Nr. 1/4
schwarzwälder Sonntagsblatt
Sette 8
fick) vor, abwechselnd in den gewaltigen Eismassen aus der Suche nach Bären und in den Bergen nach Schneehühnern und Hasen spähend.
Eines Tages ging Skovvold früh fort, um rechtzeitig heimkehren zu können. Er folgte dem Rande der Schlucht und kam an eine Stelle, wo der Wind den Schnee fortgefegt hatte. Ein paar verkrüppelte Weidensprößlinge ragten zwischen den Steinen bervor. Er beugte sich herab. Hier hatte es Schneehühner gegeben. Die Spuren waren ganz frisch, aber wenn die Hühner im Schnee saßen, konnte man sie kaum erspähen. Vor Spannung zitterte er am ganzen Körper. Ihm war, als verfolge er einen Bären. Etwas weiter hin fand er andere Spuren. Er ging an den Rand der Schlucht und blickte in die Tiefe hinab. Zn diesem Augenblick flogen vier Schneehühner gerade unter ihm auf und gingen auf der anderen Seite nieder.
Die Schlucht war steil. Er mußte lange nach einem Abstieg suchen und noch länger nach einem Ausstieg. Durch das Glas konnte er die Hühner sehen. Sie saßen im Schnee j und zupften sich in den Federn. Er ging sehr langsam vor. Immer, wenn eins still saß, versteckte er sich. Die Spannung brachte ihn allmählich dem Wahnsinn nahe. Jedes- mah wenn er aufklickte, glaubte er, sie seien auf und davon; erst nachdem er alle vier gezählt hatte, schlich er weiter. Jetzt war er so nahe, daß er sie mit bloßem Auge erkennen konnte. Sie hatten ihn bemerkt und saßen alle vier ganz regungslos da. Er entschied sich, nicht näher zu gehen, sondern eins mit der Büchse zu erlegen. Wie eine kleine weiße Kugel erschien ihm das Schneehuhn durch das Visier. Er hielt den Atem an und feuerte. Der Schuß hallte vom Felsen zurück. Alle vier Schneehühner flogen auf und der Küste zu. Er stürzte hin, um zu sehen, wo die Kugel in den Schnee gedrungen war. Die Spur war mit Blut getränkt, Federn lagen umher. Er verfolgte die Richtung. Eine Strecke weiter stöberte er sie auf; aber nur drei sah er fortfliegen. Eins mußte also dort sitzen.
Der Schnee flimmerte. Die Kristalle blinkten wie Millionen Spiegelscherben. Das scharfe Licht brannte ihm in die Augen. Die Angst, schneeblind zu werden, erfaßte ihn. Saß das Schneehuhn nicht dort? — Es war nur ein Fleck im Schnee. Es wurde rot vor seinen Augen. Er preßte die Hände dagegen. Er mußte das Huhn haben! Er ging im Kreise herum. Unausgesetzt glaubte er Spuren zu sehen. Er sah Blut.
Aber es waren nur die roten Flecke in seinen Augen, die ihn betrogen. Die Schmerzen wurden unerträglich. Zuletzt torkelte er wie ein Betrunkener umher, fiel über Steine, lastete mit den Händen darunter, um das angeschossene Huhn zu finden. Er sprach laut mit sich selbst und gelobte alles zwischen Himmel und Erde, wenn er nur das Huhn für Berg bekommen könnte. Dann brach er zusammen. Jetzt gab es keine Hoffnung mehr. Es würde eine Woche dauern, bis er wieder sehen könnte. Dann würde es zu spät sein, um Berg zu retten.
Steif vor Kälte stapfte er heimwärts. Er stolperte über alle Steine, die auf seinem Weg lagen. Durch seine brennenden Augen gewahrte er nur einen rötlichen Nebel. Das dauernde Hinfallen machte ihn rasend. Er schrie und schimpfte, wenn er mit dem Kopf im Schnee lag, er weinte wie ein kleines Kind.
„Wie — zum Teufel — gehst Dü denn nur — bist Du wahnsinnig geworden?" — Skovvold blieb stehen, wie vom Blitz getroffen. Hatte er das gehört, oder war er das selbst, der gesprochen hatte?
„Skovvold, hier ist Knudsen — oben vom Norden. Wir sind eben gekommen. Was ist denn mit Dir los?"
„Ich bin schneeblind." Er hörte Tritte. Kurz darauf fühlte er Knudsens Hand. „Beim Himmel — wie gut, daß Ihr gekommen seid!"
„Ja — es war noch gerade im letzten Augenblick. Das ist eine harte Zeit für Euch gewesen."
Sie gelangten zur Hütte. Knudsen hatte noch einen Mann bei sich. Skovvold bekam eine Binde um die Augen und wurde in die Koje gelegt. Knudsen packte für sie.
Am darauffolgenden Tage verließen sie „Broer Ruys" und fuhren nordwärts. Der Rabe sah sie und flog hoch. In einer steilen Spirale schraubte er sich herunter und ließ sich auf dem Dach der verlassenen Hütte nieder ...
Ser Schreckt» von Miana
Der kugelfeste Bandit — 1V 888 Dollars Kopfpreis — Sechzehn Polizisten umstellen das Wild und fassen es nicht
Von Kurt Ellern
Man kann es mit dem besten Willen nicht behaupten, daß die Verhältnisse in den Ver. Staaten übermäßig sicherer geworden sind, nachdem man einen Al Capone schließlich doch hinter Schloß und Riegel bekommen hat. Wenn auch der Prohibition das Todesurteil gesprochen wurde, wenn die Zeitungen auch nicht mehr spaltenlang über Straßenkämpfe zwischen Gangsterbanden innerhalb Chicagos berichten, deshalb ist das fröhliche Räuberleben im Lande der Freiheit und des Dollars noch lange nicht tot.
Ein neuer Stern geht jetzt am amerikanischen Verbrecherhimmel auf, und wenn er gegen einen Al Capone vorläufig auch nur ein „kleiner Mann" ist, so reichen seine Taten doch vollkommen aus, um einen ganzen Staat in Atem zu halten. John Dillinger nennen sie jetzt bereits den „Schrecken von Indiana". Er hat sich aber auch iit kürzester Frist eine derartige umfang- und abwechslungsreiche Serie von Kapitalverbrechen geleistet, daß die allgemeine Aufregung um ihn durchaus verständlich ist.
1932 wurde Dillinger aus dem Staatszuchthaus von Indiana entlassen, nachdem er neun Jahre wegen eines Raubüberfalls abgebüßt hatte. Er wechselte nach Ohio hinüber und verlegte sich dort auf Bankraub. Man faßte ihn oald, aber nicht minder schnell entkam er wieder aus dem Gefängnis, in dem man ihn sonst sicherlich eine geraume Frist behalten hätte. Nach dieser Erfahrung wandte er sich wieder dem vertrauteren Boden Indianas zu. Bald hatte er eine Bande um sich versammelt, vor der heute das gesamte nördliche und mittlere Indiana zitterr. Der „Dillinger-Eang" verübt seine Räubereien fast wie am laufenden Band, so daß die Polizei sie kaum noch zu verzeichnen vermag.
Man ließ nichts unversucht, den gefährlichen Banditen dingfest zu machen. Zehntausend Dollars wurden als Kopfpreis auf ihn ausgesetzt, aber es scheint niemand die rechte Lust zu haben, sich dieses Geld zu verdienen. Oft genug kam er den Policemen vor die Pistolenläufe, aber geschadet har es ihm nie. Er ist kugelfest oder — besser gesagt — sein Auto, mit dem er bislang noch immer entschlüpfte.
Schließlich schien der Polizei das Glück zu lächeln. Sie erfuhr, daß Dillinger in Chicago einen Arzt auf dem Irving Park Boulevard aufsnchen wollte, sie erfuhr sogar den Tag
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Strenger Winter in Amerika
Amerika erlebt zur Zeit einen überaus strengen Winter. Au- einzelnen Gebieten wird Kälte bis zu 44 Grad gemeldet. Unser Bild zeigt die Freiheitsstatue an der Hafeneinfahrt von Neuyori in Eis und Schnee.
und die Stunde, wann dies vor sich gehen sollte. Die Staatspolizei von Indiana bat unverzüglich die Chicagoer Polizei um Hilfe, und so lauerten dem Gangster nicht weniger als sechzehn Polizisten mit vier Streifenwagen auf.
Was nun kommt, ist einigermaßen dunkel und wirft aus die Umsicht und die Tapferkeit der kleinen Polizeiarmee keinesfalls das allerbeste Licht. Dillinger erschien pünktlich und programmgemäß in seinem Auto, von seiner derzeitigen Freundin und von seinem Adjutanten, der das in dem Wagen eingebaute Maschinengewehr zu bedienen hat, begleitet und parkte. Dann schritt er allein über den Fahrdamm uno verschwand in dem Hause des Arztes, ohne daß jemand von dem Belagerungskorps ihn daran zu hindern suchte.
Die Polizei hatte auch nichts dawider, daß Dillinger, als er aus dem Haus wieder herauskam, in sein Auto stieg. Erst als er abfuhr, versuchte man ihn zu greifen. Und das war natürlich falsch. Dillingers schwerer Wagen schoß über den Bürgersteig, an dem Streifenauto vorbei, das ihm den Weg verlegen wollte, und bei der nun einsetzenden wilden Jagd hinderten sich die vier Polizeiautomobile gegenseitig mehr, als sie dem Verfolgten schadeten.
Außerdem begann das Maschinengewehr in dem Gangsterauto alsbald zu hämmern. Dem ersten Polizeiwagen wurden die Pneus zerfetzt, in dem zweiten gab es einige Verletzte, und so wurde die Verfolgung sehr schnell wieder eingestellt. Dillinger war verschwunden und mit ihm die Hoffnung auf die zehntausend Dollars, die man sich mit seiner Ergreifung hätte verdienen können.
Zwei verwegene Banküberfälle, die sich bereits am nächsten Tage in Indiana ereigneten, schiebt man auf Dillingers Konto und hat damit vermutlich nicht so unrecht. Die Polizei wird jedenfalls lange warten können, bis sich ihr wieder einmal eine derart günstige Gelegenheit bietet, dem Banditen eine Falle zu stellen.
Das Gangsterunwesen in und um Chicago wird durch John Dillingers erfolgreiches „Wirken" sicher einen neuen Auftrieb erhalten. Was dem einen geglückt ist, wird andere Verbrechernaturen kaum schlafen lassen. Vielleicht geht Chicago neuen herrlichen Zeiten entgegen wie einst unter Al Scarface Capone-
Srr Giflzwerg
Ein Zeitbild von F. Lund
Du kennst ihn, Volksgenosse, diesen Typ des Giftzwerges! Vielleicht ist er, sofern Du Beamter bist, in Gruppe 6 und Abteilungsvorstand. Oder er ist Dir als Kollege vom Geschäft her bekannt. Er bietet überall die gleiche Erscheinung, rechthaberisch und nörgelnd, weitab von den Ideen wahrer Volksgemeinschaft. Politisch war er bis zum 6. März demokratischer als die Demokraten, seither reckt er seinen kleinen Arm höher als alle anderen, um im versteckten Winkel, im kleinen Kreise scheinbar Gleichgesinnter um so stärker zu schimpfen, lieber sieben Millionen Arbeitslose im letzten Notwint-er ist er zur Tagesordnung übergegangen — allenfalls hat er sich durch billige Gesten und kleine Pfennigbeträge moralisch freigekauft —, aber daß der Führer binnen vier Monaten „nur drei Millionen" von diesem schweigenden grauen Heer der Not wieder in Arbeit und Lohn gebracht hat, das versteht er nicht! Er spricht dies beileibe nicht offen aus, aber sein kaltes Mienenspiel, das zumeist durch eine Brille oder einen Nickelkneifer erhärtet wird, kündigt seine Ablehnung deutlich an.
Natürlich, wenn der Führer ihn persönlich um Rat gefragt hätte, so wäre es heute keine halbe Million Arbeitsloser mehr, und auch die sähen sich sämtlich dicht vor dem Eingang zum Schlaraffenland!
Ünd dann das verfluchte — ein vorsichtiger Blick ringsum — Sammeln: für die Spende der Arbeit, die Opfer der Arbeit, die Winterhilfe und wie die Notgebiete alle heißen mögen. Mit knöchigen Fingern und süß-säuerlichem Lächeln zieht er ein blankes Aehnpsennigstück oder, sofern der Sammler Uniform trügt, auch einen vernickelten /fünfziger, aber mit der gleichen feuchtwarmen Hand quittiert er am Monatsersten vielleicht üb-er mehrere hundert Mark Gehalt.
Er hat nicht nur in der Politik recht, sondern auch im Berufsleben. Der Herr Regierungsrat hätte nur nach seinen Vorschlägen handeln sollen, dann wären die Akten p. Schulz nicht von oben zurückgesandt worden. Der Chef der Firma ist im Grunde genommen eine „Nulpe"; und Lehmann, Meier und Co. wären längst pleite gegangen, wenn man ihn nicht gehabt hätte. Daß die Kontokorrentbuchhaltung vom Kollegen Peters nicht stimmen würde, hat er schon vor einem halben Jahr prophezeit, und Fräulein Blume hätte lieber bei der Firma bleiben sollen, anstatt für die zehn Mark Eehaltsaufschlag zur Konkurrenz zu gehen — man weiß doch, daß die seit drei Jahren wackelig find.
Während er diese Weisheiten verzapft, spielt er an seiner Uhrkette. „Na, wissen Sie, Herrschaften, ich werde jetzt dem Chef 'mal meine Meinung sagen über die Tantieme." Es klingelt. „Moment mal, Herrschaften, jetzt geht der Angriff los! Der wird nicht schlecht zittern . . .!" Er verschwindet im Allerheiligsten: „Heil Hitler, Herr Lehmann, gut geruht? Darf ich mich erkundigen, wie es der verehrten Gemahlin geht? Nein, los ist nichts! Ich sorge schon dafür, daß alles klappt. Mittags die Briefe zur Unterschrift? Gewiß, Herr Lehmann, Heil Hitler!"
Hinter der Glastür nimmt er Haltung an: „Also Herrschaften, dem habe ich es gegeben! Dem schmeckt das Essen heute bestimmt nicht! Aber jetzt wollen wir wieder an die Arbeit gehen." Und er schreitet auf sein Pult zu, jeder Zoll ein König.
Außerhalb der Dienststunden ist der Eiftzwerg erst der „wahre Jakob". Zu Hause raunzt und schnauzt er, daß der Kalk von den Wänden rasselt. Beim Friseur im Nachbarhaus und beim Stammtisch an der Ecke gilt er leider als eine Persönlichkeit von Format: „Was macht die Börse? Ja, ja, die Pfundschwäche! Kein Wunder, daß die Ausfuhr nicht wieder hoch kommt." Das Messer kratzt über die Stoppeln. „Aber Ihre Firma steht ja noch glänzend da!" Dann kommt das Gespräch auf die Politik, und Eiftzwerg ist in seinem Fahrwasser.
Warum ich dies zu Papier bringe? Deinen, meinen und unseren Eiftzwerg in seinem Denken und Fühlen skizziere? Weil es Tausende und Abertausende von diesen Geschöpfen gibt. Sie sind das letzte Treibholz des abgestorbenen Liberalismus und daher viel gefährlicher als jeder andere Volksgenosse, der heute noch aus innerster Ueberzeugung glaubt, beiseite stehen zu müssen oder sich wegen seiner politischen Vergangenheit schämt, in die Einheitsfronten sich cinzureihen. Dieser Typ des Besserwissers und des ewigen Nörglers ist eine besonders gefährliche Zeiterscheinung. Unter der harmlosen Maske des Bürgers und Mittelständlers treibt der Giftzwerg sein Unwesen, nur nach außen gleichgeschaltet durch ein Abzeichen, nach innen versteinert in der Haltung des vorigen Jahrhunderts.
Wie uns im Kriege die unsichtbaren Feinde in Form von Spionen und Kundschaftern umgaben, so stehen wir heute in einer großen und massiven Front der Volksgemeinschaft, an der kleine Wühlmäuse nagen und sich vergeblich die Zähne auszubeißen suchen. Wir wollen die Front sauber halten. Darum fort mit den Eiftzwergen!
Bvm Ad auf brr MW
Er kann manchmal ganz lustig sein Von Ilc. S. Nestriepke
Zu den „Prinzipalen", die um 1750 an der Spitze wandernder Schauspieltruppen das Land durchzogen, gehörte auch Reibehand. Weder als Direktor noch als Darsteller überragte er den Durchschnitt seiner Kollegen. Um so empfänglicher war er für Beifall. Einst spielte er den Oros- man und erstach sich am Schluß der Tragödie, wie es seine Pflicht war. Dann lag er da — eine schöne Leiche. Das Publikum war begeistert, und einige riesen auch (vielleichr, weil sie die Bedeutung der Worte nicht kannten, vielleicht, weil sie sich einen Scherz machen wollten): „Da capo! Ta capo!" Reibehand ließ sich nicht lange nötigen. Er stand auf, stieß sich den Dolch zum zweiten Male in die Brust und gönnte so seinen Bewunderern die Wiederholung eines qualvollen Todes.
Im Jahre 1817 kam Eduard Genast auf der Durchreise nach Stuttgart, wo er seine erste Stellung antreten sollte, nach Frankfurt a. Ai. und besuchte dort eine „Tell"-Auffüh- rung des Stadttheaters. Seine Eindrücke waren seltsam genug. Im vierten Akt erschien nach dem Tode Attinghausens kein Rudenz auf der Bühne. Als er endlich mit drei Minuten Verspätung eintraf, wurde er verständlicherweise mit Pfeifen empfangen. Er trat vor und entschuldigte sich damit, daß man ihm kein Zeichen zum Auftritt gegeben habe. Die Darstellerin der Hedwig mischte sich ein und behauptete das Gegenteil. Es gab einen heftigen Streit, an dem das Publikum sich mit Lachen, Zurufen und Pfiffen beteiligte. Plötzlich stand auch der tote Attinghausen wieder auf, trat vor und begann eine pathetische Rede, in der er alle Schuld an dem Vorfall auf die unzureichenden Proben schob. Dagegen erhob wieder Werdy, einer der Regisseure des Hauses, Einspruch. Eine Dame in der Prosze- uiumsloge rief: „Nein, das ist doch ein Skandal!" Da donnerte Attinghausen sie an: „Sie haben hier gar nicht mitzureden! Damit das verehrte Publikum sich aber nun überzeuge, wer die Schuld an allem trägt, werde ich noch einmal sterben!" Und also tat er. Worauf die Vorstellung in ungetrübter Harmonie zu Ende geführt werden konnte.