SchwaHwälöer Tageszeitung
IS77
Mrs den Tannen"
Amtsblatt für den Gbsramtsbezirk Nazol-und Altenstsig-Sta-t. Allgemeiner Anzeiger für die Bezirke Nagol-, Lalw u jreudenstad
«cketnt wöchentlich 6 mal. Bezugspreis: monatlich 1.60 Mark. Die Einzelnummer kostet lOPfg. I Anzeigenpreis: Die einspaltige Zeile oder deren Raum 15 Goldpfennige, die Reklamezeile 45 Goldpfg ^Nichterscheinen der Zeitung infolge höherer Gewalt od. Betriebsstörung besteht kein Anspruch auf Lieferung. I Postscheckkonto Stuttgart Nr. 5780. — Für telephonisch erteilte Aufträge übernehmen wir keine Gewähr
AUensteig. Freitag den 30. Juli
1926
Die SchuldlÜge
Zn Berlin und München hat der amerikanische Professoi Barnes, der von sich selber sagt, daß er während der Krieges vollständig auf Seiten der Entente gestanden sei Borträge gegen die Kriegsschuldlüge gehalten. Von be- .sonderer Bedeutung ist auch, daß Barnes Vollblut-Amerikaner ist und man ihm daher nicht den Vorwurf de« „Bindestrichs-Amerikanertums" machen kann. Auf Erunk «seiner eingehenden Studien kam der Amerikaner zu der Aeberzeugung, daß Deutschland in den Jahren 1912 bis 1914 und noch mehr beim Kriegsbeginn selbst, relativ gesprochen, schuldlos sei. Die Hauptschuld liege an Jswolski. dem russischen, wie an Poincare, dem französischen Leiter der auswärtigen Politik ihrer Länder. Rußland habe ganz Europa voreilig in den Krieg gestürzt, Frankreich aber habe alles getan, um Rußland dazu zu ermutigen. Wolle man eine Skala des Verschuldens aufstellen, so stehe an erster Stelle Rußland und Frankreich, an zweiter Stelle Oesterreich, das nur einen lokalen Krieg gegen Serbien gewollt habe, und an letzter Stelle England und Deutschland. Die Bereinigten Staaten hätten infolge der Entente-Propaganda nie klar sehen können. Nach alledem sei der berüchtigte Schuldparagraph im Versailler Vertrag ohne jede Grundlage.
Wenn nun auch eine Schwalbe noch keinen Sommer macht und die Stimme eines Mannes der Wissenschaft noch keineswegs das systematisch großgezogene Geschrei der Menge übertönen kann, so müssen wir Deutsche uns doch freuen, daß in zunehmendem Maße der wachsende Wille zur Wahrheit über die blinde Leidenschaft sich bemerkbar macht. Der Kampf gegen die Schuldlüge des Versailler Vertrages ist älter als das Vertragsinstrument selbst. Er begann schon, als die deutsche Friedensdelegation noch in Paris hinter Stacheldraht saß und keinen Teil haben durste an der Ausarbeitung eines Vertragswerkes, dessen unheilvolle Folgen auf das politische, wirtschaftliche und kulturelle Gleichgewicht der Welt schon in den nächsten Jahren bemerkbar wurden. Als den deutschen Unterhändlern dann zum ersten Mal das umfangreiche Paragraphenwerk unterbreitet wurde, mit dessen Prüfung sie unter dem Zwang des Entente-Diktats in einer viel zu kurz gesteckten Frist zu Ende sein mußten, da konnte nicht gegen die zahlreichen Bestimmungen protestiert werden, die die Vernichtung des Reiches m wirtschaftlicher und politischer Beziehung zum Ziele hatten. Gegen den Paragraphen 231 des Versailler Vertrages legte aber auch damals schon der deutsche Unterhändler, Graf Brockdorff-Rantzau, feierlichen Einspruch ein. Und die Reichsregierung hat diesen Protest unter einmütiger Zustimmung der Nationalversammlung in Weimar wiederholt, als sie dort wieder unter dem Druck der Siegermächts vor der Alternative der Unterzeichnung dieses Diktats oder der Wiederaufnahme des Krieges stand.
Seitdem ist die Welt allmählich anderen Sinnes geworden, und es war einer der führenden Staatsmänner der Entente, Lloyd Eeorge, der es als britischer Premierminister aussprach, daß kein Volk schuldig oder unschuldig am Weltkriege sei, sondern daß die europäischen Staaten m den Krieg „hineingeschlittert" seien. Auch die großen deutschen Aktenpublikationen, durch die das Reich beweisen konnte, daß es das Licht der Oeffentlichkeit nicht zu scheuen habe, und daß sein Streben ausschließlich der Erhaltung des Weltfriedens galt, haben zweifellos ihren Eindruck nicht verfehlt. Der Abbau der Kriegsgesinnung i« England und Amerika namentlich ist nicht zum Weniglien ruf sie zurückzuführen.
Dennoch haben wir immer noch einen weiten Weg zurück- Miickzulegen, bis das Bewußtsein in der Welt, daß Deutschland nicht schuldig an der großen Weltkatastrophe von 1914 U sich durchgesetzt hat. Dafür haben wir erst in Locarno wieder einen Beweis bekommen. Der deutsche Protest gegen den Kriegsschuldparagraphen, der dort gegenüber den Staatsmännern der Alliierten nochmals zum Ausdruck ge- ! bracht werden mutzte, um Klarheit über die Bedingungen zu l schaffen, unter denen das Reich bereit ist, in den Völkerbund s rinzutreten, ist zwar stillschweigend ausgenommen worden. ' Die Entente hat sich aber noch immer nicht dazu entschlie- s Ken können, diesen unheilvollen Artikel, auf dem das ganze : Vertragswert überhaupt beruht, zu tilgen. Der Kampf wird ! also wester gehen müssen. Und in diesem Kampf der Wis- ? ichenschaft und der Wahrheit gegen die absichtliche Lüge ! einen der bedeutendsten Historiker Amerikas, Professor , Harry Elmer Barnes, aus freien Stücken als Bundesgenos- s sen erhalten zu haben, ist immerhin von Bedeutung. Wir i AEen nun abwarten, wie seine Kundgebungen weiter wir- W.M Frankreich wie in seinem eigenen Vaterlande.
^ Wie verlautet, will Barnes von München aus auch P a- r i s besuchen. Wie er hier in der Hauptstadt Poincares, des überlebenden Hauptkriegsschuldigen und jetzigen Oberhauptes der französischen Regierung, ausgenommen und behandelt werden wird, dürfte ein interessantes Schauspiel abgeben. Dann aber wird sich Barnes auch noch mit Millionen seiner eigenen Landsleute auseinander zu setzen haben, die immer noch nicht von der Seuche der Schuldlüge sich los- zumacheu verstanden haben.
Sie deutsche Knebelung
Vom viel-berufenen „Locarno-Geist" ist vorderhand bei den ehemals feindlichen Regierungen wenig zu verspüren. Das ging in der letzten Zeit aus der Erklärung des englischen Ministers Chamberlain hervor; das zeigt sich in einer neuen Erklärung desselben über die Vesatzungstrup- pen im Rheinland, wie in einem giftigen Artikel des der französischen Regierung nahestehenden „Temps" und in einer neuen Anforderung zur Errichtung eines weiteren Schießplatzes bei Trier. Es wird gemeldet:
Die Besatzungsftiirke im Rheinland !
Berlin, 29. Juli. Wie die Morgenblätter aus Loskwv ! melden, fragte im Unterhause Ponsonby, ob die englische s Regierung in Uebereinstimmung mit der Zusage, die sie in i Locarno oder kurz danach gegeben habe, mit der Ab- i sicht, die noch ausstehenden Differenzpunkte vor dem Zu- ! sammentritt der Völkerbundsversammlung im September zu regeln, den anderen Besatzungsmächten die nötigen Schritte in Vorschlag zu bringen beabsichtige, um die Anzahl der alliierten Truppen im besetzten Gebiete auf die Kopfstärke zu vermindern, die Deutschland vor dem Krieg am Rhein unterhalten habe. Chamberlain antwortete, Ponsonby gehen von falschen Voraussetzungen aus. Man habe der deutschen Regierung keinerlei Zusage gegeben, daß die Vesatzungstruppen im Rheinland auf die Zahl der deutschen Garnisonstruppen vor dem Kriege vermindert würden.
Der „Temps" über die deutsche Abrüstung
Paris, 29. Juli. Die Erklärungen Lord Ceciks über den Stand der deutschen Abrüstung rufen den starken Widerspruch des „Temps" hervor. Das Blatt stellt fest, daß von einer Erfüllung der deutschen Verpflichtungen kaum dis Rede sein könne, solange nicht die Forderungen der Botschafterkonferenz wegen des Oberkommandos und der Polizeibestände ausgeführt worden seien. Lord Cecil habe unrecht und Sir Austen Chamberlain habe recht, wenn er behaupte, daß Deutschland seine Verpflichtungen noch nicht völlig erfüllt habe. Es könnte kein Zweifel darüber bestehen, so fährt das Blatt fort, daß die Erwägung der Aufnahme von Deutschland in den Völkerbund von größter Bedeutung sei, weil damit der Vertrag von Locarno endgültig in Kraft trete. Andererseits dürfe aber die Situation nicht verkannt werden. Es dürfe besonders nicht der Eindruck entstehen, daß Deutschland mit seinem Eintritt in den Völkerbund den Alliierten einen Gefallen erweise. Die Dinge lagen doch so, daß die Alliierten Deutschland entgegenkom- men (!) und um seine Aufnahme in den Völkerbund zu ermöglichen, sich dazu verstanden hätten, den Aufnahmeparagraphen zum Gegenstand einer weitgehenden Interpretierung zu machen. (!)
Wieder ein neu« Schießplatz im besetzten Gebiete !
Drwr, 28. Der Kommandeur der 47. Infanteriedivision ? hat dem Regierungspräsidenten mitgeteilt, daß die Er- I richtung eines vorläufigen Artillerieschießplatzes in der Gegend von Dahlem beschlossen worden sei. Die Artillerietruppen werden in den umliegenden Ortschaften unterge- bracht. Durch >c neue Maßnahme sind die Bewohner, die durchweg Klei. ... ern ohne sonstigen Nebenverdienst sind, während 7 Wochen behindert, die Feldfrüchte einzuernten.
Neues vom Lage
Lord Grey zum Eintritt DenffMands in de« Völkerbund ^ London, 29. Juli. Lord Grey erklärte heute in Oxford, ^ daß Deutschland mit dem Augenblick seines Eintritts in den ! Völkerbund in jeder Hinsicht als vollkommen gleichberechtigt z' -behandelt werden müsse. Zn den allgemeinen außenpoliti- ' scheu Angelegenheiten muffe man Deutschland das gleiche i Verstauen entgegenbringen, wie jeder anderen Macht. Er ; hoffe, daß sich die auf der Märztagung in Genf gemachten ' Achter nicht als verhängnisvoll bevausktoüm wSrdm». Der
Vertrag von Locarno bleibe unwirksam, wenn Deutschland nicht in den Völkerbund einstete. Die Tatsache, daß Rußland nicht Mitglied des Völkerbundes sei, stelle eine große Schwierigkeit Lar, da die Nachbarn Rußlands sich immer wieder die Frage vorlegen müßten, was die russische Regte» «mg in der Zukunft zu tun beabsichtige.
Der Sturm auf die elsaß-lothringische» Sparkaffe« Straßburg, 29. IM. Die elsaß-lothringische Presse bespricht eingehend die panikartigen Vorgänge, die sich in de» letzten Tagen beim Sturz des französischen Franken äbspiel» ten und zu den schwersten wirtschaftlichen Störungen führten. Das Publikum stürmte im ganzen Land die Sparkaffe« und Banken, um Geld abzuheben und Waren einzukaufen. So hat die Straßburger Sparkaffe an einem einzigen Tage 1 690 000 Franken ausgezahlt und nur 150 000 Franken eingenommen. In sämtlichen größeren Städten Elsaß-Lothringens mußten di« Sparkassen ihre Zahlungen einstellen und das KüMigungsversahren einführen.
Amerika auf die Angriffe ans feine Schnldenpolitik Reuyork, 29. Juli. Senator Owen wendet sich in einer Erklärung erneut gegen die Angriffe auf die amerikanisch« Schulden Politik den europäischen Staaten gegenüber. Er betont, daß Amerika bei den Verhandlungen in Versailles keine Reparationsleistungen verlangt habe, wie es die Alliierten getan hätten. Sie hätten die am 4. November 1918 Deutschland gegebenen Versprechungen, durch die Deutschland zur Waffenssteckung veranlaßt worden sei, mit Füße« getreten. Gerade der Versailler Vertrag verhindere den Einzug eines neuen Vertrauens unter den Völkern Europas. Deutschland könne nicht an die Redlichkeit der Führer der ehemals feindlichen Staaten glauben. Am Schluß der Erklärung heißt es: „Der Weltkrieg ist durch sine Verschwörung russischer Imperialisten mit Unterstützung französischer und englischer Imperialisten entstanden."
Die Reparationslieferungen im Juni Berlin, 29. Juli. Zahl und Wert der im Juni in Frankreich abgeschloffenen Verträge aus Reparationslieferungen (außer Kohle- und Farbstofflieferungen) find nicht unbedeutend höher als im Vormonat. Insgesamt wurden 225 Verträge in Berlin im Werte von 15,9 Millionen Reichsmark genehmigt. Damit erhöht sich für Frankreich der Wert der seit dem Inkrafttreten des Dawesplanes abgeschloffenen Verträge dieser Art auf insgesamt 277,5 Millionen Reichsmark. Die Anzahl der genehmigten belgischen Verträge hat sich aus der Höhe des Vormonats gehalten. Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, daß sich unter den 5Z genehmigten Verträgen 14 Zusatzanträge und 7 Annulla- tionsverträge befinden. Nach Abzug der Annullierungen stellt sich im Berichtsmonat der Wert der genehmigten Verträge auf 1,6 Millionen Reichsmark. Der Gesamtwert, der seit dem Inkrafttreten des Dawesplanes genehmigten Verträge beläuft sich auf 62 Millionen Reichsmark.
Erweiterung der Arbeitsbeschaffung für die Reichsbahn Berlin, 29. Juli. Wie die Blätter von zuständiger Seite erfahren, ist das Programm der Arbeitsbeschaffungen für die Reichsbahn noch erweitert worden. 20 Millionen trägt die Reichsbahn, 100 Millionen schießt das Reich vor. Darin sind die Posten für die Elektrifizierung der Stadtbahn für Berlin mit 40 Millionen enthalten. Die formellen Unterschriften der Länder dürften in nächster Woche erfolgen. Sobald diese Verträge abgeschloffen sind, kann die Arbeit be- ginen. Eine Genehmigung des Reichstages ist nicht mehr nötig. Die Mittel stehen bereit. Ein verstärkter Bau von Landarbeiterwohnungen setzt im Herbst ein. Es werden 25 000 deutsche Landarbeiter untergebracht werden können, wodurch eine gleiche Zahl von Polen entbehrlich wird.
Die parlamentarische Unsicherheit des Kabinetts Poincare
wächst
Paris, 29. Juli. Die Finanzkommifsion der Kammer, die gestern um Mitternacht ihre Verhandlungen abgebrochen hatte, setzte heute vormittag ihre Beratungen fort. Gleich zu Beginn der Verhandlungen zeigte sich, daß die Situation sich seit gestern weit schwieriger gestaltet hatte. Zunächst wurde heute die Erhöhung der Bezüge der Beamten mit 15 gegen 8 Stimmen angenommen. Ferner wurde der gestern noch nicht erledigte Teil der Finanzprojekte der Regierung durchberaten, wobei von verschiedenen Abgeordneten Abänderungsvorschläge gemacht wurden. Die Regierung hat, nachdem sie hiervon Kenntnis erhalten hatte, sofort erkennen lassen, daß sie sich mit keinerlei Aenderungen in ihren Projekten einverstanden erklären könne. Der Ministerpräsident hat die Finanzkommission gebeten, im Laufe der heutigen Sitzung hierzu Stellung zu nehmen. Poincare wird beute wiederum in der Kommission, erscheinen. Die