Sonntagsausgabe der Schwarzwälder Tageszeitung „Aus den Tannen"
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Nr. 3
Anzeigenpreis: Die einspaltige Zeile
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Alle «Neig. Konnlag den 17 Januar
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ss Die Einzelnummer . . 15 Pfennig
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Sonntagsgedanken.
Rufe» lernen.
Und Jesus sprach zu seinen Jüngern: „Welcher ist unter euch, der einen Freund hat, und ginge zu ihm zu Mitternacht, und spräche zu ihm: „Lieber Freund, leihe mir drei Brote; denn es ist mein Freund zu mir gekommen von der Straße, und ich habe nicht, daß ich ihm vorlege." Und er drinnen würde antworten und sprechen: „Mache mir keine Unruhe; die Tür ist schon zugeschlossen, und meine Kindlein sind bei mir in der Kammer; ich kann nicht aufstehen und dir geben." Ich sage euch: und ob er nicht aufstehet und gibt ihm, darum daß er sein Freund ist, so wird er doch um seines unverschämten Eeilens willen aufstehen und ihm geben, wieviel er bedarf. Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der nimmt; und wer da suchet, der findet; und wer da anklopfet, dem wird aufgetan. Wo bittet unter euch ein Sohn den Vater ums Brot, der ihm einen Stein dafür biete? und so er um einen Fisch bittet, der ihm eine Schlange für den Fisch biete? Oder so er um ein Ei bittet, der ihm einen Skorpion dafür biete? So denn ihr, die ihr arg seid, könnet euren Kindern gute Gaben geben, wieviel mehr wird der Vater im Himmel den heiligen Geist geben denen, die ihn bitten! Luk. 11, 3—13.
Rufen mußt du lernen — und nicht dasitzen bei dir selbst oder liegen auf der Bank, den Kopf hängen oder schütteln und mit deinen Gedanken dich beißen und fressen, i sorgen und suchen, wie du los werdest und nichts anderes
^ ansehen, denn wie übel es dir gehe, wie weh dir sei, wie
^ ein elender Mensch du seiest.
! Sondern wohlauf, du fauler Schelm, auf die Knie ge- - fallen, die Hände und Augen gen Himmel gehoben, einen
I Psalm oder Vaterunser vorgenommen und deine Not mit
Weinen vor Gott dargelegt, geklagt und angerufen.
Beten, Notanzeigen und Händeaufheben sind Gott die allerangenehmsten Opfer. Er begehrt sie, er will es haben, daß du sollst deine Not ihm vorlegen, nicht auf dir lassen liegen und dich selbst damit schleppen, nagen und martern, damit du aus einem Unglück zwei, ja zehn und i hundert machst. Er will, daß du sollst zu schwach sein, sol-
! che Not zu tragen und überwinden, auf daß du lernest in
! ihm stark werden und er in dir gepreiset werde durch sei-
! nen Geist. Siehe, da werden Leute daraus, die da Ehri-
i sten heißen; sonst nichts denn eitel Wäscher und Plauderer,
die viel vom Glauben und Geist speien, wissen es aber nicht, was es sei oder was sie selbst sagen. Luther.
i Dem Herren mußt du trauen,
Wenn dir's soll wohlergehn;
Auf sein Werk mußt du schauen,
! Wenn dein Werk soll bestehn.
> Mit Sorgen und mit Grämen
! Und mit selbsteigner Pein
Läßt Gott ihm gar nichts nehmen;
Es muß erbeten sein.
Paul Gerhardt.
Afra.
Erzählung von Heinrich Hansjakob.
Auf wunderschöner Waldeshöhe, ringsum bewacht von den düsteren Bergkuppen des oberen Kinzigtals, steht eine Kultur-Oase mitten im Waldmeer, der Fohrengrund genannt. Auf ihr erhebt sich zauberhaft eine einsame, malerische Hütte. Sie gehörte vor fünfzig Jahren einem Klein- ! bauern, dem auf den grünen Matten um die Hütte das > Gras wuchs, um damit zwei Kühlem und ein „junges
I Stück" zu füttern, und der auf den mageren Aeckerlein
unter derselben die Kartoffeln und das Korn pflanzte für seinen und seiner Familie Unterhalt.
Der Wald ob der Hütte war sein und gab ihm die Mittel an die Hand, Bargeld zu bekommen, um sich und
die Seinen kleiden, Steuer und Umlage zahlen und an Sonn- und Feiertagen drunten im Tal bisweilen einen Schoppen trinken zu können. Einmal im Jahr trieb er auch ein Stück Vieh zu Markt und brachte so „ein Geld" heim.
Er stammte aus dem Tal drunten, hatte in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts mit seinem Weib die wunderbare Hütte erheiratet und ward fortan nach seinem Vornamen genannt „der Fohrengrund-Taveri".
Es waren ihm und seinem Weib, der Franziska, im stillen Laufe der Zeit zwei Meidle groß geworden. Sie hießen mit gar schönen und passenden Namen Afra und Maria Eva.
Die Meidle im Kinzigtale, namentlich um Hasle rum, wo im Dorfe Mühlenbach Sankt Afra Patronin ist, tragen nicht ungern den Namen dieser Heiligen. Sie war bekanntlich in ihrer Jugend eine Sünderin der Art, wie Frauen sündigen, und später, allerdings noch in ihrer Blütezeit, eine Märtyrerin und Heilige Gottes.
Ihre Schutzkinder im Kinzigtal, die „Oferle", sind meist lustige, lebensfrohe Meidle, denen später auch ein Martyrium blüht, das Martyrium der Mühen, der Sorgen, der Kümmernisse und der Heimsuchungen, wie es auf dieser armen Welt kaum einem Sterblichen erspart bleibt.
Afer und Afra sind überhaupt alle Menschen: jung — fröhlich, leichten Sinnes und gar oft gottvergessen, im späteren Alter aber Märtyrer in irgend einer Art.
So gings auch der Afra im Fohrengrund. Ihr Martyrium muß Mitleid bei jedem erregen, der davon erfährt.
Und auch Eva ist stets ein rechter und echter Name für Wibervölker, unter denen gar selten eine lebt, die keine Eva ist mit all' den Fehlern der Stammutter, und was sie Gutes haben und genießen, diese Wibervölker, ihr Ansehen in der Welt und ihre spärlichen Tugenden, verdanken sie Maria, der zweiten Eva, der Mutter des Erlösers.
Maries ist also der schönste und passendste Frauenname.
Drum haben in Anbetracht all' dessen die Väter und Mütter der vergangenen Jahrhunderte so gerne, wie das Landvolk es jetzt noch tut, ihre Töchter Maria Eva genannt.
Die Afra und die Mariev im Fohrengrund hatten einsame Tage auf ihrer Waldhöhe. Im Winter besonders, wo die Föhren und die Tannen ringsum unter der Schneelast ächzten und der Schnee so gewaltig auf der Erde lag, daß sie nicht einmal an Sonntagen hinabkamen in die Dorfkirche — im Winter hatten sie keine Spinnstuben-Abende und konnten nirgends hin mit ihren Spinnrädern ,,z' Liacht goh".
Zwar lag zehn Minuten von ihrer Hütte weg eine andere im Walde; aber die Leute dort und selbst ihre Tochter waren scheue, unnachbarliche Menschen, die am liebsten allein blieben. Und eine halbe Stunde weiter oben in einer Waldecke standen die „Waldhäusle"; aber dort gab's lauter Buben, denn die Meidle waren fort im Dienst.
Buben gehören zwar auch in die Spinnstuben, aber da in den Waldhäuslen keine Meidle waren, hatten die des Taveri keine Ausrede, um mit dem Spinnrad zu Buben zu kommen.
So saßen denn zur Winterszeit des Fohrengrund- Taveris Weib und ihre Meidle allein beim Spinnen.
Es war eines Winterabends um den Dreikönigstag des Jahres 1860. Der angezllndete Holzspan stand auf einem Stock in der Mitte der Stube und erleuchtete diese matt. Um den mit Wasser gefüllten Kübel, in welchen des Spans verbrannte Reste zischend fielen, saßen die Wibervölker und spannen, während der Taveri auf der Ofenbank seine Pfeife rauchte. Da fing die Afra also zu reden an:
„Meinet ou Muatter, i Han gestert, wo i ous der Vesper heim bei (bin), a schös Liad g'lehret. Im Löchle beim Löchlebaur sin Meidle gsei, ousm Tös, vom Reiblisberg, vom Fräulisberg und ousm Dachsloch. Die sind alle bei oanander gsei und hant Liader g'sunge. Und eine, 's Töse Ammrei, die im Untertal dinet Hot, Hot a ganz neu's Liad
g'sunge und des hau i g'lehret." (Die oberen Kinzigtäler reden mehr schwäbisch, wie hier die Afra, die unteren alemannisch. Ich lasse in dieser Erzählung absichtlich die Leute abwechselnd Dialekt und hochdeutsch reden.)
„Loset (höret), Muatter, i will des Liad singe."
„'s ist mir nit singerig ums Herz", meinte die Alte, „aber wenn's ein schönes, christliches Lied ist, kannst du's singen, du kommst dann selbst einmal auf andere Gedanken."
„'s ist ein ganz fromm's Lied, Mutter," fiel die Mariev ein, ,,d' Afra chat mir's gestern abend noch vor- g'sunge in der Kammer droben."
„Also sing's," sprach spöttig der Taveri, seine Pfeife einen Augenblick aus dem Mund nehmend; „deine Mutter hat noch nie gesungen, so lang ich sie Hab', Heringegen kann sie um so besser schelten. Wenn sie singen könnt', wie schelten, wär' sie die größte Sängerin auf der Welt."
„Halt dei Moul, Alter," keifte die Franziska, „wenn du a Frau hättest, die nit schimpfet, du hättest schon lang kein ganz Hemd mehr am Leib."
„Sing, Oferle, sing!" lachte Taveri, „sonst geht der Teufel wieder los, wie am letzten Märkt, wo i z' Schilte gsei bei und a Räuschle heimtrage hau."
Jetzt fiel die Afra ein und sang:
Am Montag, da fängt die Woche wieder an.
Da wollen's wir den lieben Gott im Herzen Han.
„Des wär recht," fuhr die Mutter dazwischen, „wenn du einmal anfingest, Gott im Herzen zu Han, aber du hast immer andere Dinge drin, nichtsnutzige. Sing weiter!" Am Dienstag ist dem heiligen Antonius sein' Bitt',
O heiliger Antonius, verlaß uns doch nit!
„Du kommst mir grad' recht mit der Bitt'!" schrie jetzt die alte Franziska. „Jetzt weis i, warum du das Lied so schnell 'könnt hast. Dein Kerle, der Wilderer, heißt Toni, und du betest jedenfalls zum heiligen Antonius, daß er dir den Toni lasse. Ich Hab' jetzt schon g'nug singen g'hört. Hör' auf! Wenn i an die E'schicht denk', steigt mir Gift und Eall in den Kopf!"
„Aber du bist heut doch nicht recht aufeinander, Alte," lachte wieder der Taveri von der Ofenbank her.
„Halt dei Moul, Alter, und geh' ins Bett, dei Pfeif' ist ausg'raucht. Du verdirbst die Meidle immer und bist ihre Stütze gegen mich, 's wär g'scheiter, du tätst dei'm Weib helfen, statt den Kindern."
„Und du," gab der Taveri mit Humor zurück, „ du solltest dich als die fromme Person, die du sein willst, schämen, den heiligen Antonius und den Toni aus dem Hirschgrund zusammenzustellen."
„Doch, ihr Meidle, laßt's Singen bleiben heut' abend und für immer. D' Mutter versteht kein E'spaß und kein Ernst. D' Uhr zeigt schon acht vorbei, der Span ist am Abbrennen und mein Pfeifle am Ausgehen. I will noch mit der Latern umzünden im Stall, dann geh'n wir alle zur Ruh."
„Du kannst allerdings schlafen wie ein Dachs," bemerkte das Weib, ihr Spinnrad vom Licht wegtragend und in eine Ecke beim Ofen stellend. „Aber ich kann nit schlafen vor lauter Gram über die Ofer mit ihrem Kerle".
„Euat Nacht, schlafet g'sund," sprachen die Meidle und gingen schweigend und schüchtern zur Stube hinaus und ohne Licht durch den finstern Hausgang die hölzerne Treppe hinauf in ihre Kammer.
Der Taveri klopfte seinen hölzernen Pfeifenkopf aus und sprach trocken und ruhig: „Ich will jetzt schlafen wie ein Dachs, und du wachst, Alte, und machst Kalender."
„Und du machst dann die Jahrmärkt dazu; denn du weißt am besten, wenn d' Jahrmärkt sind z' Schilte drunte und z' Alpirsbach drobe," keifte sein Weib.
»Io, jo," lachte der Taveri, „ die mach' ich dir gern. Geh' jetzt nur in d' Stubekammer Alte, i komm gleich nach,
/ will nur noch mit der Latern durchs Häusle laufe."
Als der Taveri zurückkam von seiner Feuerschau und in die Schlafkammer trat, fing sein Weib wieder an: „Und i leid's halt nit mit dem Wilderer!"