgesetzt. Auch diese Behauptung steht auf tönernen Füßen. Die Armee von 1914 war bereits im Rahmen der Entente cordiale gegenüber der Heeresstärke von 1912 um 130 000 Mann, mithin um 20 v. H., erhöht worden. 1921 stand neben der Heimatarmee ein auf Kriegsfutz lebendes Heer von 150 000 Mann als Befatzungstruppe im Rhein­land. Ein Vergleich der Heeresstärke von heute mit der von 1914 und 1921 ist demnach mehr als gewagt. Tatsache ist, datz die Kopfzahl der gesamten französischen Armee (Mut­terland und Kolonien) gegen 1912 nur um 20 000 Mann verringert worden ist. Und diese kaum ins Gewicht fallende Verminderung ist in ihrer Geringfügigkeit um so erstaunli­cher, als ja die Dienstzeit von 3 Jahren auf ein Jahr ver­ringert wurde! Den nicht ohne weiteres zu erklärenden, tatsächlich aber bestehenden Ausgleich hat man geschaffen einmal durch Vergrößerung des Kontingents von farbigen Franzosen, zum anderen durch eine starke Vermehrung des langdienenden Personals. Wenn man dann noch hinzurech net, datz die Zahl der ausgebildeten Reserven infolge der kürzeren Dienstzeit nicht vermindert, sondern sehr wesentlich gesteigert worden ist, so wird es klar, datz die zahlenmäßige Wehrkraft Frankreichs gegen 1914 keine Abschwächüng, son­dern eine Verstärkung erfahren hat. Trotz allem jonglier!

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man mit gläsernen Zahlen die Tatsache der Ausrüstung ist aber nicht aus der Welt zu schaffen!

Frankreich verfügt heute über 320 000 Mann aktive Trup­pen, 25 000 aktive Luftstreitkräfte und 22 500 aktive Offi­ziere, zusammen 369 500 Mann. Hinzu kommen 150 000 Mann sofort verfügbarer nordafrikanischer Truppen und 42 500 Eendarmerietruppen, zusammen 192 500 Mann. Im entfernten Ueberseegebiet stehen 100 000 aktive Soldaten und 25 000 Mann Eendarmerietruppen, zusammen 125 OM Mann.

Im Kriege stehen außerdem dank vorzüglich ausgebauter Mobilmachungsvorkehrungen sofort zur Verfügung 190 000 Reserveoffiziere und 5 000 000 Mann ausgebildeter Reser­ven, insgesamt 5 190 000 Mann.

Von diesen Reservetruppen können ohne Parlamentsbe­fragung sämtliche Reserveoffiziere und 700 000 Mann jeder­zeit ohne Inanspruchnahme der Mobilmachung zu den Fah­nen einberufen werden (Gesetz über dieDisponibilität").

Frankreich brüstet sich schließlich damit, es habe seine Hse- resausgaben seit 1932 um 10 v. H. herabgesetzt. Diesem aus innerpolitischen Gründen und als Propaganda wäh­rend der Abrüstungskonferenz vorgenommenen Abstrich von 9,3 o. H. steht gegenüber, datz Frankreich, dessen Wehraus- gaben 1933 die Höhe von 17 Milliarden Franken oder 2,8 Milliarden Reichsmark erreichten, seit 1925, also in den letz, ten acht Jahren, seinen offiziellen Heeresyaushalt um mehr als 100 v. H. erhöht hat?

Und nun noch ein Wort zur materiellen Abrüstung. Hier hat Frankreich nichts das geringste getan. Im Gegenteil, die Neuorganifa'ion der Wehrmacht hat allen Waffen, zu Lande und in der Luft, eine sehr wesentliche Verbesserung und eine starke Vermehrung des Materials beschert: ins­besondere an Flugzeugen, Kampfwagen, schwerer Artillerie und Motorisierung. Den Gipfelpunkt aller Rüstungsmatz­nahmen stellen jedoch die Befestigungen an der Ostgrenze dar, die in einem Ausmaße nie gekannter Art und mit un­geheurem Kostenaufwand angelegt worden find: derart dicht an der Grenze, datz sie Fronvogten gleich in wüster Drohung H:e Fäuste wider deutsches Land recken.

Drr Schrecken der Münchner Me-Diklatur

Erinnerungen an die Zeit vor fünfzehn Jahren

Der völlige Umschwung der staatlichen Machtverhältnifse in Deutschland, vor allem das Verschwinden der Kommuni­sten aus der Öffentlichkeit, läßt es uns gerade in diese» Tagen der Erinnerung an die Räte-Diktatur in München vor fünfzehn Jahren beinahe unfaßbar erscheinen, datz einst dieser blutige Wahnsinn der Diktatur des Proletariats auch bei uns getobt hat. Freilich darf man nicht vergessen, datz damals, als ganz Deutschland noch völlig unter dem Eindruck des verlorenen Krieges stand, man sich erst wie­der auf sich selbst besinnen mutzte, denn sonst wären all die Geschehnisse, die sich einst in München ereigneten, weder möglich noch denkbar gewesen.

Nach der Abdankung der Dynastie der Wittelsbacher setzte sich die neue bayerische Regierung unter dem Ministerpräsi­denten Eisner aus Sozialdemokraten und unabhängigen Sozialdemokraten zusammen. Die Landtagswahlen am 12. Januar 1919 ergaben jedoch eine starke bürgerliche Mehr­heit, die Bayerische Volkspartei war überhaupt die stärkste Partei im Landtag. Eisner, der mit dem russischen Rate- System liebäugelte, wollte im Grunde seines Herzens nicht die Folgerungen aus tem Volksentscheid ziehen. Er ver­zögerte die von den bürgerlichen Parteien verlangte Ambil­dung. Seine Ermordung am 21. Februar durch den Grafe» Arco-Valley machte aber dann die Bahn frei zu verfas­sungsmäßigen Zuständen, sodatz zunächst ein parlamentari­sches Ministerium unter dem Mehrheitssozialisten Hoff- mann am 17. März zustandekam. Regierung und Landtag konnten sich jedoch in dem von Arbeiter-, Soldaten- und Bauern-Räten unterwühlten München nicht halten. Am 7. April verlegte das Ministerium Hoffmann den Sitz der Regierung nach Vamberg.

Nun gab es in München kein Halten mehr. Am gleiche» Tage wurde dis Räterepublik durch die Arbeiter-Räte ausgerufen und ein Rat der vorläufigen Volksbeauf- tragten aus Angehörigen der unabhängigen Sozialdemo­kraten und des bayerischen Bauernbundes gebildet, dem «. a. auch Gustav Landauer und Sylvio Gesell angehörten. Die neue Räteherrlichkeit dauerte jedoch nur drei Tage, denn bereits am 10. April rissen die Kommunisten das Heft an sich. Neben den Deutschen Levien, Mühsam und Ernst Toller waren auch einige Russen wie Axelrod und Leviue- Niessen daran beteiligt. Nach russischem Muster organisier­ten die neuen Machthaber zunächst eine Rote Armee, holte» sich aus der Münchener Bürgerschaft Geiseln,sozialisier­ten" die Banken und den Hausbesitz und taten alles, was den Abscheu und heimlichen Widerstand der Bevölkerung verstärkte. Die Regierung Hoffmann in Bamberg wandte sich an das Reich, das sich zwar auch in Schwierigkeiten be­fand, aber Loch einige preußische, württembergische und bayerische Freikorps gegen München in Bewegung setzte, das dann am 1. und 2. Mai 1919 von seinen roten Peiniger« befreit wurde.

Die furchtbare Schandtat der Räte-Republik München war die Ermordung der Geiseln im Keller des Luitpold- Gymnasiums. Die Namen der Opfer waren. Gräfin Helga v. Westarp, Prinz v. Thurn und Taxis, Baron v. Teuckert, Obersekretär Daumenlang, Gefreiter Linnenburg, Ser Hu­sar Hindorj, die Münchener Künstler: Prof. Ernst Berger.

<43. Fortsetzung.«

Ja, setzen Sie sich nur fest hin, verehrter Freund und Rechtsgelehrter," rief die Malerin grimmig.Ein un­geheuerlicher Betrug ist verübt worden und Sie sind das Opfer, trotzdem Sie eine Amts- und Justizperson und ein kluger Mann sind. Und nun hören Sie mir einmal eine halbe Stunde zu, ohne mich zu unterbrechen. Ich werde Ihnen über Frau Staniecki und ihre un- muberen Machenschaften klaren Wein einschenken."

Und Senta Bratt legte los und erzählte.

Je länger sie sprach, um so klarer sah Justizrat Klein.

So ist die Geschichte in Wirklichkeit," schloß Fräulein Bratt ihren Bericht.Die Staniecki hat Ihnen ein Kuckucksei untergeschoben. Auf -er Falksbnrg sitzt warm und behaglich Vera Staniecki, die Tochter aus der zweiten Ehe. Anne aber ist die wahre Freiin von Falke. Eie mögen es mir glauben oder nicht."

Ich glaube Ihnen ja jedes Wort," stöhnte der Justiz­rat.Himmel, ich bin ein kompletter Esel gewesen! Aber jeder andere wäre ebenfalls auf den Schwindel hereingefallen. Ich fand die Frau und das Mädchen allein im Hause. Das Mädchen wird mir als die Tochter Egons vorgestellt. Alle Papiere sind zur Hand. Jeder­mann hätte das Mädchen als Fräulein von Falke an­gesehen. Und doch bin ich ein Narr gewesen."

Na, na," tröstete die Malerin,der Schwindel war eben verflixt raffiniert angelegt.

Das schon, aber ich war doch ein Narr, weil ich Ihre junge Freundin nicht sofort als eine Falke erkannte. Sie hat die Falkeschen Augen und die Stirn. Jetzt weiß ich auch, warum ich mich immer mit der Aehnlichkeit herum­geplagt habe, d,e das Mädchen mit irgendwer» hatte. Ich mutz Nachdenken, was nun geschehen soll."

Senta Bratt legte dem alten Herrn die Hand auf die Schulter.

Jetzt wird erst mal schlafen gegangen und über die ganze Geschichte geschwiegen, Justizrat. Wir werden in den nächsten Tagen Kriegsrat halten. Frau Staniecki ist in Berlin und Ihr Klient kommt auch her."

Er will sein Testament aufsetzen. Natürlich zu­gunsten seiner Enkelin."

Das Vergnügen kann er haben, nur wird es die richtige Enkelin sein. Natürlich wird Vera Staniecki ihrenGroßpapa" zu dieser Aktion nach Berlin be­gleiten. Wir haben die Herrschaften also alle hübsch bei­sammen und können eine nette kleine Bombe platzen lassen."

Wobei ich nicht mit Ruhm bedeckt dastehen werde, liebes Fräulein Bratt!"

Ach was, machen Sie sich doch keine Sorgen! Der Frei­herr wird Ihnen einen Orden umhängen, wenn Sie ihm feine richtige Enkelin zuführen. Denn daß er an Fräu­lein Vera Staniecki viel Freude hat, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen!"

Womit Senta Bratt ins Schwarze getroffen hatte.

11 .

Remus von Falke fühlte sich elend und hinfällig.

Vera machte verzweifelte Anstrengungen, ihn aufzu- heitern. Es gelang ihr nicht. Wenn sie musizierte, bat Falke sie, das Instrument zu schließen. Wenn sie ihm vorlas, hörte er voller Qual eine halbe Stunde zn. Auch das Schachspiel war eingestellt worden.

Remus war froh, wenn er seinerEnkelin" nicht gegenübersitzen brauchte. Immer tiefer wurde seine Ab­neigung gegen das Mädchen.

Vera war oft nahe daran, die Geduld zu verlieren und aus der Rolle zu fallen. Sie beherrschte sich nur mit Mühe. Datz der Freiherr immer mehr dahinschwand, interessierte sie nicht. Mochte der Alte sterben, umso eher würde sie Herrin der Falksbnrg sein.

Der einzige, der sich Sorgen um den Freiherrn machte, war der treue Diener Kraus. Er wollte Grottkau um Rat fragen. Aber Herr von Grottkau kam jetzt selten auf die Falksbnrg. Vor der Berliner Reise gab es noch vitt zu erledigen. Harry Kronheim sollte zwar als

Stellvertreter auf dem Gute bleiben, aber diesem be­gabten jungen Mann mußte mau alles drei- bis vier­malvorkauen", wie sich Grottkau ausdrückte.

Also entwischte Kraus bei der nächstbesten Gelegen­heit in die Stadt und schüttete Dr. Ellrich sein Herz aus.

Der Doktor machte daraufhin einen freundschaftlich maskierten Besuch auf der Falksburg. Er erschrak über das Aussehen des Freiherrn und bestand auf einer so­fortigen gründlichen Untersuchung, die Remus von Falke ohne Widerspruch über sich ergehen ließ.

Ellrich konstatierte, daß der Patient körperlich gesund war, aber es fehlte der Lebenswille.

Na, Doktor," sagte der Freiherr, als ihn Kraus wieder angekleidet hatte,ich sehe es Ihnen an. Sie sind nicht mit mir zufrieden."

Sie sind organisch gesund," erklärte der Arzt.Aber Sie wollen nicht gesund sein."

Das ist eine rätselhafte Diagnose, lieber Ellrich."

Nein, sie ist ganz klar. Es gibt einen Seelenzustand, den wir Aerzte die Flucht in die Krankheit nennen. Daran leiden Sie, Herr von Falke."

Nachdenklich schaute der Freiherr den Arzt an.

Vielleicht haben Sie recht, Doktor."

Ich hatte mir von der Anwesenheit Ihrer Enkelin eine Besserung Ihres Gemütszustandes versprochen."

Ueber Falles Gesicht senkte es sich wie ein undurch­dringlicher Vorhang.

Sie sind zu viel allein, Baron," fuhr der Arzt fort Schaffen Sie sich Zerstreuung, reifen Sie. Machen Sie es wie Grottkau, fahren Sie zum Fest fort."

In diesem Augenblick trat Vera ins Zimmer. Sie hörte die letzten Worte des Doktors.

Fortfahren!" rief sie mit einem leisen Schrei des Entzückens.Großpapa, wollen wir verreisen?"

Der Doktor rät dazu. Würde eine Reise dir Freude machen?"

Nur wenn sie auch dir Freude macht, Großväterchen."

Der Freiherr Hatzte den zärtlichen Ton des Mädchens. Er spürte die Verstellung darin. Reisen! Dann würde er mit seiner Enkelin nicht einsam das Fest begeben müssen. Vor dem Gedanken graute ihm.

Gut, wir werden reisen," sagte er kurz.

tFortfetzung folgt.)