Seite 2
Schwarzwälder Tageszeit«»- «A»i de» T«*««l
Nr. 22 z
Tagung res Berwaltungsrates der Reichsbahn
Berlin, 23. Sevt. Am 21. und 22. September 1931 tagte der Verwaltungsrat der Deutschen Reichsbahngesellschait in Berlin. Die Entwicklung der Einnahmen war auch in letzter Zeit ungünstig. Der Personen- und Geväckverkehr in den ersten 8 Monaten 1931 weist gegenüber Len gleichen Monaten des Vorjahres einen Rückgang um 129 Million-. Mark (minus 12.7 Prozent), der Güterverkehr einen Rückgang um 3S6 Millionen Mark (minus 17.8 Prozent) auf. Der gesamte Rückgang der Einnahmen beziffert sich bis Ende August gegenüber 1839 aus 189 Millionen Mark, gegenüber 1929 auf 955 Millionen Mark, das sind 26.9 Prozent weniger. — Es ist der Verwaltung gelungen, einen wesentlichen Teil des Einnahmerückganges durch Vetriebsersparnisse auszugleichen. Es war möglich, die Gesamtausgaben im Jabre 1931 um 29,7 Prozent gegenüber 1929 zu senken. In der Betriebsführung sind die Personalausgaben und die Sachaufwendungen für Betrieb und Verkehr berabgemindert worden: in der Unterhaltung und Erneuerung der Bahnanlagen wurde gespart. Der Verwaltungsrat genehmigte für 1932 den Abschlun auf Lieferung von Schienen und sonstigem Material im Werte von rund 109 Millionen Mark. Inwieweit weitere Arbeitsaufträge zusätzlicher Art von der Reichsbahn herausgegeben werden können. bängr von dem Ergebnis der 4.5prozentigcn steuerfreien Reichsbahnanleibe ab. zu deren Herausgabe der Verwaltungsrat seine Zustimmung gab.
Wlntereinbru» in Südbayern
München, 23. Sevt. In ganz Südbayern ist ein Winkereinbruch eriolgt, wie er in diesem Ausmatz im September seit vielen Jahren nicht mehr erlebt wurde. Im bayerischen Allgäu schneit es seit über 21 Stunden ununterbrochen. Selbst im Flachland fällt der Schnee. Füssen hatte beute trüb eine Schneehöhe von 5 bis 6 Zentimeter. In den Bergen liegt der Schnee bis zu einem Meter hoch. Starke Schneeverwehungen führten zu schweren Verkehrsstörungen. Auf der Arlbergstrahe mutzte ein Auto aus dem Schnee geschaufelt werden. Das Wild zieht scharenweise zu Tal. Der Schaden für die Landwirtschaft ist grotz. Auch München bat beute seinen ersten Schnee gehabt. Das winterliche Bild in der Stadr war jedoch nicht von Bestand.
Neues vom Tage
Chefbesprechung in der Reichskanzlei
Berlin, 23. September. Wie wir erfahren, findet heute abend in der Reichskanzlei eine Chefbesprechung statt, die das Wirtschaftsprogramm soweit fordern soll, daß das Reichskabinett sich morgen den ganzen Tag über mit ihm beschäftigen kann. Man rechnet damit, daß eine Reihe der wichtigsten Pläne in diesen morgigen Beratungen bereits zum Abschluß gebracht werden können, so z. B. das Klein- fiedlungsprojekt. Hierfür ist eine Doppelvorlage ausgearbeitet worden. Es wird sich morgen entscheiden, ob die Kesamtsiedlung in diesen Plan hineingenommen werden oder ob er auf das neue Projekt der Eemischt-städtisch- ländlichen Siedlung beschränkt bleiben soll. Außerdem werden in den morgigen Kabinettsberatungen u. a. auch die Probleme behandelt werden, die in den letzten Wochen im Reichsarbeitsministerium besonders eingehend verfolgt worden sind. In unterrichteten Kreisen glaubt man jedoch nicht, daß das Kabinett morgen bereits mit all diesen Dingen fertig werden wird. Es gilt als feststehend, daß die außenpolitischen Fragen morgen noch nicht zur Sprache kommen werden. Es ist möglich, daß Dr. Curtius dem Kabinett am Freitag Bericht erstatten wird. '
Länder gegen Sondergerichte?
Berlin, 24. September. Wie dem „Berliner Tageblatt" ' aus München berichtet wird, soll beim bayerischen Justizministerium wenig Neigung für das Projekt vorhanden *
sein, Sondergerichte zur schnellen und strengen Aburteilung von Terrorakten, geschäftlicher Mißwirtschaft und verschiedenen anderen Delikten zu schaffen. Im preußischen Justizministerium soll, dem Blatt zufolge, ebensowenig Begeisterung für die Schaffung von Sondergerichten herrschen. Vermutlich würden auch die meisten übrigen deutschen Länder auf dem gleichen Standpunkt stehen.
Die nationalfozialistifche Reichstagsfraktion an Brüning Dünchen, 22. Sept. Die Nationalsozialistische Reichstagsfraktion hat von München aus an Reichskanzler Brüning folgendes Telegramm geschickt: Mordtaten bewaffneter Marxisten gegen waffenlose Nationalsozialisten häufen sich erschreckend. Sühne erfolgt regelmäßig nicht. Im Rechtsstaat trägt Regierung letzte Verantwortung für Sicherheit der Volksgenossen. Wir erklären daher, daß wir 'ür ungenügenden Schutz unserer Parteigenossen die Mitglieder gegenwärtiger Regierung verantwortlich machen und gegebenenfalls zur Verantwortung ziehen werden, gez. Frick.
Reisende Engländer in Verlegenheit Paris, 23. Sevt. Die Kurse für das englische Pfund im freien Verkehr in Paris waren gestern abend etwas niedriger als am Vortag. Es ist nach wie vor schwer, englisches Geld zu wechseln. Der Höchstbetrag der gezahlt wurde, waren 105 Franken für ein Pfund gegenüber 121 Franken am Ende der vorigen Woche. Der niedrigste Kurs waren 95 Franken. Im Durchschnitt wurde das Pfund für 100 Franken angenommen. Das Bankhaus Morgan wechselte nur für seine ständigen Kunden, während die französischen Großbanken, mit einer einzigen Ausnahme, die Annahme englischen Geldes ablehnten. Die Rückkehr der in Paris weilenden Engländer setzt sich in steigendem Maße fort. Die Riviera entleert sich täglich mehr. In französischen Bank- und Börfenkrei- sen zeigt man sich zuversichtlich und glaubt an keine Rückwirkungen auf die Pariser Börse.
Aus Stadt und Land
Altensteig, den 24. September 1931.
Scharfe Abkühlung brachten uns die letzten Tage. Das Wetter der ganzen Woche gestaltete sich wie nachwinterliche Apriltage. Gestern hatten wir sogar den ersten leichten Schnee in Gestalt von Graupeln und abends hat es in den höher gelegenen Orten unserer Umgebung schon recht lebhaft geschneit. Die Frühtemperatur liegt beinahe auf dem Nullpunkt und man ist genötigt, den Ofen in Betrieb zu setzen.
— Bekommen wir einen strengen Winter? Der Herbst beginnt diesmal erst am 24. September um 1 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt überschreitet die Sonne mit ihrem Mittelpunkt den Aequator, um fortan sechs Monate hindurch ihre wärmenden Strahlen vorwiegend der südlichen Halbkugel zukommen zu lassen. Uebrigens hinkt der astrondmische Herbstbeginn in diesem Jahre den meteorologischen Verhältnissen beträchtlich nach, denn schon seit Anfang September befinden wir uns, was die Wtterung anbelangt, im Herbst. Die Schlüsse, die sich aus dem Verlauf des letzten Sommers auf die mutmaßliche Witterung im Herbst und Winter führen lassen, sind ziemlich eindeutig. Angesichts der nun schon mehrere Monate dauernden Periode reichlicher Niederschläge wird man erwarten dürfen, daß diese in nicht zu ferner Zeit eine Unterbrechung erfährt, und daß demgemäß im Spätherbst die Tendenz zu kontinentalem Hochdruckwetter durchbrechen wird. Dafür spricht auch der frühe Beginn herbstlicher Witterung. Es besteht also die Wahrscheinlichkeit ziemlich frühzeitigen Eintritts von Frostwetter, und falls diesem größere Schneefälle vorangehen, auch für ausgesprochene November- und Dezemberkälte. Damit ist allerdings nicht gesagt, daß der ganze Winter kalt und streng wird. Denn auf kühle und regnerische Sommer folgt in der Mehrzahl der Fälle ein mäßig milder Winter, und
es ist deshalb sehr wohl möglich, daß nach einem mehr oder weniger kalten Spätherbst und Vorwinter der eigentliche Winter wieder vorwiegend mild und regnerisch wird. Gewöhnlich pflegt dieser Umschwung um die Zeit der Wintersonnenwende einzutreten, und dann folgt nicht selten aus , einen feuchtmilden Januar und Februar ein zeitiger Friih- : Ing, der dann Vorbote eines warmen und trockenen Sommers ist, wie in den Jahren 1911 und 1921. Es wird darauf hingewiesen, daß ein ausgesprochen heißer und trockener Sommer für eines der nächsten beiden Jahre in Ver-
- bindung mit dem sich jetzt nähernden Sonnenfleckenmini- i inum fällig ist.
! Nagold, 24. September. (Sanitätskolonne.) Um i Sonntag, den 11. Oktober nachmittags wird die Sanitäts- ' kolonne Herrenberg eine Werbeübung abhalten in der Ab- s sicht, hier eine Lehrabteilung zu errichten. An die llebung i soll sich ein Werbemarsch anschließen, sowie eine Erün- ' dungsversammlung, verbunden mit einem öffentlichen
- Vortrag über das Rote Kreuz und die Aufgaben der Rote- s Kreuz-Kolonne. Auch die freiwillige Eanitätskolonne : Freudenstadt hat ihre Teilnahme zugesagt.
Calw, 23. September. (Frecher Diebstahl.) Am Montag nachmittag, also am Hellen Tage, begaben sich zwei Brüder, wovon der eine 13, der andere 15 Jahre alt ist, in ^ ein mit einer Hecke umgebenes Calwer Baumgrundstück, um nicht nur etwas Obst aufzulesen, sondern um zwei Walnußbäume vollständig zu plündern, i Der jüngere Bruder stieg auf die Bäume, der ältere stand ; am Eingang Wache. Da die Nüsse auf ein Dach fielen s und so ein auffälliges Geräusch verursacht wurde, begab : sich ein Grundstücksnachbar hinzu und fand den jüngeren i Missetäter auf dem Nußbaum. Erft auf energische mehr- ^ malige Mahnung hin kam dieser vom Daum herunter und ; versuchte noch auf Befragen einen falschen Namen anzu- ^ geben; er hatte etwa vierzig Pfund Walnüsse erbeutet, di« ' zum Teil noch unreif waren.
' Freudenstadt, 23. September. (Die scheidende Saison j — der erste Schnee.) Die Zahl der Kurgäste reduziert sich von Tag zu Tag und beschränkt sich hauptsächlich auf die einzelnen Erholungshäuser. Das schlechte Wetter hat die Hoffnung auf eine ergiebige Nachsaison rasch schwinden lassen. Der immer wiederkehrende Regen und die sinkende ; Temperatur haben selbst die hartnäckigsten Kurgäste zur Verzweiflung gebracht und viele, die der schlechte Sommer auf eine sonnige Herbstkur hoffen ließ, und an einzelnen k schönen Tagen in den Schwarzwald gelockt wurden, haben ' ihr Bündel wieder geschnürt und Abschied von unserer . Luftkurstadt genommen. So geht die heurige Saison schnell zu Ende und in den Gaststätten und Cafss, im Kurhaus ' und auf der Promenade wird es stiller und stiller. Ein Rückblick auf die Saison zeigt, daß die schweren wirtschaft- , lichen Verhältnisse sehr auf diese gedrückt haben, daß der Fremdenverkehr spät eingesetzt hat und bald wieder im ! Schwinden war. Die Umsätze zeigen im ganzen Eeschäfts- ^ leben der hiesigen Stadt, daß dem Bedürfnis der Luftkur ; wohl entsprochen wurde, daß aber auch in den meisten Kreisen der Kurgäste große Sparsamkeit zutage trat. Wohl ' haben die großen Häuser verhältnismäßig noch gut abgeschnitten, da sie in der Hauptsaison und vollends nachdem die Grenzen für die Auslandsreisenden infolge der Einführung der Hundert-Mark-Abgabe fast gesperrt waren, gut besetzt hatten. Auch ist den größeren Hotels die erhöhte Zahl der Ausländer, die Freudenstadt besuchten, i sehr zugute gekommen. Die kleineren Häuser aber und die Privatpensionen hatten großen Mangel an Gästen und sind zweifellos nicht auf ihre Rechnung gekommen. So scheidet die Sommersaison und übrig bleibt schließlich die Hoffnung auf die wohl bald beginnende Wintersaison, denn heute morgen erglänzte unsere Stadt bereits im ersten Schnee. Nach einem freundlichen Vormittag mit Ostwind gab es nachmittags und abends weiteren leichten Schneefall und die Flocken wirbelten lustig zur herbstlichen Erde.
Sie SponkMn Mcr
Roman von Richard Skowronneck Copyright 1931 by Romandienst „Digo" Berlin W 30
25. Fortsetzung
Heinrich Kremzow erzählte schmucklos, wie ihm der Schnabel gewachsen war, nicht von einer einzigen Heldentat wußte er zu berichten, bei der er eine Rolle gespielt hätte. Um so stärker aber war der Eindruck bei den Hörern. In den matten Augen da drüben leuchtete es auf, und die alten Fischerknechte rings um den Tisch knackten vor Aufregung mit den Fingergelenken. Der alte Traugott Claassen meinte, mit diesen schwarzen Menschenbrüdern müßte man sich überhaupt nicht einlassen, denn sie hätten keine Manieren. In Hamburg hätte er mal auf dem Dom gesehen, wie so ein wilder Kerl ein lebendiges Meerschweinchen fraß, und der Fite Bahn fragte, ob dort in Afrika alle Menschheit ohne Unterschied nackt herumgingen. Für einen anständigen Menschen müßte das dock sehr genierlich sein. Der alte Retelsdorf aber bemerkte, sie hätten hier in Lenzburg auch einen, der in Afrika gewesen, den Herrn Hauptmann Rabenhainer von der dritten Kompagnie, und ob er dem da drüben wohl zufällig begegnet wäre?
Da sprang der lange Heinrich auf und seine Augen blitzten.
„Was, mein alter Chef aus Kilimatinde? Der ist hier? .. Und er begann ein langes Loblied auf den kleinen Raben- hamer, wie er immer der erste voran gewesen wäre, wenn ihn auch das Fieber schüttelte, wie er mit seinen Leuten jede Not uno Entbehrung geteilt hätte, damals, in jenem wilden Aufstandsjahr. Und ganz schlicht erzählte er, wie es ihm vergönnt gewesen, dem verehrten Chef alle Fürsorge und Treue vergelten.
- „Wir hatten wieder einmal so einen von den aufrührischen Königen gefangen genommen, den Mareale von Kilimatinde. Das heißt, König ist ein bißchen viel gesagt auf diese dreckigen Kerle, so was wie Dorfschulzen sind sie, nur mit dem Unterschied, daß sie das Recht haben, ihren Untertanen die Nasen und Ohren abzuschneiden, was bei uns wohl nicht erlaubt ist. Also es ging nun an die Unterhandlungen, wieviel Ochsen dech
König zu bezahlen hätte für seine Aufsässigkeit, und daß er schworen mutzte, sich nie mehr wieder gegen die deutsche Oberhoheit zu empören. Das nennt man ein Schauri abhalten, und es ist eine langweilige Geschichte, weil alles von einem Dolmetscher hin und her übersetzt werden muß. Na, schließlich war alles in Ordnung. Der König hatte geschworen und kriegte auf Befehl des Chefs seine Waffen zurück. Und gerade, wie der Oberleutnant Rabenhainer ihm die Hand geben wollte zum Abschied, schreit hinter uns im Lager eins von den gefangenen Frauenzimmern auf, so gräßlich und schrecklich, daß wir uns alle umdrehten. Das aber war eine geheime Verabredung gewesen, eine niederträchtige Verräterei, um uns Weiße hinterrücks umzubringen.
Zum Glück sah ich im Umdrehen, gerade noch so im letzten Augenwinkel, daß dieser König eine Bewegung machte, und da schmiß ich mich auf eins dazwischen, der Spieß, den er un- serm Chef in den Leib rennen wollte, flog an die Seite, und ich nun mit dieser Bestie ans Ringen, aber es war ein bannt-' ges Stück Arbeit, denn sie glischte einem wie'n Aal durch die Finger, wegen dem vielen Oel, womit sie sich immer einschmieren. Aber zuletzt kriegte ich ihn doch so handgerecht, daß ich ihm die Faust zwischen die falschen Augen setzen konnte. Ich nahm meine Pistole und schoß ihn durch den Kopf .Der Herr Oberleutnant Rabenhainer aber sagte: ,Recht so, Kremzow! Mit diesem Gehirnkasten wird er keine Schlechtigkeiten mehr ausbrüten/"
Die alten Fischerknechte drückten die Fäuste zusammen, als täte es ihnen grimmig leid, nicht dabeigewesen zu sein. Der neue Geselle hatte im Handumdrehen ihre sonst so schwerfälligen Herzen gewonnen, und sie versprachen sich noch manche Stunde so aufregender Unterhaltung, wenn sie nächtlicherweile mit ihm zum Fischen sichren. Wer leider sah es nicht so aus, als wenn er längeren Einstand nehmen würde im Lenx- burger Fischerhofe. Die dicke Retelsdorfin setzte noch immer ihr hochmütiges Gesicht auf, und die Mike saß wieder gm» teilnahmslos da, als wüßte sie nicht, weshalb der Heinrich Kremzow bei ihrem Vater in Lohn und Arbeit getreten wäre. Und da half auch nicht viel, daß der Meister Retelsdorf vor Aerger über seine Weibsleute einen roten Kops kriegte. In seinem eigenen Hause hatte er gar wenig zu sagen, nur draußen auf dem See, vor den Gesellen und Knechten, konnte er den Mund aufreißen_
Danach geriet das Gespräch ins Stocken, nach der Feier- NckkeitTies Einstandes war es Zell, wieder zur See zu qehen.
im Fischergewerbe reißt die Arbeit nicht ab. Ein Teil der Knechte mußte an die Stellnetze, die andern, sechs Mann hoch, an die Nachtfischerei mit dem Sommergarn, und der Rest an die Aalfchnüre.
Als der lange Heinrich mit dem schweren Lederschurz vor den Knien in den Kahn steigen wollte, stand die braune Mike auf dem Steg. Aber sie sah an ihm vorbei, sprach mit dem alten Traugott Claassen, erinnerte ihn, daß für das Offizierskasino zu Sonntag acht Pfund Mittelschleie zu liefern wären, und Heinrich Kremzow glaubte zu wissen, daß das nur ein Vorwand war. Sie wollte von ihm angeredet sein, aber den Gefallen tat er ihr nicht. Und da fing sie von allein an, fragte scheinbar ganz nebenher, wie es ihm denn in Lenzburg so im allgemeinen gefiele.
Heinrich Kremzow dankte höflich der gütigen Nachfrage, setzte jedoch ein gleichgültiges Gesicht auf und meinte, man müßte abwarten. Nach einem kurzen halben Tag könnte kein Mensch ein Urteil fällen.
„Meinetwegen können Sie schon morgen wieder Ausstand nehmen," sagte sie feindselig uno strich die krause, kleine Locke zurück, die ihr immer in die Stirn fiel. Heinrich Kremzow aber wrang in den Kahn und lachte kurz auf, daß seine weißen Zähne blitzten.
„Männersachen gehen nicht nach Weibsgedanken. Und ich Hab' Zeit, ob's hier nicht vielleicht anders wird."
Sie zuckte mit den Achseln, ging langsam zum Hause zurück, er aber sah ihr nach, strich sich lächelnd den Hellen Schnurrbart. Er glaubte zu wissen, daß es in ein paar Tagen schon bei der braunen Mike ganz anders aussehen würde.
Und als sie drüben an der Rohnsteiner Seite die Aalangeln auslegten — er vorne an der Halbtonne, in der die lange Schnur sorgfältig geordnet lag, die spitzen Haken dicht über den Rand gehängt —, wandte er sich lächelnd zu dem alten Traugott Claassen um, der im Stern des Bootes saß, mit fast unhörbarem Schlag die Scharkante hielt.
,,'n nüdlichen lütten Fisch hett de ohl Retelsdorf in sien Hütkasten. Aewerst stachlig as 'n Kaulbars!"
„Che," sagte der Alte bedächtig, wälzte den dicken Priem auf die andere Seite des Mundes, „schon mehr as een hell fick dran de Finger bloodig röten un dat Hart verbrennt dartau." Und hochdeutsch fügte er hinzu: „Ein ganz aasiges kleines Frauenzimmer!"
(Fortsetzung folgt.)