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Schwarzwälder Tageszeit»«- „Aus de» Tannen"
Nr. 118
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zicht auf eine Einmischung in die politischen Fragen, betrachtet die Weltwirtschaftskonferenz die Teilnahme der Mitglieder aller hier vertreten Länder, wie auch die Unterschiede in ihren Wirtschaftssystemen sein mögen, als ei« glückliches Vorzeichen für eine friedliche wirtschaftliche Zusammenarbeit aller Völker." Es herrscht selbstverständlich Einvernehmen darüber, daß, nachdem die sowjetrussische Delegation nur für die Entschließungen A, B, C und D ge-^ stimmt hat, die übrigen Entschließungen der Weltwirtschaftskonferenz für die Sowjetunion keine Wirkung haben. Nach Annahme dieser Kompromitzformel dankte Sir Arthur Valfour dem Führer der sowjetrussischen Delegation Osfin- ski, der seinerseits für die Mitarbeit des englischen Delegierten bei der Erzielung der Verständigung dankte.
Frankreich und Rußland
London, 21. Mai. „Morning Post" berichtet aus Paris: Zn amtlichen Kreisen verlautet, daß die französische Regierung jetzt überzeugt sei, daß nichts von der Sowjetregierung erwartet werden könne und daß ein engeres Einvernehmen zwischen Frankreich und Rußland, das vor einigen Monaten möglich schien, jetzt nicht mehr in Frage komme.
Aus Stadl und Land.
Altensteig, den 23 Mai 1927.
L. Bezirkskirchenfest in Nagold. Der gestrige Sonntag stand ganz im Zeichen dieses schönen kirchlichen Festes, das sich nun ganz bei uns eingebürgert hat. Zwar halten sich noch manche Kreise, wohl aus allerhand Vorurteilen fern, oder weil andere weltliche Veranstaltungen locken. Aber die überwältigende Fülle der Besucher aus nah und fern, die vom Hinteren Waldbezirk durch einen dicht gefüllten Sonderzug herbeigebracht wurden, bewies, daß lebendiges Leben in den Gemeinden pulsiert und sie im Geist brüderlicher Liebe zusammenschließt. Da sind für Stunden alle Schranken sozialer und beruflicher Art gefallen und christliche Liebe darf frei walten und wirken in Aufnahme und Bewirtung der Gäste und in gemeinsamer Erbauung rm festlich geschmückten Gotteshaus. Die Posaunen gaben den musikalischen Auftakt, im Morgengottesdienst das „Heilig" von Bach. Dr. Ströle aus Stuttgart hielt die Festpredigt, der sich eine Besprechung mit den Helfern und Helferinnen des Bezirks anschloß. Nachmittags füllte sich das Gotteshaus mit einer bunt gemischten, andächtigen Menge. Sprechchöre der Schüler und christlichen Vereine, sowie Gesang alter, kräftiger Choräle durch die Kirchenchöre, belebten die Liturgie, welche Dekan Otto sprach. In seiner Ansprache führte Dr. Ströle vom Evangelischen Volksbund aus, was wir an unserer Kirche haben. Der Quellort für unser inneres Leben sei Jesus Christus, der Herr selbst,- aber zugeleitet wird uns dieser Segen durch die Gemeinde. Wer sich von ihr löst und fernhält, verliert mit der Heimat seines Glaubens schließlich auch seinen inneren Besitz selbst. In Rußland hat man Judas Jscharioth ein Denkmal gesetzt, um damit Glaube und Glaubensgemeinschaft zu zerstören. Aber wer dies unternimmt, ist auch für diese Welt verloren; denn wie sollen wir Gemeinschaft mit Menschen halten und finden können, wenn wir nicht Gemeinschaft mit Gott haben. Woher stammt die Liebe und soziale Arbeit im Dienst der Volkswohlfahrt, wenn nicht aus dem Geist christlicher Liebe. Die gegenwärtig in Stuttgart aufgemachte Ausstellung für Wohlfahrtspflege gibt davon ein ergreifendes Bild. So wollen wir weiter in Gemeinschaft des Glaubens bauen und dabei im näch
sten Kreise beginnen, in der Familie, die wieder auf christlichen Grund gestellt werden muß, wenn es besser werden soll. Gott rechnet mit einem jeden von uns. Lassen wir , ihn nicht im Stich, sonst sind wir selbst verlassen. Pfarrer ^ Dr. Eder aus Gosau im Salzkammergut (Oberösterreich) erzählte dann vom Leben und von der Geschichte der evangelischen Kirche in Oesterreich. Sie ist mit Blut geschrieben. Nicht bloß um zu begeistern im Gedanken an die vergangenen Tage erzählte der Redner, dem es eine herzliche Freude war und eine Elaubensstärkung, in unserer Mitte weilen zu können, sondern um Anschluß zu halten und zu verpflichten im Gedanken an die „Wolke von Zeugen", die ihren teuren Glauben mit dem Blut besiegelt haben. Darum dringt auch uns die Liebe Christi, Gutes zu suchen und zu tun und nicht müde zu werden. In der Gegenwart stehen diese Diasporagemeinden vor schweren Aufgaben. Besonders geht der Kampf um die Erhaltung ihrer eigenen Konfessionsschulen. Aber „Anfechtung lehret aufs Wort merken" und nicht nur Not und Sorge erleben sie, sondern auch die tätige Hilfe der Glaubensgenossen. So durfte auch der Nagolder Kirchentag dem lieben Glaubensgenossen Dr. Eder ein schönes Opfer nach Gosau mitgeben. Christliche Liebe führt zum Zusammenschluß. Froh, von diesem Geiste wieder etwas verspürt zu haben, zogen wir heim.
llnglücksfall. Als am Samstag der Silberarbeiter Chr. Volz die Straße von Walddorf herabfuhr, verunglückte er an der Stelle, wo der Nebenweg von Walddorf in die Straße einmündet, mit seinem Fahrrad und stürzte. Er zog sich einen Beinbruch mit Knochenzersplitterung zu.
Kriegsanleihe und Reichsnotopfer. Am 31. März 1927 lief die Frist ab, innerhalb der bedürftige Personen Barabfindung für das seinerzeit in Kriegsanleihe entrichtete und noch nicht erstattete Reichsnotopfer beantragen konnten. Der Reichsminister der Finanzen hat sich damit einverstanden erklärt, daß die Anträge noch als rechtzeitig angesehen werden, wenn sie bis zum 31. Mai 1927 beim Finanzamt eingereicht sind. Später eingehende Anträge können nicht mehr berücksichtigt werden.
Tödliches Motorradungliick
Pfalzgrafenweiler» 23. Mai. Gestern abend, etwa um dreiviertel 8 Uhr ereignete sich zwischen Hallwangen und Dornstetten ein furchtbares Unglück mit tödlichem Ausgang. Kaufmann Wilhelm Burkhardt (Schleehs Nachfolger), der mit seinem Motorrad diese Strecke fuhr, wollte das nach Dornstetten fahrende Postauto überholen, kam aber durch ein Hindernis ins Rutschen und flog unter das Po st aut o. Dabei erlitt er, anscheinend durch einen Anstoß an den Unterbau des Postautos, zwei Schädelbrüche und zwei Beinbrüche. Er wurde mit dem Postauto in die Dr. Mahlersche Wohnung nach Lornstet- ten gebracht, wo er nach kurzer Zeit gestorben ist. Den Wagenführer des Postautos trifft offenbar keine Schuld. Der um so tragische Weise ums Leben gekommene Burk- Hardt war sonst ein besonnener Fahrer. Er ist durch ein Erdhäufchen, das vom Fußsteig rührte, beim Vorbeifahren am Postauto ins Rutschen gekommen und scheint die Führung verloren zu haben. Der Familie wendet sich allgemein herzliche. Teilnahme zu.
- Calw, 21. Mai. Nach schwerem Leiden ist Pfarrer a. D. Theodor Josenhans gestorben und heute unter großer Teilnahme seiner Amtskollegen und der Einwohnerschaft beerdigt worden. Er war früher in Velsen und Großheppach tätig und hat auch an der Ausbildung der Hsypacher Kinderschwestern mitgewirkt. Ein Gehörleiden zwang ihn noch im rüstigsten Alter vom Amte zurückzutreten. Er verbrachte dann seine Ruhezeit hier in seinem von ihm erbauten Landhaus und beteiligte sich noch vielfach als Aushilfe im Gottesdienst und bei religiösen Veranstaltungen. Die Grabrede hielt Dekan Zeller, der die hervorragenden Eigenschaften des wirklich lieben Mannes und tiefen Christen in trefflichen Ausführungen beleuchtete. Am Grabe sprach ein Vertreter der Gemeinde Großheppach und Dekan Ganzer in Ludwigsburg als Freund und Bundesbruder des Entschlafenen. Die innige Anteilnahme an dem Tode des Entschlafenen war ein Beweis der hohen Wertschätzung, der sich Pfarrer Josenhans in allen Kreisen erfreute. Die charakteristische Erscheinung des wackeren Mannes wird manchem fehlen.
Stuttgart, 21. Mai. (Polizeibeamtentag-ung.) Die anläßlich der Landesversammlung der württ. staatl. Verwaltungsbeamten des mittleren Dienstes zusammengetretenen Beamten des mittleren und gehobenen Dienstes in der staatlichen Polizeiverwaltung haben sich mit einer Reihe wichtiger Standes- und Berufsfragen befaßt. Insbesondere hat sich die Versammlung einmütig gegen die auch höheren Orts anerkannten schlechten Beförderungs- und Vorrük- kungsverhältnisse gewendet. Sie hofft, daß die in den letzten Tagen gemachten Zusicherungen des Finanzministers im Finanzausschuß des Landtags endlich im Planjahr 1928 verwirklicht werden. Weiterhin wurde Stellung genommen zu dem demnächst in Wllrttmberg zu erwartenden Polizeibeamtengesetz. In der Frage der von einigen Parteien neuerdings gewünschten Entstaatlichung der Polizei in Städten von weniger als 50 000 Einwohnern vertrat die Versammlung den Standpunkt, daß hier die persönlichen Wünsche der Polizeibeamten in den Hintergrund zu treten haben. Die Behauptung, daß bei der Entstaatlichung die Verwaltung der Polizei sich billiger gestalten würde, ist unbegründet. Aus diesen Gründen sprach sich di« Versammlung entschieden gegen eins Entstaatlichung aus.
Verein württemb. Finanzbeamten. Am Sonntag hielt der Verein württ. Finanzbsamten (Laufbahn des gehobene- mittleren Dienstes in der württ. Lan- desfinanzverroaltung) in Stuttgart unter zahlreicher Beteiligung seine diesjährige Mitgliederversammlung ab. Vorsitzender Grieß« (Tübingen) erstattete den Geschäftsbericht. Mit Bedauern stellte der Vorsitzende die Aufhebung dreier Staatsrenämter fest und gab der Erwartung Ausdruck, daß den Anwärtern des mittleren Dienstes in der Bezirksfinanzverwaltung dadurch die Aufstiegsmöglichkeiten nicht geschmälert werden dürfen. D
Verbandstag der württ. Wagnermeister. Vom 13. bis 16. Mai fand hier die 20. Tagung des Landesverbandes Württ. Wagnermeister statt, unter der Leitung des Ehrenobermeister Fritz Jllig. Bei den Hauptverhand- lungen wurde nach den Begrüßungsansprachen der Geschäftsbericht für 1926/27 vorgetragen, die von der Versammlung mit großem Beifall ausgenommen wurden. Dann kamen noch wesentliche Fragen im Wagnerhandwerk zur Behandlung, die sich mit der Hand-w erk«krankenkasse. Einrichtung einer Nothilfskasse, Satzungsänderungen und den Steuern beschäftigten. Verschiedene Anträge zu diesen Punkten wurden vom Vorsitzenden eingehend behandelt., Zum Punkt „Nothilfe" sprach Wagneroberm-eister Klaub» Ludwigsburg eindringliche Worte.
Die Fra» des Adjutemte»!
Roman von Fr. Lehne »
Nachdruck verboten.
41. Fortsetzung
„Mir scheint. Sie sind sehr genau orientiert, gnädige Frau."
Leonie merkte den Spott Heinrich Altorfs. ..Oh, der Oberst erzählte es mir, weil es ihm direk; ausgefallen ist, daß mich Jolantha vernachlässigt," sagte s sie rasch. Es tut weh, sich zum alten Eisen geworfen i zu sehen —" ,
„Sie haben zu einer solchen Annahme gar keine i Berechtigung, gnädige Frau. Das existiert nur in ; Ihrer Einbildung." l
„Halt, lieber Altars!" Scherzhaft drohend hob sie j die juwelengeschmückte Hand. „Spricht man so mit ^ seiner Kommandeuse?" Sie lachte auf. „Sie scheinen s gar keinen Respekt vor mir zu haben!" ?
„Den allergrößten, gnädige Frau." versetzte er i ernsthaft. j
Sie neigte sich gegen ihn. Ihre Augen schmachte- ! ten ihn an. „Sie lieber, alter, unverbesserlicher Pe- >
dant. der mein Heinzelmännchen noch immer ist —"
Er sprang sofort auf und sein Gesicht versteinerte sich förmlich. „Der Herr Oberst scheint sich zu verspäten. Ich werde mir erlauben, in einer halben Stunde wieder vorzusprechen."
Sie hatte die Abweisung wohl verstanden. Ein sprühender Blick traf ihn. „Bitte, ganz nach Belieben!" entgegenete sie lässig.
Da hörte man des Obersten polternde Stimme. Er öffnete die Tür. Er schien sehr eilig und winkte mit der Hand. „Ach, da sind Sie ja! Warten Sie noch einen Augenblick und unterhalten Sie derweilen meine Frau! Ich Hab' mir den Lezius mitgebracht, will man 'n paar Worte unter vier Augen mit ihm reden — Sie wissen ja!"
„Was ist's denn?" fragte sie neugierig.
„Der Her Oberst hat durch Zufall von dem Sektgelage erfahren — vom Geheimrat Mendel, dem die Sache sehr unangenehm ist. da er sich tatsächlich verplaudert hat."
Wohl oder übel mußte Altorf wieder Platz nehmen. Sein Blick vermied den der Frau, die ihn beharrlich fixierte. Er schweifte im Raum umher und blieb auf einem Gemälde in einem prunkvollen Rahmen haften.
Eine Palmie." bemerkte sie erklärend. „Gefällt es Ihnen?"
„Ich erlaube mir kein Urteil, weil ich nichts davon verstehe."
„Aber Ihre Frau desto mehr."
„Auf deren Urteil und Geschmack kann ich mich allerdings verlassen." >
„Sie ist wesentlich von der Prinzessin beeinflusst und vom Prinzen Adrian —"
daß sie an der Hoheit eine so verständnisvolle derm rhrer Interessen hat."
„Ja, oas kann ich ihr alles »Erlich nicht bieten. Deshalb begreife ich auch, -aß sie mich nicht mehr mag. —"
„Sie tun unrecht, gnädige Frau. Sie spricht genau mit derselben Liebe und Freundschaft von Ihnen wie früher. Sie ist anhänglich und treu."
„Sie haben mir noch gar nicht gesagt, Altorf, wie Ihre Frau Ihnen gefällt, seit sie sich nach dem Geschmack und den Angaben der Prinzessin kleidet und frisiert."
„Ich bin entzückt und begreife kaum, daß man sie nicht schon viel früher darauf aufmerksam gemacht hat."
„Es lag doch am nächsten, daß Sie als Manu ihr das sagten."
„Damen haben ein viel schärferes Urteil über solche Sachen und einen viel schärferen Blick. Ich achte ja nicht auf solche Dinge."
„Und doch ist Ihnen die Veränderung ausgefallen? —"
„Das ist doch selbstverständlich. Ihnen, gnädige Frau, scheint sie aber nicht so recht zu sein?"
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Der spöttische Blick, mit dem er diese Worte be-, gleitete, trieb ihr das Blut in die Wangen. Er hatte das Richtige getroffen. Sie gönnte der Freundin nichts daß man jetzt allgemein von ihr als der schönen Altorf redete.
„Ich finde, daß Jolantha, König Renes Tochter, ihr apartes Aussehen verloren hat," entgegnete sie kurz. „Wie wirkte sie stilvoll, eigenartig in der schlichten Figur und den weiten, faltigen Gewändern! Wie eine Königin der Goten aus frühester Zeit erschien sie mir. Ich habe sie tatsächlich bewundert. Doch — Hoheits Geschmack ist ja maßgebend und der des Prinzen Adrian auch — oder vor allem!" setzte sie boshaft hinzu.
Er stutzte bei ihren letzten, absichtlich bedeutungsvoll gesprochenen Worten. „Was meinen Sie damit?"
„Nur das, was alle Welt meint." Sie lehnte sich nachlässig zurück und spielte mit ihren Ringen. „Seine Hoheit Prinz Adrian ist getreuester Schleppenträger der Frau des Adjutanten Altorf — ihm hat es die schöne Blondine angetan. Das ist doch Stadtgespräch."
Die Adern auf seiner Stirn schwollen dick an. „Wer sind diese infamen Klatschbasen, denen nichts rein, nichts heilig ist?"
„Wie Sie sich ereifern, bester Altorf! Sie haben doch gar keinen Grund dazu." Leonie zuckte die Achseln. „Sie sagten doch erst vorhin: Jolantha ist treu!" Sie lächelte spöttisch.
„An sie denke ich auch gar nicht. Sie ist zu rein und zu erhaben, als daß der Schmutz auch nur ihren Kleiöersaum streifen könnte. Und Prinz Adrian ist mein Freund. — Aber die andern! Nun, im Grunde kann es mir ja gleich sein. Mögen sie denken und sagen, was sie wollen."
„Sie haben recht, Altorf. Im Besitz eines so reinen und erhabenen Weibes kann man leicht über die Torheit der anderen lachen. — Ob aber die Erhabenheit nicht auf die Dauer erkältend wirkt und langweilig wird, wenn das Leben fehlt?"
Leontes Augen bohrten sich förmlich in Altorfs! Gesicht.
(Fortsetzung folgt.)