Wir stehen am Vorabend eines Kriegs. Vinnen 12 Stunden entscheidet es sich, ob Deutschland mobilisiert. Von der Mobilmachung aber bis zum Kriegsausbruch ist nur ein Schritt. DerZustand der drohenden Kriegs­gefahr", den der Kaiser gestern nachmittag befahl, be­dingt alle militärischen Maßnahmen an der Grenze und zum Schutz der Eisenbahnen, das Verbot der Veröffent­lichung von Nachrichten über militärische Maßregeln und bedeutet den Belagerungszustand. Dementsprechend ist die Zivilgewalt der militärischen unterstellt. Für das Volk ist jetzt und in den kommenden Tagen erste Pflicht: Ruhe! Besonnen­heit! Es handle jedes nach den im amtlichen Teil ds. Bl. bekanntgegebenen Anordnungen.

Wir legen unfern Lesern zur dringenden Beachtung nahe, daß die Nachrichten über die militärischen Vorkeh­rungen sowohl als auch über die Entschlüsse und Maß­nahmen der verantwortlichen Stellen im Deutschen Reich ganz spärlich und zudem verspätet einlaufen, da Tele­phon und Telegraph dermaßen überlastet sind, daß die Uebermittlung von Depeschen vollständig unmöglich ist. Nur auf brieflichem Wege und dadurch verzögert, ge­langen die Mitteilungen an die Zeitungen. Daher: Geduld!

Mobilmachungdergesamtenrussischen Streitmacht zu Wasser und zu Lande.

Berlin, 31. Juli. Aus Petersburg ist heute die Nachricht des deutschen Botschafters eingetroffen, daß die allgemeine Mobilmachung der russischen Armee und Flotte befohlen worden ist. Darauf hat Kaiser Wilhelm denZustand der drohenden Kriegs­gefahr" befohlen. Der Kaiser wird heute vom Neuen Palais in Potsdam nach Berlin übersiedeln. (Wie­derholt aus einem Teil der gestrigen Auflage.)

Die Antwort Oesterreichs.

Wien, 31. Juli. Infolge der russischen Mobili­sierung hat der Kaiser nunmehr die allgemeine Mo­bilmachung angeordnet, die durch Plakatierung so­eben kundgemacht wurde.

Für uns Deutsche am bedeutungsvollsten nach dem heutigen Stand der Dinge ist diese Meldung der Nordd. Allgem. Zeitung:

Berlin, 31. Juli. DieNordd. Allg. Zeitung" schreibt: Nachdem die auf einen Wunsch des Zaren selbst unternommene Vermittelungsarbeit von der rus­sischen Regierung durch die allgemeine Mobilmachung der russischen Armee und Marine gestört worden ist, hat die des Kaisers heute in St. Petersburg wissen lassen, daß die deutsche Mobilmachung in Aussicht steht, falls Rußland nicht binnen 12 Stunden seine Kriegs- vorbcreitungen einftellt und hierüber eine bestimmte Erklärung abgibt.

Gleichzeitig ist an die f r a n z ö s i s ch e Regierung eine Anfrage über ihre Haltung im Falle eines deutsch­russischen Krieges gerichtet worden.

Diese Nachricht der Norddeutschen stammt vom gest­rigen Tage; die Antwort Rußlands muß heute vormit­tag, spätestens heute nachmittag fallen und darnach wird für Deutschland wohl bis heute abend reiner Tisch ge­schaffen sein.

Meldungen liegen vor:

Verbote.

Berlin, 31. Juli. Der Bundesrat stimmte 3 Ver­ordnungen betreffend Ausfuhrverbot von Verpslegungs-, Streu- und Futtermitteln, Tieren, tierischen Erzeugnis­sen, Kraftfahrzeugen, Mineralrohölen, Steinkohlenteer und daraus hergestellten Oelen zu, weiter dem Verbot der Ausfuhr und Durchfuhr von Eisenbahnmaterial al­ler Art, von Telegraphen- und Fernsprechgeräten, sowie Teilen davon, von Luftschiffergeräten aller Art, von Fahrzeugen und Teilen davon, ferner betr. das Verbot der Ausfuhr und Durchfuhr von Waffen, Munition, Pul­ver und Sprengstoffen, sowie von anderen Artikeln für Kriegsbedarf und von Gegenständen, die zur Herstellung von Kriegsbedarf und Kriegsbedarfsartikeln dienen, fer­ner das Verbot betr. die Ausfuhr und Durchfuhr von Verbands- und Arzneimitteln, sowie von ärztlichen In­strumenten und Geräten, und das Verbot betr. die Aus­fuhr und Durchfuhr von Rohstoffen, die bei der Herstel­lung und dem Betrieb von Gegenständen für den Kriegs­bedarf zur Verwendung gelangen. Schließlich werden auch die Verbote betr. die Veröffentlichungen über Trup­pen- und Schiffsbewegungen usw. bekanntgegeben.

Einberufung des Reichstags.

Berlin, 31. Juli. Für den Fall des Kriegsaus­bruchs ist die Berufung des Reichstags auf Diens­tag den 4. August in Aussicht genommen. Die Er­öffnung wird im Weißen Saal des Kgl. Schlosses zu Berlin um 1 Uhr nachmittags erfolgen. Die Kaiser­liche Verordnung wegen der Berufung steht noch aus.

Die Verhängung des Kriegszustandes in Bayern.

München, 31. Juli. Der König hat unterm 31. Juli durch Allerhöchste Verordnung auf Grund des Art. 1 des Gesetzes über den Kriegszustand vom 5. November 1912 verordnet, daß über das gesamte Ge­biet des Königreichs der Kriegszustand verhängt wird. Weiter hat der König bestimmt, daß für die Pfalz das Standrecht angeordnet wird. Eine dritte königliche Verordnung regelt den Uebergang der Zi­vilgewalt auf die Militärgewalt.

Berlin und der Kaiser.

Berlin, 31. Juli. Die Meldung von der Erklä­rung des Zustandes der drohenden Kriegsgefahr hatte eine vieltausendköpfige Menge unter die Lin­den gelockt, wo sie in langen Ketten die Fahrstraße umsäumte und auf die Rückkehr des Kaisers war­tete. Im Gegensatz zu dem lebhaften Treiben der letzten Tage war die Stimmung der Massen ernst und nur hin und wieder erschollen vereinzelt Hurra­rufe, wenn ein Militärauto in schnellem Temvo mit einem hohen Offizier vorllbersuhr. Gegen 2^ Uhr erschollen vom Brandenburger Tor die lanciaezoqenen Hupensignale der Hofautos. Die Menge durchbrach die schwache Schutzmannskette, sperrte den Fahrdamm und umringte das Kaiserl. Auto, in dem der Kaiser in Garde du Corps-Uniform und die Kaiserin saßen. Brausende Hurrarufe ertönten den Majestäten ent­gegen. Der Kaiser dankte mit tiefern­stem Gesicht und in sichtlicher Bewegung. Nicht endenwollender Jubel ertönte, als das Auto des Kronprinzen herankam, der Husarenuniform trug, und gleich der Kronprinzessin für die Ovationen dankte. Sehr lebhaft wurden auch die übrigen kaiser­lichen Prinzen begrüßt. Sobald sämtliche Autos die Kreuzung der Friedrichstraße passiert hatten, wälzte sich ein ungeheurer Menschenstrom vor das Schloß, wo die Menge von einer Schutzmannskette zurück- gehalten wurde. Von Zeit zu Zeit brachte sie begei­sterte Ovationen dar.

Die patriotischen Kundgebungen auf dem Lust­garten setzten sich den ganzen Nachmittag fort. Um 6.30 Uhr erschienen der Kaiser, die Kaiserin und Prinz Adalbert an dem Fenster des Rittersaales und wurden stürmisch begrüßt. Der Kaiser richtete eine Ansprache an das Publikum. Seine Worte wurden von tosenden Zustimmungsrusen übertönt. Der Kaiser sagte folgendes: Eine schwere Stunde ist heute über Deutschland hereingebrochen. Neider überall zwingen uns zu gerechter Verteidi­gung. Man drückt uns das Schwert in die Hand. Ich hoffe, daß, wenn es nicht in letzter Stunde mei­nen Bemühungen gelingt, die Gegner zum Einsehen zu bringen, und den Frieden zu erhalten, wir das Schwert mit Gottes Segen führen werden, wie wir es mit Ehren wieder in die Scheide stecken können. Enorme Opfer an Gut und Blut würde ein Krieg vom deutschen Volk erfordern. Den Gegnern aber werden wir zeigen, was es heißt, Deutschland anzu­greifen. Und nun empfehle ich Euch Gott. Fetzt gehet in die Kirche und knieet nieder vor Gott und bittet ihn um Hilfe für unser braves Heer. Hoch- und Hurrarufe und patriotische Lieder antworteten dem Kaiser. Als kurz darauf die Majestäten im of­fenen Automobil das Schloß verließen, wurden ihnen wiederum brausende Ovationen dargebracht.

Berlin, 31. Juli. Heute nachmittag verlas ein Oberleutnant vom Regiment Alexander an der Spitze eines Wachkommandos unter Trommelwirbel am Denkmal Friedrichs des Großen und an anderen Stellen eine Bekanntmachung des Oberstkommandie­renden in den Marken und des Gouverneurs von Ber­lin, wonach über Berlin und die Provinz Branden­burg der Kriegszustand verhängt worden ist. Die Bekanntmachung wurde von dem Publikum mit Hurrarufen und Hochrufen auf das Alexanderregi­ment ausgenommen.

Aufgehobene Aufgebote.

Berlin, 31. Juli. Aufgebotsbesreiungen für Militärpflichtige zu erteilen sind durch soeben be­kannt gegebenen Erlab des preußischen Ministeriums des Innern vom Beginn der Mobilmachung an alle Standesbeamte ermächtigt, sofern beide Verlobte Deutsche sind. Einer Rückfrage bei der oberen Be­hörde bedarf es nicht.

Berlin, 31. Juli. Auf. Grund des Art. 12 Abs. 1 der Verordnung vom 12. Juli 1910 hat der preußische Minister des Innern den österreichisch-ungarischen Staatsangehörigen, die durch die Mobilmachung der österr.-ungarischen Armee betroffen sind, bis auf wei­teres die Befreiung von Aufgeboten zum Zweck der Eheschließung erteilt.

Eine Kundgebung der württembergischen Staatsregierung.

DerStaatsanzeiger" gibt bekannt: Nachdem Seine Majestät der Kaiser das Reichsgebiet in Kriegszustand erklärt hat, spricht Seine Majestät der König das feste Vertrauen aus, daß die Zivilverwal- tungs- und Gemeindebehörden ihre nun im Interesse des Vaterlandes eintretende Unterstellung unter die Militärbefehlshaber mit einem dem Moment gerecht werdenden gehobenen Pflichtbewußtsein aufnehmen und die ihnen obliegenden Amtsaufgaben mit beson­ders freudigem Diensteifer aufs Gewissenhafteste er­füllen werden. Auf Allerhöchsten Befehl gibt das Staatsministerium Vorstehendes bekannt. Stuttgart 31. Juli 1914. Weizsäcker, v. Marchtaler, Fleisch­hauer, Schmidlin, Habermaas, Pistorius.

Stuttgart, 31. Juli. Heue nachmittag i/H Uhr verkündigte Leutnant Uhland an der Spitze eines Zu­ges des Jnfanterie-Regt. Kaiser Friedrich Nr. 125 auf dem Schloßplatz öffentlich den Kriegszustand. Es herrschte unter der gewaltigen Menschenmenge eine große Begeisterung.

Die Landeshauptstadt.

Stuttgart, 31. Juli. Wie ganz anders, als an den vergangenen Abenden, war das Bild, das sich heute dem Beschauer in den hiesigen Straßen bot. Ruhig und sicher bewegte sich eine unübersehbare Menge durch die Königstraße bis in die Eberhard­straße und zurück, staute sich vor der großen Jnfante- riekaserne, wo das Polizeiaufgebot friedlich seines schweren Amtes waltete. Der Ernst der Zeit war es, der viele bis spät in den Abend hinein auf die Straße trieb. In den Restaurants und Cafes zeigte sich das­selbe Bild; dereuropäische Krieg", die bevorstehende Mobilmachung drängte sich auf aller Lippen, bildete das Gesprächsthema, bewegte alle Gemüter. Die sich schiebende Menge, wovon das weibliche Geschlecht, dasschwache", ein großes Kontingent stellte, war sich des Ernstes der Lage wohl bewußt, was in der Unter­haltung am deutlichsten zum Ausdruck kam; nichts von Radauszenen, Demonstrationen war zu sehen oder zu hören. Vor den Anschlagsäulen harrten sie der Neuigkeiten, an die fast ausgeleerten Waffen­läden trieb sie der Vorwitz. Eine große Zahl Autos belebte die Straßen. Die einrückenden Marsjünger vervollständigten das buntbewegte Bild: hier der eine mit zuversichtlicher Miene, das Bündel im Arm, neben seinem alten Vater, vielleicht einem alten Kriegsvetranen, oder an Seite seiner ergrau­ten Mutter, dort die Braut oder das geliebte Weib mit verweinten Augen. Aus den Kasernen erklan­gen frisch und frei, mit Wehmut untermischte, aber von echtem Vaterlandsgeist getragene Abschieds­lieder der Soldaten. Erhebend war es, zu sehen, wie da und dort der Vater sein jüngstes Söhnchen auf den Arm hob, ihm von den sich eben abspielenden welterschütternden Ereignissen zu erzählen versuchte, allüberall zu hören, daß es besser sei, wenn es jetzt gleich los gehe, damit man endlich Ruhe bekomme. Ergraute Leute standen beisammen und redeten mit Begeisterung von vergangenen, ruhmvollen Zeiten: Genau so, wie vor 44 Jahren," meinten sie. Punkt ein Viertel nach 9 Uhr traf unser König im Automobil von Friedrichshafen hier ein. Vor dem Wilhelmspalais hatte sich schon länger als eine Stunde vorher eine große Menge angesammelt, die ihrem geliebten Landesherrn in diesen bangeschweren Stunden den ersten Gruß in seiner Residenz entbie­ten wollten. Als der König sein Auto verließ, da brach die Menge, die die Straßen dicht umsäumt hielt, in spontaner Begeisterung in unzählige Hoch auf ihn und unser teures Vaterland aus. Der König, in dessen Zügen anfangs tiefer Ernst lag, trat vor das Auto und mußte sich den ihm Zujubelnden im­mer wieder zeigen, die schließlich die Schutzmanns­kette durchbrochen hatten und das LiedDeutschland, Deutschland über alles" anstimmten, indes manchem die Tränen in den Augen standen. Aber allüberall, wohin man sah, kam in diesen Kundgebungen, die sich später in den Hauptstraßen und am Bahnhof wie­derholten, sozusagen das Instinktive der Volksseele zum Durchbruch, zeigte sich so recht das immer mehr ^wachsende Gottvertrauen, jenes Vertrauen, dav wenn auch mit Blut und Eisen, eine gerechte und heilige Sache doch zu dem heiß ersehnten Siege und Frieden führen muß.

Stuttgart, 31. Juli. Der Hausmeister Martin Hipp von der russischen Gesandtschaft hat heute nach­mittag infolge der durch die ernste Lage hervorge­rufenen Aufregung, während er seinen dienstlichen Obliegenheiten nachging, einen Schlaganfall erlitten. Er wurde durch Sanitätsmannschasten in sein nahe- gelegenes Haus in der Kriegsbergstraße geschafft.