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ANgem. Anzeiger für die Bezirke RaM. CM ». Sres-eilstM Amtsblatt sw de« Bezirk Nagold u. MenNeia-Stadt

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Murnnier 105

Altenstetg» Mittwoch den V. Mat 1930

63. Jahrgang

»ES

Abschied »om Rkvamtlonsagentm

Kaum bemerkt von der breiten Oeffentlichkeit, vollzieht sich in diesen Tagen ein für Deutschland höchst bedeutsamer Vorgang: der Reparationsagent Parker Gilbert rüstet zum Abschied. Nur noch nach kurzen Wochen ist fein Wirken in Berlin bemessen. Eine der wesentlichsten Auswirkungen der Haager Vereinbarungen tritt damit ein. Nach Ratifizie­rung des Poungplanes durch die beteiligten Mächte haben alle Kontrollorganisationen ihre Tätigkeit in Deutschland zu beschließen alle Kontrolleure, vom Reparations­agenten angefangen, bis zu den Kommissaren für die Reichs- lbank, für die Reichsbahn, den Treuhändern für die ver­schiedenen Schuldverschreibungen usw. Der komplizierte und oielverästelte fremdländische Apparat mit seinem kunstvoll ausgeklügelten Kontrollsystem verschwindet vom deutschen Boden. Ein für ein großes Kulturvolk wie das deutsche auf die Dauer unerträglicher Zustand findet sein Ende.

An der Spitze dieses mit weitgehenden Kontrollbefug- nissen ausgestatteten Apparats stand der Generalagent für Reparationszahlungen, Parker -Gilbert. Man hat diesen Mann, der im jugendlichen Alter von 33 Jahren an seine schwierige Ausgabe herantrat, den ungekrönten Herrscher von Deutschland, den Fronvogt, den Finanzdiktator ge­nannt. Zugegeben, er hat von seinen weitgehenden Befug­nissen verhältnismäßig maßvoll Gebrauch gemacht. Er war sozusagen ein Diktator in Glacehandschuhen aber doch eiu Diktator! Von seinen weiträumigen Büros in der Buifenstratze zu Berlin aus regiert«? er, wenn man sv sage» darf, Deutschland, seine öffentlichen Finanzen, seine Wirt­sschaft. Mit Machtvollkommenheiten ausgestattet, die über wie Befugnisse eines leitenden Staatsmannes in konsti­tutionell regierten Ländern weit hinausgingen. Nicht nur wie Reparationsgelder wurden von ihm verwaltet er be­obachtete ständig die deutsche Wirtfchasts- und Finanzpolitik, «r veröffentlichte, halbjährlich, mitunter auch in kürzeren Zwischenräumen, Berichte kritischer Art über die deutsche Wirtschaftslage, über das Finanzgebarep des Reichs, der

Länder und Gemeinden. Unheilvoll wirkten diese Berichte mitunter im Auslande, wo Parker Gilbert als unanfecht­bare Autorität in Wirtschafts- und Finanzfragen galt. Gr hat, bei vielfach richtiger Beurteilung der deutschen Wirtschaftslage, auch manche Fehlschlüsse gezogen, die sich in der öffentlichen Meinung des Auslandes höchst un­günstig für Deutschland auswirkten. Auch in der Form waren diese Berichte gelegentlich für ein große Volk wie Deutschland schwer zu ertragen.

Ein umfangreicher Apparat stand dem Reparations­agenten zur Verfügung. Nicht weniger als 121 Köpfe be­trug das Berliner Personal, das sich aus Amerikanern, Franzosen, Engländern, Italienern, Belgiern und Hollän­dern zusammensetzte. 52 höhere Beamte mit ihren Hilfs­kräften waren die geistigen Träger der Kontrolle, darunter die Kommissare und Treuhänder, die Assistenten und Büro­vorsteher, die Beamten des Transferkomitees und wirt­schaftliche Sachverständige, der Finanzdirektor und Rechts­beistand usw. Der übrige Teil des Personals setzte sich aus Angehörigen des Verwaltungsdienstes zusammen. Ein Teil des Personals wird voraussichtlich von der neu geschaffe­nen Bank für internationalen Zahlungsausgleich in Basel übernommen. Unmittelbar nach der Ratifizierung des Poungplanes durch England und Italien werden die Kon­ten des Reparationsagenten in Berlin geschloffen, und statt ^hrer wird ein Reparationskonto bei der Baseler Bank er­öffnet. Noch einmal wird in Kürze ein Bericht von Parker Gilbert über die deutsche Wirtschafts- und Finanzlage und über seine bisherige Tätigkeit erscheinen. Er wird nicht verfehlen, die Aufmerksamkeit der Welt auf sich zu lenken: es ist der Schlutzbericht! Die Internationale Bank wird die Berichterstattung nach Parker Gilberts System nicht fort­setzen, schon deshalb nicht, weil ihre Kompetenzen wesent­lich anders geregelt find als die des bisherigen General­agenten für Reparationszahlungen.

ReWwebretal »er dm Ausschuß

Berlin, 8. Mat. Der Nausvatrsaus>cyu6 oes menysrrme» mr» beute in die Beratung des Hans-alts des Reichswehrminifteri. «ms ein. Der Berichterstatter Abs. Stückle« (S.) erklärte, Er­sparnisse seien nicht nur möglich, wenn man von dem Grundsatz abgebt, die Möglichkeiten des Versailler Vertrages auszuschö- pfen, wenn man vielmehr das ungesunde Verhältnis zwischen Infanterie und Kavallerie dadurch ändert, dab mehrere Regi­menter Kavallerie abgeschafft werden. Im vorliegenden Etat beansprucht die Reichswehr einen effektiven Reichszufchub von 502 Millionen. Der Redner verlangt schließlich Auskunft über die Beschäftigung früherer Offiziere auf Privatdienstvertrag.

Abg. Ersing (Z.) betonte als Mitberichterstatter, daß die mei­ste« Ausgaben der Reichswehr zwangsläufig seien. Der Perso­nalabbau habe sich leider nur auf untergeordnete Stellen er­streckt, nicht auf die vielen Referentenstellen.

Abg. Dr. Leber (S.) wünschte nähere Auskunft über national­tsozialistische Zellenbildung im Offizierkorps. Bedenklich seien die Methoden beim Offizierscrsatz.

Abg. Kippenberger (K.) bezeichnet« den Reichswehretat als «»durchsichtig. 104 Posten mit 250 Millionen seien als übertrag- 'bar bezeichnet.

Abg. Külz (Dem.) erklärt, wir haben zum Minister das Ver­trauen, daß er aus der Reichswehr das machen wird, was sie sein soll, ein zum Gehorsam erzogenes Instrument in der Sand des Staates, bestimmt zu seiner Verteidigung.

Abg. Dr. Cremer (DVp.) wies darauf hin, daß die jetzige Reichswehr ein Berufsheer sei. Daraus ergebe sich die Unmög- >lichkeit, die Verhältnisse des alten Heeres bei den Ausgaben sum Vergleich beranzuziehen.

Abg. Sachsenberg (WP.) führte aus, seine Partei wünsche die iwlle Ausschöpfung der im Versailler Vertrag gebliebenen Mög­lichkeiten, aber gröbere Sparsamkeit sei in der Heeresverwal­tung geboten.

Abg. Schmidt-Stettin (Du.) bat um Mitteilung des Gutach­tens des Reichssvarkommissars nach der Durchprüfung des Etats. Der Personalabbau habe leider in der Hauptsache nur die I höheren Stellen bettoffen.

Abg. Schöpft!» (S.) erklärte, wenn der Reichswehrminister die «Gerüchte über angebliche geheime Rüstungen nicht widerlegen jkonne oder wolle, dann seien die Sozialdemokraten genötigt, im ! Plenum vom Reichskanzler Aufklärung zu verlangen.

.. Kohle, (Z.) betonte, dab auch das Zentrum über

Aese Frage eine klare Auskunft vom Wehrminister erwarte. «Trotz der vielen Erläuterungen seien doch manche Positionen im Wehretat recht unklar geblieben. Der Verdacht bleibe bestehe», dak noch wettere unsichtbare Reserven vorhanden sind.

Reichswehrminister Grüner führte aus, bei der Aufstellung des Etats sei das Ministerium mit ganz intensiver Kritik an sich selbst vorgegangen. Der Reichssvarkommissar habe wiederholt anerkannt, dab er vom Wehrministerium bei seiner Tätigkeit in bester Weise unterstützt worden sei. Wir wollen einen stabilen Etat haben, aufgebaut auf dem Nutzeffekt des Jahres 1028, da das Notjahr 1929 keinen Mabstab bietet. Der vorliegende Etat hat die Billigung der vorigen Regierung gefunden. Alle die hier angeführten Dinge sind von der Gesamtregierung bewilligt wor­den. Bei allen Mabnahmen, die außenpolitische Wirkung haben könnten, ist der Wehrminister von der Zustimmung des Außen­ministers abhängig. Die sozialdemokratischen Redner könnten vom früheren Reichskanzler Müller erfahren, daß es auch tat­sächlich so gehandbabt worden ist. Die Zusammenlegung und Verbindung von Garnisonen macht der Heeresverwaltung man», che Sorge. Was die politischen Zersetzungsbesttebungen betrifft,, so möchte ich keinen Zweifel darüber lassen, daß ich rücksichtslos allen Versuchen, den Gehorsam in der Reichswehr zu untergra­ben, entgegentreten werde. Den Zwang zur Beförderung eines bestimmten Prozentsatzes der Mannschaften zu Offizieren müßte ich absolur ablehnen. Dagegen find wir eifrig bestrebt, durch Herausheben geeigneter Kräfte den Mannschaften und Unteroffi­zieren dem Offizierskorps frisches Blut zuzufiihren. Der Mini­ster bestreitet dann, dab für den Offiziersersatz die Protektion entscheidend sei. Die Klagen über unmenschliche Behandlung der Soldaten seien nicht begründet. Zu den Kieler Munitionsschie­bungen erklärt der Minister: Die Sache nimmt ihren gerichtli­chen Fortgang. Die Herbstmanöoer werden wir beibehalten müs­sen, um in der Truppenfübruns auf der Höhe zu bleiben. Dev Minister beantwortet dann in vertraulichen Ausführungen dia Fragen der Abg. Schöpflin und Dr. Köhler. Auf Offiziere der alten Armee habe ich keinen Einfluß. Ich habe aber den bren>- nenden Wunsch, daß zwischen dem Offizierskorps des neuen Hee­res und dem Offizierskorps der alten Armee die besten kame­radschaftlichen Verbindungen bestehen. Um auch äußerlich diese Verbindung rum Ausdruck zu bringen, werde ich für die nächstem Herbstmanöver auch eine Anzahl Offiziere des allHeeres eia- laden.

Bayerns Haushalt

Borlage des bayerischen Staatshaushaltes München, 6. Mai. Finanzminister Schmelze legte heute i» Anwesenheit des gesamten Kabinetts dem bayerischen Landtag mit fiebenmonatiger Verspätung den Staatshaushalt für da- 1

Zahr 1930/31 vor, der von großer Sparsamkeit diktiert ist. Za einer mehrstündigen Rede gab der Minister ein Bild der Wirt- schafts- und Finanzlage Bayerns, wobei er wiederholt die eiserne Notwendigkeit unterstrich, mit der jetzigen Defizitwirtschaft end­gültig Schluß zu machen. Auch der neue Staatshaushalt 1930/31 schließt mit einem Fehlbetrag, und zwar in Höhe von 21,8 Mil­lionen im ordentlichen Etat ab. Zur Abdeckung dieses Defizits, schlägt die Regierung eine Reihe von Maßnahmen vor, so Er­höhung des Schulgeldes in den höheren Lehranstalten, Erhebung eines Zuschlages zu den landesrechtlichen Gebühren und Stem­peln, Erhöhung der Dienstaltersgrenze der Beamten und als neue Verbrauchssteuer die Einführung der Schlachtsteuer. Der Minister teilte u. a. mit, daß vom Jahre 1931 ab für Bayer« die Aussicht bestehe, daß zu einem Bruchteil die Verzinsung dey Eisenbahnabfindung vom Reich wieder ausgenommen werde.

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Beschlüsse des Parteivorstandes

Berlin, 5. Mai. Der Vorstand der Demokratischen Partei bat, nach mehrstündigen Beratungen folgende Entschließung ango-i nommen:

Der Parteivorstand der Deutschdemokratischen Partei bil-i ligt das Verhalten der Reichstagssraktion bei den Abstimmung gen im Avril. Der Parteivorstand hat zu der Reichstagsfrakg tion und zu dem demokratischen Reichswirtschaftsminister da« Vertrauen, daß sie in der jetzigen Situation die GrunMtz«> wahren und aus deren etwaiger Verletzung mit Entschieden­heit Folgerungen ziehen werden."

Die Opposition dringt, wie bekannt, darauf, daß die Fraktion der Regierung Brüning die Gefolgschaft auskündige. Diese For­derung wurde von den Landtagsabgeordneten Nuschke und Erz»» mek, der erst kürzlich denSozialdemokratischen Pressedienst" als Sprachrohr gegen die eigene Partei gebraucht hat und der auch^ heute wieder sehr scharfe Angriffe gegen die Führung richtet«, vertreten. Als Bilanz der Tagung läßt sich feststellen, daß die Opposition sich als wett schwächer erwiesen hat, als man nach ihren Aeußerungen vermutet batte. Die Parteileitung da­rüber hat der Verlauf der Debatte keinen Zweifel gelaffen ist entschlossen, dem Kabinett Brüning die Unterstützung nicht z» entziehen, zumal die kurze Zeit, seit die Regierung besteht, ei» abschließendes Urteil über sie gar nicht zuläßt.

Wachsender Aafstmd i» 3«die>

Mobilmachung in Indien

London, 6. Mai. Aus Bombay trifft die Meldung ein, daß die gesamten regulären Truppen sowie die Reserve« Indiens mobilisiert wurden, in Erwartung der Möglichkeit, daß die Nachricht von der Verhaftung Gandhis zu Unruhen in den Bevölkerungsmassen führt. Mit fieberhafter Schnel­ligkeit verbreitete sich die Kunde von dem Ereignis durch das ganze Land und an der Nordwestgrenze befürchtet man in jedem Augenblick neue Zusammenstöße. In den indischen Stadtvierteln von Bombay herrscht eine außerordentliche Erregung, die von den Anhängern Gandhis noch geschürt wird. Diese bemühen sich, die Mafien für eine allgemein« Arbeitseinstellung als Protest gegen die Verhaftung ihre» Führers zu gewinnen. Die Lage ist sehr gespannt. Sogar die Angestellten der europäischen Bank- und Handelsfirmen wurden mit Waffen für den Notfall ausgerüstet.

Neue Unruhen iu Kalkutta Kalkutta, 6. Mai. Der Versuch der Inder, den Trauertag aus Anlaß der Verhaftung Gandhis durchzuführen, hatte Unruhen an viele« Stellen der Stadt zur Folge. Mehrere Polizeibeamte und Aufrührer wurden verletzt. Panzer­wagen und Polizei patrouillieren in den Straßen. Die Polizei ist durch 4M europäische Freiwillige verstärkt worden.

Weitere Unruhen in Delhi

Delhi, 6. Mai. Am Nachmittag kam es in Delhi zu neue« Zu­sammenstößen. Vor der Polizeiwache sammelte sich eine größere Menschenmenge an, die sich trotz 10 Minuten langer Aufforde­rungen nicht zerstreut. Die Polizei schob auf die Menge. Zahl­reiche Personen wurde» schwer verletzt; zwei der am Vormittag verletzten Manifestanten sind gestorben. Die Polizei hat An­sammlungen von mehr als 5 Personen verboten.

Delhi, 6. Mai. Teilnehmer an einem Umzug, der eine Länge von einer halben Meile batte, zerstörten das Automobil de» Polireiinspektors und griffen diesen tätlich an. Herbeigeeilte Polizeiverstärkungen zerstreuten die Menge. Viele Personen sol- len verletzt worden sein. Die Polizei war bei einem anderen Krawall gezwungen, scharf zu schieben, und verletzte 30 Perso­nen. Unter den Verletzten befanden sich auch mehrere Frauen, die Streikposten standen.