Stadtschultheiß Conz an die Einwohnerschaft der Stadt Calw.

C alw, den 31. Juli 1914.

In der gestrigen Sitzung des hiesigen Gemeinderats richtete Stadtschultheiß Conz unter dem Eindruck der gegenwärtigen un­ruhigen, ernsten Zeit nachstehende Worte an Gemeindevertreter und Bürgerchaft:

Meine Herren! Die Ereignisse, die in diesen Wochen alle Gemüter in der Stadt bewegen, müssen meiner Ansicht nach wohl auch in der Gemeindevertretung zum Ausdruck kommen und uns daran erinnern, daß wir als berufene Vertreter der Bürger­schaft dieser in richtunggebender Weise vorangehen sollen. Daher halte ich es für meine Pflicht, in einigen Punkten auf die Auf­gaben hinzuweisen, die dem Gemeinderat in solchen Zeiten zu­fallen. Ich will damit die Lage gewiß nicht unnötig schwarz malen, sondern nur tun, was meine Pflicht ist und was im fort­laufenden Gang der Dinge vielleicht nicht mehr getan werden könnte.

Die Vorschriften für die Mobilisierung und über die Dauer eines Krieges für eine Gemeindeverwaltung bezw. ihren Vor­steher, sind teils gedruckte Instruktionen, teils sind sie abzu­leiten aus kluger Ueberlegung und einer klaren Vernunft. Die gedruckten Anweisungen wenden sich ausschließlich an den Ortsvorsteher allein und nur zu einem geringen Teil auch an die Gemeinderäte oder -Kollegien. Immerhin aber sind die Mitglie­der der Gemeindekollegien an den Maßnahmen beteiligt, die durch die Vernunft dirigiert sind und die dahin zusammengefaßt wer­den können: wir müssen uns bewußt sein, daß wir als die berufenen Vertreter der Gemeiinde in erster Linie vorangehen müssen mit Ruhe und Be­sonnenheit und ständiger Hilfsbereitschaft. Wir müssen alle miteinander dafür sorgen, daß gegenüber den sich überstürzenden Gerüchten, die in der gegenwärtigen Zeit in der Stadt und im Lande auftauchen, die notwendige Vorsicht und Festigkeit an den Tag gelegt wird, im Verkehr mit unseren Mit­bürgern, öffentlich und privat. Die heutige Zeit, durch Tele­graph und Telephon verwöhnt, ist ja kaum mehr imstande, in so schwerer Zeit schrittweise den Gang der Ereignisse abzuwarten; man will geradezu überstürzt sein mit Neuigkeiten und die Zei­tungen können unter den obwaltenden Umständen nur schwer dieser Neuigkeitslüsternheit der Bevölkerung widerstehen. Und wenn diese Nachrichten, die die Leute beunruhigen und auf­schrecken, auftreten, dann ist es Pflicht derNettesten" in der Gemeinde, hier",. 7<-n Teilen beruhigend einzuwirken. Darum möchte ich Sie dringend bitten, denn, wenn wir den Kopf ver­lieren, was sollen wir dann von den anderen Leuten erwarten, oder gar von der Jugend? In dieser Richtung liegen die An­forderungen, die an ein Gemeindekollegium-Mitglied hauptsäch­lich gestellt werden."

Die gedruckten Jnstruktonen für den Ortsvorsteher, soweit sie nicht geheime sind, gab der Redner alsdann bekannt und er gab dann die Versicherung, daß wenn es zum Aeußersten komme, er auch bei seinen allein von ihm zu treffenden Maß­nahmen in steter Fühlung mit der Bürgerschaftsvertretung blei­ben werde und weiterhin werde er sich seiner Verantwortung voll bewußt sein, die auf ihm allein liege. Schließlich, führte Stadtsch. Conz dann weiter aus, sei er nicht im Zweifel darüber, daß die Stadtverwaltung mit der Gemeindevertretung auch in unruhigen Zeiten gut Zusammenarbeiten werde.

Um zu zeigen, daß ich die nötigen, vorsorgenden Schritte getan habe, die meine Instruktionen verlangen, habe ich mich nach Rücksprache mit Herrn Dreiß als meinem Stellvertreter für verpflichtet gehalten, in den letzten Tagen wegen der Nah­rungsmittelversorgung der Stadt zu erwägen, daß Calw als Sitz eines Bezirkskommandos eine besondere Stellung einnimmt, weil hier in Calw sofort und am 2. und 3. Tag der Mobilmachung eine ganz erhebliche Zahl von Reservisten, 1200 Mann, eingezogen werden und zwar auf unbestimmte Zeit. Einer Zahl von 1200 Leuten gegenüber ist die Zahl der Ein­wohner, die unter die Fahne gerufen wird, unerheblich. Deshalb habe ich mich in aller Stille und ohne ausdrücklichen Befehl von oben mit dem Metzgerobermeister, dem Vorstand der Bäckerinnung und mit einigen Nahrungsmittelgeschäften hier ins Einverneh­men gesetzt wegen Beschaffung von Fleisch und Mehl u. a. Ich habe mich nach Erkundigung bei den Herren Dreiß, Serva, Vin- con und dem Consumverein sowie der Firma Pfannkuch über­zeugt, daß teilweise Vorräte vorhanden sind und teilweise Be­stellungen zur Vervollkommnung der Vorratslager gemacht wur­den. Es scheinen von der Einwohnerschaft ziemlich außerordent­liche Einkäufe gemacht zu werden, was den Haushaltungen nicht zum Schaden sein wird; wenn Preistreibereien da­mit verbunden wären, kann ich die Veranwortung jedoch nicht übernehmen. Jedenfalls ist es klar, daß innerhalb der nächsten drei Wochen nach der Mobilisierung eine Zufuhr nicht mehr stattfindet.

Auf dem Rathaus selbst wird es beim Beamtenper­sonal wesentliche Veränderungen geben. Stadtbaumeister König muß in besonderem Auftrag am 1. Mobilmachungstag nach Teinach. Stadtpflegebuchhalter Frey muß am 1. Tag ein­rücken. Herr Stadtpfleger müßte sich dann ohne ihn behelfen und wenn mit der Stellung des Stadtpflegers eine Aende- rung eintritt, muß Stadtschulth.-Amtssckretär Braun auf dessen Posten und das Stadtschulth.-Amt muß sehen, wie es für Hrn. Braun anderweitig Ersatz schafft. Die Schutzleute Braun, Rägle und Lörcher müssen am 1. Tag, Broß am 4. Tag fort. Vom Gaswerk müssen die beiden Heizer Zipperer in Ausmarsch, vom Elektrizitätswerk Großmann und Holzinger. In beiden Werken ist dafür gesorgt, daß der Betrieb keine Störun­gen erleidet. Als Ersatz für die ausrückenden Schutzleute müßten Ratsdiener Schüttle und Botzenhardt eingestellt werden, wäh­rend für die Gänge für die Rathausgeschäfte eben noch Aus­läufer in Betracht kämen. Der Betrieb des Gaswerks würde dadurch uneingeschränkt aufrechterhalten, daß statt der beiden Zipperer einige Stadttaglöhner und einige Schlosser beigezogen würden. Was die Vorräte im Gaswerk anbelangt, so ist zu sagen, daß im Werk noch für drei Monate Kohlen vorhanden sind, sodaß wir, falls mit der Bahn nichts mehr kommen sollte, nicht in Verlegenheit kämen. Beim Elektrizi­tätswerk kommt uns der derzeitige hohe Wasserstand zunutzen und der Anschluß an Teinach. Im äußersten Falle, wenn die Motore allein ohne Ersatz von Teinach und ohne Wasserkraft arbeiten müßten, wäre immer noch für 10 Tage Betriebsöl da; zur Zeit reicht die Wasserkraft; wenn diese und die Motore ar­beiten müßten, reicht das Oel mindestens 20 Tage. Ich selbst werde als unabkömmlich hier bleiben und zunächst meines Amtes walten, bis die erste Arbeit vorüber ist. Ueber meine

sonstigen Geschäfte darf ich im jetzigen Augenblick noch nicht viel sagen, da sie zur geheimen Mobilmachung gehören. U. a. wird es sich darum handeln, Pferde auszuheben, Eisenbahnschutzwachen zu bilden, Quartiere für 1200 Mann bereitzustellen, Arbeiten die, selbst auf die Möglichkeit hin, daß sie umsonst getan wurden' z. T. schon erledigt sind.

So denke ich, daß die uns obliegenden Geschäfte, wenn es zum Kriege kommt, sich glatt abwickeln und in dieser Beziehung können wir, soweit es unsre Stadt bettifft, der Zukunft ruhig entgegengehen. Bei der Abwickelung der Geschäfte kommt mir meine militärische Erfahrung doch auch wesentlich zustatten, und ich bitte Sie alle, mich zu unterstützen und namentlich unter der Bevölkerung für Ruhe und besonnene Auffassung der Lage Sorge zu tragen."

Die Anwesenden nahmen diese Ausführungen unsres Stadt- vvrstandes mit tiefem Ernst entgegen. Keiner konnte sich der Be­deutung dieser Stunde verschließen, in der der oberste Beamte der Stadt ruhig und würdig, den großen Ernst der Zeit auch für unsre Gemeinde erfassend, vor der Bürgerschaftsvertretung über die Maßnahmen sprach, die auszuführen für Calw dann gegeben sein werden, wenn das Deutsche Reich zu den Waffen greifen muß.

G.R. Staudenmeyer sprach an den Stadtvorstand den Dank des Gemeinderats aus: er glaube, daß es in dieser ernsten Zeit notwendig sei, daß man die Bürgerschaft zur Ruhe mahne. Er fragt dann, ob nicht mit dem Abbruch des alten Kranken­hauses zugewartet und dieses, wenn der Ernstfall eintrete, als Quartier benützt werden könne. Stadtsch. CRnz erwidert dar­auf, daß das alte Krankenhaus bei der Militärverwaltung abge­meldet sei und in der Umgebung stünden genügend Baulichkeiten zu dem gedachten Zweck zur Verfügung. Aber er habe sich gleich­falls gesagt, daß das Haus wohl noch acht Tage stehen bleibe. Herr Alber werde ihm vorher Nachricht geben, ehe er an den Ab­bruch desselben geht.

Die Gemeinderäte Dreiß und Stickel stellen sich zur Aufnahme der Quartierliste zur Verfügung; desgl. wird G.R. Feldweg ein besonderes kleines Amt übertragen. Der Gemeinde­rat ging dann zur Erledigung der Tagesordnung über. (Siehe unten.)

Vom Rathaus.

Oeffentliche Sitzung des Eemeinderats am Donners­tag, nachmittags von 5 Uhr ab unter dem Vorsitz von Stadtschultheiß Conz. Anwesend waren 9 Gemeinde­räte.

Die Tapezierarbeiten und die Lieferung von Linoleum für Wohnungen im Mädchenschulgebäude wurden dem Sattlermeister Hermann Bauer hier über­tragen. Herr Bauer liefert das qm Linoleum für 3.95 Mark und verlangt für das Tapezieren pro Rolle 50 Das von ihm eingereichte Angebot war das billigste. Für das Altersheim wird ein neuer Herd ange­schafft werden. Der Eemeinderat stand auf der Wahl, ob ein Herd mit Warmwasservorwärmer (Boyler) oder einer ohne solchen gekauft werden solle. Er entschied sich für letzteres und wird von den hiesigen Schlosser­meistern Angebote einziehen. Die bisher im Altersheim benutzten Herde werden Schutzmann Lörcher gegen ent­sprechende Vergütung überlassen. Die Firma Sulzer,

Der rote Hahn.

56) Romano. Palle Rosenkrantz. Deutsch». Jda Anders.

Um Verzeihung, unterbrach der Assessor, wie kann man eigentlich in der Beziehung etwas wissen, ehe ich meine Untersuchungen abgeschlossen habe?

Der Kammerherr räusperte sich: Die Sache ist die es handelt sich hier um politische Motive. Die Gutsbesitzer des Kreises haben sich an mich gewandt; wie Sie wissen, war der Hofjägermeister auf Due- lund gestern Zeuge eines sehr peinlichen meiner Meinung nach sogar unnötigen Auftritts. Hilmer ge­hört zu den Äützen der Regierung in dieser Gegend. Er ist ein angesehener Mann, für den eine lange ver­dienstvolle öffentliche Wirksamkeit spricht. Man wünscht nicht, daß er in eine schiefe Stellung gebracht wird. Man mißbilligt Ihr Auftreten und hat mich ermächtigt, es Ihnen zu sagen.

Der Assessor stand auf: Ich bin Richter, Herr Kammerherr; ich bin vollständig unabhängig von der Verwaltung, und es ist mir das Gleichgiltigste von der Welt, ob man meine Methode billigt oder nicht. Man kann mir mein Amt nehmen meinetwegen. Aber solange ich mein Amt bekleide, bestimme ich, was ich untersuchen will, und ich weise die Mißbilli­gung des Ministeriums zurück, besonders wenn sie mir von einem Beamten, mit dem ich sonst nichts zu tun habe, übermittelt wird.

Der Kammerherr wurde dunkelrot.

Ja, Herr Kammerherr, fuhr Richter fort, ich bin so gestellt, daß ich nicht anzunehmen brauche, was mir nicht paßt. Ich bin nicht abgeneigt, diese Sache mit den Herren zu erörtern. Aber die Herren müssen vor allem wissen, auf welchen Fuß man sich mir gegenüber Hu stellen hat.

Der Bürgermeister, der im stillen dem herab­lassenden Kammerherrn diesen Rüffel gönnte, war nahe daran, Richter zu bewundern. Die Kunst, den Kopf zurllckzuwerfen, hatte der alte, brave Mann nie gelernt.

Der Kammerherr sah ein, daß er sich verrannt hatte. Er war keinen Widerspruch gewöhnt. Er wußte im Augenblick nicht recht, wie er die Sache in das rich­tige Geleise bringen sollte.

Es entstand eine Pause.

Der Kammerherr dampfte heftig an seiner Zigarre.

Der Assessor genoß den kleinen Trumpf, den er ausgespielt hatte.

Und wenn man nun wünschte, wenn man Sie darum bäte, in diesem Fall aus mehreren Gründen nachzugeben, was würden Sie dann antworten?

Assessor Richter lächelte: Wenn der Herr Kam­merherr in dem Ton mit mir sprechen, bin ich wirklich nahe daran, zu schmelzen. Ich habe keinen persön­lichen Ehrgeiz, absolut keinen. Der Herr Kammer­herr wissen, daß ich Resultate genug aufzuweisen habe. Ich habe auch nicht um diesen meinen letzten Auftrag gebeten. Also meinetwegen mögen die vorliegenden Brände getrost unaufgeklärt bleiben, aber ich wünsche nicht, meine Arbeit hier unten fortzusetzen, sofern man mir nicht vollständig freie Hand läßt. Mischt man sich direkt oder indirekt in meine Wirksamkeit, dann höre ich auf. Das ist mein Standpunkt, und er ist, wie es mir scheint, klar und unzweideutig.

Das heißt also, fragte der Kammerherr vorsich­tig, daß Sie die andern Sachen als unaufgeklärt ab­schließen und das Ganze dem Ministerium einsenden.

Ja, Herr Kammerherr, das Heißt, daß ich noch heute nachmittag die Leute loslasse, die da oben im Gefängnis sitzen, die Verhandlungen abschließe und mit dem Zuge acht Uhr zwanzig heute abend in die Hauptstadt zurückkehre. Und ich kann dem Herrn Kam­merherrn nicht versprechen, daß ich eine wohlwollende Schilderung des hier Geschehenen geben werde. Ich habe die Absicht, meiner Galle freien Lauf zu lassen, auch an Orten, wo man dagegen nicht gefühllos sein wird. Also mit mir ist die Sache leicht geordnet, wenn man es überhaupt zu ordnen wünscht, wie der Herr Kammerherr andeutet. Ich schließe noch heute

nachmittag ab und reise ohne Kummer, kann ich Ihnen versichern.

Dem Kammerherrn war eigentlich wohl zumute, er empfand das Bedürfnis, nachzuglätten, die Ehre, die Angelegenheit geordnet zu haben, war ihm ja doch sicher. Also warum nicht großmütig sein? Ich habe selbstverständlich nicht etwa ausdrücken wollen, daß man wünscht, der Herr Assessor sollen den Wahlplatz als ein geschlagner Mann verlassen. Man ist bereit, Ihnen einen andern Auftrag zu geben, über den ich im Augenblick nicht unterrichtet bin, der aber ...

Danke, unterbrach Richter, -dafür werde ich selbst sorgen. Ich meine, welche Ansicht man sich hier in der Gegend über die Sache bilden wird, ist mir gleich- giltig. Ich bin überzeugt davon, daß die Volksstimme, die ja Gottes Stimme ist, so laut von den großen und kleinen Dieben sprechen wird, daß es den Herren sehr leicht fallen wird, die Einstellung der Sache zu er­klären. Eine lange Wirksamkeit hat mich dem Urteil der Leute gegenüber vollständig gleichgiltig gemacht. Aber da ich unsre Unterredung als bindend betracht muß ich die Herren um Verzeihung bitten, daß ich jetzt aufbreche. Von meiner Seite ist es ernst. Ich Mr noch heute abend.

Und das wurde das Ende des Gesprächs.

Als Richter gegangen war, sagte der Landrat vertraulich zum Bürgermeister: Ein sehr unangeneh­mer Herr, dieser Richter.

Worauf der Bürgermeister antwortete: Ein ver­flucht unangenehmer Kerl. Gott sei Dank, daß er abfährt.

Darauf erörterte man lange und eingeheick, wie gut es sei, daß die Regierung in solchen Sachen solche Rücksichten nähme, und wie bedenklich es überhaupt wäre, Kommissionsrichter zu verwenden, die nicht in direkter Verbindung mit den lokalen Behörden stün­den und sozusagen die Hand auf dem Puls des Volkes hätten.

(Fortsetzung folgt.)