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Uurnrrier ^88
Dienstag den Dezember 1080
58. Jahrgang
Nlildkmngm nach
Die zweite Reform der Krankenversicherung
Durch die Notverordnung find eine Reihe von Bestimmungen der Juli-Verordnung in bezug auf die Krankenversicherung erheblich gemildert worden. Tie Abänderung der Bestimmungen über Krankenkassenbeiträge und Leistungen der Krankenkassen war seinerzeit getroffen worden, um erstens gegen den Mistbrauch der Krankenkassen anzukämpfen und zweitens die Soziallasten zu verringern. Die wesentlichsten Abänderungsbestimmungen beziehen sich auk Krankenschein- und Rezeptgebühr. Beide werden -war nicht wie früher grundsätzlich kostenfrei abgegeben, aber durch eine Reihe von Ausnahmebestimmungen sind weitgehende Milderungen getroffen worden. Deren wichtigste sind die Befreiung von Arbeitslosen und Rentenempfängern von der Zahlung der Krankenscheingebühr. In dringenden Fällen kann der Krankenschein nachträglich besorgt werden, d. h. wo Not vorliegt, mutz zunächst die ärztliche Hilfe vorgeleistet werden. Und drittens ist nur dann eine Rezeptgebühr zu zahlen, wenn die Kran- heit im Höchstfälle zu einer zehntägigen Arbeitsunfähigkeit führt. Der Bestimmung, daß von der Zahlung der Krankenscheingebühr Geschlechtskranke und Tuberkulöse prinzipiell befreit sind, kommt namentlich im elfteren Falle nur geringere Bedeutung zu, da viele Personen auf diese Vergünstigungen verzichten werden, um nicht dem Arbeitgeber von der Art ihrer Krankheit Kenntnis zu geben
Diese mildernden Bestimmungen sind so getroffen worden, daß mit einem Wiederanwachsen der mißbräuchlichen Ausnutzung der Krankenkassen nicht zu rechnen ist, wenn auch kleine Uebelstände unvermeidlich erscheinen. Die erste wesentliche Reform bleibt erhalten. Allerdings scheint es uns so, als ob ein Gedanke, der bei den Privatkrankenkassen sich als sehr erfolgreich gezeigt hat, >>och immer zu wenig Beachtung bei der gesamten Krankenkassenregelung findet: die Selbstbeteiligung der Versicherten. Es wäre durchaus möglich, denjenigen, die den Krankenschein nicht oenugr haben, eine im nächsten Monat anzurechnende Vergütung aus den Beitrag zu gewähren. Verwaltungstechnische Schwierigkeiten sind kaum zu befürchten. Durch eine solche Lösung wird die Gefahr, daß jemand der tatsächlich krank ist, nicht zum Arzt gehr, um keinen Krankemchein zu bezahlen, beseitigt und die mißbräuchliche Ausnutzung der Versich .ung infolge des eigenen Interesses des Versicherten ausgeschaltet.
Wie wett selbst kleine Ersparnisrücksichten von Einfluß sind, zeigt die Entwicklung in der Belegung der Krankenhäuser. Infolge der in der Juli-Verordnung vorgesehenen Herabsetzung des Hausgeldes bei Krankenhausbehandlung ist eine Verödung der Krankenhäuser eingetreten, die bis dahin überfüllt waren. Während beispielsweise bis zur Juli-Verordnung in Berlin der Vau neuer Krankenhäusern infolge der Ueberfüllung der anderen und des dadurch entstandenen Vettenmangels gefordert wurde, - ist ein so radikaler Umschwung eingetreten, daß man sogar schon daran gedacht hat, einige der vorhandenen Krankenhäuser zu schließen. Im Interesse der Volksgesundheit liegt im allgemeinen die Unterbindung der Krankenhausbeyandlung nicht, da diese zweifellos besser ist als Hausbehandlung und zur Hebung des Eesamtgesundheitszustandes der Bevölkerung führt. Wenn man fich trotzdem nicht enschlossen hat, eine Aenderung vorzunehmen, l.o war als wichtigster Grund dafür ausschlaggebend, daß die Unterbelegung der Krankenhäuser nur als ein vorübergehender Zustand angesehen wird. Auch kommt hinzu, daß der Gesundheitszustand der Bevölkerung im Augenblick unverhältnismäßig günstig ist, wodurch die Krankenkassen verhältnismäßig weniger Leistungen aufbringen müssen als bisher.
Abgeordneter Dingeldey beim Reichskanzler
Berlin, 8. Dez. Wie wir erfahren, hat der Reichskanzler gegen Abend den Führer der Deutschen Volkspartei, den Abgeordneten Dingeldey, empfangen. Die Besprechung dürste der Magdeburger Rede Dingeldey» und der gesamt» politischen Lage gegolten haben.
Wann ist außenpolitische Debatte?
Berlin, 0. Dezember. Der Reichstag wird sich am Schluß einer heutigen Sitzung darüber zu entscheiden haben, ob er noch n eine Debatte über die außenpolitische Lage eintreten will. Die Reichsregierung ist, wie die Blätter berichten, bemüht, diese Debatte, von der sie fich keinen Nutzen verspricht, zu vermeiden. Reichskanzler Brüning, der, wie berichtet, bereits gestern, mit dem Führer der Volkspartei, Dingeldey, verhandelt hat, wird heute vormittag weitere Besprechungen mit einem Teil der hinter der Regierung stehenden Parteien haben. An. den Besprechungen wird, wie der „Vorwärts" berichtet, auch Dr. Curtius teilnehmen. Vor der Plenarsitzung werden die meisten Fraktionen zusammentreten, um fich über ihre Stellungnahme zu dev Frage der außenpolitischen Debatte schlüssig zu machen. Eine Reihe yon Parteien ist der Ansicht, daß es richtiger wäre, die mannigfachen zur Außenpolitik vorliegenden Anträge schon jetzt zu behandeln. Dem „Tageblatt" zufolge sieht man der Fraktionssitzung der Christlich-Sozialen mit besonderem Interesse entgegen, da diese Gruppe zwar die Notverordnung der Regierung gebilligt habe, auf außenpolitischem Gebiet aber zu einer schärferen Tonart neige.
d« Mvkrerdmmg
Zu der Besprechung des Kanzlers mit dem Abg. Dingeldey berichtet das „Berliner Tageblatt", es sei anzunehmen, daß Abgeordneter Dingeldey zum Ausdruck gebracht habe, er habe mit seiner Magdeburger Rede keineswegs für die nächste Zukunft Forderungen ankündigen wollen, die die Absichten der Regierung kreuzten. Auch die Wünsche mancher Kreiste baldigst eine Aenderung in der Besetzung sowohl des Reichsinnenministeriums wie des Reichsaußenministeriums herbeizuführen, dürften von der offiziellen Führung der Volkspartei im Augenblick nicht gefördert werden.
M dm sozialen Burgfrieden
Verhandlungen mit Arbeitgebern und Gewerkschaften
Berlin, 8. Dez. Reichsarbeitsminister Stegerwald hat in einer Rede in Düsseldorf eine Andeutung gemacht, über die wir näde- . res mitreilen können. Er schloß mit der Feststellung, daß die Reichsregierung allein nicht alles tun könne und jetzt die Stunde des Reichsverbandes der deutschen Industrie, der Bereinigung der Arbeitgeberverbände und der Svitzenverbände der großen Gewerkschaften gekommen sei. Mit diesem Appell hat es folgende Bewandtnis: Der Reichsarbeitsminister will versuchen, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer wieder im Sinne der früheren Zentralarbeitsgemeinschaft zusammenrubriugen. Man erinnert sich, daß ein solcher Versuch bereits im Sommer einmal gemacht wurde, um die Lohn- und Preissenkung gemeinsam anzupacken. Diese Bemühungen scheiterten, weil man sich nicht darüber einig wurde, ob die Preis- oder die Lohnirage den Vortritt haben sollte. Diesmal steht das Problem der Arbeitsbeschaffung im Mittelpunkt, Herr Stegerwald hat bereits vor etwa 10 Tagen die Vertreter der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Gewerkschaften ru einer gemeinsamen Konferenz bei sich gehabt, und in Einzelbesprechungen mit den verschiedenen Jnduftrie- branchen Fühlung genommen. Er bat auch mit der Post, der Eisenbahn und anderen Stellen verhandelt, bei denen eine Arbetts- streckung möglich erscheint. Die Verhandlungen sollen in dieser Woche weitergeführt werden.
Rebe Ir. Schachts
über „Schwebende wirtschaftliche und finanzielle Fragen"
München, 7. Dez. Anläßlich des 10jährigen Jubiläums des Wirtschaftsbeirates der Bayerischen Volkspartei hielt der frühere Reichsbankpräsident Dr. Schacht im Festsaal der Tonballe einen Vortrag über das Thema „Schwebende wirtschaftliche und finanzielle Fragen". Unter den Anwesenden bemerkte man den Ministerpräsidenten Dr. Held, Vertreter des Landtags u. a, Dr. Schacht führte unter anderem aus: Auf finanziellem Gebiet sei wohl als Entscheidendes die Tatsache festzustellen, daß in einer Zeit, wo wir ein großes blühendes Volk waren, unsere Etats öffentliche Lasten von 8,3 Milliarden Mark auswiesen und daß diese Belastung heule nicht weniger als 30 Milliarden betrage. 1913 hatten wir 18,5 Prozent unseres Volkseinkommens an Steuergaben und sozialen Lasten abzuführen, während wir m diesem Jahre mindestens 45 Prozenit an öffentlichen Lasten abzngebe» hätten, In den jüngsten Beratungen sei iestgelegt worden, daß der Etat in den nächsten drei Jahren nicht erhöht werden solle. Das bedeute vielleicht eine Lebenssriftung, aber keinen Ausstieg, der nur durch die Herabsetzung des Etats erreicht werden könne. Die innere Verschuldung sei durch die Inflation durchaus nicht beseitigt worden, die Auslandsschulden seien in einem Maß gewachsen, daß wir heute nach Abzug aller Eegenschulden eine Gesamtschuld im Auslande von 17 Milliarden Reichsmark aufgehäuft hätten. Daß es bei einer solchen Auslandsschuld bei einer solchen Zinsenlast unmöglich sei, Reparationen zu bezahlen, erscheine selbstverständlich. Wenn wir auch gegenwärtig eine aktive Handelsbilanz hätten, so dürften daraus keine Folgerungen im günstigen Sinne gezogen werden. Denn ein solcher Ueberschuß stelle sich immer ein, wenn die Industrie, gezwungen durch einen schlechten Jnlandsmarkt, Waren um jeden Preis auf den Weltmarkt werke Wenn die Frage unserer Ausländsanleihen keiner Lösung entgegengeführt werde, dann stoppe der Boungplan ganz automatisch. Es sei vielleicht taktisch viel richtiger, so betonte der Redner, nicht gegen den Boungplan an sich, sondern gegen die Ausführung des Planes zu kämpfe«. 24 Prozent unseres gesamten Volkseinkommens liefen durch die öffentliche Sand und würden von ihr verwaltet, 30 Prozent aller Beschäftigten seien in Betrieben, die von der öffentlichen Hand kontrolliert werden — in Sowjetrußland nur 15 Prozent. Das bedeute, daß wir in Deutschland das ausgesprochene Fiirsorgesystem für den Einzel- bürger hätten. Man müsse die Unternehmungen der öffentlichen Hand zum anständigen Wettbewerb mit der Privatwirtschaft verbinden. Mit aller Schärfe wandte sich Dr. Schacht schließlich gegen die Bestrebungen, wie sie vielfach auch in Zeitschriften vertreten seien, den fehlenden Lebensraum durch einen freiwilligen Verzicht aus die Volksvermehrung zu ersetzen. Ein Volk, das sich freiwillig selbst aufgebe, sei verloren. Für ihn gebe es in der entscheidenden Frage über Leben und Sterben des deutschen Volkes kein Zusammenarbeiten und kein Paktieren mit Parteien, die nicht die sittlichen Grundlagen jedes menschlichen Zusammenlebens erkennen.
Demonstrationen gegen den Film Im Westen Mts Neues
Berlin» 8. Dezember. Auf Ankündigungen des nationalsozialistischen „Angriffs" und der übrigen Abendblätter, daß heute abend um 21 Ühr am Nollendorfplatz eine große Protestkundgebung gegen den Film „Im Westen nichts Neues" stattfinden solle, auf der Dr. Eöbbels das Wort ergreifen werde, kam es heute abend gegen 19 Uhr am Nollendorfplatz zu großen Menschenansammlungen. Teilweise mutzte die Schutzpolizei zur Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit eingesetzt werden, wobei auch berittene Mannschaften zur Verwendung kamen. Das Theater selbst war wieder stark gesichert. Kurz nach 20.30 Uhr verdichtete sich der Straßenverkehr in der Maaßen- und in der Motzstraße so stark, daß berittene Schutzpolizei eingesetzt wurde, die die Bürgersteige zeitweise räumte. Die Demonstranten, die vom Nollendorfplatz von der Schutzpolizei abgedrängt wurden, sammelten sich gegen halb 10 Uhr wieder am Wittenbergplatz. Die Polizei hatte die Ansammlungen zunächst zerstreut. Es bildete sich aber^bald darauf ein Demonstrationszug, der, geführt von einem Lautsprecherauto, viergliedrig über den Platz zog. Das Lautsprecherauto, durch das nationalsozialistische Kampflieder zu Gehör gebracht wurden, äurde von der Polizei in die Tau- entfienstraße abgeleitet. Das Auto wurde sichergestellt, die Insassen wurden zwangsgestellt. Das Auto zeigt das Zeichen I N (Magdeburg). Als der Zug sich dem Kurfürsteu- Äamm näherte, wurde er durch Polizei getrennt. An der Ecke Uhlandstraße vor dem Kaffee „Uhlandseck" wurden die Demonstrationszüge von Dr. Eöbbels, der mit mehrere» Parteigenossen auf seinem Auto stand, erwartet. Die Demonstranten zogen über den Kurfürstendamm mit entblößten Häuptern und erhobenen Händen an dem Auto Dr. Eöbbels vorbei. Den Ordnern wurde um 10 Uhr jedes Rufen und Singen unter Hinweis auf Las bestehende Polizeiverbot untersagt. Gegen 11 Uhr erreichten die Züge den Fehrbelliner Platz, auf dem sich die einzelnen Trupps, deren Zahl von nationalsozialistischer Seite auf 40 000 angegeben wird, versammelt hatten. Hier hielt Dr. >Eöbbels eine kurze Ansprache, in der er weitere Protestkundgebungen gegen den Film „Zm Westen nichts Neues" ankündigte und an die Versammelten die Aufforderung richtete, morgen abend um 9 Uhr mit allen ihnen erreichbaren Gesinnungsgenossen zur Demonstration am Nollendorfplatz sich einzufinden. Er betonte, daß die Protestkundgebungen so lange durchgeführt würden, bis der Einspruch des Landes Sachsen gegen den Film, dem sich auch Thüringen und Braunschweig angeschlossen hätten, zur Geltung gekommen sei. Nach der Ansprache Göbbels lösten sich die Züge in Ruhe auf.
27 Sistierungen bei den Berliner Demonstrationen
Berlin, 8. Dezember. Bei den gemeldeten heutigen Demonstrationen wurden am Nollendorfplatz 15 und am Wittenbergplatz 12 Sistierungen oorgenommen.
Die französische Kabinettsbildung
Betrauung Lavals mit der Kabinettsbildung
Paris, 8. Dez. Senator Pierre Laval hat das Elyse verlassen und den Journalisten folgendes erklärt: Der Präsident der Republik hat mir den Auftrag der Kabinettsbildung angeboteu. Ich habe ihm dafür gedankt und ihm mitgeteilt, daß ich mein Möglichstes tun werde, um sein Vertrauen zu rechtfertigen. Ich werde mich mit ejyer Anzahl politischer Persönlichkeiten besprechen yyd Dienstag vormittag dem Präsidenten meine endgültige Antwort geben. Zunächst werde ich dem Senatsprästdenten Dou- mer, tzepr Kammerpräsidenten Vouijson, sowie Tordieu, Poincare und Briand Besuche abstytten.
Tardieus Eintritt ins Kabinett
Paris, 8. Dezember. Am späten Abend hat Senator Laval seine Aeußerung, daß er auf die Mitarbeit Tardieus bei der Bildung seines Kabinetts größten Wert lege, noch mit besonderem Nachdruck wiederholt. Er erklärte, nach einer Havasmeldung die effektive Mitarbeit Tardieus sei für ihn eine conditio sine qua non. Sollte Tardieu morgen spontan den Wunsch äußern, nicht in sein Kabinett einzutreten, und ihm nur seine Unterstützung als Abgeordneter in der Kammer versprechen, dann würde er, Laval, auf die Kabinettsbildung verzichten.
Zn diesem Zusammenhänge ist hervorzuheben, daß die radikale Fraktion zu einem Eintritt Tardieus in das neue Kabinett heute noch nicht Stellung genommen hat.