Sonntagsausgabe der Schwarzwälder TageszeitungAus den Tannen"

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Nr. 13

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ALtensterg, Konntag den 28 Mavz

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Zum Palmsonntag

Palmsonntag! In der roten Pracht der Granatapfel- bliite stehen die Höhen um Jerusalem. Feigenbäume schim­mern in üppigem Grün, Oliven säumen die Pilgerstraße. Stadt und Volk schicken sich an, ihr größtes völkisches, ihr tiefstes Elaubenfest zu feiern. Alte Väterverheißungen wer­den lebendig in den Herzen der Pilger. Einer stimmt die alten Worte des Psalms an, die nächsten fallen mit ein, und fort pflanzt sich von Mund zu Mund der Ruf: Hosianna dem Sohne Davids!"Heil dem Retter, dem König!" Frühlingswind trägt die Wogen des Jubels über die Höhen des Oelbergs, hinüber zum Tempel mit seiner stillen, erhabenen Pracht. Was in einem geknechteten, ge­knebelten Volke schwelt und schlummert an Hoffnung und Hatz, an Rachedurst und Freiheitsdrängen, bricht aus, loht auf in diesem Rufe.

Der Jubel umbraust einen stillen, ernsten Mann. Aeußer- lich unter der pilgernden Menge, innerlich meilenfern ist, der da reitet auf dem Tiere des Friedens in den Tod. Wie ist er einsamer gewesen als jetzt, von brausender Festes­freude umwogt, nie unverstandener als nun, vom Heilruf des Volkes als König begrüßt. Er sieht es kommen und so ist es zu allen Zeiten gewesen: wer von ihm Glück er­wartet und Sieg im Aeußeren, nur Behagen und Gesund­heit, Frohsinn und langes Leben, wird immer enttäuscht werden. Und die Enttäuschung wird sich entladen in Groll und Bitterkeit, in Spott und Hohn. Von der frommen Be­geisterung zum teuflischen Haß ist nur ein Schritt. Die heute »Hosianna" rufen, morgen schreien sie:Kreuzige!"

Alle Welt läuft ihm nach!" Die Neider sagen es, stehen am Weg, ballen die Fäuste in ohnmächtiger feiger Wut. Und sie-haben ein wahres Wort gesprochen. Der König ritt rn Verderben und Tod. Aber unter seinem Kreuze entguillt ein neuer Pilgerstrom, geht durch alle Geschlechter und Zei­ten und Länder und Völker. Es ist die endlose Reihe der Kämpfer und Zeugen, der Boten und Sänger der Kirche, die unsichtbare Kette der Dulder und Kreuzträger. Sie ziehen durch die Jahrhunderte. Und Menschen machen sich aus von Krankenlagern und Trauerstätten und schließen sich an, und die in Sorgenstuben saßen, richten sich auf und jubeln mit:Heil dem König! Heil dem, der uns zu neuem Menschen macht und Gottesfrieden schenkt!"

Wo ist dein Platz? Bei den achselzuckenden Spöttern am Wege? Bei den Schnellbegeisterten und Schnellenttäusch- ten? Oder in dem Zug der Pilger vom Kreuze, durch die Geschichte, hin zu den Gestaden der Ewigkeit? Dann gehst du den besten Weg, den ein Mensch gehen kann. Auf dem Weg wirst du nach Hause kommen. A. Zin k.

Das Vermächtnis.*)

Eine Erzählung von Gustav Freytag.

I.

In einer mittleren Stadt des südlichen Deutschlands, der früheren Residenz reicher, kunstliebender Kirchenfür­sten, von deren prunkvollem, segensreichem Walten noch manche herrliche Baudenkmale zeugen, liegt eine kleine, freundliche Straße, dieWeinlaubengasse" genannt, fast ganz auf dem Saume der Stadt. Die Häuser dieser Straße waren einst meistens zu Wohnungen für die Hof­dienerschaft der hier residierenden Kirchenfürsten erbaut worden, und stießen zur rechten Seite der Straße an das äußerste Ende des Schloßgartens, während die Häuser der linken Seite nur durch ihre Gärten von der ausgedehn­ten Promenade mit Alleen von Linden, Platanen und Kastanien getrennt werden. An schönen Tagen ist die Weinlaubengasse sehr belebt, denn sie führt gerade auf das große Rondeau der Promenade, den eigentlichen Korso der Stadt, wo die schöne Welt sich zu ergehen pflegt, um zu sehen und gesehen zu werden. Sobald aber der Abend

*) Mit Genehmigung der Verlagsfirma Seemann u. Co. in Leipzig abgedruckt, in deren Verlag die Erzählung auch in Buchform, gebunden in Leinen und Halbfranz, erschienen und durch die W. Riekersche Buchhandlung Altensteig zu beziehen ist.

herniedersinkt, besonders während der kurzen Tage, ist die­se Straße öde und still, die Haustüren und Fensterläden werden geschloffen, dieVorhänge Heruntergelaffen und die Ruhe der gewerblosen Straße unterbricht nur zuweilen der taktmäßige Schritt der ablösenden Wachmannschaften, welche nach dem unteren Tore des Schloßgartens gehen, oder der eilige einiger später Vorübergehenden, welche nach Hause gehen. Die eine Seite der Häuser in dieser sonnigen, besonders durch ihre schönen Gärten und die hier herrschende Ruhe beliebten Straße, wird nämlich noch jetzt beinahe ausschließlich von Beamten bewohnt, während die Häuser der linken, mit der Promenade in Verbindung stehenden Reihe durchgängig im Besitze von Rentnern, rei­chen Kaufleuten oder sonstigen wohlhabenden und ruhe­liebenden Bewohnern der Stadt sind, welche geflissentlich den Lärm der Gewerbe in ihrer Nachbarschaft nicht auf- kommen ließen.

An einem stürmischen Februarabend des Jahres 1836 war die Weinlaubengaffe wie gewöhnlich in ihre nächtliche Ruhe versenkt, als um die achte Stunde ein einzelner, hochgewachsener Mann, von der Stadt herkommend, die Straße entlang schritt bis zu einem kleinen Pavillon von nur einem einzigen Stockwerk, welcher beinahe am Ende der Straße lag. Der Mann öffnete die Türe mit einem kleinen Schlüssel, und man sah schon nach einer Minute den Schein eines brennenden Lichtes durch die Jalousien dringen, welches im Zimmer hin- und hergetragen wurde, als halte der Bewohner desselben die letzte abendliche Rundschau in seiner Behausung vor dem Schlafengehen. Und so war es auch in der Tat. Der hochgewachsene junge Mann war ein Arzt: Doktor Adolph Marcus, der schon seit einigen Jahren hier wohnte und die allgemeine Stille dieses Stadtteiles nicht störte, denn er lebte in bei­nahe klösterlicher Eingezogenheit. Wer ihn jetzt im Innern seiner Wohnung gesehen hätte, wie er in einem sehr ele­gant möblierten Empfangszimmer herumleuchtete und dann in einem anstoßenden kleinen Kabinett, das sein Studierzimmer zu sein schien, der hätte den Doktor für wohlhabend halten mögen; allein dem aufmerksameren oder geübteren Beobachter wäre nicht entgangen, daß der Luxus, mit welchem der junge Arzt sich umgeben, im Grunde nur ein falscher, künstlicher war, wie man ihn den dringenden Anforderungen seiner Stellung im Leben zum Opfer bringen muß. Die schönen Möbel schienen noch so neu und unbenützt, die Decke von grünem Safian auf dem Schreibtische des Kabinetts war noch so rein und glatt, daß man wohl sah, es waren mehr Schaustücke als wirklich ge­brauchte Gegenstände des täglichen Bedarfs. Und in der Tat konnte der fremde Besucher auch in diesen beiden Zim­mern des Erdgeschosses den Eindruck einer unbeschreiblichen Oede nicht loswerden.

Nachdem der Doktor in beiden Zimmern noch herum­geleuchtet und sich versichert hatte, daß die Jalousien und Fenster geschloffen waren, öffnete er eine Tapetentür im Kabinett und stieg auf einer Wendeltreppe nach dem Dach­stübchen hinauf, wo sein Schlafzimmerchen lag. Hier wich die ökonomische Eleganz des Erdgeschosses einer unverhehl- ten Armut. Ein Feldbett mit verblichenem Kattunllber- zug ohne Vorhänge, einige Rohrstühle, ein wackeliger Tisch und eine altväterliche Schreibkommode bildeten das ganze, sehr dürftige Geräte dieser Stube, welche des Dok­tors eigentliches Wohngelaß zu sein schien, wie wenigstens die vielen aufgeschlagenen Bücher und die Papiere auf der Klappe der Schreibkommode andeuteten. Hier sah man deutlich und an dem Kontraste mit den kostbaren Möbeln des Erdgeschosses, daß der Bewohner in der traurigen Lage war, sich nachgerade das Notwendigste versagen zu müssen, um mit dem Ueberflüffigen glänzen zu können.

Dies war auch die wahre Lage, worin sich der Doktor Marcus befand. Der Sohn eines früheren Beamten, hatte er sein kleines Vermögen für seine wissenschaftliche Aus­bildung auf der Universität und auf Reisen, und hernach, als er sich als Arzt niederließ, für eine gefällige und reiche häusliche Einrichtung, mittelst welcher er das Vertrauen

auf seine Geschicklichkeit wecken wollte, beinahe ganz auf­gebraucht. Er war zwar ein sehr tüchtiger Arzt und hatte dies in allen seinen Prüfungen glänzend erwiesen, allein ihm fehlten zwei wesentliche Mittel zum Erfolge in sei­nem Fache: einflußreiche Verbindungen oder Gönnerschaf­ten, und die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit der größeren Menge durch etwas Charlanterie oder die augenfällige Entfaltung persönlicher Vorzüge auf sich zu lenken. Auf den letzten Kunstgriff verstand er sich namentlich gar nicht; von Natur ernst, sinnig und gediegen, war ein Erundzug seines Charakters Biederkeit und Bescheidenheit, welche ihm verboten, mehr sein zu wollen, als wirklich an ihm war, oder Anderen den Rang abzulaufen, aus Anderer Kosten sich hervorzudrängen. Das hatte er von seinem, seit vielen Jahren verstorbenen Vater geerbt, der für sehr reich gegolten aber wenig Umgang gepflogen hatte, und so lebte der junge Doktor nun schon seit beinahe drei Jahren hier in der Stadt fast unbekannt, nachdem er früher in einem kleinen Städtchen der Nachbarschaft vergebens mehr Erfolg und Vertrauen angestrebt hatte. Zu einem Anschein von behaglichem Wohlstand gezwungen, welchen er nur mit den größten persönlichen Entsagungen aufrecht erhal­ten konnte, erwartete er unter dieser Maske vom Glück eine bessere Zukunft, und fristete sein Leben mühsam und kärglich von dem Ertrage einiger schriftstellerischer Arbei­ten, die er von Zeit zu Zeit in medizinischen Zeitschriften abdrucken ließ. So sehr aber diese auch die Fachgenoffen ansprachen und von seiner Tüchtigkeit überzeugen mochten, so mehrte sich doch die Zahl seiner Patienten nicht, und der Doktor sah sich nun an der Schwelle des, einunddreitzigsten Jahres von allen Mitteln entblößt, wiewohl noch unge­beugt und voll froher Hoffnungen.

Und er brauchte die Hoffnung, um sich aufrecht zu er­halten, denn an seinem Lebenshorizonte hingen noch im­mer trübe Wolken. Heute hatte er das letzte kleine Staats­papier, welches ihm von der Erbschaft seines Vaters üb­rig geblieben war, verkauft, um damit rückständige Ver­bindlichkeiten abzutragen. War diese kleine Summe er­schöpft, so war er mit all seinen Hilfsquellen am Ende. Darum eben hatte er heute Abend Läden und Fenster so sorgfältig untersucht, bevor er an seinen Schatz eilte, um zu sehen, ob derselbe auch noch vorhanden und nicht ge­stohlen worden sei. Aber die blanken Taler lagen noch friedlich in der kleinen Schublade, und Marcus stand da­vor und überschlug in Gedanken, wie lange sie wohl bei der ängstlichen Sparsamkeit Vorhalten würden. Das Er­gebnis dieser Berechnung mochte kein tröstliches sein, denn er schob leise die Schublade zurück, warf sich in einen Stuhl, und versank in ein tiefes Nachdenken. Er rief sich all die Schritte wieder ins Gedächtnis, die er in der letzten Zeit getan, um seine Lage zu verbessern. Von der Not ge­drängt, hatte er in seiner Umgebung Gönnerschaften ge­sucht, aber Jeden seiner Bekannten nur mit seinen eigenen Sorgen beschäftigt gefunden; man hatte zwar seine Ge­lehrsamkeit, seinen Eifer, sein Zartgefühl belobt, aber sich hierauf beschränkt; ließ man ihm Gerechtigkeit wiederfah­ren, so brauchte man ihm ja nicht zu helfen. Er hatte fer­ner angelegentlich und nachhaltig sich um die Stelle eines Hausarztes im städtischen Spitale beworben, womit eine bescheidene Besoldung samt dem Genuß freier Verpflegung verbunden war, allein seine Fürsprecher hatten entweder nicht genug Einfluß oder guten Willen gehabt, denn dem armen Doktor Marcus ward ein jüngerer Mann vorge­zogen, der Sohn eines Beamten an jener wohltätigen Anstalt.

Man hatte ihm wohl einige Versprechungen gegeben, einige Hoffnungen gemacht, anderwärts für ihn zu sor­gen, allein Marcus hatte nachgerade begriffen, daß dieier Trost der leerste und wohlfeilste sei, auf welchen er sich am wenigsten verlassen konnte.

II.

Diese jüngsten Erlebnisse hatte noch die Schwermut ge­steigert, welche ihn seit einiger Zeit bedrückte. Indessen war er nicht der Mann, um sich durch solche Ereignisse nie-