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Festzeitung des Landwirtschaftlichen Bczirksvcreins Nagold
Landwirten zum Willkomm!
Unseren
Wie anders ist es gekommen seit dem letzten landwirtschaftlichen Bezirksfest im Jahre 1898! Zwei Welten liegen zwischen einst und jetzt! Damals tiefster Friede, eine Blütezeit des Reichs ohne Beispiel, heute nach dem verlorenen Weltkrieg mit der Inflation und den aufgezwungenen Kriegslasten, Not und Sorgen in weiten Kreisen, Verbitterung und Uneinigkeit im ganzen Volk! Gerade auch über die Landwirtschaft sind nach der Scheinblüte der Inflation schwere Zeiten hereingebrochen, die bei manchem nicht die rechte Festes- und Jubiläumsfreude aufkommen lassen wollen, obwohl sonst bei weniger wichtigen Anlässen mehr als genug gefeiert wird. Aber warum soll der schöne Bauernstand nach den vielen Jahren schwerer Arbeit und ernster Sorgen und Kämpfen nicht einmal wieder mit den Berufsgenossen und mit den Bekannten in Stadt und Amt zusammenkommen und miteinander einige frohe Stunden erleben? Wahrlich, es tut not, daß sich der Bauer auf seinen trotz allem auch heute noch schönsten Beruf besinnt und seines Standes bewußt wird. Mit einem grollenden Beiseitestehen wird gar nichts besser. Zu allen Zeiten war es so, daß der Mensch in der Not sich aufrafft und sein Schicksal zu meistern versteht. Was helfen all die Klagen und das Händeindenschoßlegen ? Wenn wir uns nicht selbst helfen, hilft uns niemand.
So begrüße ich namens der Stadt Nagold den Landwirtschaftlichen Vezirksverein an seinem 90jährigen Jubeltage aufs herzlichste und heiße alle Festteilnehmer in Nagold willkommen. Heute erkennen wir mehr denn je, wie eng Stadt und Amt verbunden und aufeinander angewiesen sind. Welch auffallende Fortschritte hat die Verkümmerung des platten Landes in den letzten hundert Jahren und besonders seit dem Krieg gemacht. Bei der heutigen Zusammenballung von Kapital- und Wirtschaftsmacht in den großen Zentren kommt das Land mit seinen alten Kulturstätten — ich rechne auch die kleineren Oberamtsstädte zum Land — immer mehr ins Hintertreffen. Wie knapp ist heute das Geld beim Landwirt? Eeht's dem Bauern schlecht, geht's auch den kleineren Städten nicht gut, die auf Gedeih und Verderb aufs engste mit der Landwirtschaft verbunden sind. Diese Not des Landes kommt nicht von ungefähr; sie mag durch die technische, industrielle und kommerzielle Entwicklung des Landes mit verursacht sein. Ein Teil ist aber auch auf die politische Entrechtung des platten Landes zurückzuführen. Das jahrhunderte alte Landstandschaftsrecht jedes Amts, einen eigenen Abgeordneten zu haben, ist durch die Revolution über Nacht beseitigt worden, ohne daß sich auch irgend jemand dagegen gewehrt hätte. Heute sehen wir die Wirkungen, man wählt
nicht mehr den Vezirksabgeordneten, sondern die Partei nicht mehr die Persönlichkeit, sondern den Stimmzettel. Es tut not, heute über solche Fragen mehr nachzudenken als je. Lassen wir die Dinge nicht gehen wie sie treiben. Es war noch immer so: wer sich regt und wehrt, für den bleibt der Erfolg nicht aus. Mögen Stadt und Amt sich vorsehen, daß sie nicht alles verlieren. Gewiß, es freut sich jedermann über die gewaltige Entwicklung unserer großen Städte. Aber diese Entwicklung ist nur gesund, wenn auch das platte Land mitkommt, sonst haben wir ein Haupt ohne Glieder.
So möge das Gelöbnis heute ausklingen zu einem noch engeren Zusammenstehen von Stadt und Amt zur Wahrung der Lebensnotwendigkeiten des Bezirks, seiner Gemeinden und jedes Einzelnen. Dem Landwirtschaftlichen Bezirksverein mit seinem verdienstvollen Vorsitzenden, dem Herrn Hirschwirt Kleiner von Ebhausen, wünschen wir weiteres Blühen und Gedeihen, daß der Verein sein und bleiben möge der starke Anker für die Landwirtschaft in unserem Bezirk. Ilnsern Bauern aber, die in harter Arbeit unser täglich Bot schaffen, rufe ich ein herzliches „Glückauf" zu.
Nagold, den 14. Sept. 1929.
Stadtschultheiß Maier.
Gedanken zum Landwirtschaftlichen Bezirksfest
in Nagold 1929
Von Diplomlandwirt E. Pfisterer-Stuttgart
Nur noch ein Jahrzehnt ist es, das den Landwirtschaftlichen Bezirksverein Nagold von dem Zeitpunkt trennt, an welchem er auf sein lOOjähriges Bestehen zurückblicken kann. Er zählt demnach heute 90 Jahre. Die Zeitspanne umfaßt drei Generationen, von denen jede einzelne als Glied in der Kette der Entwicklung zu gelten hat. Diese Entwicklung bezieht sich hiebei auf das landwirtschaftliche Vereinswesen im Bezirk Nagold. Sie weist bei näherer Betrachtung, wie das im Leben immer war und sein wird, Höhen und sicherlich auch Tiefen auf. Zu den schwersten Zeiten, die der Landwirtschaftliche Bezirksverein Nagold durchzumachen hatte, gehören ohne Zweifel die Jahre des Krieges 1914—1918 und die folgenden Jahre eines in gleichen Ausmaßen nie gekannten Währungszerfalls. War die Entwicklung des Vereins bis zum Ausbruch des Weltkrieges im allgemeinen eine aufwärtsgerichtete, so traten in der Folge sehr erhebliche Erschütterungen auf, welche die geordnete Durchführung der Vereinsaufgaben stark gefährdeten. Allein dem Umstand, daß, wie alle landwirtschaftlichen Bezirksvereine des Landes, so auch der Landwirtschaftliche Bezirksverein Nagold überlieferte Grundsätze hatte, war es zuzuschreiben, daß er auch über diese schweren Jahre seine Existenz behauptete. So blieb daher auch der landwirtschaftlichen Bevölkerung des Bezirks Nagold eine Einrichtung erhalten, welcher erstere unendlich viel zu verdanken hat. War es doch gerade der Landwirtschaftliche Bezirksverein, der durch jahrzehntelange zielbewußte Arbeit zur allgemeinen Hebung des im Bezirk vorherrschenden Bauernstandes beigetragen hat.
Die klimatischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen sind von jeher für die Ausübung des bäuerlichen Berufs keine günstigen gewesen. Harte und schwere Arbeit, und anderen Berufsständen kaum bekannte Entbehrungen aller Art waren erforderlich, um dem landwirtschaftlich benutzten Grund und Boden nicht nur den eigenen Bedarf an Nahrungsmitteln, sondern darüber hinaus auch Ueberschüsse zur Verwendung für die nicht landwirtschaftliche Bevölkerung abzuringen. In diesem Ringen um den höchstmöglichen Ertrag der Scholle hat sich der Landwirtschaftliche Bezirksverein als wertvoller Bundesgenosse für jeden einzelnen Bauern bestens bewährt. Aufklärende und vermittelnde Tätigkeit des Landwirtschaftlichen Bezirksvereins haben auf alle landwirtschaftlichen Betriebe befruchtend eingewirkt. Ohne diese Einflüsse wäre der zu beobachtende Fortschritt, vor allen Dingen auf den Gebieten des Acker- und Pflanzenbaus wie auch auf denen der Viehwirtschaft und der Tierzucht nicht denkbar gewesen. Es ist nicht möglich, in diesem Zusammenhang auf alle fördernden Einflüsse, deren Entstehung einer restlosen Tätigkeit des Landwirtschaftlichen Bezirksvereins zu verdanken ist, näher einzugehen. Nur ein Gesichtspunkt soll eingehendere Beachtung finden. Es ist schon immer so gewesen, daß die Veranschaulichung von Erfolgen aus fortschrittlicher Tätigkeil den Gedanken zur Nachahmung bedeutend gestärkt hat. Ja oftmals beschränkt sich die Wirkung veranschaulichter Erfolge nicht nur auf die Stärkung des Willens zur Nachahmung, sie liegt vielmehr auch in der Auslösung des Ansporns zum Bessermachen. In diesen Gedanken liegen die Geheimnisse des Fortschritts überhaupt. Gerade aus diesem Gesichtspunkt heraus verdient die Tätigkeit eines Landwirtschaftlichen Bezirksvereins größte Beachtung. So ergibt sich auch die innere Berechtigung für die Veranstaltung eines Landwirtschaftlichen Bezirksfestes, denn mit diesem
ist ja immer eine Ausstellung sowohl landwirtschaftlicher wie auch gewerblicher Erzeugnisse verbunden. Zeigen erstere den Fortschritt auf dem Gebiet der Nahrungsmittel- Erzeugung, so veranschaulichen letztere die Fortschritte auf dem Gebiet der Herstellung landwirtschaftlicher Produktionsmittel. Beides ist auf das innigste miteinander verbunden. Zumeist findet bei dieser Gelegenheit eine Bewertung der Erzeugnisse statt. Auch sie bedeutet eine Grundlage des Fortschritts.
Die Bedeutung eines landwirtschaftlichen Vezirksfestes liegt aber nicht restlos in diesen Maßnahmen. Diese an sich würden den Begriff „Fest" auch nicht ohne weiteres begründen. Die Bezeichnung Landwirtschaft!. Bezirksfest ist herkömmlich und überliefert. Die Veranstaltung eines landwirtschaftlichen Bezirksfestes ist zwar keine rein landwirtschaftliche Angelegenheit, aber in der Hauptsache bedeutet sie Festtage für die bäuerliche Bevölkerung. Worin liegt nun das „Festliche"? In der einfachen Tatsache, daß der Bauer und seine Familie die Alltagsforgen für einige Stunden abstreift, um sich der Beschauung, vor allen Dingen aber auch der Freude der Unterhaltung mit Angehörigen seines Berufsstandes, die ihm bekannt, aber nicht immer leicht erreichbar sind, hinzugeben. Es ergibt sich aus dem Gesagten, daß ein landwirtschaftliches Bezirksfest mit dem „Festen", wie es besonders heutzutage und anderweitig geübt wird, nicht allzuviel gemein hat. Und selbst dann, wenn da und dort eine wirkliche Feststimmung beobachtet werden kann, so muß man sich sagen, daß dieses kurze Unbekümmertsein nichts bedeuten will gegen das unendlich Schwere des bäuerlichen Alltags.
Der Landwirtschaftliche Bezirksverein Nagold feiert in diesen Tagen sein Bezirksfest. Gerade die Vierzigjährigen vermögen sich noch an die letzte Veranstaltung gleicher Art erinnern können. Sind es doch 30 Jahre und vielleicht einige mehr, daß diese stattgefunden hat. Das gegenwärtige Fest hätte daher seine innere Berechtigung schon allein aus der Tatsache des zeitgemäßen Abstands eines Menschenalters. Aber noch ein anderes kommt hinzu. 90 Jahre alt ist der Landwirtschaftliche Bezirksverein Nagold. Und da darf die Geburtstagsfeier wohl einen festlichen Rahmen haben. Viele der Festteilnehmer werden für sich und sicher auch im Gedankenaustausch einen Blick rückwärts tun. Das Gesichtsfeld, das mit dem gewöhnlichen.Auge dabei zu übersehen ist, bietet den Beschauern nichts Erfreuliches. Darum aber erscheint das Landwirtschaftliche Bezirksfest vor allem dazu geeignet, nicht nur Lehren aus der Vergangenheit für dis Gegenwart und Zukunft zu ziehen, sondern auch Wille und Kraft zur Nutzanwendung dieser zu geben.
Als eine der wichtigsten von den vielen Lehren, die sich aus der Vergangenheit, besonders aus der jüngsten erkennen lassen, ist wohl die anzusprechen, daß der einzelne Bauer und seine Familie im Kampf gegen all die feindlichen Einflüsse unterliegen muß, wenn er allein den Kamps führen will. Die Zurückschauenden werden feststellen müssen, daß die bäuerlichen Existenzbedingungen scheinbar seit einem Jahrfünft, in Wirklichkeit aber seit drei Jahrfünften denkbar nachteilige Veränderungen erfahren haben. Dies trifft nicht nur im Hinblick auf die produktionstechnische Seite, sondern hauptsächlich auch auf die Verhältnisse beim Absatz der Erzeugnisse der landwirtschaftlichen Betriebe zu. Doch nicht die Feststellung dieser Tatsachen allein kann genügen, vielmehr muß auch auf ihre Ursachen hingewiesen werden. Diese Ursachen liegen im wesentlichen teils auf
staatspolitischem, in der Hauptsache aber auf wirtschaftspolitischem Gebiet.
Hieraus erklärt sich aber der Umstand, daß das Aufgabengebiet der landwirtschaftlichen Bezirksvereins mit dem Ende des Krieges über die fachliche und technische Förderung der Landwirtschaft hinaus eine wesentliche Erweiterung erfahren hat. Diese Erweiterung des Aufgabengebiets der landwirtschaftlichen Vezirksvereine setzte gleichzeitig mit der Neuorganisation des landwirtschaftlichen Vereinswesens im Jahre 1918/19 ein. Die bisherige Spitzenstelle der landwirtschaftlichen Bezirksvereine, die Zentralstelle für die Landwirtschaft wurde in der Führung durch eine eigene Organisation der Landwirte, durch den Landwirtschaftlichen Hauptverband Württem- bergundHohenzollern abgelöst. Seine Entstehung erfolgte aus der Erkenntnis der dem landwirtschaftlichen Berufsstand drohenden Gefahren heraus. Seine Hauptaufgabe bestand demnach sowohl in der Abwehr dieser Gefahren wie aber auch in dem Kampf um die berechtigte Anerkennung durch den Staat und um die Gleichstellung des bäuerlichen Berufsstandes mit anderen Berufen.
So brauchte sich der einzelne Bauer nicht allein zu fühlen. Nur die Vertretung der bäuerlichen Interessen auf breitester in sich verbundener Grundlage vermochte zu verhindern, daß der Zusammenbruch bäuerlicher Einzelexistenzen bisher keinen größeren Umfang annahm. Gewiß verdient hiebei auch die Tatsache Beachtung, daß die Bauern bezüglich der Einschränkung persönlicher, familiärer und wirtschaftlicher Bedürfnisse vielfach bis an die Grenze des Erträglichen herangegangen sind.
Das Landwirtschaftliche Bezirksfest des Landwirtschaftlichen Bezirksvereins Nagold hat somit neben den vielen genannten und ungenannten Aufgaben nicht zuletzt dem Zwecke zu dienen, auf der Grundlage des bäuerlichen Standesbewußtseins das unerläßliche Gefühl der Zusammengehörigkeit zu fördern.
Das Fest aber hat auch noch eine andere Seite. Es ist schon gesagt, bezw. angedeutet, daß auch andere Vevölke- rungskreise an demselben teilnehmen. Diese sind ja glücklicherweise durch die offensichtlichen Wechselbeziehungen noch mehr mit dem Bauernstand verbunden als dies bei den Einwohnern der großen Städte der Fall ist. Sie kennen die Bedeutung einer leistungsfähigen Landwirtschaft. Darum wissen sie auch sehr gut, daß ihr Ergehen von dem der Landwirtschaft stark beeinflußt wird. Das Landwirtschaftliche Bezirksfest ist daher wohl geeignet, die Beziehungen zwischen Stadt und Land zu fördern. Es liegt viel in der Hand der städtischen Einwohner, ihre wirtschaftliche Lage selbst zu bessern, indem sie beispielsweise die Erzeugnisse der einheimischen Landwirtschaft nicht ablehnen, lediglich weil die ausländischen Nahrungsmittel besser sein sollen. Dies ist nämlich in der Allgemeinheit, wie es immer wieder hingestellt wird, gar nicht zutreffend. Ja, es handelt sich beim Kampf der landwirtschaftlichen Großorganisationen nicht allein um die Erhaltung der Landwirtschaft, sondern darüber hinaus auch um die Erhaltung der ländlichen Natürlichkeit als Rückgrat unseres ganzen volklichen Seins.
Möge das Landwirtschaftliche Bezirksfest dazu beitragen, daß die überragende Bedeutung unserer gesamten Landwirtschaft in weitesten Volkskreisen erkannt wird.