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Altensteig, Montag, den 23. April 1934
^Nummer 93
Streiflichter
Die Reaktion, die die französische Notein England ausgelöst hat, liegt keineswegs in der Richtung einer Unterstützung der französischen Haltung. Zwar die englische Regierung schweigt noch. Lordsiegelbewahrer Eden ist im Unterhaus von dem Abgeordneten Spears erneut nach den deutschen Rüstungsausgaben und darüber befragt worden, ob die Erhöhung des deutschen Wehrhaushalts mit dem Versailler Vertrag in Einklang stehe. Das ist ja gerade der Angelpunkt, der jetzt von Frankreich beliebten Argumentation, und aus einer Antwort Edens hätte sich folgern lassen, wie England sich zu der Pariser Note stellt Eden hat aber nur erwidert, er sei nicht in der Lage, im Augenblick irgendwelche weitere Bemerkungen zu dieser Angelegenheit zu machen. Auch auf weitere Anfragen hat Eden sich nicht aus seiner Reserve herauslocken lassen. Um den Eindruck der französischen Note in England abzuschätzen, ist man vorläufig also auf die Aeußerungen der großen Presse angewiesen. Die Stellungnahme der „Times", die es „wirklich unmöglich" findet, die deutsche These als unvernünftig zu bezeichnen, wurde bereits zitiert, und die Zeitung hat auch jeden Anlatz zur Beunruhigung der öffentlichen Meinung Englands durch die deutschen Forderungen verneint.
Wenn man im ganzen also den Eindruck der Note in England dahin kennzeichnen mutz, datz sie enttäuscht hat, jo gilt das Gleiche auch für Italien. Die dort immer noch genährten Hoffnungen, datz ein Kompromitz zwischen den Großmächten Zustandekommen würde, ist zerstört worden. Die italienische Regierung hat sich sofort dadurch in die Situation eingeschaltet, daß sie durch den italienischen Botschafter in Paris vom Außenminister Barthou Aufklärungen über die Note erbeten und dabei dem Erstaunen des römischen Kabinetts über sie Ausdruck gegeben hat. Das Erstaunen und die Enttäuschung scheinen allerdings das italienische Kabinett in seiner Aktivität nicht gelähmt zu haben. Man ist sich klar darüber, daß nichts bedenklicher wäre, als wenn man die Dinge jetzt treiben ließe. Herr Euvich, Unterstaatssekretär im italienischen Außenministerium, ist am 22. April in London eingetroffen, um mit Sir John Simon und Lord Eden über die durch die französische Rote geschaffene Lage zu konferieren. Man nimmt an, daß diese Fühlungnahme der Anfang zu einer englisch-italienischen Bermittlungsaktion in der Abrüstungsangelegenheit sein soll.
Aus der Verfolgung der ausländischen Stimmen ist zu entnehmen, daß Frankreich in seiner Forderung nach dauernder Wehrlosigkeit Deutschlands, isoliert dasteht. Selbst seine Freunde im Osten und Slldosten sind wenig geneigt, es dabei aktiv zu unterstützen. In Frankreich selbst aber — das ist aus seiner Taktik deutlich abzulesen — verspürt man auch keine Lust aus der großen Geste Konsequenzen zu ziehen, wenn die anderen Mächte beiseite stehen. Es wird also im wesentlichen auf die Festigkeit der englischen und italienischen Haltung ankommen, wie die Dinge nun weiter laufen.
Es scheint, daß dieKIärungdesAußenhandels- problems in Deutschland in den letzten Wochen bemer-
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Eine Büste des bekannten Generals Litzman« geht zur Zeit im Atelier des Professors Hugo Lederer ihrer Vollendung entgegen.
kenswerte Fortschritte gemacht hat. Beweis dafür ist der Verlauf der Hamburger Außenhandelstagung. Die Illusion der Autarkie ist endgültig begraben. Man hat Minister Darre, wie die von ihm gemachten Ausführungen zeigen, völlig unberechtigterweise als Kronzeugen einer nur auf den Binnenmarkt gerichteten Einstellung unserer Wirtschaftspolitik in die Diskussion hereingezogen. Da. ' hat ausdrücklich dem deutschen Außenhandel eine hohe deutung für die Nation zuerkannt. Es war bezeichnend, daß der Führer der Eesamtorganisation der gewerblichen Wirtschaft, Keßler, sich im besonderen über die Bedeutung des Außenhandels für die Arbeitsbeschaffungspolitik der Regierung ausließ. Es ist nicht zu bestreiten, daß diese Arbeitsbeschaffungspolitik zunächst einmal auf die Ve.ebung der binnenwirtschaftlichen Produktion und die Stärke des Binnenmarktes abgestellt war. Das hat jene verhängnisvolle Schere zwischen dem steigenden Einfuhrbedarf an Rohstoffen und der unter den handelspolitischen Hemmungen des Auslandes schrumpfenden Ausfuhr der deutschen Industrie geschaffen, die unter allen Umständen geschlossen werden muß, weil ihre Auswirkungen, wie die devisenwirtschaftliche Lage zeigt, zu schweren Behinderungen unserer Bewegungsfreiheit führt. Keßler hat sich denn auch dafür ausgesprochen, daß alle Erleichterungen, die von der Regierung für die Ausfuhr überhaupt gegeben werden können, jetzt gegeben werden müssen. Direktor Reyß von den Siemens Schuckert-Werken hat in seinem sehr offenherzigen Referat gerade darauf verwiesen, daß wir mit unseren Preisen auf
dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig seien. In der Metallindustrie beispielsweise seien wir durchschnittlich 25 Prozent zu teuer. Die Ursache liegt natürlich nicht in unrationellen Fabrikationsmethoden der deutschen Industrie, sondern in der von den Hauptkonkurrenzländern vorgenommenen Währungsdevalvation. Trotzdem tritt Reyß entschieden dafür ein. daß an der Stabilität der deutschen Währung fest- gehalten wird. Die Ausführungen von Direktor Reyß wurden ergänzt durch die des Präsidenten der Bremer Handelskammer, Karl Vollmeyer, der feststellte, daß die deutschen Waren nicht nur zu teuer seien, sondern daß zuweilen auch ihre Qualität zu wünschen übrig lasse. Vollmeyer fühlte sich veranlaßt, vor einer in Deutschland oft vorhandenen Ueberheblichkeit hinsichtlich deutscher Ingenieur- und Forschertätigkeit zu warnen: denn die Leistungen des Auslandes seien auch ganz hervorragend. Das Kernproblem der Außenhandelsförderung wird aber ein organisatorisches sein. Auf der Hamburger Tagung kam der alte Gegensatz zwischen Exporthandel und Exportindustrie wieder zum Ausdruck. Die Industrie glaubt vielfach, die Hilfe des selbständigen Exporthandels entbehreil können und versucht direkt zu exportieren. Das ist nicht immer zum Nutzen der deutschen Ausfuhr gewesen: denn die besonderen Erfahrungen und die Verbindungen des Exporthandels liegen dabei brach. Außerdem aber wird man sich in Deutschland entschließen müssen, ähnliche Wege der Kollektivwerbung zu gehen, wie England, die Vereinigten Staaten von Amerika, Schweden, Italien und andere Länder sie mit Erfolg bereits beschritten haben.
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Zum lüjährigen Todestag Karl Helsferichs, am 23. April
Am 23. April 1924 wurde Karl Helfferich das Opfer eines Eisenbahnunglücks bei Bellinzona. Die Katastrophe trat in dem Augenblick ein, in dem der fähige und ehrgeizige Mann angesichts des bevorstehenden großen Wahlsieges der deutschnationalen Volkspartei wahrscheinlich wieder zu einem maßgebenden Regierungsamt gekommen wäre. Helfferich kam von der Wissenschaft her. Er studierte Volkswirtschaftslehre, habilitierte sich 1899 an der Universität Berlin und hat mit seinen überaus klaren und ausschöpfenden Schriften über das Geld und über Fragen der Handelspolitik eine ganze Generation junger Volkswirtschaftler entscheidend beeinflußt. Ihn selbst zog es allerdings bald sehr stark zur Politik und zur praktischen Wirtschaft hin. 1901 wurde er in die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts berufen, wurde 1906 Direktor der Anatolischen Eisenbahn in Konstantinopel, 1908 Mitglied des Direktoriums der Deutschen Bank und 1915, sechs Monate nach Kriegsausbruch, als Staatssekretär an die Spitze des Reichsschatzamtes gestellt. In seine Hand war damit nicht nur die allgemeine Leitung der Reichsfinanzen, sondern auch die Finanzierung der Kriegführung gelegt. Es ist bekannt, daß Helfferich sich damals dafür entschied, diese Finanzierung nicht oder jedenfalls nicht in erster Linie durch eine Anspannung der Steuerkraft des Volkes vorzunehmen, sondern auf dem Anleiheweg. In den von ihm eingeleiteten Methoden zur Beschaffung der erforderlichen Mittel hat man die Wurzel der Inflation mit ihren verheerenden Folgen für die deutsche Wirtschaft gesehen. Sicherlich ist Helfferichs Kriegsfinanzpolitik ein umstrittenes Kapitel. Aber die Ee-
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(41. Fortsetzung.)
»Er hat mich auf der Straße aufgeklaubt, als ich einen kleinen Spaziergang gemacht habe," sagte die Malerin vergnügt. „Wenn ich eine Kleinigkeit zu essen bekommen kann, will ich mich nachher als Bridgepartnerin opfern."
Die Gräfin deutete auf einen Seitentisch, wo eine kalte Platte bereitstand. Senta Bratt versah sich mit Brötchen und einem Glase Rotwein. Dann trat sie zu Anne und Fritzi Hesterberg.
Fritzi murkste an einer bunten Stickerei.
„Was ist denn das für ein Unikum?" forschte die Malerin.
„Das ist ein Kissen und kein Unikum!"
„Verzeihung, es sieht so sonderbar aus. Es ist wohl eine Weihnachtsgabe für den kühnen Seemann Grott- kau, bestimmt, sein kahles Junggesellenheim zu verschönern. Hm, Daunenfüllung! Der Junge wird direkt verweichlicht. Wo steckt er übrigens?"
„Er arbeitet," sagte Fritzi würdig.
„Arbeitet? Ist das nicht ein Fremdwort für den tungen Mann?"
Das Mädchen sah die Malerin kampfeslustig an.
„Sie verkennen Herrn von Grottkau vollkommen. Er ist sehr fleißig und strebsam."
„Na, na, Fritzilein, beißen Sie mich nur nicht," begütigte Senta Bratt lachend. „Zeigen Sie mir lieber Ihre Stickerei. Hm, Rosen und Vergißmeinnicht. Sehr sinnig. Nun müssen Sie ihm auch einen hübschen Spruch hineinsticken?"
„Glauben Sie?"
„Bestimmt. Zum Beispiel: Ruhe sanft auf beiden Seiten!"
Wütend ritz Fritzi ihr gesticktes Kunstwerk an sich und sprang auf.
Rot vor Zorn verstaute sie die Arbeit in ein Körbchen.
-.Herrje. Fritzi. wo wollen Sie denn bin?"
„Mich um meinen Onkel kümmern, ihm sein Abendbrot geben und ^u Bett gehen," lautete die kurze Erklärung, und mit einem „Gute Nacht allerseits" war Fritzi Hesterberg zur Tür hinaus.
„Aber Senta, warum ärgern Sie die arme Fritzi," klagte Anne.
„Sie ist so nett, wenn sie wütend ist."
„Nun ist sie im Zorn weggegangen."
„Keine Sorge, Ännekind. Bis morgen hat Fritzi ihren Zorn vergessen. Packen Sie nur Ihren Nähkram zusammen und gehen Sie gleichfalls schlafen."
„Ich fühle mich wirklich etwas abgespannt, aber ich kann schon noch aufbleiben und auf Sie warten, Senta."
„Unschuldiges Lamm, Sie haben keine Ahnung, wie ausgedehnt die Kartenpartien bei der Gräfin sind. Schlafen Sie wohl und träumen Sie süß."
Anne sagte allen gute Nacht. Ernst Meersburg hielt dem jungen Mädchen die Tür offen.
„Wollen Sie morgen mit mir Schlittschuh laufen?" bat er. „Man mutz die Zeit nützen. Wer weiß, wie lange wir noch Frost haben."
„Ich glaube, ich muß Fräulein Bratt Modell sitzen," zögerte Anne.
„Nicht mehr nötig, Anna. Die Sitzungen sind beendet."
„Dann hole ich Sie morgen ab," ergriff der Prinz die Gelegenheit beim Schopf.
Erst lange nach Mitternacht war die Kartenpartie zu Ende. Die Gräfin rechnete aus ihrem Spielblock.
„Fünf Mark achtzig habe ich verloren," klagte sie. „Und Hunger habe ich wie ein Wolf. Ernst, gib die Brötchen herüber. Brr, der Schinken ist ganz vertrocknet. Justizrat, ein Glas Rotwein, bitte!"
„Der wenigstens ist nicht trocken," lachte Klein und drehte sein Glas zum Licht. „Wundervoller, alter Burgunder, um den allein verlohnt sich die Bekanntschaft mit Ihnen, Gräfin!"
„Wenn das ein Kompliment sein soll, lieber Freund, so kann ich nur sagen, es geht auf Stelzen."
„Sie sind eine viel zu gescheite Frau, um auf Komplimente Wert zu legen, Gräfin."
„Ach was, gescheit oder nicht, jede Frau hört gern etwas Nettes über sich."
„Dann werden Sie Ihre Freude an dem alten Grott
kau haben. Der ist ein Damenmann von Natur aus," scherzte Klein.
„Wirklich? Nach Hans' Schilderungen habe ich ihn mir recht burschikos vorgestellt."
„Das ist er auch, aber er macht für sein Leben gern dem weiblichen Geschlecht Komplimente, die dann auch auf Stelzen gehen! Jedenfalls ist Herr von Grottkau ein Original."
„Und wie ist der andere Klient, den Sie erwarten, Justizrat?"
„Freiherr Remus von Falke ist ein Kavalier der alten Schule, ein ehemaliger Hofmann und sehr kunstsinnig. Schade, daß er sich auf der Falksburg vergräbt, aber unglückliche Familienverhältnisse haben seine Lebenskraft zerstört. Ich wundere mich, daß er überhaupt eine Reise nach der Hauptstadt unternimmt. Das ist seit Menschengedenken nicht mehr dagewesen."
Senta Bratt hatte bei dem Namen Falke die Ohren gespitzt.
„Freiherr von Falke? Der Name kommt mir bekannt vor," sagte sie.
„Wohl möglich," entgegnete der Notar. „Die Falkes sind ja ein altes, bekanntes Adelsgeschlecht. Remus von Falke war früher ein begeisterter Sammler guter Gemälde und in Malerkreisen als großzügiger Mäzen bekannt. Vielleicht haben Sie in diesem Zusammenhang etwas von ihm gehört, Fräulein Bratt?"
„Nein, aber irgend jemand erzählte mir, Laß der einzige Sohn des Freiherrn gegen den Willen seines Vaters eine unpassende Heirat geschlossen habe. Ist -aS Ihr Klient oder handelt es sich um eine andere Linie der Falkes?"
„Es gibt nur die eine Linie."
„Falke starb nach kurzer Ehezeit und ließ eine kleine Tochter zurück, nicht wahr?"
Justizrat Klein sah die Malerin forschend über seine Brillengläser an.
„Egon von Falke nahm sich das Leben," sagte er. „Aber woher sind Sie über die Familienverhältnisse meine- Klienten so genau unterrichtet, mein Fräulein?"
„Das ist leicht erklärt. Ich hielt mich in diesem Sommer in Elmshorn auf und wohnte bei einer Frau Staniecki. Sie war in erster Ebe mit Egon von Falke verheiratet."
(Fortsetzung folgt.).