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Schwarzroölder TageszeitungAus den Tannen"

Nr. 244

Der Abschluß der KouferLnz in Locarno.

Der Schluß der Konferenz von Locarno.

Locarno, 16. Okt. Der Sonderberichterstatter des W. T. B. meldet: Die Schlußsitzung der Konferenz von Locarno begann um 8.38 Uhr abends und dauerte nahezu eine Stunde. Um halb 8 Uhr verkündete Händeklatschen» das durch die geschlossenen Fenster des Konferenzsaales bis aus die Straße hörbar war, die Vollendung des feierlichen Ak­tes. Das zahlreiche Publikum und die Vertreter der Welt­presse nahmen den Aplaus auf, Raketen wurden abgefeuert und nach wenigen Minuten öffneten sich die Fenster des im ersten Stock gelegenen Konferenzsaales, in denen gruppen­weise Briand und Luther, Chamberlain und verschiedene Delegationsmitglieder erschienen, von verstärktem Beifall begrüßt. Schließlich zeigte der belgische Zurist Rolin dem Publikum das soeben paraphierte Schriftstück.

Zuerst verließ die polnische Delegation das Gebäude. Es folgte Vandervelde und unter lauten Evvivas Musso­lini. Als nach einer kleinen Pause die deutsche Delegation entblößten Hauptes auf der Freitreppe erschien, stieg der Jubel der Menge auf den Gipfelpunkt, um schließlich Cham­berlain, der von seiner Gattin abgeholt wurde, die letzten Ovationen darzubringen.

DerVertrag von Locarno", wie die amtliche Bezeich­nung der soeben paraphierten 7 Dokumente lautet, ist da­mit beendet und die Delegationen dürften sämtlich morgen Samstag die gastliche Stadt, deren öffentliche und private Gebäude entlang dem Seeufer den ganzen heutigen Abend festlich illuminiert bleiben, verlassen.

Locarno, 16. Okt. Der Sonderberichterstatter des WB. meldet: Die Schlußsitzung der Zusammenkunft von Locar­no ist genau in der gleichen formlosen Art verlaufen, wie die vorangegangenen Vollsitzungen Der eigentliche Beginn mußte um etwa 20 Minuten verschoben werden, weil die Dokumente, die für die Paraphierung vorbereitet werden mußten, noch nicht fertig waren. Man füllte die kleine Pause mit gruppenweisen Unterhaltungen aus, wobei wie gewöhnlich auch geraucht wurde, und setzte schließlich in der gleichen zwanglosen Weise der Reihe nach seinen Anfangs­buchstaben an die Stelle der vorbereiteten Dokumente, die von dem englischen Rechtssachverständigen Sir Cecil Hurst den einzelnen Unterzeichnern bezeichnet wurde. Die Unter­zeichnung, die mit dem Zusatz L. S. und der vorangestellten Formelne varietur" vollzogen wurde, dauerte nur kurze Zeit. Es schlossen sich dann die Reden an, wovon Reichs­außenminister Dr. Stresemann die erste, Briand die zweite, Chamberlain, Vandervelde und Mussolini die weiteren hiel­ten. Nach diesen politischen Ansprachen richtete Briand das Wort an Chamberlain, um ihm namens der Konferenz­teilnehmer für seine außerordentlich aufopfernde Tätigkeit, vor allem als Vermittler, zu danken. Diese Würdigung wurde mit allgemeinem Applaus ausgenommen, der dann als vermeintliches Signal der Paktunterzeichnung von der vor dem Konferenzgebäude versammelten Menge ausgenom­men wurde.

Die Arbeiten der Ministerkonferenz in Locarno.

WTB. Locarno» 16. Okt. Die Arbeiten der Ministerkon­ferenz wurden heute dadurch zum Abschluß gebracht, daß die Delegierten der beteiligten Länder die während der Zu­sammenkunft ausgearbeiteten Vertrags-Entwürfe para­phiert, d. h. mit den Anfangsbuchstaben ihrer Namen ge­zeichnet haben. Es handelt sich zunächst um den West- pakt, also um den Pakt zwischen Deutschland, Frankreich, Belgien, England und Italien, durch den unter Garantie jedes einzelnen dieser Staaten jeder Angriffskrieg zwischen Deutschland und Frankreich und Belgien, sowie jede gewalt­same Verletzung der Grenzen zwischen diesen Ländern aus­geschlossen wird. Außerdem wurden die Entwürfe zu den vier Schiedsgerichtsverträgen zwischen Deutschland einer­seits und Frankreich, Belgien, Polen und der Tschechoslo­wakei andererseits paraphiert. Diese Schiedsgerichtsver­träge sehen für Rechtsstreiten ein Verfahren mit binden­dem Richterspruch, dagegen für Jnteressenkonflikte ein Schlichtungsverfahren ohne endgültige Bindung vor. End­lich wurde der Entwurf für eine Erklärung der Vertreter Englands, Frankreichs, Italiens und Belgiens aufgestellt, durch die Art. 16 der Völkerbundssatzung eine der bekann­ten deutschen Auffassung entsprechende Auslegung gegeben wird.

Die Paraphierung der verschiedenen Entwürfe bedeutet einmal die persönliche Zustimmung der Delegierten zu dem Inhalt der Instrumente, die infolgedessen nicht abgeändert, sondern nur angenommen oder abgelehnt werden können. Die endgültige Entscheidung über die Annahme der Ent­würfe liegt hiernach, soweit Deutschland in Betracht kommt, zunächst bei der Reichsregierung und alsdann beim Reichs­rat und dem Reichstag.

Die Veröffentlichung der Texte wird nach einer in Lo­carno mit den Vertretern der übrigen Länder getroffenen Vereinbarung am nächsten Dienstag früh erfolgen. Die Ministerpräsidenten der Länder sind auf Mittwoch zusam­menberufen worden. Dem Vorsitzenden des ausw. Ausschus­ses des Reichstags, Reichstagsabg. Hergt, ist die Einladung des Ausschusses zwecks Entgegennahme des Berichts der deutschen Delegation auf nächsten Donnerstag anheimge­geben worden. Angesichts des besonderen Interesses, das die Vertragsentwürfe für die Rheinlands haben, wurden Vertreter des Rheinlands durch Vermittlung des Ministers der besetzten Gebiete schon auf Dienstag nachmittag nach Berlin eingeladen. Die endgültige Stellungnahme der maßgebenden Faktoren in Deutschland wird neben der

Würdigung des Inhalts der Vertragstexte selbst davon ab- hängen, ob die Erwartungen des deutschen Volkes erfüllt werden und die Folgen des Vertragswerks besonders hin­sichtlich der rheinischen Fragen Eintreten. Endgültige Ab­machungen hierüber konnten angesichts des Charakters der Ministerzusamenkunft, deren Aufgabenkreis umgrenzt war, in Locarno nicht getroffen werden. Andererseits war aber von vorn herein in Aussicht genommen, diese Fragen vor der endgültigen Entscheidung zu regeln. Die deutschen Dele­gierten haben infolgedessen in eingehenden Verhandlungen mit den in Locarno anwesenden Vertretern der Besatzungs­mächte die Lösung dieser Fragen so weit vorbereitet, daß ihre erfolgreiche Weiterbehandlung als gesichert angesehen werden kann.

Das fand auch in den allgemeinen Erklärungen, die der französische, der englische un der belgische Außenminister in der heutigen Schlußsitzung abgaben, seinen Ausdruck. Auf ! dieser Grundlage wird nunmehr von den deutschen Regie- ^ rungsstellen mit allem Nachdruck weiterzuarbeiten sein, s

^ Das amtl. Kommunique über die Schlußsitzung in Locarno.

» Locarno, 17. Okt. Das zwischen den Delegierten ver- ! einbarte Kommunique über die gestrige Schlußsitzung der j Konferenzchat folgenden Wortlaut: In der letzten Voll- s sitzung der Konferenz, die am Nachmittag des 16. Oktober i stattfand, wurde zunächst der Text der Schiedsvertrags- j Entwürfe zwischen Deutschland und Polen bezw. der Tsche­choslowakei angenommen. Alsdann wurde der Text des Schlußprotokolls über die Arbeiten der Konferenz von Lo­carno erörtert und angenommen. Im Schlußprotokoll werden die Ziele und die Ergebnisse der Konferenz festge­stellt, so wie die Rückwirkungen, die sich für die Stabili­sierung des Friedens und der Sicherheit in Europa ergeben sollen. Die von der Konferenz ausgearbeiteten Verträge und Konventionen, die mit der Klauselne varietur" in Lo­carno paraphiert find und das Datum des gestrigen Tages tragen werden, lauten wie folgt:

1. Vertrag zwischen Deutschland, Belgien, Frankreich,

Großbritannien und Italien,

2. Schiedskonvention zwischen Deutschland und Belgien

3. Schiedskonvention zwischen Deutschland und Frankreich,

4. Schiedsvertrag zwischen Deutschland und Polen,

5. Schiedsvertrag zwischen Deutschland und der Tschecho­

slowakei.

Der französische Minister des Auswärtigen machte der Konferenz sodann Mitteilung über die Vereinbarung von Abmachungen zwischen Frankreich, Polen und der Tschecho­slowakei mit dem Ziele, sich die Vorteile der oben genann­ten Schiedsverträge zu sichern. Diese Abmachungen sollen beim Völkerbund niedergelegt werden. Abschriften stehen ! jetzt schon zur Verfügung der bei der Konferenz vertretenen Mächte. Für die förmliche Unterzeichnung der in Locarno vereinbarten und paraphierten Verträge ist der 2. Dezem­ber 1925 bestimmt. Die Unterzeichnung wird in London stattfinden. Die Veröffentlichung der Verträge soll am Dienstag, den 28. Oktober vormittags erfolgen.

Vor dem Abschluß der Arbeiten richtete die Konferenz an den Präsidenten des schweizerischen Vundesrats ein warm gehaltenes Danktelegramm für die gastliche Auf­nahme, die ihr in der Schweiz zuteil geworden ist. Der Bürgermeister von Locarno, Rusca, wurde darauf in den Konferenzsaal eingeladen, wo ihn Chamberlain namens der Delegation erneut den Ausdruck ihres Dankes für die Aufnahme in Locarno und das ihr dort erwiesene Entge­genkommen übermittelte. Die Sitzung wurde hierauf für eineinhalb Stunden unterbrochen, um den Sekretären der Delegation die Vorbereitung der zur Unterschrift gelangen­den diplomatischen Urkunden zu ermöglichen. Die Verträge von Locarno wurden um 7 Uhr abends paraphiert. Vor Schluß der Sitzung wurden von Dr. Stresemann, Briand, Chamberlain, Vandervelde und Mussolini Ansprachen ge­halten.

Erläuterungen des Reichskanzlers Dr. Luther.

Zu der vorstehenden Meldung des WTB. machte Reichs­kanzler Dr. Luther dem Sonderberichterstatter des WTB. in Locarno noch folgende kurze erläuternde Ausführungen:

Der Westpakt mit den Schiedsgerichtsverträgen bedeutet die Verwirklichung der Grundgedanken des deutschen Me­morandums von 9. Februar und zwar entsprechend den Ausführungen der deutschen Note vom 28. Juli. Er ent­hält somit jene Neugestaltung der europäischen Staatsbe­ziehungen, die wir zur Herbeiführung eines wirklichen Frie­dens in Europa und im Jntereffe Deutschlands erstrebten. Die Bekanntgabe der einzelnen Vertragsentwürfe wird manche in der Oeffentlichkeit jetzt aufgetauchte Zweifel ausräumen. Die von England, Frankreich, Italien und Belgien gegebene Auslegung des Art. 16 entspricht dem deutschen Stand­punkt, wie er ebenfalls in der Note vom 28. 7. niederge­legt war. Was die rheinischen Fragen betrifft, so bilden die Erklärungen des französischen, des englischen und belgischen Außenministers in der Schlußsitzung und ihre sonstige Stellungnahme in den ausführlichen Besprechungen, die wir mit ihnen über die Rheinfragen gehabt haben, die feste Grundlage für die zu erwartende Gestaltung dieser Probleme in dernächsten Zeit. Vor den deutschen Reichsstellen liegt die wichtige Aufgabe» auf dieser Grund­lage weiterzuarbeiten. Bevor der Reichsrat und der Reichstag ihre endgültige Entscheidung über die Verträge

I und den Völkerbundeintritt fällen, muß sichergestellt und ! deutlich geworden sein, daß der allgemeine Geist des echten j Friedens sich auch vor allem in den Rheinfragen wirklich in die Tat umsetzt. Daß die tatsächliche Entwicklung sich so : vollzieht, dafür tragen die beiden Delegierten vor dem ^ deutschen Volke die Verantwortung.

! Die Ministerreden in Locarno.

z Locarno» 17. Okt. Die in dem Kommunique über die > Schlußsitzung erwähnten Ansprachen haben folgenden j Wortlaut:

! Ansprache des deutschen Außenministers Dr. Stresemann.

, In dem Augenblick, wo die Paraphierung der hier ge- ; tätigten Verträge erfolgt ist, wollen Sie mir im Namen ! des Reichskanzlers und für mich gestatten, einige Worte zu ihnen zu sprechen. Die deutschen Delegierten haben dem i Text des Schlußprotokolls mit seinen sechs Anlagen zuge- ! stimmt und haben das durch die Paraphierung zum Aus- ! druck gebracht. Aufrichtig und freudig begrüßen sie die ! große Entwicklung im europäischen Friedensgedanken, die von dieser Zusammenkunft in Locarno ihren Ausgang nimmt und als derVertrag von Locarno" einen wichtigen Markstein in der Geschichte der Weiterentwicklung der Staaten und Völker zueinander ausmachen soll. Wir be­grüßen insbesondere die in dem Schlußprotokoll der Konfe­renz niedergelegte Anschauung der festen Ueberzeugung von jener Entspannung in den Beziehungen der Völker und je­ner Erleichterungen der Lösung so vieler politischer und ökonomischer Fragen. Wir haben die Verantwortung für die Paraphierung der Verträge übernommen, weil wir des Glaubens sind, daß nur aus dem Wege friedlichen Nebenein­anderlebens jene Entwicklung der Staaten und Völker ge­sichert werden kann, die für keinen Erdteil so wichtig ist, wie für das große europ. Kulturland, dessen Völker so unendlich durch die Jahre, die hinter uns liegen, gelitten haben. Wir haben sie insbesondere übernommen, weil wir zu dem Ver­trauen berechtigt sind, daß die politischen Auswirkungen der geschlossenen Verträge insbesondere auch dem deutschen Volk in Form einer Erleichterung seiner Bedingungen des politischen Lebens zugutekommen werden. So wichtig die Abmachungen sind, die hier ihre Fassung erhalten haben, so werden die Verträge von Locarno doch nur dann ihre tiefe Bedeutung in der Entwicklung der Nationen behal­ten, wenn Locarno nicht das Ende, sondern der Anfang einer Periode vertrauensvollen Zusammenlebens der Na­tionen sein wird. Daß diese Möglichkeiten und daß die auf das Werk gesetzten Hoffnungen sich auswirken werden, ist der aufrichtige Wunsch, den die deutschen Delegierten in dieser bedeutungsvollen Stunde Ausdruck geben möchten.

Ansprache des französischen Außenministers Briand.

Als Vetreter Frankreichs lege ich Wert daraus, mich aus vollem Herzen zu den Empfindungen zu bekennen, denen der deutsche Delegierte Ausdruck gegeben hat. Es würde Un­recht von mir sein, wenn ich nicht die mutige Geste, welche d enAusgangspunkt dieser Konferenz bildete, wieder in Er­innerung rufen und begrüßen würde. Ich vergesse nicht das Memorandum vom 9. 2., das die deutsche Regierung auf die Initiative Dr. Stresemann an die französische Re­gierung richtete. Das war der Ausgangspunkt unserer Ar­beiten. Und diese Tat, der ich meine Anerkennung zolle, hat zu dem Ergebnis geführt, das wir heut zu verzeichnen haben. Ich habe soeben die Verträge und Abmachungen paraphiert, die in Locarno vorbereitet worden sind. Damit ist mein Mandat zu Ende. Ich spreche also jetzt für mich persönlich, aber mit der Gewißheit, nicht nur die Auffas­sung meiner Regierung, sondern auch die der großen Mehr­heit meiner Landsleute auszusprechen. Wenn wir hier nur über die Bestimmungen eines Vertrages verhandelt hätten, i und wenn wir im Anschluß daran jeder in sein Land zu- ! rückkehren würden, indem wir es dem glücklichen Zufall überließen, die Versprechungen, die der Vertrag enthält zu realisieren, so hätten wir eine leere Geste gemacht. Wenn diese Geste nicht einem neuen Geist entspricht und wenn sie nicht den Anfang einer Epoche des Vertrauens und der Zu­sammenarbeit bezeichnet, wird sie nicht die großen Folgen zeitigen, die wir von ihr erwarten. Von Locarno mutz ein neues Europa anheben. Die Herren Luther und Dr. Stre­semann, mit denen ich außerhalb dieser Konferenz offiz­iöse Besprechungen gehabt habe, worin wir uns offen aus­gesprochen haben, haben mir gesagt, mit welchen Hoff­nungen sie das Werk betrachteten, das hier vollzogen wurde. Und ich habe ihnen mit vollständiger Loyalität er­widert. Zwischen unseren beiden Ländern bleiben noch Rei­bungsflächen. Es bestehen noch schmerzliche Punkte. Der hier Unterzeichnete Pakt muß ein Balsam auf diese Wun­den sein. Die noch bestehenden Schwierigkeiten müssen be­seitigt werden. Dr. Stresemann hat mit einer Diskretion, für die ich ihm dankbar bin, auf gewisse Gegenden ihres Landes Bezug genommen, an denen sich zu desinteressieren ! sie nicht das Recht haben. Auch ich darf mich an ihnen ^ nicht desinteressieren. Ich bin sicher, daß Frankreich die i ganze Tragweite dieses Punktes verstehen wird und daß ^ es gewillt sein wird, alles, was in seinen Kräften steht,

I zu tun, damit aus ihm ein Gefühl der Befriedigung und ^ Entspannung zwischen uns hervorgeht. Den Vertretern ! Frankreichs wird es am Herzen liegen, sobald als möglich ! und so viel es an ihnen liegt dafür zu sorgen, daß zu un- I serem Teil die Bedingungen erfüllt werden, die zwischen unseren Ländern eine Politik weitgehender Entspannung ^ und wie ich hoffe, auch eine vertrauensvolle Zusammenar- z beit ermöglichen werden. Dann können wir, wenn erst die I noch zu lösenden Fragen geregelt sind, gemeinsam auf allen j Gebieten arbeiten, um unser Ideal eines Europa zu ver-