Amtsblatt für den (Oberamtsbezirk Nagold u. Altensteig Stadt. Allgemeiner Anzeiger für die Bezirke Nagold, Lalw u- Freudsnstadt

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Nr- 244

Altenstrig, Samstag den 17. Oktober

1925

MS

Zur Lage.

Unsere Beratungen nähern fich dem Ende, das von mu allen heiß erhofft wurde, dessen Ergebnis aber auch da ! kühnste Optimist nicht vorhergefehen hat. Wir danken der Erfolg der gemeinsamen Arbeit aller Delegationen den > guten Willen und dem Geiste der Verständigung, der um ! beherrschte. Wir waren erstaunt zu sehen, daß die Schwio rigkeiten wichen, wie die Wolken der Nacht der Sonne de, Tages weichen. Wenn wir in unsere Heimat zurückkehren wird keiner über den anderen triumphieren können, daß ei einen Sieg über ihn davongetragen hätte. Wäre einer dazi in der Lage, so würde das einen Mißerfolg unserer Arbei ten bedeuten. Alle Welt muß den Erfolg von Locarno an­erkennen." So sagte der englische Außenminister in eine, Tischrede auf einem Journalistenbankett in Locarno an Donnerstag, nachdem kurz zuvor die aufsehenerregend, Nachricht durch die Welt flog, daß der Entwurf ein« Rheinpaktes und die Schiedsverträge Deutschlands mir Frankreich und Belgien im Entwurf in einer Konferenz, fitzung Annahme gefunden hatten.

Wenn es in diesem Optimismus weiter geht, muß dt« Konferenz am Ende der Woche in einer feierlichen Schluß­sitzung das große Friedenswerk bestätigen und nicht nur die französische Regierung muß, wie sie es getan hat, Brkant die Glückwünsche zum Abschluß des rheinischen Sicherheits- Paktes übermitteln, man muß allenthalben in Europa Fah. ne« aushängen für das Friedenswerk von Locarno und dem schriftlichen Uebereinrommen müssen praktische Tate« in der europäischen Politik folgen. Aber leider erscheint der Hoffnungsstrahl aus dem schönen Süden zunächst eine Täu­schung für die Völker der Welt. Ehamberlain hat das Re­sultat vorweggenommen und alle vorliegenden Nachrichten aus Locarno bestätigen, daß man dort noch gar nicht über den Berg der Schwierigkeiten ist, daß es vielfach falsche Hoffnungen sind, die durch jene Sonderdepesche erweckt wur­den, wonach der Entwurf des Sicherheitsvertrages An­nahme fand. Es ist ja eine alte Erfahrungstatsache, daß Worte und Reden der Diplomaten dazu da sind, um Wich­tiges zu verschleiern und zu verbergen. So scheint es auch tu Locarno zu sein» denn sonst wäre es nicht möglich gewe­sen, daß die Vertreter der fünf großen Mächte am Donners­tag abend drei Stunden zusammengesessen wären, um über Rebenfragen und Ostverträge zu verhandeln und hernach die Auskunft Vriands lautete:Wir sind noch nicht fertig!^ während Dr. Stresemann etwas deutlicher meinte:Es hat noch nicht alles geklappt!"

' Dem Jubel in Baris über die Unterzeichnung des Paktes steht schroff gegenüber die Zurückhaltung amtlicher Kreise m Berlin, wo man deutlich die Mahnung vernimmt: Nur keine falschen Hoffnungen! Es ist über die Ostverträge noch keine volle Verständigung erzielt, es ist der bekannte Artikel 16 der Völkerbundssatzung mit dem Durchmarschrecht nicht restlos geklärt und damit der Eintritt Deutschlands in den Völkerbund, es sind vor allem nicht die praktischen Rück­wirkungen eines Sicherheitspaktes klargestellt. Und da muß Deutschland Zusagen mancherlei Art erhalten: Räumung der Kölner Zone, Aenderung des Vesetzungssystems, Ver­kürzung der Saarbesetzung oder Verzicht auf die Saar­abstimmung, Beseitigung der Militärkontrolle, Erledigung der Entwaffnungsnote u. a. Vriand will noch nicht einlen­ken, um die französischen Nationalisten nicht vor den Kopf pl stoßen. Er behauptet, alle diese Dinge hätten mit dem kicherheitspakt nichts zu tun und ständen nicht im Zusam­menhang mit der Konferenz in Locarno. Wenn aber die deutsche Abordnung hierüber keine Zusagen mit nach Hause bringt, dürfte auch der Abschluß eines Sicherheitspaktes kr Frage gestellt sein. Das Ende der Konferenz und das ranze Friedenswerk hängt davon ab, ob man yr Paris von dem Geist von Versailles loskommen will. Daß Briand dazu den ehrlichen Willen hat, darf nicht bezweifelt werden, aber die innerpolitische Verhetzung in Frankreich, von oben herab bewerkstelligt, ist heute noch nicht reif für solche klare Friedensatmosphäre. Sonst wäre es nicht möglich gewesen, daß dieser Tage französische Kriegsgerichte deutsche Offiziere w vwn angeblicher Kriepsverfehlungen zum Tode verurteilt hätten, wäre es nicht möglich gewesen, daß man einen deut­schen Reichswehrangehörigen, weil er ohne besondere Er­laubnis das besetzte Gebiet betrat, zu einem Jahr Gefäng­nis und 2000 Mark Geldstrafe verurteilte. Briand hat auch hierin eine Geste der Versöhnlichkeit gemacht und Dr. Stre­semann mitgeteilt, daß der deutsche Reichswehrsoldat be­gnadigt werde.

Dennoch: Wir wolle« hoffe«! Hoffen, daß am Samstag, worauf die Anwesenheit des italienischen Ministerpräsiden­ten Mussolini deutet, der Friede unter dem Geläute der Glocken von Locarno unterzeichnet wird. Am Sonntag will die Konferenz einen schönen Schluß durch einen Ausflug nach Lugano machen. In nächster Woche soll dann die Ver­öffentlichung der Verträge erfolgen, worauf diese dann von den Parlamenten der verschiedenen Länder angenommen werden müssen, bis Ende November oder anfangs Dezem- iber in London die feierliche endgültige Unterzeichnung vor« «genommen wird. Denn man will das »amse Friedenswerk.

Ehamberlain zu Liebe, der am Frelta^feMen 62. Gesurrs- tag i« Locarno feierte, den Londoner Friedenspakt nennen. Leber die Bedeutung der Verträge undphes ganzen Frie­denswerkes kann erst ein abschließendes Lrieil gegeben wer­den, wenn fich der letzte Akt von Locarno abKfpielt hat und der Wortlaut der sieben Abkommen (Rheinlandpalt rmd sechs Schiedsverträge) vorliegt.

Bor den Ereignissen in Locarno ist großes Geschehen auf Andelspolitischem Gebiet zurückgetreten. Am vergangenen Montag wurde in Moskau der deutsch-russische Handelsver­trag unterzeichnet, der einen Mantelvertrag und sechs be­sondere Abkommen umfaßt. Der Mantelvertrag regelt das Rückwanderungsrecht der staatlos Gewordenen und enthält die grundsätzliche Meistbegünstigungsklausel mit kleinen , Einschränkungen. Ein Niederlassungsabkommen gibt gewisse j Erleichterungen für die Einreise in die Sowjetunion und ; die Klärung der Rechtsverhältnisse für Einwanderer, ein i Seeschiffahrtsabkommen regelt die Parität bei Behandlung - von Schiffen und Ladungen, ein Wirtschaftsabkommen be- r grenzt die Handelsvertretung auf den Außenhandel, ein i Abkommen über den gewerblichen Rechtsschutz bringt die s grundsätzliche Gleichstellung mit russischen Inländern und s anderes mehr. Mau erhofft von diesem Handelsvertrag ? -daß der Handel Rußlands mit Deutschland fich sehr lebhaft z gestaltet und die frühere Friedenshöhe erdicht. Das wir» ^ i nur geschehen, wenn die deutsche Wirtschaft den Russe«

' langfristige Kredite geben kann; denn nur dann wird ein«

, rege Ausgestaltung der Handelsbeziehungen zwischen Rsßi fand und Deutschland fich bemerkbar mach«». Daß der Vep trag auch sonst eine Annäherung in den politischen Vezie Hungen bringt, ist zu erwarten.

Ein wichtiger Markstein in weltwirtschaftlicher Beziehung Regt dann darin, daß zum 15. Oktober der Handelsvertrag zwischen Deutschland «ud den Bereinigte« Starrte« ratifi­ziert und in Kraft gesetzt wurde, nachdem bisher nur ein vorläufiges Abkommen die Handelsbeziehungen geregelt 'hat.

i Mit dem 16. Oktober ist endlich auch der deutsch-spanisch« Handelsvertrag abgelaufen, da er am 16. Juli von Deütsch- land gekündigt wurde, bekanntlich mit Rücksicht auf den -deutschen Weinbau. Schon vor der Kündigung haben Ver­handlungen in Madrid begonnen über eine Erhöhung der Zollsätze für Wein und Südfrüchte und die Gewährung der Meistbegünstigung für alle deutschen Ausfuhrwaren. Im 1. Halbjahr 1925 hat Deutschland nach Spanien für 77 Millionen Mark Waren ausgeführt, die Einfuhr aus Spa­nien betrug im gleichen Zeitraum 112 Millionen Mark Waren, vor allem Wein und Südfrüchte. Nun ist eine Art vertragsloser Zustand eingetreten, der aber durch ein Ab­kommen geregelt ist, das ja auch für Italien Geltung hat, mit dem der Handelsvertrag bisher noch immer nicht zu­stande gekommen ist. Die deutsche Industrie hat sich seiner­zeit gegen die Kündigung des spanischen Handelsvertrages ausgesprochen, aber sie ist gegenüber den Weinbauinteres- fenten nicht durchgedrungen. Hoffen wir, daß es gelingt, mit Spanien zu einem Handelsvertrag zu gelangen, der uns vom Zollkrieg verschont.

Sie Konferenz vor dem Abschluß

Die Konferenzarbeit am Freitag

Loearno, 18. Okt. Der italienische Ministerpräsident Mus­solini begab sich Freitag vormittag 10 Uhr in das Hotel Es­planade, wo er dem Reichskanzler Dr. L »ther und dem Reichs« auhenminister Dr. Stresemann einen Besnch abstattete. Die RechtssachverstSndige« find zur weitere« Beratung der Ost- schiedsverträge zusammeusetreten. Um 12.3V Uhr begab fich Reichsautzeuminister Dr. Stresemann ins Palace-Hotel zu einer Unterredung mit Ehamberlain und Briand. Um 1 Uhr machte Reichskanzler Dr. Luther dem italienische« Ministerprä­sidenten Mussolini seinen Gegenbesuch. Die heutige Vollsitzung, die sich mit den Ostschiedsverträgen befassen wird, ist auf vier Uhr nachmittags angesetzt. ^

Weitere persönliche Besprechungen

Paris, IS. Okt. Der Sonderberichterstatter der Havasagentur in Locarno erklärt, es scheine, daß die Konferenz ihre Arbeiten am Samstag beenden könne. Ein allgemeines Protokoll werde ausgearbeitet, das gewissermaßen den Abschluß der Verhandlun­gen festlege. Die sieben diplomatischen Instrumente, die vor­gesehen seien, würden dann dem Protokoll als Anhang beigege­ben werden. Diese verschiedenen Abkommen würden in Locarno nur paraphiert werden. Die Frage, ob die Abkommen sämtlich veröffentlicht werden sollten, sei noch nicht gelöst. Es sei aber wahrscheinlich, daß in Locarno keine Veröffentlichung erfolge, sondern daß erst zu einem bestimmten noch festzulegenden Zeit­punkt, vielleicht Mitte der kommenden Woche, die einzelnen Re­gierungen die Veröffentlichung vornehmen würden, nachdem die Delegationen in ihre Heimatländer zurückgekehrt seien und die notwendige Zeit gehabt hätten, die Texte ihren Regierungen zu unterbreiten.

Locarno, 16. Okt. Freitag abend fand eine Besprechung zwi­schen dem Reichskanzler Dr. Lasier, dem Reichsaußenminister

vr. «krefemann, Lem frcmzöfifchen Außenminister Briand, dem englischen Staatssekretär des Auswärtigen Ehamberlain und dem belgischen Außenminister Dandervelde statt. Es wurden in etwa dreistündiger Aussprache die im Zusammenhang mit dem westlichen Sicherbeitspakt stehenden allgemeinen Fragen erörtert. In den Verhandlungen der Rechtssachverständigen über die östlichen Schiedsverträge ist eine Einigung bisher nicht erzielt worden. Die Polen machen ernste Schwierigkeiten. Mussolini »erhandelte mit Benesch.

Zwischen Dr. Stresemann und Briand fand eine Unterredung über die durch ein franzöfisches Kriegsgericht in Bonn erfolgte Verurteilung des Reichswehrangehörigen Bührig statt, der zu einem Jahr Gefängnis und 2600 Mark Geldstrafe verurteilt wor­den war, weil er ohne die für die Angehörigen der Reichswehr notwendige besondere Erlaubnis das ebsetzte Gebiet betreten hatte. Dr. Stresemann wies darauf hi«, daß ein derartiges Vor­zehen der BesatzungsLebörden nicht mit dem Geist der Verhand­lungen in Locarno vereinbar sei und daher auch sicher nicht i« den Absichten der französischen Regierung liegen könne. Der französische Außenminister teilte nun Dr. Stresemann mit, daß er ans Paris einen Bericht eingefordert habe und daß die Be­gnadigung des Verurteilten erfolgen werde.

kluiglmg und MEmß in Lamm»

Die Schlußsitzung der Konferenz

Locarno, 18. Okt. (Efg.Dr.) Die Konferenz hvtti am Freitag ihre« entscheidende« Tag. Es ging um die OK frage», wobei die Polen schon im Juristeuausschuß schare» fien Widerstand machten. Es zeigte sich aber, daß Graf Sk» zynski nicht in der Lage «rar, der berechtigte« F«ä>er«m> des Juristen Gauß, daß der die Nachprüfung nnanrveadb« gewordener Verträge feststehende Artikel 19 des Böller buudspaktes nicht verstopft werde« dürfe, wirksam entgegen, zutrete«. Der Erfolg dieser Debatte ist. daß der tschechisch, and polnische Schiedsvertrag typisiert worden ist, und daß außerdem Frankreichs Garauteurolle in einer Weife einge, schränkt worden ist, daß jedes vom Völkerbund losgelöst, Vorgehen Frankreichs als ausgeschlossen betrachtet werden kann. Außerdem steht nun endgültig die Gültigkeit de« Artikels 19 des Völkerbundspaktes fest, wonach Verträgt über territoriale Fragen innerhalb des Völkerbunds er­örtert und nachgeprüft werde« könne« und die polnisch« Forderung auf Verewigung des Paktes von Versailles ist »«durch abgewendet. Skrzyuski kämpfte stundenlang. Di« Debatte war manchmal so scharf, daß man von de« Stühle« »ufsprang und den Saal velasseu wollte. Nach einer Kampf» lause traten d« Herren wieder zusammen und schließlich zelaug es, die rettende Formel festzustelle«. Leber »eu neue« Wortlaut dieser Formulierung ist zur Stunde roch nichts bekannt.

Einen weiteren Kampfpnnkt bildete« die Nebenfrage». Zm Laufe des Tages kam zwischen den deutsche« Vertreter« rnd Ehamberlain» Briand und Bandervelde eine Einigung «stände, die Freitag abend S Uhr bekannt ward«. De» vernehmen nach wurde ein Protokoll über die Rückwirkuu- ,en ausgestellt und unterzeichnet.

Freitag abend LS9 Uhr trat die Konferenz zur Schlußsitzung

Vsammen, affo «och an Thamberlains Geburtstag» «nd hat >ie Paraphierung des Paktes und aller Schiedsverträge vor» ienommeu. Der letzte Mt der Konferenz! Eine goldene jeder lag aus Genf bereit» deren sich die Minister bei der lnterzeichuung bediente«. Die Verträge werde« nun de» Zölkerbnud überwiese». Der Optimismus hat also doch Pflegt.

Chamüerlaius Geburtstag

Locarno, 16. Okt. Ehamberlain feierte am Freitag sei­en 62. Geburtstag. Schon in aller Frühe wurde Hm vor em Grand Palace-Hotel ein Ständchen der ,Mrnda Muni« ipale di Loccarno" gebracht. Der Bürgermeister von Lo- arno gratulierte, an jeder Hand ein kleines Mädchen, mit inem Korb herrlicher südlicher Blumen am Arm. Sichtlich rfreut hielt Ehamberlain eine Ansprache, m der er seine sreude darüber ausdruckte, daß die Feier durch diese dem iZeltfriäden dienende Konferenz naturgemäß für ihn einen mvergeßlichen Reiz erhalte. Briand überreichte Thamber« rin als Geschenk der französischen Delegation mit seinem »lückwunsch ein goldenes Zigarettenetui mit der Inschrift: Friede von Locarno." Die deutsche Delegation ließ ihre Glückwünsche übermitteln und für mittags den Besuch dev Reichskanzlers bei Ehamberlain ankündigea. Auch Musso­lini traf im Hotel Grand Palace ein, beglückwünschte Eham- erlain und ging sofort mit Ehamberlain uNd Briand M Besprechungen über.