Mz». Aszeiger sSr die BeMe Ragsld. Calw o. SreodesftM Amtsblatt för bea Bezirk Ragslb a. Alleufteia-Stadl

187/

<Ke§^ünöet 1877

Tannen

Aus öen

!- ->Ä:

«»jeisenprei»: Die einspaltige Zeile «der deren Raum IS Pfg., die Reklamezeile 45 Pfg. gtr trleph. erteilte Aufträge übernehmen »ir keine Gewähr. Rabatt «ach Tarif, der jedoch bei S»»tchtl. Lintretb. od. Konkursen hinfällig wird. Lrsüllungiort Altrnftrig. Gerichtsstand Nagold.

Erscheint wöchentl. 6 mal. / Bezugspreis: Monatlich 1.56 Mk., die Einzelnummer kostet 10 Pfg.

Bei Nichterscheinen der Zeitung infolge höh. Gewalt od. Betriebsstörung besteht kein Anspruch auf Lieferung der Zeitung / Postscheck-Konto Stuttgart 5780 / Telegr.-Adr.:Tannenblatt" / Telef. 11.

Urrrnrner 248

KLtensteig, Donnerstag

den 23. Oktober 1930

63 Jahrgang

«MM».'

SculsMes Rmatoriiim »btt Mttmomlortum

Finanzielle und politische Fragen

Im Mittelpunkt des Interesses der internationalen Fi- «anzwelt steht die Frage, ob und wann Deutschland ein Moratoriumsgesuch stellen wird. Der Ausgang der Wahl hat ebenso dazu beigetragen, dieses Problem akut werden zu lasten, wie die verschlechterte Wirtschaftslage Deutsch­lands, welche sowohl auf der allgemeinen Weltwirtschafts­krise, wie auf den gewaltigen Lasten, die Deutschland auf­dringen soll, beruht. Einen wesentlichen Anlaß zur Diskus­sion bietet auch die Reise Dr. Schachts nach Amerika, besten Name dort einen guten Klang hat. Dr. Schacht führte Unterredungen mit dem Staatssekretär des Aeußeren, Stim- sim, und Schatzsekretär Mellon und mit dem Präsidenten Hoover selbst, deren Wortlaut zwar nicht wiedergsgeben wird, über die aber sehr interessante Vermutungen in der amerikanischen und englischen Presse ausgesprochen werden. Dr. Schacht hat in seinen in der Oesfentlichkeit gehaltenen Vorträgen immer wieder betont, daß er nur als Privat­mann spreche. Aber seine einflußreiche Stellung, die er während der vier Jahre als Leiter der Reichsbank ein­genommen hat, seine ausgezeichneten Beziehungen, die er zu deutschen und amerikanischen Finanzkreisen unterhält, nicht zuletzt sein politischer Einfluß, den er vielfach geltend gemacht hat, geben ihm durchaus den Rang einer offiziellen Persönlichkeit. Es ist auch bekannt, wie weit Dr. Schachts Beziehungen zu amerikanischen Finanziers während der Verhandlungen über den doungplan gingen. An sie hat er jetzt zweifellos wieder angeknüpft, und deswegen kommt feiner Reise besondere Bedeutung zu.

Man kann wohl ohne weiteres annehmen, daß Dr. Schacht die erste Fühlungnahme ausgenommen hat, wie die Ameri­kaner über das deutsche Moratorium denken. Der Zeitpunkt Meint relativ günstig gewählt, da sich mehr und mehr die Einsicht Bahn bricht, daß zu einem wesentlichen Teil die Weltwirtschaftskrise durch die unerträgliche« Reparations­laste« und die damit verbundene Störung des natürlichen Wirtschaftsausgleiches verursacht worden ist. Allerdings kst noch ein weiter Weg von der Einsicht bis zu den tatsäch­lichen Ergebnissen zurückzulegen. Leider ist es bei denen, die bereits ein Moratorium für Deutschland in der nächsten Zeit verwirklicht sehen und daran anschließend die Ein­stellung aller Zahlungen auf Grund des Poungplanes, der Wunsch der Vater des Gedankens. Die Problematik der gesamten Reparationszahlungen liegt auf zwei Gebieten. Amerika hat seit Jahren die These verfochten, daß Kriegs­schulden und Reparationen nichts miteinander zu tun Hal­den. Aus diesem Grunde beteiligte sich auch Amerika nie­mals offiziell an den Reparationsverhandlungen. Wenn tatsächlich doch nichts ohne Amerika unternommen wurde, ilo liegt dies an der Vormachtstellung, die die US A. in­folge des Kriegsausganges haben. Aber an der prinzi­piellen Einstellung wird dadurch nichts geändert. Es ist außerdem zu bedenken, daß bis jetzt die amerikanische Oesfentlichkeit nichts von einer Herabsetzung der Kriegs- Mulden der Alliierten wissen will, da die auf diese Weife einkommenden Gelder angeblich zur Abdeckung der inneren Schuld von etwa 73 Milliarden verwandt werden.

Auf der anderen Seite haben England und Frankreich stets die Verbundenheit ihrer Kriegsschulden mit Deutsch­lands Reparationsleistungen betont. Tatsache ist, daß nur ein verhältnismäßig geringer Teil der von Deutschland geleisteten Zahlungen im Lande bleibt. Die Beträge wer­den direkt zur Begleichung der Kriegsschulden verwandt »nd aufgebraucht. Abgesehen von allen außenpolitischen Folgen würde ein Moratorium für Deutschland zu einer sofortigen Zahlungseinstellung Frankreichs und Englands fuhren. Wenn in England ein Moratoriumsgesuch Deutsch­lands verhältnismäßig günstige Aufnahme findet, so beruht dies vor allem darauf, daß die Rechnung auf Kosten Ame­rikas gemacht werden soll.

Ein zweites wichtiges Problem der Moratoriums-Dis- mssion ist die Frage der Verbindung von Einstellung der Reparationszahlungen und Revision des Friedensvertrages. Zweifellos hat sich bei den Staaten, die früher so Gegner waren, längst die Erkenntnis Bahn gebrochen, daß das Werk von Versailles abänderungsbedürftig ist. Entstanden unter dem Eindruck des erst vor kurzem beendeten Krieges sind zahlreiche Bestimmungen nicht im Geiste einer tatsächlichen Volkerversöhnung getroffen worden, sondern entgegen dem tatsächlichen wirtschaftlichen Interests Deutschlands zu­

gunsten aller anderen Staaten. Aber dieser Vertrag ist ein Machtmitel in der Hand unserer ehemaligen Gegner, dessen sie sich freiwillig durch grundlegende Abänderungen nur dann begeben werden, wenn es der deutschen Politik durch geschickte Führung gelingt, jeweils sich ergebende neue Kon­stellationen unter den Staaten auszunützen.

Wie lange Leistungen auf Grund des Poungplanes aus­geführt werden, vermögen selbst gut informierte deutsche Persönlichkeiten nicht zu sagen. Aber als ziemlich sicher ist anzunehmen, daß sie nicht mehr lange durchgführt werden, weil es einfach unmöglich ist. Die bis dahin verbleibende Zeit muß ausgenützt werden, um durch Verständigung ohne Schwierigkeiten zu einem Moratorium zu kommen. Für den Realpolitiker bedeutet eine Atempause von fünf Jah­ren einen erheblichen Fortschritt. Bis zum Ablauf dieser Zeit können so wesentliche Veränderungen in politische: wie in wirtschaftlicher Beziehung eingetreten sein, daß bis dahin eine echte Verständigungsbasts gefunden wird.

Ein amerikanisches Dementi

Washington, 21. Okt. Die Meldungen über bevorstehende Mo­ratoriumsverhandlungen mit Deutschland haben der Regierung

der Vereinigten Staaten Veranlassung gegeben, alle derartigen Gerüchte in scharfer Form zu dementieren. An amtlicher Stelle wird erklärt, es sei völlig unrichtig, dah die Gewährung eines Moratoriums an Kriegsschuldner erörtert werde. Es bestände weder die Notwendigkeit noch die Aussicht, daß in naher Zu­kunft ein Moratorium gewährt würde. Der amerikanischen Re», gierung sei auch nichts von ausländischen beamteten Stellen übep ein Moratorium mitgeteilt worden. Die Regierung nehme daher: auch an, dah die Pressemeldungen, wonach Deutschland bei der englischen Regierung Sondierungen hinsichtlich eines Moratori- ums vorgenommen haben soll, urn chtig seien. Zu den Mora» toriumsgerüchten habe offenbar der gestrige Besuch Schachts in Washington Anlah gegeben. Es mäße aoer betont werden, dast Schacht in privaten Angelegenheiten nach den Vereinigten Staa­ten gekommen sei und nur seine persönliche Ansicht zum Ausdruck! gebracht habe.

Coolidge über das Problem der Kriegsschulden Washington, 22. Okt. Der frühere Präsident Coolidge prote­stiert in der heutigen Ausgabe derWashington Post" gegen eine Verquickung des Revarations- mit dem Kriegsschuldenprob­lem. Die gegenwärtigen Jahresraten der Kriegsschulden, schreibt Coolidge, können von allen Ländern bezahlt werden, und es geht zu weit, wenn man behauptet, wenn Deutschland nicht zahle, könnten die anderen Länder ihre Schulden an die Vereinigte» Staaten nicht bezahlen. Die Theorie, dah die Streichung der Kriegsschulden dem Welthandel helfen würde, bedeute, dah man uns zumute, den Welthandel mit unseren inländischen Steuer» zu subventionieren. Das wäre offenbar keine gerechte Lösung.

M M Äte in Mtori geborgen

248 Tote in Alsdorf geborgen

Alsdorf, 23. Oktober. Um 1.30 Uhr früh wird amtlich gemeldet: Die Zahl der bisher geborgenen Toten be­trägt 248. Die Rettungsarbeiten werden jetzt für einige Stunden unterbrochen, da man bis zum Ende sämtlicher Reviere vorgedrungen ist. Es läßt sich noch nicht genau feststellen, wie viele noch vermißt werden, da unter den haushohen Trümmermasten noch Leute verschüttet sein können. Die Rettungsmannschaften melden, daß die Strei­ken teilweise 300500 Meter zu Bruch gegangen sind.

Das Gerücht über Verschüttung von Rettungsmannschaften unbegründet

Alsdorf, 23. Oktober. Die Meldung eines Berliner Morgenblattes, wonach eine aus einem Steiger und zwan­zig Mann bestehenden Rettungskolonne durch einen Zu­sammenbruch von Stollen von der Außenwelt abgeschnit­ten worden sei, entspricht, wie wir von der Erubenverwal- tung erfahren, nicht den Tatsachen.

Noch kein Aufschluh über die Ursache

Alsdorf, 22. Okt. Ueber die Ursache der Grubenkatastrophe in Alsdorf kann die Bergbehörde noch keine Mitteilung machen. Der Rest der Eingeschlossenen dürfte im Laufe des heutigen Ta­ges und in der kommenden Nacht geborgen werden. In Aachen haben die öffentlichen Gebäude und zahlreiche Privarhäuser Halbmast geflaggt. Von den Zechenanlagen weben schwarze Trauerflagggen.

An der llnglücksstätte spielen sich weiter erschütternde Szenen ab. Ein Familienvater fuhr kurz nach seiner eigenen Rettung wieder ein. um nach seinen Söhnen zu suchen. Eine Mutter hatte drei Söhne in der Frühschicht. Sie stand jammernd vor dem Fabriktor, als einer der Jungen ihr geschwärzt entgegenkam. Viele Stunden später warteten sie noL immer auf die zwei an­deren.

Spende des Reichspräsidenten

BerN», 22. Okt. Der Herr Reichspräsident hat als erste Hilfe für die Hinterbliebenen der schweren Bergwerkskatastrophe in Alsdorf aus seinem Dispositionsfonds den Betrag von 10 006 Mark zur Verfügung gestellt, der dem Regierungspräsidenten in Aachen überwiesen wurde. *

Reich und Prenhen stiften je 150 OM Mark für die Hinterbliebenen

Berlin, 22. Okt. Zur Linderung der Not, die durch das Aache­ner Bergwerksunglück entstanden ist, haben die Reichsregieruns und die preußische Staatsregierung ie 150 000 Mark zur Ver­fügung gestellt.

Trauerkundgebung im vreuhische« Landtag

Der Preußische Landtag hielt zu Beginn seiner Dienstags- fihung eine Trauerkundgebung aus Anlah des furchtbaren Un­glücks bei Aachen ab. Präsident Bartels sprach, während die Ab­geordneten sich erhoben, den von dem Unglück Betroffenen das Beileid des Parlaments aus. Handelsminister Dr. Schreiber gab der Teilnahme der Staatsregierung Ausdruck.

Die Anna-Zeche in Alsdorf, uw infolge einer DynamiterplosioW 208 Bergarbeiter eingeschlossen wurden.

Beileid des Königs von England zum Grubenunglück Berlin, 22. Okt. Der Königlich großbritannische Attache Sir Horace Rumbold stattete dem Herrn Reichspräsidenten einen Besuch ab und sprach ihm in persönlichem Auftrao Seiner Maje­stät des Königs von England dessen Beileid zu der schweren Grubenkatastrophe in Alsdorf aus.

Wechsel im preußischen Juuellmillisterium

Seoering ernannt

Berlin, 22. Okt. Der Amtliche Preußische Pressedienst meldet: Der preußische Minister des Innern, Professor Dr. Waentig, hat dem preußischen Ministerpräsidenten sei« Rücktrittsgesuch überreicht. Ministerpräsident Dr. Braun hat dieses Rücktrittsgesuch angenommen «nd Staatsminister Dr. Waentig mit dem Ausdrucke des Dankes für die dem preußischen Staat geleisteten wertvollen Dienste von seinen Amtspflichten entbunden. Zum Nachfolger des scheidenden Innenministers hat der preußische Minister­präsident gemäß Artikel 48 der preußischen Verfassung den Reichs- und Staatsminister a. D. Severing ernannt.

Unmittelbar nach der Vertagung des preußischen Landtages wird die Oesfentlichkeit durch die Mitteilung überrascht, daß der preußische Innenminister Dr. Waentig von seinem Amte zurückgetreten und durch den früheren Innenminister Severing ersetzt worden sei. Offiziell heißt es, Dr. Waentig habe jchon lange den Wunsch gehabt, sein akademisches Lehramt wieder aufzunehmen. Daneben dürfte aber, wie das Nachrichtenbüro des V.d.Z. hört, bei ihm auch die Rücksicht auf die bevorstehen­den politischen Schwierigkeiten eine Rolle gespielt haben.