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„Schwarzwälder Sonntagsblatt"
Nr. 3
„Und i leid's ou nit," gab der Mann ruhig zur Ant- , wort, damit sein Weib endlich schweigen möchte. !
„Wenn du's nit leid'st, dann mutzt dem Meidle au nit helfe," kreischte die Alte.
„Ich helf' ihm ou nimmer von morgen an, Alte, aber jetzt guate Nacht," schloß der Xaveri und legte sich auf seinen Laubsack.
„Io, du hilfst mir bis morgen früh, und dann steckst dir dei Pfeif' an und gohscht in Wald und hältst 's Moul."
Der Xaveri gab keine Anwort mehr, denn er wußte, daß sein Weib, wie alle Weiber, das letzte Wort haben muffe.
Nach kaum zwei Minuten schnarchte Papa Xaveri den Schlaf des Gerechten, während sein Weib noch pustete und nestete, bald lauter, bald stiller vor sich hinmurmelnd.
„Mach' ou's Schieberle zu," sagte die Marie» zur Afra, deren Lager dem Fenster zunächst stand.
„Ich will aber z'erst noch nousgucke," meinte die Afra, „ob der Toni nit um den Weg isch."
„I glaub, daß er im Wald isch i hau in der Stube drunten schieße g'höret, und wenn d' Muatter nit a bißele taub wär' und der Vater nit alle Fenster mit Moos verstopft hätt', hätten beide es höre muffe," antwortete die Mariev, welche wie üblich ihrer Schwester beistand in der Hoffnung auf Gegendienst, wenn sie einmal einen „Kerle" hätte.
Die Afra streckte den Kopf zum Schiebfensterle hinaus und schaute scharf, aber sie merkte nichts davon, wie wunderbare Nacht es draußen war. Der Mond stand in vollem Glanze und in seiner ganzen stillen Majestät über der Schneefläche im Fohrengrund, und es glitzerte über dem Schnee wie Millionen zuckender Sternlein. Die Föhren und die Tannen rings um die Oase neigten im Nachtwind leise, wie betende Riesenelfen, ihre schneeigen Wipfel, und wie ewige Ruhe lag's über der ganzen Natur, selten unterbrochen vom Ruf eines Käuzchens oder dem Bellen eines Fuchses.
„Dort drunten, wo der große Loche (Markstein) steht, sitzt eine schwarze Gestalt," flüsterte die Afra, den Kopf aus der Fensteröffnung ziehend. „Das kqnnt' der Toni sein, denn wenn's Vollmond ist, geht er gern in Wald, und der Schuß vorhin kam sicher von ihm."
Jetzt guckte die Mariev und glaubte auch, er sei's. „Los (höre), Oferle," rief sie, „er singt. Aber wir wollen jetzt ins Bett, er könnt' uns merken und kommen und dann die Mutter doch was hören."
Sie schloß schnell das Fensterle.
Der Toni aber, der schon einen Rehbock erlegt und ihn beim Lochen hingeworfen hatte, um auszuruhen, ehe er seine Beute weiter trug, sang vergnügt und furchtlos das Lied, das er angefangen:
Abends, wenn die Sternlein spielen,
Bei dem Hellen Mondenschein Muß ich durch den Wald hin stiegeln Und zum Anstand fertig sein.
Muß noch auf dem Wechsel stehen,
Wo das Wildbret tut hergehen;
Muß mich allda finden ein Und zum Anstand fertig sein.
Will es mir zu dunkel werden,
Such ich mich ein' Bauershütt',
Leg' mich nieder auf die Erden,
Habe Ruh', doch schlaf ich nit.
Ruhe, wo man liebt und lebet,
Wo man Treuheit sieht und übt Und um meine Liebe bittet,
Nimm mein Herz, ich schlafe nit.
Wenn der Tag sich wieder zeiget,
Zieh' ich wieder hin ins Feld,
Wo das Wildbret vor mir schleichet Und sich scheu und flüchtig stellt.
Da empfind't mein Herz Vergnügen,
Wenn ich kann das Wild betrügen,
Daß mir's in die Arme fällt.
Ob es gleich sich flüchtig stellt.
Er wußte, im Fohrengrund sei er sicher zu dieser Stund', drum sang er ziemlich laut sein Lied. Dann erhob er sich, band dem Rehbock die Läufe zusammen, hing ihn über die Schultern und verschwand im Wald bergab.
Während die Meidle in der Hütte schlafen und der Toni auf dem Heimweg ist, will ich anfangen was zu erzählen.
(Fortsetzung folgt.)
Hoimet.
Ond muaß mr aus der Hoimet fort ond onter fremde Mensche nei', / !
no bleibt e Stück vom Herze dort, i schätz, es wurd wohl s Herzstück sei'.
Ond ob mr wacht ond ob mr schloft, am Pfluag, am Werkbank, en dr Ruah, em Eorgestuahl, em Kirchestuahl denkts hehlinge dr Hoimet zua.
August Lämmle.
Girre lOOjirhrrge Erinnerung an die Glashütte zu Schönmünzach.
Von Hanns Baum (Stuttgart).
(Nachdruck verboten.)
Ruhm und Ruf der Glashütten auf dem Schwarzwald sind verwelkt, verblaßt. Die neue Zeit war nicht ihre Freundin. Die in Schönmünzach empfing ihr Todesurteil vor über zwanzig Jahren. Um so mehr wird den Lesern dieser Zeitung eine kleine Erinnerung gefallen, die aus der Glanzzeit jener Hütte stammt.
Der württembergische Staat hatte die Glashütte im Jahre 1828 von den Besitzern Ernst Leo m Höfen und Klumpp und Eraßmann in Schwarzenberg gekauft. So stand sie unter der Leitung einer Verwaltung, die wieder in dem Stuttgarter Bergrat ihre oberste Behörde sah. Da kam eines Tages (es war im Dezember 1827!) von der Neckarstadt Eßlingen ein Auftrag, wie er nicht häufig in der Geschichte der Hütte zu verzeichnen gewesen sein mag: eine Schaumweinfabrik bestellte 25 000 Vouteillen, wie man damals noch zu Flaschen sagte, lieferbar in wenigen Monaten.
Man war erstaunt! Erstens über die Fabrik und zweitens über den unerhörten Auftrag. Wie kam nach Eßlingen eine Sekt-Fabrik und wie wollte die Firma den Verbrauch solcher Menge Flaschen garantieren? Sehr einfach! Im Jahre 1826 war der Heilbronner Sohn Georg Christian Keßler nach Eßlingen gekommen, wo er unter anderen industriellen Unternehmungen, die er mit Verwandten gegründet hatte, auch die Herstellung moussierender Getränke aus württembergischen Trauben vornahm. Keßler war in jungen Jahren, nachdem er in Neuwied seine kaufmännische Lehre mit Erfolg durchgemacht hatte, nach Reims gekommen, wo er durch Zufall in die Weinhandlung jener Witwe Cliguo trat, nach deren Namen ein Champagnerwein getauft worden war, der weit in der Welt herumkam. In diesem Hause blieb Keßler eine Reihe von Jahren, bis es ihn zurück in die Heimat trieb, hin nach Eßlingen, wo seine Geschwister verheiratet waren. Hier nun rief er die erste Schaumwein-Kellerei in Deutschland ins Leben und verband sich mit dem ihm befreundeten Oberjustizprokurator Heinrich August Eeorgii.
Zur Herstellung dieses edlen Getränkes brauchte man natürlich eine ganz bestimmte Art von Flaschen und so kam man auf die Glashütte von Schönmünzach, von der man allerhand Rühmenswertes gehört hatte. Der Vertrag, der darauf mit der Hüttenverwaltung und den Bestellern abgeschloffen wurde, hatte folgenden Wortlaut: „Die Vouteillen müssen durchgängig genau von der Beschaffenheit in bezug auf Form und Farbe der versiegelt auf der Hütte zurückzulassenden zwei Musterbouteillen verfertigt werden, jedoch mit der Beschränkung in bezug auf die Farbe, daß diese etwas Heller oder dunkler seyn darf, insoweit diese Veränderung durch die Verschiedenheit der Asche oder dadurch herbeigefllhrt wird, daß das Letzte der Masse in Einem Hafen etwas dunkler gefärbt ist. Die Vouteillen sollen nicht unter 60 Loth und nicht über 2 Pfund wiegen; sie müssen von einem reinen, glatten, so viel wie möglich nicht blasigten, ganz gleich vertheilten Elast seyn, eine gute halbe Maß bis auf die Differenz von ein zwölftel Schoppen, nicht mehr und nicht weniger halten, mittelmäßige, weder zu enge, noch zu weite Hälse, verschiedene aber weder zu große, noch zu kleine Mündungen haben und die Hälse einwärts ein klein Weniges enger werden, wie für die elftere Beschaffenheit die beiden Muster die Extreme geben. Die Komposition des Glases muß von der Beschaffenheit seyn, daß dasselbe ganz dauerhaft, ja nicht zu spröde seyn, und dem Druck des moussierenden Weines möglichst widersteht. Die Ware muß frey nach Eßlingen an die Thüre der Magazins gelierfert werden, und zwar für den Preiß von zwölf Gulden 15 Kreuzer das Hundert. Einhundert Ein Stück werden aufs Hundert gegeben, wenn aber der Bruch ein Prozent übersteigt, so fällt dieser Ileberschuß der Hütte zur Last, dagegen die überzählige Bouteille derselben zugut geschrieben wird; die Frachtbriefe müssen daher so abgefaßt seyn, daß der Bruch, der ein Prozent übersteigt, dem Fuhrmann abgezogen werden kann, wie auch jede fehlende Bouteille.
In jedem der Monate Dezember 1827, Januar und Februar und März 1828 müssen 6000 und in den letzten Monaten 7000 Vouteillen abgeliefert werden, und zwar untadelhaft; im äußersten Fall darf sich keine monatliche Lieferung von 6000 Vouteillen bis Ende Aprils verzögern; im Falle einer anderweitigen Verzögerung mit Ausnahme außerordentlicher Zufälle strengen die Besteller die ihnen von Seiten der Verwaltung zugesagte Entschädigung von dreihundert Gulden als Conventionalstrafe an. Die Hüttenverwaltung behält sich die Ratifikation dieses Vertrages vor, dagegen die Besteller hiebey die Bedingung machen, daß der hierüber zu fassende Beschluß der vorgesagten Behörden ihnen längstens innerhalb 10 Tagen von heute an gerechnet, bekannt gemacht wird.
Schönmünzach, den 24. Oktober 1827.
C. C. Keßler.
Oberjustizprokurator Eeorgii.
Von Seiten Königlicher Hüttenverwaltung Kirner (oder ähnlich!) Stahl."
So weit der originelle Vertrag an sich. In einem Nachwort heißt es: „Nachträglich wurde auf die Vorstellung der König!. Hüttenverwaltung von Seiten der Besteller eine Abweichung von der Form der Muster insoweit zugegeben, als eine vollkommene Gleichheit bei unseren Arbeiten nicht zu erreichen ist. Sodann wurde auf die Bemerkung der
Besteller, daß das Zugutschreiben der überzähligen Bou- teillen zu viele Mühe und Korrespondenz verursache im Verhältnis zum Werth des Gegenstandes, und daß von allen Glashütten nach einem altherkömmlichen Gebrauch dieser Ileberschuß nicht berücksichtigt werde, von der obigen Bestimmung über das Zugutschreiben desselben abgegangen".
Der Bergrat in Stuttgart, dem es darum zu tun war, diesen neuen Kunden in Eßlingen dauernd an sich zu fesseln, brachte dieser Bestellung seine größte Fürsorge entgegen und er ließ nichts unversucht, es der Hüttenverwaltung in Schönmünzach möglichst deutlich klar zu legen, wie sehr ihm um die prompteste Erledigung des Auftrags zu tun ist. Das geht alles aus einem Dekret hervor, das von Stuttgart an die Verwaltung nach Schönmünzach gesandt wurde und worin es heißt: „Die Glashütten-Verwaltung erhält in Folge der bekannten Erklärung den Auftrag, dieser Bestellung die möglichste Aufmerksamkeit zu widmen, damit dem in staatswirtschaftlicher Hinsicht so wichtigen Unternehmen der Herren Keßler und Eeorgii aus der Nichteinhaltung der Termine oder Mangelhaftigkeit der Waare kein Nachtheil erwachse und allen Bedacht dabei zu nehmen, daß mit den Herrn Bestellern eine fortwährende Verbindung unterhalten werde. Sie hat daher zur Befriedigung eines sicheren Transports die Einleitung zu treffen, daß für die Rechnung der Herrn Besteller ein möglichst wohlfeiler Fuhr-Akkord, in welchem der Bruch über ein Prozent einbedungen werden mutz, zu versuchen und den Erfolg davon unmittelbar an jene H?rrn zur Genehmigung einzusenden. Der Elashütten-Verwaltung wird fernerhin zu erkennen gegeben, daß man von Seiten des Bergraths nicht abgeneigt ist, auch aus Rücksicht der vorgetragenen Gründe einen Preys von billiger Ermäßigung stattfinden zu lassen, wenn sich in der Folge nach der ersten monatlichen Lieferung zeigen sollte, daß der Selbstkostenpreis (einschließlich des in Berechnung zu nehmenden Antheils an den Administrationskosten!) bei einem verhältnismäßigen Gewinn für das Werk eine Herabsetzung erlaubt. Die Verwaltung wird daher angewiesen, sogleich wenn diese Erfahrung gehörig begründet seyn wird, die erforderlichen Anträge zu machen."
Stuttgart usw. Venz."
Wir haben gesehen und gehört, mit welcher Sorgfalt die maßgebenden Behörden den Auftrag der Eßlinger Sekt-Kellerei behandelten. Verfolgen wir nun die Angelegenheit weiter, so müssen wir untersuchen, auf welchem Wege die Flaschen nach Eßlingen gekommen sind. Eine Eisenbahn kannte man damals noch nicht, also mußte die Ware per Achse transportiert werden. Wenige Jahre vor diesem für die Glashütte immerhin wichtigen Ereignis war eine Fahrstraße von Schönmünzach nach Freudenstadt gebaut worden. Von hier aus war es dann nicht mehr umständlich, nach Stuttgart-Eßlingen zu kommen. Wer schaffte nun die Flaschen nach Eßlingen? Das besorgten die Erllnmettstetter Fuhrleute. Es war eine Eigentümlichkeit dieses Ortes, daß ein großer Teil der Bevölkerung dem Frachtfuhrwesen diente: die Hauderer, wie man die Fuhrleute nannte, kamen bis nach Freiburg, Mannheim, Mainz und Koblenz, und gab es im engeren Bezirke größere Transporte, so klopfte man bei den Erünmettstettern an und hieß sie die rassigen Pferde schirren: Auf, es gibt zu schaffen. Damals gab es in Erünmettstetten zwei Brüder namens Scheiter, die von der Hüttenverwaltung Schönmünzach den Auftrag bekamen, die Flaschen nach Eßlingen zu bringen. Es wurde ein sog. Fracht-Akkord mit ihnen gemacht, der vier Bestimmungen vorsah. Der erste Paragraph lautet: Da von der ganzen Summe der Vouteillen monatlich 6000 Stück abzuliefern sind und damit zu Ende Dezember der Anfang gemacht werden muß, so haben die Fuhrleute sich darnach zu richten, und so bald die Hllttenverwaltung sie von der zu geschehenden Ablieferung benachrichtigen wird, mit ihrem Fuhrwerk hier zu erscheinen. Der zweite: Binnen vier Tagen, vom Tag der Verladung eines Wagens an gerechnet, müssen die Vouteillen auf dem Platz abgeliefert seyn, bei Verlust des dritten Theils der Fracht, wobey jedoch ein besonderer Aufenthalt oder gar zu schlimme Witterung, die das Wei- verfahren verhindert, eine Ausnahme machen. Der dritte: Auf jedes hundert Vouteillen wird ein Stück weiter gegeben, was für etwaigen Bruch gerechnet wird Sollte weiter als ein Stück von Hundert Bruch seyn, so muß der Fuhrmann diesen ersetzen. Sollten jedoch vom ganzen Transport weniger Stücke zerbrechen, als die zu demselben gegebenen Zählstücke, so gehörte dieses dem Besteller der Vouteillen. Der vierte und letzte Passus: Für jedes Hundert Vouteillen wird der Besteller den Fuhrleuten Ein Gulden 18 Kreuzer bezahlen, wobey diese aber alles Brük- kengeld und Weggeld usw. auf sich zu leiden haben. Punktum! Außer Franz Joseph und Xaver Schetter hat noch ein Johannes Dutter (oder ähnlich) unterzeichnet und die Hüttenverwaltung.
Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich diesen Transport von Flaschen vorzustellen. Die Wagen, mit Planen überdacht, waren natürlich mit vier Pferden bespannt; denn dis die Wagen auf der Höhe waren, hieß es tüchtig schaffen. Ich sehe die drei Fuhrleute in ihren blauen Kitteln vor mir: das Hütle keck auf dem Kopfe, an den Füßen lange Schaftstiefel, in der Rechten die Peitsche. Die Landpferde schmuck herausgeputzt; denn es hieß durch Stuttgart fahren, und da konnte es schon sein, daß irgend ein hoher Herr daher kam und sich nach dem Fuhrwerk erkundigte. Oder gar einer vom Bergrat! Wo hinaus? Nach Eßlingen! Zn die Champagner-Fabrik Keßler-Se« orgii! So, so!