Große UeberraschUrigen.
Neben der großen, erfolgreichen Grenzschlacht an den Bogesen und dem Fall von Lüttich beansprucht augenblicklich die nunmehrige gänzliche Einnahme der Festung Namur das größte Interesse. Ganz abgesehen von der hohen Bedeutung dieses Platzes für unsere weiteren Operationen war es bisher in der Kriegsgeschichte nur bekannt, daß solche Festungen nach langen Belagerungen genommen werden konnten^ Daß es diesmal den deutschen Truppen gelingt, große Festungen schon in wenigen Tagen zusammenzuschießen, verdanken wir unsrer Fußartillerie und der Kruppschen Kanonenfabrik, die unsrer schweren Artillerie in dem 42 Centim.-Mörser ein Geschütz deutscher Technik lieferte, das nun dieganzeWelt i n Ät em hält. Denn über die Existenz dieses Geschützes wurde bisher völlige Geheimhaltung bewahrt und daher nun allseitig die große Ueberraschung. Während die alten Fußartilleristen als weitestes Kaliber den 21 Centim.-Mörser hatten und in der neuesten Literatur als größtes Geschütz der Land-Artillerie die 28 Centim.-Haubitze bezeichnet wurde, besitzt unsre Fußartillerie nunmehr ein Riesengeschütz, das alles auf diesem Gebiete bisher Dagewesene in den Schatten stellt und das die Ueber- legenheit unsrer Fußartillerie gegenüber der französischen schweren Artillerie noch ungeheuer steigert. Wir freuen uns dieses Geschützes umso mehr, als dadurch die Zähigkeit der Feinde weiter erschüttert werden und als dieses Geschütz unsrerseits manches Blutvergießen im Handgemenge ersparen wird. Den französischen Festungen allen droht nun ein ähnliches Schicksal wie Lüttich und Namur und wer weiß, ob man in Frankreich nicht bald zur Einsicht kommen Wirb, was gegenüber der deutschen Ueberlegenheit die Vernunft gebietet. Die deutsche Fußartil- lerie aber beglückwünschen wir dazu, daß sie in dem uns aufgedrungenen Kriege eine entscheidende St elung einnehmen wird! Zu ihrem Ä2 Centim.-Eeschütz bemerkt der Berliner Korresp. der Franks. Zeitung: „Das ist eine der großen Ueber- raschungen des Kriegs und nebenbei bemerkt, nicht die letzte. Mehr läßt sich darüber zur Zeit nicht sagen. Nun im Kriege mit England werden sich wohl weitere Ueberraschungen zeigen."
Die Kriegserklärung auf offener See.
Im Corriere della Sera schreibt LuigiBarzini: Die Erklärung des Krieges flog in der nämlichen Stunde über Länder und Meere. Die Raum und Zeit überwindenden Funken-Stationen gaben die schreckliche Nachricht eine der andern über die Weltmeere weiter. In Europa beganns, es antwortete Glace Bay und New-Pork, auf der südlichen Halbkugel gaben; Buenos Aires und Capetawn die Kunde weiter, Aden, Hongkong und Yokohama übermittelten die fünf verhängnisvollen Worte den Antipoden: Deutschland erklärt Rußland den Krieg! In 20 Minuten machte der Alarmruf die Runde um den ganzen Erdkreis, auf wunderbare Weise, wie von geheimnisvollen Schildwachen von Kontinent zu Kontinent hinübergerufen. In der unendlichen Einsamkeit der Ozeane vernahmen ihn Hunderte und Hunderte von Dampfern, und alle ergriff darob blasse Furcht. Keine Sturmnachricht
Me Geschichte «m GesMftcrschiff.
Don Wilhelm Hauff.
Mein Vater hatte einen kleinen Laden in Balsora. Er war weder arm noch reich und einer von jenen Leuten, die nicht gerne etwas wagen, aus Furcht, das Wenige zu verlieren, das sie haben. Er erzog mich schlicht und recht, und brachte es bald soweit, daß ich ihm an die Hand gehen konnte. Gerade als ich achtzehn Jahre alt war und er eben die erste größere Spekulation machte, starb er, wahrscheinlich aus Gram, tausend Goldstücke dem Meere anvertraut zu haben. Ich mußte ihn bald nachher wegen seines Todes glücklich preisen, denn wenige Wochen hernach lief die Nachricht ein, daß das Schiff, dem mein Vater seine Güter mitgegeben hatte, versunken sei. Meinen jugendlichen Mut konnte aber dieser Unfall nicht beugen. Ich machte alles vollends zu Geld, was mein Vater hinterlassen hatte, und zog aus, um in »er Fremde mein Glück zu probieren, nur von einem alten Diener meines Vaters begleitet, der sich aus alter Anhänglichkeit nicht von mir und meinem Schicksal trennen wollte.
Im Hafen von Balsora schifften wir uns mit günstigem Winde ein. Das Schiff, auf dem ich mich eingemietet hatte, war nach Indien bestimmt. Wir waren schon fünfzehn Tage auf der gewöhnlichen Straße gefahren, als uns der Kapitän einen Sturm verkündete. Er machte ein bedenkliches Gesicht, denn es schien, er kenne in dieser Gegend das Fahrwasser nicht genug, um einem Sturm mit Ruhe begegnen zu können. Er ließ alle Segel einziehen, und wir trieben langsam dahin. Die Nacht war angebrochen, war hell und kalt, und
hat jemals so viele Schiffe in die Flucht gejagt. Es war Nacht auf dem Atlantischen Ozean. Der Al- fonso XII, auf dem wir uns eingeschifft hatten, kam von Mexiko und nahm ruhig seinen Kurs nach Santander. Eine liebliche Mondnacht lag über den stillen Wassern, so daß man sich erst spät in die brütende Hitze der Kabinen zurückzog. Leise Eitarrenklänge und klagende Heimwehsänge tönten vom Bug des Schiffes; heimkehrende spanische Auswanderer sangen das Lied ihres Vaterlandes. Wir schritten über die Brücke und sahen den Funkentelegraphisten — wir nannten ihn nur den Marconi — hinter seinem hellerleuchteten kleinen Fensterchen sitzen. Auf dem Kopf die Telephonhaube, war er ganz vertieft im Horchen auf das leise und doch so beredte Summen seines Apparates. Eben kam wohl unsere „Zeitung" an, jene Reihe von kurzen Notizen, die das Festland allnächtlich den Meerfahrern sendet, um sie zu unterhalten. Langsam schrieb der Mann am Apparat nach dem geheimnisvollen Diktat. Hier und da, in den Gesprächspausen, nahmen wir ihm etwa die Nachrichten vorweg. „Was gibts neues?" „Nichts — englischamerikanische Festlichkeiten in London, ich weiß nicht, zu welchem Zweck; Baseball-Partien in New-Pork, Ehrenbezeugungen für den Vizekönig von Kanada bei irgend einem Anlaß ..." Plötzlich steht der Mar- coni-Mann auf und heftet mit sichtlichen Zeichen der Bestürzung die Blicke auf die paar Worte, die er soeben mechanisch niedergeschrieben hatte, Silbe für Silbe. „Was gibts?' Was hat sich ereignet?" fragen wir, selber erschreckt durch seine Bestürzung. „Der europäische Krieg!" ist seine Antwort, und er liest uns die fünf Worte vom Kriege zwischen Deutschland und Rußland, die den Weltbrand künden. Dann bedeutet er uns zu schweigen und setzt sich wieder an den Apparat, ungeduldig den Farbstift bewegend, um weitere Nachrichten niederzuschreiben. Aber es kam keine mehr, die Kontinente hatten einander nichts mehr zu sagen. Aber dieses plötzliche tiefe Schweigen, dieses Untertauchen jedes anderen Interesses, es verkündete beredter als alle Worte einen allgemeinen Schrecken auf Erden, ein Aufhören des pulsierenden Völkerlebens. Die Welt redete nichts mehr, sie hatte genug zu horchen. Andern Morgens in aller Frühe erschienen am Horizont die Umrisse eines mächtigen transatlantischen Dampfers mit zwei Schloten. Er fuhr außer allem Kurs in der Richtung nach Süden. Er war auf der Flucht. Er floh vor Frankreich und England, wo er hätte landen sollen, er floh vor dem waffenstarrenden Europa, wandte sich mit seiner Ladung von Gütern und Menschen wahrscheinlich nach den Balearen, um dort einen neutralen Zufluchtsort zu finden. Auf den Meeren hatte die Herrschaft des Schreckens begonnen. Der Funkentelegraph übermittelte nur mehr Befehle zur Flucht, gerichtet an die auf der Fahrt befindlichen Schiffe, in deutscher, englischer, französischer, in Chifftesprache immer die Worte wiederholend: „Fahrt mit Volldampf in den nächsten neutralen Hafen!'" Hunderte von Botschaften gingen aus die Suche nach Schiffen, wie der Hirt nach feiner zerstreuten Herde ruft. Schiffe, die im Begriffe waren, auszufahren, erhielten den Befehl,, die Anker nicht zu lichten, die lebhaftesten Dampfer-- linien waren plötzlich wie abgeschnitten, der Handek auf dem Meere wurde eingestellt, alle Beziehungen zur See hörten mit einem Schlage auf. In diesem allgemeinen Schrecken kündete sich der allgemeine
der Kapitän glaubte schon, sich in den Abzeichen getäuscht zu haben. Auf einmal schwebte ein Schiff, das wir vorher nicht gesehen hatten, dicht an dem saftigen vorbei. Wildes Jauchzen und Geschrei erscholl von dem Verdeck herauf, worüber ich mich, zu dieser angstvollen Stunde vor einem Sturm, nicht wenig wunderte. Aber der Kapitän an meiner Seite wurde blaß wie der Tod. „Mein Schiff ist verloren," rief er, „dort segelt der Tod!" Ehe ich ihn noch über diesen sonderbaren Ausruf befragen konnte, stürzten schon heulend und schreiend die Matrosen herbei: „Habt Ihr ihn gsehen?" schrieen sie, „jetzt ist's mit uns vorbei!"
Der Kapitän aber ließ Trostsprüche aus dem Koran vorlesen, und setzte sich selbst ans Steuerruder. Aber vergebens! Zusehends brauste der Sturm auf, und ehe eine Stunde verging, krachte das Schiff und blieb sitzen. Die Boote wurden ausgesetzt, und kaum hatten sich die letzten Matrosen gerettet, so versank das Schiff vor unfern Augen, und als ein Bettler fuhr ich in die See hinaus. Aber der Jammer hatte noch kein Ende. Fürchterlicher tobte der Sturm, das Boot war nicht mehr zu regieren. Ich hatte meinen alten Diener fest umschlungen, und wir versprachen uns, nie voneinander zu weichen. Endlich brach der Tag an. Aber mit dem ersten Anblick der Morgenröte faßte der Wind das Boot, in welchem wir saßen, und stürzte es um. Ich habe keinen meiner Schiffsleute mehr gesehen. Der Sturz hatte mich betäubt; und als ich aufwachte, befand ich mich in den Armen meines alten treuen Dieners, der sich auf das umgeschlagene Boot gerettet und mich nachgezogen hatte. Der Sturm hatte sich gelegt. Von unserem Schiff war nichts mehr zu sehen, wohl aber entdeckten wir nicht weit
- Krieg an. Von einer Stunde zur andern konnten Kriegsschiffe von allen inöglichen Nationen aus ihren Häfen losgelassen werden. Viele von ihnen waren bereits auf der Jagd, des Befehls zum Kapern gewärtig. In wenigen Stunden zeigte sich der RüL schlag des Krieges, kaum daß er recht erklärt war, an den abgelegensten Gestaden und in den entferntesten Häfen. Die Feindseligkeiten an einer europäischen Landesgrenze schieden die Völker auf der anderen Seite der Erde von einander. Ein einziger Schwertstreich durchschnitt jäh das Band zwischen zwei Nationen und machte tausend Beziehungen unter den anderen ein Ende. Der Krieg nimmt sofort universellen Charakter an. Und doch scheint es nur ein Traum, was der Draht und die elektrischen Wellen verkünden. Das Wort, das wie ein Blitz über die Oberfläche der Erde zuckt, es hat alle Welt wie mit einem Netz gemeinsamer Interessen umsponnen- reißt einmal irgendwo eine Masche, so fällt das ganze Gewebe auseinander. Gegen Mittag fuhren von ferne, in einer Entfernung von zehn bis zwölf Seemeilen, zwei Kreuzer an uns vorüber. Der Alfonso XII beeilte sich seine mächtige spanische Flagge, die er sonst als Festschmuck trug, zu hissen. Er zeigte so feine LandeszugehLrigkeit und gab Antwort, noch bevor er befragt wurde. Auch er hatte Furcht. Diese friedlichen Passagier- und Handelsdampfer befinden sich ungefähr in der Lage eines Volkshaufens, in dem unversehens die Kunde laut wird, daß irgendwo Löwen aus ihrem Zwinger ausgebrochen seien. Diese Löwen sind jetzt fast überall, die Weltmächte haben Stationsschiffe, Patrouillenkreuzer, Aufklärungsge- schwader in allen Gewässern, sie sind die Wächter der Kolonien, die Beschützer des Welthandels. Und nun plötzlich, mit einem Schlag, stürzen sich dich Wächter und Beschützer, im Meere von China, wie im Kcrraibischen Meere, auf die feindlichen Handelsschiffe. Das Weltmeer- entvölkert sich. Es hat nur noch Raum für gepanzerte, kanonengespickte Kriegsschiffe und für die Fahrzeuge der Neutralen, deren so wenige- sind...
Berlin, 27. Aug. Das Berliner Tageblatt veröffentlicht eine Nachricht seines Kriegsberichterstatters Lindenberg zu dem heldenmütigen Angriff der ostpreußischen Regimenter. Ein Gewährsmann habe ihm erzählt: daß in den russischen Regimentern dienende Polen nicht auf unsere Truppen feuerten. Die russischen Offiziere lagen in den zweitem Reihen und schoßen die Widerspenstigen oder Zögernden nieder.
Berlin, 27. Aug. Die Nordd. Allg. Zeitung schreibt: Mit dem Siege bei Krasnik ist die erste große Schlacht gegen die Russen geschlagen. Die Entscheidung brachte einen vollen Erfolg. Der Gegner wurde nicht nur zum Rückzug gezwungen, sondern mußte fluchtartig nach Ljublirr zurückweichen Mit dem Gefühl hochgespannten Stolzes vernehmen wir Reichsdeutsche die Kunde von dem siegreichen Vordringen unseres Bundesgenossen.. Was in langen Friedensjahren vorbereitet wurde, besteht jetzt die ernste Prüfung und bekräftigt die im Deutschen Reich und in Oesterreich-Ungarn immer gehegte Ueberzeugung, daß Deutschland und Oesterreich-Ungarn Schulter an Schulter kämpfend, jeder Uebev- macht gewachsen sind, die sich gegen sie erheben könnte.
von uns ein anderes Schiff, auf das dis Wellen uns Hintrieben. Als wir näher hinzuka-men, erkannte ich das Schiff als dasselbe, das in der Nacht an uns vorbeigefahren und welches den Kapitän sv sehr in Schrecken gesetzt hatte. Ich empfand ein sonderbares Grauen vor diesem Schiffe. Die Aeußerung des Kapitäns, die sich so furchtbar bestätigt hatte, das öde Aussehen des Schiffes, auf dem sich, so nahe wir auch herankamen, so laut wir schrieen, niemand zeigte, erschreckte mich. Doch es war dies unser einzigstes Rettungsmittel, darum priesen wir den Propheten, der uns erhalten hatte.
Am Vorderteil des Schiffes hing ein langes Tau herab. Mit Händen und Füßen ruderten wir darauf zu, um es zu erfaßen. Endlich glückte es. Laut erhob ich meine Stimme, aber immer blieb es still auf dem Schiff. Da klimmten wir an dem Tau hinauf, ich als der Jüngste voran. Aber Entsetzen! Welches Schauspiel stellte sich meinem Auge dar, als ich das Verdeck betrat. Der Boden war mit Blut gerötet, zwanzig bis dreißig Leichname in türkischen Kleidern lagen auf dem Boden, am mittleren Mastbaum stand ein Mann, reich gekleidet, den Säbel in der Hand, aber das Gesicht blaß und verzerrt, durch die Stirne ging ein großer Nagel, der ihn an den Mastbaum heftete, auch er war tot. Schrecken fesselte meine Schritte, ich wagte kaum zu atmen. Endlich war auch mein Begleiter heraufgekommen. Auch ihn überraschte der Anblick des Verdeckes, das gar nichts Lebendiges, sondern nur so viele schreckliche Leichname zeigte. Wir wagten es endlich, nachdem wir in der Seelenangst zum Propheten gefleht hatten, weiter vorzuschreiten. Bei jedem Schritte sahen wir uns um, ob nicht etwas Neues, noch Schrecklicheres sich darbiete.