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Nummer 222 j zelten steig. Ktimst ?g den 21. Septemder 1929

52. Jahrgang

Was gehl ia Oesterreich vor?

Ms die blutigen Zusammenstöße in Sankt Lorenzen zwi­schen Heimwehrleuten und republikanischen Schutzbündlern stattfanden, meinten gar viele, es sei der Austakt zu einer traurigen Haupt- und Staatsaktion, das Präludium zu einem unausweichlichen Bürgerkrieg. Als die Heimwehr- führer einen Marsch nach Wien ankündigten, um diese Me Zwingburg der Sozialdemokraten zu besetzen und zugleich das Parlament davonzujagen, weil es in ewige Partev- streitigkeiten, in Prestigefragen und in persönliche Ehrgeiz­streitereien verstrickt, das Eesamtwohl schmählich vernach­lässige. Die Sozialdemokraten begannen die Arbeiter auf­zupeitschen; sie erklärten, die Republik sei in Gefahr, mit ihr die sozialen Errungenschaften, eine Diktatur a la Mus­solini stehe vor der Tür. Andere Kritiker wieder, gestützt auf die Erfahrungen der Vergangenheit, Kenner der öster­reichischen Volksseele, verfochten die Anschauung, die häß­liche Episode von Sankt Lorenzen sei keine Brandfackel, sei vielmehr ein Warnungssignal gewesen. Zweifellos, man hatte ein gefährlich Spiel mit dem Feuer begonnen so schildert in einem demokratischen Blatt ein österreichischer Schriftsteller die Lage. So sind die Alarmrufe in der Oeffentlichkeit entstanden.

And nun haben die Heimwehren erneut die Verfassungs­reform verlangt, weil sie das demokratische Prinzip über­spannt. Die Folge dieser Verfassung ist, daß in Oesterreich eine starke Regierung undenkbar ist. Die weitere Folge ist das Fehlen des Auslandsvertrauens, das sich in katastro­phaler Kreditnot geltend macht, und eine fortdauernde Un­sicherheit im Innern. Hinzu kommt die unglückliche Schich­tung des österreichischen Volkes, die einem gesunden, länd­lich-konservativen Bauern- und Bürgertum die sozialdemo­kratischen Massen der Millionenstadt Wien gegenüberstellt. Die parteipolitischen Verhältnisse in dem allmächtigen Na­tionalrat hemmen jede planmäßige Arbeit, denn zwei gleich große Parteien stehen sich als scheinbar unversöhnliche Geg­ner gegenüber, wodurch kleinen Splittergruppen die eigent­liche Macht in die Hände gespielt wird. Die Heimwehren haben die Verfassungsreform zu ihrem ersten politischen Ziel gemacht.

Im Nationalrat hat nun Vizekanzler Schump eine Er­klärung abgegeben, die eine Lösung der Krise aus friedlichem parlamentarischem Wege erwarten läßt. Der Vizekanzler erklärte, daß die Volksbewegung der Heimwehr, die gegen­wärtig tatsächlich die Lage beherrsche, darauf abziele, eine Aenderung der bestehenden Verfassung herbeizufllhren. Er persönlich lehne eine Aenderung der Verfassung ab, wenn es sich etwa darum handeln sollte, den demokratischen Grundsatz zu beseitigen. Er sei dafür, daß sich das Par­lament, je eher desto besser, mit Verfassungsreformen be­schäftige. Derzeit behandle diesen Gegenstand ein Minister­kollegium. Das Parlament werde schon in allernächster Zeit Gelegenheit haben, sich mit diesen Vorlagen zu befassen. Ich lege größten Wert darauf, daß die Aenderungen der Verfassung umfassender Natur seien, daß beschleunigte und durchgreifende Arbeiten geleistet werden. Nur so wird man der allgemeinen, in weiten Kreisen vorherrschenden Stim­mung Rechnung tragen. Sollte aber diese notwendige Be­schleunigung nicht gewünscht werden, oder sollte man der Meinung sein, der Zweck sei auch mit einigen formalen Aenderungen schon erfüllt, dann möchte ich Sie nicht im Zweifel darüber lassen, daß die Dinge sich sehr zuspitzen könnten."

Bürgermeister Seitz zur innerpolitischen Lage in Oesterreich

Wien» 20. Sept. Bürgermeister Seitz sprach in einer Ver­sammlung über die politische Lage und besonders über die Heim­wehrfrage. Die Sozialdemokratie, so führte er aus, sei bereit, ihre Politik einer erneuten Prüfung durch die Wähler zu unter­ziehen. Auch das Wiener Rathaus könne nur durch die Macht der Idee, niemals aber durch Gewalt gestürmt werden. Auch die Verfassungspläne, soweit sie ernst zu nehmen sind, würden mit Ruhe und Sachlichkeit erörtert. Die Sozialdemokratie er­kläre ferner neuerdings ihre Bereitwilligkeit zu einer allgemei­nen inneren Abrüstung, zu energischen Maßnahmen gegen das frivole Spiel mit Putsch und Bürgerkrieg und zur Lösung jeder Frage im Kampf der Geister und nach de» Gesetzen der Demokratie.

Polizeipräsident Schober über die angebliche Putschgefahr

Wien, 20. September. Polizeipräsident Schober er­klärte heute, im Hinblick auf die einzelnen Auslandsstim­men und Gerüchte über einen angeblich bevorstehenden Putsch in Oesterreich dem Vertreter einer Lokalkorrespon­denz, er könne schon früher Gesagtes nur wiederholen, wenn

er feststelle, daß die staatlichen Machtmittel in Oesterreich ihrer Zahl und ihrer Ausrüstung nach jeder Eventualität gewachsen sind. Jeder Versuch, die öffentliche Ordnung zu stören, von welcher Seite immer ein solcher Versuch unter­nommen werden sollte, werde energisch zurückgewiesen wer­den. Es liege demnach kein Anlaß zu irgend einer Beun­ruhigung vor und man möge doch endlich den Versicherun­gen verantwortungsbewußter Männer Glauben schenken und sich nicht durch bramarbasierende Reden und Zeitungs­artikel beeinflussen lassen.

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Bor Streeruwitz' Rücktritt

Berlin, 21. September. Wie nach Vlättermeldungen aus Wien von christlichsozialer Seite mitgeteilt wird, ist nach Wiederzusammentritt des Nationalrates mit einem Rücktritt der Regierung Streeruwitz zu rechnen. Stree­ruwitz wird noch die von der Regierung ausgearbeitete Verfassungsreform vor dem Nationalrat vertreten, dann aber die Durchsetzung der Vorlage auf parlamentarischem Boden einem anderen überlassen. Polizeipräsident Schober wird als Nachfolger von Streeruwitz genannt.

Die morgige Heimwehrversammlung auf dem Wiener Heldenplatz

Wien, 20. Sept. (Amtliche Nachrichtenstelle.) Die für morgen angesetzte Heimwehrversammlung hat lediglich den Zweck, das Programm der Heimwehren in der Frage der Verfassungs­änderung zu verkünden. Die Teilnehmer werden zur Versamm­lung weder in geschlossenen Zügen erscheinen, noch in solchen abmarschieren. Sie haben einen ruhigen Verlauf der Kund­gebung garantiert. Bezüglich der für den 29. September in vier niederösterreichischen Provinzstädten geplanten Aufmärschen wird das lächerliche Gerücht zurückgewiesen, daß ein Marsch nach Wien geplant sei; die Teilnehmer der Kundgebung werden vielmehr lediglich den üblichen Umzug abhalten.

Kamps am die Ardeitsloseaversicheraag

Jnircrvolitische Krise?

Das Hausgesetz zur Arbeitslosenversicherungsreform, die an­fängliche Regierungsvorlage, aus der die strittigen Punkte ber- ausgenommen worden sind, ist vom sozialpolitischen Ausschuß des Reichstags im wesentlichen in der Fassung der Reichsregie­rung, d. b: unter gleichzeitiger Beseitigung der vom Reichsrat beschlossenen Aenderungen, angenommen worden. Die Deutsch- nationalen und die Kommunisten äußerten Bedenken gegen die Beratung der neuen Vorlage, solange die alte Regierungsvor­lage vom Ausschuß noch nicht erledigt sei. Nach Ablehnung der Anträge trat der Ausschuß aber in die Beratung des neuen Hauvtgesetzes ein. Graf Westarp (DN.) teilte mit, daß seine Partei ihre endgültige Stellungnahme von der Gestaltung des Gesetzes abhängig mache.

Das strittige Ssndergesetz über die Beitragserhöhung und die Regelung für die Saisonarbeiter soll in einer besonderen Sitzung erledigt werden, deren Einberufung rechtzeitig vor der Tagung des Reichstags dem Vorsitzenden überlassen wird.

Sozialdemokratische Reichstagssraktiou und Arbeitslosenversicherung

Berlin, 20. Sept. Die sozialdemokratische Reichstagssraktion faßte am Freitag abend einstimmig eine Entschließung: Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion sieht in den sachlichen Er­hebungen und Feststellungen des Sachverständigenausschusses für Arbeitslosenversicherung eine Bestätigung ihrer wiederholt be­kundeten Auffassung, wonach die Beseitigung der nachweisbar bestehenden Mißbräuche und eine befristete Beitragserhöhung in Verbindung mit einer sozialen Neuregelung der Saisonarbeiter- Unterstützung die Fianzierung der Arbeitslosenversicherung er­mögliche, ohne daß eine allgemeine sozialpolitische unerträgliche Verschlechterung der Versicherungsleistungen vorgenommen wird. Sie stimmt deshalb den Beschlüssen des sozialpolitischen Aus­schusses des Reichstages soweit zu, als sie diesen Rahmen einer Aenderung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes nicht über­schreiten. Ohne die allgemeine politische Bedeutung irgendwie zu verkennen, die sich aus einer weiteren politischen Zuspitzung im Kampf um die Arbeitslosenversicherung ergeben kann, ver­langt die Fraktion, daß auch weiterhin der bei den bisherigen Verhandlungen von den sozialdemokratischen Unterhändlern ge­sogene Rahmen beibehalten wird, da die Sozialdemokratie nur innerhalb dieser Grenzen eine Mitverantwortung für die Re­form der Arbeitslosenversicherung zu tragen bereit ist. Obwohl die Sozialdemokratie die Notwendigkeit anerkennt, die Ar­beitslosenversicherung aus eigenen Mitteln zu sanieren, hält sie doch daran fest, daß bei unvorhergesehener Zuspitzung der Lag« des Arbeitsmarktes das Reich die Pflicht zur Leistung von Zu­schüssen hat. Sie lehnt es entschieden ab, daß die Sanierung der Reichsfinanzen und der Abbau der Steuerlasten durch einen Abbau der sosialvolitischen Leistungen des Reiches erkauft werde.

ReikhMlsSeschlW

Berlin, 20. Sept. Der Reichsrat stimmte einer Verordnung über das Verbot von Hausarbeit in der Eummikonfektion zu. Der Reichsrat war damit einverstanden, daß die Geltungsdauer des Gesetzes betreffend Verbot der Ausfuhr von Kunstwerken um 2 Jahre bis zum 31. Dezember 1931 verlängert wird. Zu­gestimmt wurde der Verordnung, wonach die 50-Pfennigstücke aus Aluminium eingezogen und außer Kurs gesetzt werden sollen. Die Außerkurssetzung soll zum 1. Dezember 1929 erfolgen. Die Verpflichtung zur Einlösung durch die öffentlichen Kassen soll von da an noch zwei Jahre dauern. Der Reichsrat erklärte sich damit einverstanden, daß auch im Betriebsjahr 1929/30 land­wirtschaftlichen Brennereien die Verarbeitung zugekaufter Roh­stoffe ohne Verlust ihres Charakters als landwirtschaftliche Brennereien gestattet wird

Neues vom Tage

Jungdeutscher Orden gegen das Volksbegehren Berlin, 21. September. Die Leitung des Jungdeutschen Ordens faßte gestern einmütig eine Entschließung, in der es heißt:

In einmütiger Empörung stellen wir fest, daß eine Anzahl Führer der Rechten mit einer verblüffenden Leicht­fertigkeit im Begriff ist, die nationale Opposition in eine noch nie dagewesene Niederlage zu führen. Wir legen Ver­wahrung dagegen ein, daß im Namen des nationalen Deutschlands ein Volksbegehren veranstaltet werden soll, dessen katastrophaler Ausgang schon heute besiegelt ist. Die Herren Hugenberg, Hitler, Seldte sind nachweislich außer Stande, mehr als 20 Millionen Stimmen für ihr Volksbegehren zu gewinnen. Sie zerstören die deutsche Einheitsfront gegen die Kriegsschuldlüge, sanktionieren die Tributabmachungen der parlamentarischen Regierung mit der Stimme der Nation und beleidigen den hochverehrten Reichspräsidenten von Hindenburg. Wir fordern alle, sach­lich denkenden und verantwortungsbewußte Kreise auf, das Katastrophengesetz schon der nationalen Opposition zu Fall zu bringen.

Einberufung des Reichstags Berlin, 20. Sept. Nach einem Beschluß des Aeltestenrats wird der Reichstag zum 30. September, nachmittags 3 Uhr, einberufen werden. Auf der Tagesordnung steht nur dir Haupt- und Sondervorlage zur Reform der Arbeitslosen­versicherung.

Der Kampf um die Abrüstung Genf, 20. Sept. In der Aussprache über den englist,en Antrag zur Abrüstungsfrage sprach sich Sokal-Polen unter wiederholter Stellungnahme gegen die gestrigen Ausfüh­rungen des Grafen Bernstorff im Sinne der französisch­italienisch-japanischen Stellungnahme gegen den englischen Antrag aus. Die südslawische Delegation nahm die gleiche Haltung ein. Vorbehaltlos für den englischen Antrag sprachen sich dagegen die Vertreter von Norwegen, Däne­mark und Schweden, Ungarn und Oesterreich aus. RLcktrrttsabsichten des schweizerischen Bundespräsidenten Bern, 20. Sept. Bundespräsident Haab hat seine Kollegen und seine politischen Freunde von seinem Entschluß in Kenntnis gesetzt, mit Ende 1929 als Bundesrat zurück­zutreten. Bundespräsident Haab, der in das 65. Lebens­jahr eingetreten ist, kann auf 40 Jahre beruflicher Tätig­keit zurückblicken, wovon 30 Jahre ausschließlich dem Staats­dienst gewidmet waren.

16 Tote und 5V Verletzte beim Brand eines Nachtlokals Detroit, 20. Sept. Zu einer fürchterlichen Katastrophe kam es beim Brand des Nachtlokals Study Elub. 16 Per­sonen wurden getötet und 50 schwer verletzt. Das Gebäude brannte vollständig aus. Die hohe Zahl der Opfer erklärt sich einmal daraus, daß der Brand im Keller ausbrach und so den Gästen der oberen Stockwerke sehr rasch der Aus­gang verlegt war. Unter den Gästen kam es zu einer furcht­baren Panik, die sich noch dadurch verschlimmerte, daß aus den im zweiten Stock gelegenen Räumen des Nachtlokals nur eine enge Treppe nach unten führte. Als der Rauch immer dichter wurde, sprangen deshalb die Gäste aus den Fenstern auf die Straße hinunter.

Woldemaras nimmt Abschied von der Politik Berlin, 21. September. Nach Vlättermeldungen aus Kowno erklärte Woldemaras einem Journalisten, daß er fest entschlossen sei, von dem politischen Leben auszuschei­den und nie wieder einen Ministerposten oder einen Posten im Auslande einzunehmen.