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Scha>«rz«LN>er S*««tazstlatt
Nr. IS
aus einen Ruck. Und rückwärts rollt ein losgesprungenes Rad mit frechem Ton gegen den nächsten Straßenbaum...
Das ist der Bauern Rache von vorhin! Das hat man dem betrunkenen Manne angetan, als man ihn selbst nicht mehr erwischen konnte! Ein Bauer kam bis an des Wagens Hinterrad; ein Griff, ein Ruck, des Rades Buchse flog zur Seite... Nun fahr' nur zu, alter Krakeeler, und brich dir samt dem Jungen und den Gäulen das Genick!
Der alte Engler ist gehörig wachgerüttelt. Er klettert vorsichtig vom Sitz herunter, der Junge wimmert leise vor sich hin, rafft sich jedoch schon auf, denn außer einigen Beulen und Schrammen ist ihm nichts Ernstliches zugestoßen. Der Schreck läßt ihn noch lange weinen.
Der Engler sucht das abgesprungene Rad, rollt es heran, und will versuchen, es aufzustecken. Der Junge leuchtet ihm mit der Laterne. Doch guter Rat ist teuer. Die fetten Schweine sind zurückgerutscht, nach jener Seite, Wo der Wagen mit der Achse auf dem Boden liegt. Die Tiere schreien und balgen sich ganz fürchterlich. Sie sind weder mit Schlägen noch mit Drohen auseinanderzukrie- gen, denn immer rutschen sie von selbst wieder zu einem Klumpen. So liegt die ganze Last auf der Seite, die zum Anstecken des Rades hochgehoben werden muß.
Das können der alte Mann und das schwache Kind beim besten Willen nicht bewältigen. Es muß ein Hebebaum
Mld muffe* starke Männer herbeigeholt werden. Aber woher? Hier auf der Landstraße, und mitten in der Nacht!
Zum nächsten Dorf ist es ein weiter Weg. Der Alte will selbst Hilfe holen. Zurück läßt ihn der Junge nicht, dort liefe er seinen Feinden wieder in die Hände. Und Werner muß beim Wagen wachen. Die Pferde wollen nicht mehr stehen, werden unruhig, zerren und reißen an den Sielen. Der Junge muß mit Stock und Fäusten auf die Schweine schlagen, die in dem engen Wagen beißen und rumoren, daß man das Gruseln kriegen könnte. Der Junge weiß wahrhaftig nicht, wo er zuerst schlichten soll. Der Wagen irachr in allen Fugen. Wenn er zerbricht, dann laufe« ihm die schweren Tiere alle noch davon. Der Junge kan« »ich, einen Augenblick zur Ruhe kommen. Und das ist auch vielleicht ganz gut. Dann merkt er nicht, wie verlasse« und mutterseelenallein er auf der öden, nachtbefangenen Landstraße ist...
Im Osten wird es langsam grau, als der Engler wiederkommt. Verwundert sehen die vier Männer, die er zur Hilfe mtigebracht, den fröstelnden und angstbefallenen Jungen, der ihnen und dem Großvater entgegenlauert. Jeyl ist es mit seiner schwachen Kraft und seinem großen Mut zu Ende. Müdigkeit, Kälte und die ausgestandene Angst der letzten Stunden lassen ihn zusammenbrechen. Er stiert und weint zum Gotterbarmen...
Einer der Männer, der das tapfere Kerlchen bewundert, faßt ihn mit seinen großen Händen, wickelt ihn in einen Pelz und bettet ihn, so gut es geht, zum Schlafen ruf den Kutscherbock.
Zehn Dörfer weit entfernt steht eine Mutrer, übernächtigt und in Heller Angst um dieses Kind, wartend und fröstelnd am Fenster, und sorgt sich, und lauert in den frühen Morgen, der sich wie eine graue Sorge vor ihr spannt.
Es wird jedoch noch Heller Mittag, bevor der Engler mit dem Jungen von der Fahrt nach Hause kommt; den Jungen, der ihm diese Nacht Helfer und Engel war, behutsam weckt und aus dem Pelze schält, daß nun Frau Agnes, in Erlösung nach dem bangen Warten, die Arms um ihn schlägt und freudig aufweint, angstbefreit. .
Fortsetzung folgt.
Wie feiern mir den Eiisegnungstag unseres Kindes?
fp. Der Tag der Einsegnung soll doch gewiß für den jungen Menschen ein Tag schöner, bleibender Erinnerung sein. Der Eindruck, den die kirchliche Feier hinterläßt, soll im Hause weiterklingen, sich vertiefen und zu einem „Erleben" werden. Wie aber ist es oft? Nicht der böse Wille ist es vielfach, sondern das Unvermögen, das Nicht- Wissen, wie man den Tag so erhebend gestalten soll, daß man ihn nie vergißt. Oft verwischt die häusliche „Feier" sofort den Eindruck, den die kirchliche Handlung hervorgerufen. Oft wird an diesem Tag in dem jungm Menschen etwas zerstört, was nie wieder gut zu machen ist. Hat man ein Fest anzuordnen, dann soll man eingedenk sein des Wortes, das von einem unserer ganz Großen geprägt ^ ist: „Das Glück ist nicht draußen, da sucht es der Tor, ^ Es ist in D i r, D u bringst es ewig hervor!" Im engeren Familienkreise soll sich vor allein auch die Feier des Ein- ! segnungstages abspielen, und auch da in einer würdigen Weise, die der Bedeutung des Tages Rechnung trügt. Die Hauptaufgabe dafür liegt in den Händen der Haus- ! frau und Mutter. Möglichst früh schon soll sie voraus- denken, frühzeitig alle nötigen größeren Anschaffungen und Besorgungen machen, damit sich nicht alles auf oie letzten Tage zusammendrängt und 'das Kind von der allgemeinen Unruhe angesteckt, zu keiner Sammlung kommt. Das Großreinemachen sollte frühzeitig beendet sein. Die Kleidung des Konfirmanden soll nicht „elegant" sein, sondern einfach, gut und gediegen, so daß sie auch später noch zu gebrauchen ist. Mit Schmuck sei man s.hr sparsam — des Kindes reine Seele sei sein schönst e r S ch m u ck. Die Bewirtung bestehe nicht in kosispie- ligen Schmausereien. Es ist nicht nötig, eine heitere und frohe „Stimmung" durch alkoholische Getränke zu „erzeugen", sie kommt auch und in reiner Weise ohne Alkohol. Besonders schlimm ist es, wenn man den jungen Konfirmanden seine „Männlichkeit" durch Alkoholgenuß beweisen läßt. Ist alles gut durchdacht und vorbereitet,
so gibt es keine Aufregungen, infolge der zu großen und späten Vorbereitungen und der Kirchgang kann in Begleitung aller Familienmitglieder stattfinden, — auch Mutter ist rechtzeitig fertig geworden. Nach der Kirche werden wohl meist Verwandte, Freunde und Nachbarn den Konfirmierten beglückwünschen und ihm ihre Geschenke übergeben wollen. Als Geschenke sind am nettcst.n gute Bücher, Bildermappen, eine Uhr oder bescheidener Schmuck, vielleicht Familienbesitz, Andenken an Großeltern usw. also nicht wertlosen, auffallenden Schmuck und Tand für die Mädchen, — Spazierstock,' Siegelring, Zigarettentasche für die Knaben. Der Mittagstisch vereinige die Familie und wenige Gäste, nicht alle möglichen Leute. Dann langweilt sich aych niemand, wenn Vater, Mutter oder Großeltern nach dem Mittagessen von ihrer eigenen Einsegnung erzählen oder die Fami.ienbibel mit Stammbaum, frühere Bilder und Stammbücher hervorgeholt werben. Zu der Kaffeetafel kommen eingeladene Freunde des Hauses. Cs ist hübsch, wenn danach Gedichte aufgesagt, gemeinsame schöne Volkslieder mit Lautenbegleitung gesungen werden, oder sonstige gute- Musik geboten wird, oder man macht einen gemeinsamen längeren Spaziergang oder spielt Ring-, Reigen- und 'Ratspiele. Nicht den Eindruck eines besonderen Festes wird man mit Kartenspiel, gewöhnlichem Tanz, Gesang von Schlagern ober gar des „Stumpfsinnliedes" Hervorrufen. Zu vermeiden sind Spirituosen aller Art, Besuch von Konditoreien, Kneipen, Kinos und der erste „Spitz" oder „Rausch" des Konfirmanden! — Ein einfaches Abendbrot schließe den Festtag ab. Dann geht der Konfirmand nicht mit schwerem Kopf ins Bett, als Vorboten des Katzenjammers, den Alkohol und Tabak in ihm erzeugen, und ihm die Erinnerung an den ersten wichtigen Abschnitt seines jungen Lebens umnebeln. Eltern, welche es der Mühe wert halten, neue Wege zu suchen, werden das für die besonderen Verhältnisse ihrer Familie Geeignete schon yerausflnden. Es ist ja alles zum Nutzen und Segen des Wertvollsten, was sie besitzen: für ihr Kind! „Behüte seine Seele mit allem Fleiß, denn daraus gehet das Leben!"
Die Erschießung der Miß Cmcll
Bo» D. Paul Le Seur, Haus Hainstein-Eisenach
Der ehemalige evangelische Earnisonpfnrrer beim j Kaiserlichen Gouvernement Brüssel, D. Le Seur, gibt ! in der D.A.Z. als Augenzeuge eine Schilderung von ! der Erschießung der Miß Edith Cavell, der wir fol- ! gendes entnehmen:
Eines Tages im Oktober 1915 kam im Gouvernementskasino ! in Brüssel der Kriegsgerichtsrat Dr. Stoeber aus mich zu und ! teilte mir mit, daß ich der zum Tode verurteilten Engländerin ! Miß Edith Cavell seelsorgerisch zur Seite stehen müsse. Ich ^ erschrak bis ins Innerste hinein. Wenige Wochen vorher war es Mcine Pflicht gewesen, denselben Dienst einem deutschen Soldaten zu leisten, der Kriegsverrat verübt hatte. Das war mir schwer genug geworden. Aber nun bei einer Frau? Ich hatte von der ganzen Angelegenheit bis dahin kein Wort gehört, kunächst wollte ich einmal feststellcn, ob die Verurteilte überhaupt evangelisch sei. Nur in diesem Fall war es ja meine Pflicht, zu ihr zu gehen. Der Kriegsgerichtsrat wußte es nicht »enau. Darum ging ich schnell in die Kommandantur, um mich dort zu erkundigen. Ich fragte den allein anwesenden Schreiber, ob er wisse, was morgen früh geschehen solle. Er wußte es. ,Tann stellen Sie bitte einmal fest, ob Miß Cavell evangelisch ist." Er klingelte im Gefängnis St. Gilles an, und ich bekam Auskunft, daß Miß Cavell zur anglikanischen Kirche gehöre. § Es war also mein unentrinnbare Schicksal, diesen schweren s Dienst zu erfüllen. j
Ich fragte den Kriegsgerichtsrat, ohne irgendwelche Kenntnis s der Akten freilich, ob ich der Verurteilten nicht ein Gnadengesuch «adelegen solle. Aber ich bekam die Antwort, daß ein derartiger Versuch völlig vergeblich sein würde, da das Urteil von dem bouverneur, General v. Sauerzwcig, unterzeichnet und damit rechtskräftig sei. Es lasse sich nichts mehr daran ändern. Ich solle am Nachmittag um 1 Uhr in das Gefängnis kommen und der Urteilsverkündigung beiwohnen. Erst danach dürfe ich mit Miß Cavell persönlich sprechen. Das Urteil werde am nächsten Morgen vollstreckt.
Zur festgesetzten Stunde waren in dem Eerichtszimmer.des kefängnisscs die 35 Angeklagten des Prozesses versammelt, ab- rcseben von einem, der sich vorher das Leben genommen batte. Das Urteil wurde in deutscher und französischer Sprache verlesen. Von den neun beantragten Todesurteilen waren nur fünf bestätigt worden, und ich wußte, daß nur zwei — an den Hauptschuldigen — vollstreckt werden sollten. Es war erschütternd, den Wiederschein der Urteilsverkündigung auf den Gesichtern zu sehen.
Die Beklagten hatten eine Geheimorganisation gebildet mit »em Zweck, wehrfähige Männer heimlich über die holländische krenze zu führen, so daß sie über England zu den gegen uns iämpfendcn Heeren stoßen konnten. Als S"nvts^uldige galten «in belgischer Architekt, Mr. Baucq, Katholik, und Miß Cavell.
Edith Cavell war eine gebildete Dam« im Anfang der vierziger Jahre, etwa seit zehn Jahren in Brüssel als Oberschwester sn einer großen Privatklinik tätig. Wenn ich recht unterrichtet hin, hat sie nicht nur dort die Ausbildung der Pflegerinnen pcl itet, sondern überhaupt die englische Einrichtung des Nurses in Belgien eingeführt. Um ihres Berufes willen batten die putschen Vesatzungsbehörden ih-. volle Freiheit gelüsten. Sie hat dies Vertrauen für die Zwecke jener Organisation mißbraucht. Die wehrfähigen Männer, die ihr zugeführt wurden, nahm sie unter dem Schutz des Roten Kreuzes in ihrer Klinik auk. um ihnen von da den Weg nach Holland zu ermöglichen.
Sie hat selbst zugegeben, daß sie mindestens 25V Männern über die Grenze geholfen hat. Das war also eine kriegsstarke Kompagnie, die nun auf unsere Feldgrauen schoß. Der Richter meinte Grund zu der Annahme zu habe«, daß es sich tatsächlich «m viel gröbere Zahlen gehandelt bat.
Nach der Verlesung des Urteils führte ich Miß Cavell in ein Nebenzimmer. Um es ihr ein wenig zu erleichtern, hatte ich
mich erboten, ihr selbst zu sage«, daß das Urteil schon am nächsten Morgen vollstreckt werden solle.
Es war mir anfänglich schwer, meinen Auftrag auszurichten. Sie kam mir selbst zu Hilfe: „Wieviel Zeit wird man mir noch geben?" — „Leider nur bis morgen früh." — Einen Augenblick stieg ihr dunkle Röte ins Gesicht — aber nur Sekunden. Dann war sie völlig gefaßt. Ich bot ihr meine seelsorgerischen Dienste an, sagte ibr, daß ich ihr zu jeder Stunde des Tages und der Nacht zur Verfügung stände, aber sie lehnte alles mit böslicher Bestimmtheit ab. „Kann ich Ihnen nicht irgend eine Liebe erweisen? Sehen Sie jetzt in mir nicht den Deutschen, sondern nur den Diener unseres Herrn und Heilandes, der sich Ihnen ganz zur Verfügung stellt!" Da fragte sie, ob es möglich sei, ihre achtzigjährige Mutter in England zu benachrichtigen, damit sie es nicht zuerst durch die Zeitungen erfahre. Ich gab ihr das Versprechen, dafür zu tun, was in meiner Macht stebe, und ich habe mein Versprechen gehalten Meines Wissens ist eine Depesche dorthin gesandt worden. Weiter fragte sie, ob sie mir Briefe an ihre Lieben zur Weiterbeförderung anvertrauen könne. Ich versprach ihr wieder, zu tun was möglich sei. Diese Briefe mußte ich dann der deutschen Behörde übergeben, die sie hoffentlich befördert bat. Andere Wünsche hatte sie nicht. Sie sprach es aus, daß sie seit ihrer vor zehn Wochen erfolgten Verhaftung mit keinem anderen Ausgang gerechnet habe.
Aber mir brannte es aut dem Herzen, daß ihrer Seele in ihrer bitteren Not gedient würde. Darum tat ich etwas, wozu mir wohl eigentlich das formelle Recht fehlte. Ich verstand es tief, daß sie von mir als Deutschem, in der ihr verhaßten Uniform, innerste Hilfe nicht entgegennehmen konnte. Außerdem war es nach den Grundsätzen ihrer Kirche für sie kaum möglich, von .einem nicht anglikanischen Geistlichen das heilige Abendmahl zu nehmen. Aber ich kannte den anglikanischen Kaplan in Brüssel, Rev. Eaban, gut, einen von Herzen frommen Irländer, der übrigens während der ganzen Besetzungszeit seine Gottesdienste unangefochten halten durfte. So fragte ich Miß Cavell, ob sie wünschte, daß Rev. Eaban zu ihr käme, um ihr das heilige Abendmahl zu reichen. Da leuchteten ihre Augen auf, und mit großer Freude ging sie auf diesen Vorschlag ein.
Es war wohl schon 8 Uhr abends, als endlich der englische Geistliche zu mir kam. Als ich ihm vertraulich erösfnete, um was es sich handelte, brach er fast zusammen. Mit dem Erlaubnisschein, den ich für ihn vom Gefängnisoffizier bekommen hatte, fuhr er dann hinaus nach St. Gilles. Er durfte ohne Zeugen» so lange er wollte, bei der Verurteilten bleiben. Es waren wobl mehr als zwei Stunden.
Später berichtete er mir mit der ausdrücklichen Erlaubnis, es weiter zu sagen, daß Edith Cavell, unmittelbar vor der Kam» munion, ausgesprochen habe» sie sehe jetzt, wo sie an der Schwelle der Ewigkeit stehe» daß Patriotismus nicht das Höchste sei, und daß mau niemand hassen, sondern alle lieben solle!..,
Beim ersten Grauen des Morgens setzte ich mich sehr schwere« Herzens in den Kraftwagen und fuhr hinaus ins Gefängnis Ich ließ mich bei Miß Cavell melden. In der Zelle brannte eins flackernde Gasflamme. Zwei große, welke Blumensträuße, die seit sehn Wochen dort standen, weckten den Eindruck einer Gruft. Alle ihre kleinen Habseligkeiten batte die Verurteilte mit größter Sorgfalt in einen Handkoffer gepackt. Ich geleitete sie durch die langen Gänge des großen Gefängnisses. Die belgischen Ee- fängnisbeamten standen da und grüßten sie schweigend, mit höchster Ehrerbietung. Still grüßte sie wieder. Dann stiegen wir in den Kraftwagen, der auf dem Hof auf uns wartete. Wenige Augenblicke später trat aus demselben Tor der katholische Pater Leyendecker mit dem anderen Verurteilten, einem etwa 35jäh- rigen Architekten. Mr. Baucq ging auf jeden einzelnen der her- rmstebenden deutschen Wachtsoldaten zu, gab ihnen die Hand »nd sagte auf flämisch: „Nichts nachtragen!" Und nun fuhren die beiden Kraftwagen in den Morgen hinaus. Ich saß neben Edith Cavell, um sie — zu ihrem eigenen Begräbnis zu geleiten...
Sie sab still neben mir, und ich tat nichts weiter, als daß ich thr hin und wieder ein Schriftwort oder einen englischen Liederoers zurief. Sie war wunderbar gefaßt.
Als wir draußen ankamen, stand vorschriftsmäßig eine kriegsstarke Kompagnie dort unter der Führung eines Stabsoffiziers. Ein Kriegsgerichtsrat mit seinem Protokollführer, ein Offizier der Kommandantur und ein Arzt waren zur Stelle. Wir Geistlichen führten die Verurteilten vor die Front. Die Kompagnie präsentierte das Gewehr und das Urteil sollte deutsch und fran- iösisch verlesen werden. Da rief Mr. Baucq mit Heller Stimme auf französisch: „Kameraden! Vor dem Tode sind wir alle Kameraden!" — Weiter durfte er nicht reden. Das Urteil wurde verlesen und danach den Geistlichen das letzte Wort mit den Verurteilten erteilt. Das meinte ich so kurz wie irgend möglich machen zu müssen. Ich ergriff Miß Cavclls Hand und sagte, natürlich auf englisch, nur die Worte:
„Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit dir in Ewig- j keit. Amen." Sie erwiderte meinen Händedruck und antwortete etwa dies:
„Sagen Sie Mr. Gahan, er möge später meinen Lieben Mitteilen, daß meine Seele, wie ich denke, geborgen ist, und daß ich mich freue, für mein Land zu sterben."
Dann führte ich sie die paar Schritte bin zu dem Pfahl, an den sie lose angebunden wurde. Eine Binde wurde über ihre Augen gelegt. Dann vergingen einige Sckund-n. die mir endlos vorkamcn, weil der katholische Geistliche mit Mr. Baucq etwas länger sprach, bis auch dieser an seinem P'able stand. Sofort ertönten scharfe Kommandos, zwei Salven krachten zugleich — je zehn Mann in fünf Schritt Abstand — und lautlos sanken die beiden Verurteilten zu Boden.
Wenige Minuten später wurden die Särge in die Gräber gesenkt, und ich betete über Edith Cavells Grab und sprach ihrem armen Leichnam den Segen des Dann fuhr ich nach
Hause, krank in meiner Seele...
Vor einigen Jahren besuchte mich in meiner damaligen Berliner Wohnung ein hochgestellter englischer Geistlicher mit einem Herrn des deutschen Auswärtigen Amtes, um mich über die Vorgänge zu befragen. Er gab mir die Versicherung, daß sich die gebildeten Kreise Englands darüber ganz klar seien, daß juristisch das Urteil durchaus korrekt sei. Ich persönlich füge hinzu, daß es zweifellos psychologisch ein Fehler war. Der Engländer hat eine Stellung zur Frau, die ihm die Hinrichtung einer Frau als eine sittliche Unmöglichkeit erscheinen läßt.
Uebrigcns hat Kaiser Wilhelm, der von der Sache erst nach der Vollstreckung des Urteils Kenntnis bekommen bat, sich sehr ungehalten darüber geäußert und befohlen, daß fortan Todesurteile über Frauen ihm zur Bestätigung vorzulegen seien.