bewährte Freundschaft zerbrechen. Die kaiserlich rus­sische Regierung hat sich, dem Drängen eines uner­sättlichen Nationalismus nachgebend, für einen Staat eingesetzt, der durch Begünstigung verbreche­rischer Anschläge das Unheil dieses Krieges veran­lagte. Dag auch Frankreich sich auf die Seite unserer Gegner gestellt hat, konnte uns nicht überraschen. Sehr oft sind unsere Bemüh­ungen, mit der französischen Republik zu freundliche­ren Beziehungen zu gelangen, auf alte Hoffnungen und alten Groll geflogen.

Geehrte Herren! Was menschliche Einsicht und Kraft vermag, um ein Volk für die letzten Entschei­dungen zu wappnen, das ist mit Ihrer patriotischen Hilfe geschehen. Die Feindseligkeit, die im Westen und im Osten seit langer Zeit um sich gegriffen hat, ist nun zu Hellen Flammen aufgelodert. Die gegen­wärtige Lage ging nicht aus vorübergehenden Jn- teressenkonflikten oder diplomatischen Konstellationeil hervor. Sie ist das Ergebnis e i n e s s e i t la ng e n Zähren tätigen Uebelwollens gegen Macht und Gedeihen des Deutschen Reiches! Uns treibt nicht Eroberungslust; uns beseelt der unbeug­same Wille, den Platz zu bewahren, auf den Gott uns gestellt hat, für uns und alle kommenden Geschlechter. -- Aus den Schriftstücken, die Ihnen zugegangen sind, werden Sie ersehen, wie meine Regierung und vor allem mein Kanzler, bis zum letzten Augenblick be­müht waren, das Aeußerste abzürvenden. In auf- gedrungener Notwehr, mit reinem Gewissen und rei­ner Hand ergreifen wir das Schwert. AndieVöl- ker und Stämme des Deutschen Reiches ergeht mein Ruf, mit gesamter Kraft in brü­derlichem Zusammenstehen mit unseren Bundesgenos­sen zu verteidigen, was wir in friedlicher Arbeit ge­schaffen haben. Nach dem Beispiel unserer Väter, fest und treu, ernst und ritterlich, demütig vor Gott und kampfesfroh vor dem Feind, so vertrauen wir der ewigen Allmacht, die unsere Abwehr stärken und zu gutem Ende lenken wolle. Auf Sie, geehrte Herren, blickt heute, um seine Fürsten und Führer geschart, das ganze deutsche Volk. Fassen Sie Ihre Entschlüsse einmütig und schnell das ist mein in­niger Wunsch.

Haus und sämtliche Tribünen sind außerordent­lich stark besucht. Am Bundesratstisch befinden sich: Reichskanzler von Bethmann Hollweg, Dr. Delbrück, von Zagow, von Falkenhayn. von Tirpitz, Dr. Sols, Dr. Lentze, Kränke, Kühn, Dr. Lisco, Dr. Beseler, Dr. Hafenstein, Wackerzapp, von Trott zu Solz, Sy- dow, von Schorlemer, von Löbel und von Breiten­bach. Der Präsident der vorigen Session, Dr. Kämp ft eröffnete die Sitzung um 3.15 Uhr. Aus Antrag werden der bisherige Präsident und die Schriftführer einstimmig wiedergewählt. (Lebhafter Beifall.) Professor Dr. Kämpf teilt mit, daß der Kaiser sich bereit erklärt habe, das Präsidium heute abend zu empfangen und die Meldung von der Kon­stituierung des Hauses entgegenzunehmen. (Bravo.) Er hoffe, dem Kaiser Mitteilung machen zu können, daß die eingegangenen Vorlagen Annahme gefunden haben.

Hierauf ergriff

der Reichskanzler

unter atemloser Stille des Hauses das Wort. Er be­gann: Ein gewaltiges Schicksal bricht über Europa herein. Rußland hat den Brand an das Haus ge­legt. Der Reichskanzler gab dann in großen Zügen ein Bild von der gewaltigen dramatischen Entwicke­lung der letzten Tage, insbesondere von dem Verhal­ten Rußland und von den Grenzverletzungen durch Frankreich. Wirsind, sagte der Kanzler, Inder Notwehr und Not kennt kein Gebot. Unsere Truppen haben Luxemburg be­setzt und vielleicht schon belgisches Ge­biet betreten. Das widerspricht dem Völker­recht. Aber ein französischer Einfall in unsere Flanke am Niederrhein hätte verhängnisvoll werden kön­nen. Wir werden aber das Unrecht wieder gut ma­chen, wenn unser Zweck erreicht ist. Wir haben der englischen Regierung die Erklärung abgegeben, daß, solange England sich neutral verhält, unsere Flotte die Nordküste Frankreichs nicht angreifen wird, und, daß w'r die territoriale Integrität und die Unab­hängigkeit Belgiens nicht antasten werden. Diese Erklärung wiederhole ich öffentlich vor aller Welt. Ich wiederhole das Wort des Kaisers: Mit reinem Gewissen zieht Deutschland in den Kampf. Der Reichskanzler schloß: Jetzt ist die große Stande der Prüfung für unser Volk gekommen, aber mit heiliger Zuversicht sehen wir ihr entgegen. Unsere Armee steht im Felde, unsere Flotte ist kampf­bereit. aller hinter ihnen steht das ganze deutsche Volk.

Die Rede des Reichskanzlers machte großen Ein­druck. Wiederholt wurden stürmische Beifallsrufe und Händeklatschen während und am Schluß der Rede laut. Hierauf gab Präsident Dr, Kämpf in er­greifenden Worten der Einmütigkeit der Vertretung des deutschen Volkes in dem Kampfe für die Ehre und die Wohlfahrt des Reiches Ausdruck. (Lebhafter Beifall.) Hierauf wurde die nächste Sitzung zur Be­

ratung der eingegangenen Vorlagen auf 5 Uhr an­gesetzt.

Dem Reichsag ist ein Gesetzentwurf zugegangen, betreffend Feststellung eines Nachtrages zum Reichs- haushaltsetat für das Rechnungsjahr 1914. durch den der Reichskanzler ermächtigt wird, zur Bestrei­tung einmaliger außerordentlicher Ausgaben die Summe von 5 Milliarden Mark im Wege des Kre­dits flüssig zu machen.

In der Allendsitzung wurden die Krieqsvorlagen einstimig angenommen, auch von den Sozialdemokra­ten, für welche der Abg. Haase zuvor eine Erklä­rung abgegeben hatte, daß seine Partei die Verant­wortung für das Wettrüsten ablehne, aber in der Stunde der Not das Vaterland nicht im Stich lassen wolle. Darauf wurde der Reichstag auf 24. No­vember vertagt. Der Präsident hielt ein zündendes Schlußwort, der Reichskanzler dankte der Volksver­tretung für den denkwürdigen, einmütigen Beschluß, dann schloß der Präsident mit einem Kaiserhoch. Alle Abgeordneten hatten sich dazu von ihren Siken erhoben.

Die Negierung über den Anlaß des Kriegs.

Mit der Wahrheit und Offenheit, die das Kenn­zeichen eines guten Gewissens sind, hat die deutsche Re­gierung über die Vorgeschichte des gesamten nunmehr ausgebrochenen Kriegs eine Denkschrift, ein sog. Weiß­buch veröffentlicht und dem Reichstag vorgelegt. Es konstatiert wiederholtes Ehrenwort und die Offiziers­parole des russischen Kriegsministers und des General­stabs gegenüber dem deutschen Militärattache, daß kein Reservist eingezogen, kein Pferd ausgehoben worden sei. wo erwiesenermaßen die Mobilmachung bereits im vol­len Gang war. Es ist dies eine wichtige Feststellung für Rußlands und des Zaren Zweideutigkeit. Das Zaren­telegramm vom 31. Juli, das die Hoffnung auf Erfolg bei Vermittlung des deutschen Kaisers ausspricht, ist um 2 Uhr nachmittags in Petersburg aufgegeben worden, trotzdem schon am Vormittag desselben Tages die Mo­bilisierung der gesamten russischen Streitkräfte durch eine vom Zaren unterschriebene Ordre befohlen war. Das Weißbuch stellt fest, daß die russischen Mobilisie­rungsmaßregeln die Vermittlung der europäischen Ka­binette kurz vor dem Erfolg zerschlagen habe. Die fort­gesetzte russische Mobilisierung beweise, daß Rußland den Krieg wollte. Ehe die Meldung über die Ausfüh­rung des Auftrags in Petersburg eingetroffen war, überschritten schon russische Truppen am 1. August nach­mittags die deutsche Grenze.

Italiens Neutralität.

Rom. 4. August. Die Agenzia Stefani veröffentlicht eine Erklärung des Ministerrats, aus der hervorgeht, daß, da einige Mächte Europas im Kriegszustände sich befinden, Italien sich aber im Zustand des Friedens mit allen Kriegführenden befinde, die Regierung sowohl wie die Bürger und Untertanen des Königs verpflich­tet seien, die Pflichten der Neutralität zu beachten. Die Agenzia Stefani kündigt die Einberufung der ersten Kategorie der Jahrgänge 1889 und 1890 der Armee für den 8. Aug. und der Jahrgänge 1889 und 1890 der Mannschaften der Kgl. Marine an. Außerdem werden unter die Fahnen berufen 7 Jahrgänge Unteroffiziere und zwar: Maschinisten, Heizer, Steuermänner, Elek­triker der Marine, sowie das ganze kriegsdienstpflich­tige Signalpersonal.

Eine Waffentat des Landsturms.

Königsberg, 4. Aug. In Lengrothen wurden 8 Mann einer russischen Ulanenpattouille von unse­rem Landsturm gefangen genommen. Man brachte sie nach Königsberg.

Auto mit russischem Geld.

Naumburg, 4. August. Mehrere Automobile mit Damen und Geld, für Rußland bestimmt, sind in der Richtung nach Rußland unterwegs. Die Autos sind anzuhalten und sofort der nächsten Behörde zu­zuführen.

Widerruf.

Berlin, 3. Aug. Die Meldung, nach der gestern in Metz durch einen französischen Arzt der vergebliche Versuch der Infizierung eines Brunnens mit Cho­lerabazillen unternommen worden sein sollte, hat sich als unrichtig herausgestellt, wie sich auch ähnliche Gerüchte aus anderen Städten bisher nicht bestätigt haben. Es liegt also keine Veranlassung zur Beun­ruhigung vor. Aufmerksamkett scheint aber weiter geboten.

Die Bürgerschaft in den Grenzstädten.

Metz, 4. Aug. Der Gouverneur macht ein Schrei­ben einer Anzahl hervorragender Vertreter der ein­heimischen Bürgerschaft, meist Gemeinderatsmitglie- der, bekannt, in dem diese erklären, daß die loyale Bürgerschaft die Gemeinschaft mit denen ablehnen würde, die verbrecherische Handlungen vornehmen

oder nur irgendwie Vorschub leisten wollten. Der Ernst der Stunde verlange von allen Bevülkerunos- schichten treues Hand in Hand-Arbeiten mit den M litärbchürden. Ferner gibt der Gouverneur ein- Mitteilung der Bischöflichen Behörde bekannt, wo­nach es sämtlichen Geistlichen verboten ist, auf Straße sich in französischer Sprache zu unterhallen und daß ungeordnet ist, daß täglich 20 Geistliche dem Gouvernement zur Hilfeleistung bei den Verprovian- tierungsarbeiten zur Äerfügung gestellt werden.

Kein deutscher Einfall.

Haag. 4. Aug. Von amtlicher Seite wird dst Nachricht, daß deutsche Truppen einen Einfall in hol­ländisches Staatsgebiet unternommen hätten, ener­gisch als falsch bezeichnet. Der Bürgermeister von Antwerpen hatte in einem Erlaß davon gesprochen deutsches Militär sei in holländisch Limpurg aus getaucht.

Bezirk r»nd Nachbarschaft.

Calw, den 5. August 1914 In eigener Sache.

Das von uns heute früh an unsrem Gebäude an- geschlaaene Extrablatt, das die Kriegserklärung Eng­lands an Deutschland bekanntmachte, wurde von un­berechtigter Hand abgerissen. Wir erklären, daß nm derartigem frechen Unfug selbstverständlich mit alle» uns erlaubten Mitteln entgegentreten.

Bezahlt den Wehrbeitrag sofort!

Nachstehender Hinweis wird uns zur Veröfftt lichung zur Verfügung gestellt:

Der Stuttgarter Haus- und Grundbesitzer-Verem richtet an alle wehrbeitragpflichtigen Hausbesitzer Eroß-Stuttgarts das freundliche Ersuchen die fäl­lige Wehrbeitragsrate und event. die wei­teren 2 Raten möglichst sofort einzubezahlen, also von der dreimonatlichen Einzahlungsfrist keinen Ge­brauch zu machen. Zahllose Söhne und Familien­väter unseres Volkes ziehen in den Krieg; Tausende melden sich freiwillig. Wer nicht Gelegenheit hat, mit seiner Person einzustehen, sollte durch glatte Er­ledigung seiner materiellen Verpflichtungen den, Vaterlande zu dienen suchen. Wir möchten uns die­ser Aufforderung anschließen, welche selbstverständlich nicht bloß die Hausbesitzer, sondern in gleicher Weise alle übrigen Wehrbeitragspflichtigen berührt.

Kriegsbetstunde. Der evang. Kirchengemeinde­rat hat beschlossen, daß von jetzt an am Sormby abends 5 Uhr und Donnerstag abends 8 Uhr in der Kirche Kriegsbetstunden stattfinden sollen. Am 0. August soll damit begonnen werden. Das Opfer soll dazu dienen, Familien, die durch den Krieg « Not kommen, zu unterstützen.

In das evangel.-theol. Seminar in Tübingen wurden u. a. ausgenommen: Haus Eidenbenz, Schi des Pfarrers in Altburg und Hans Ziegler, Sohn des -f Bauern in Gechingeu.

Postdienst. Der Postschalter wird bis Ais Weiteres wegen Personalmangels abends schon um 6 U h r g e s ch l o s s e n. Die V e st e llung der Postsendungen wird entsprechend den neuge­regelten Postzugsverbindungen wie folgt ausgefühck: Briefe und Zeitungen: 6.30 und 9.30 Ühr vorm., P a kete: 9.30 vorm. Die L e erungder Briefkästen in der Stadt findet zu folgende« Zeiten statt: 8.15 vorm., 5.00 nachm, und 9.00 nachm.

Beschränkungen in der Annahme und Befind? rung von Postsendungen, sowie im Postkrrdit- B im Postscheckverkehre. Die Verhältnisse machen die sofortige Einstellung des Postanweisungs-, des Pch kreditbrief-, des Postnachnahme- und des Postauf- tragsverfahrens in den Ober-Postdirektionsbeziike« Straßburg (Elf.), Metz, Trier, Gumbinnen. Königs­berg (Pr.), Danzig, Bromberg, Posen, Breslau und Oppeln erforderlich. Postanweisungen, Posmach- nahmesendungen und Postauftragsbriefe sind daher bis auf weiteres im Verkehr nach und von den Post- anftalten der genannten Bezirke nicht zulässig,' mich die Ausstellung von Postkreditbriefen sowie die Aus­zahlung von Beträgen auf Grund solcher Postkredit­briefe wird für die bezeichnten Bezirke aufgehoben,' ferner können daselbst weder Einzahlungen ans Zähl­karten für ein Postscheckkonto noch Auszahlungen M Zahlungsanweisungen der Postscheckämter erfolgen. Die Postscheckämter haben die an Empfänger in den in Frage kommenden Orten bar zu zahlenden Schea- beträge mittels Wertbriefs abzusenden.

Die Landwirtschaftliche Genossenschaftszentral- kasse e. G. m. b. H. versendet folgendes Rundschreiben an sämtliche Darlehenskassenvereine: Obwohl bis heute außerordentliche Eeldabhebungen infolge der Kriegsbesorgnisse bei uns nur vereinzelt bemerkbar sind, so halten wir es doch für unsere Pflicht, an den Vorstand und Aufsichtsrat des Darlehenskassenver­eins die Mahnung zu richten, sie möchten Nachdruck-i lichst darauf hinwirken, daß ihre Mitglieder, An­lehensgläubiger und Spareinleger Ruhe und Beson­nenheit bewahren. Es ist ein Unfug und eines vaterlandsliebenden Mannes unwur-