Absage Englands an SowjeiruNänd.
London, 23. Nov. In der Sinorvjewbrief-Affäre, wie; überhaupt in der Frage der Beziehungen zu Rußland hat die englische Regierung entscheidende Noten abgefatzt, wodurch die von Macdonald am 8. August geschlossenen Ver- träge hinfällig werde«. Eine soeben an die Sowjetregie- rung abgegangene Note Chamberlains besagt, daß die englische Regierung nicht in der Lage sei, diese Verträge dem Parlament zur Annahme vorzulegen.
Eine zweite ausführliche Note legt dar, die englische Negierung könne die in der russischen Note vom 28. Oktober angeführten Beweise nicht anerkennen, wonach der Sinow- jew-Brief eine Fälschung sei. Dies sei allein schon durch die offizellen Veröffentlichungen in Sowjetrußland widerlegt. Auf weitere Einzelheiten einzugehen, sei unnötig, da die im Besitz der englischen Regierung befindlichen Informationen keinen Zweifel an der Echtheit des Briefes zulieben. Die englische Regierung sei nicht in der Lage, die Angelegenheit weiter zu diskutieren. Macdonalds Mitteilungen an die Sowjetregierung beträfen die gesamte Propagandatätigkeit, für die der Sinowjewbrief ein hervorragendes Beispiel sei. Die englische Regierung schließe sich Macdonalds Note vom 24. Oktober an. die äusdrücke, daß keine Regierung jemals Beziehungen zu einer ausländischen Regierung dulden werde, die im Zusammenhang mit einer Propagandaorganisation stünde, deren revolutionäre Umtriebe auf einen Regierungssturz in Eualand abzielen.
London, 23. Nov. Das Auswärtige Amt veröffentlicht einen Brief Gregorys. des Ebefs des Norddevartements, an Rakowskk, der besagt, daß Lbamberlain der Entscheidung Macdonalds beitrete, daß die britische Neaierung die Note der Sawjetregierung vom 27. Oktober nicyt entoegenneh- men könne. In dieser Note verlangt bekanntlich die Sow- jetregierung eine Entschuldigung wegen der Veröffentlichung des S'nowjewbriefes und die Bestrafung der hieran beteiligten Personen.
London, 23. Nov. Das Foreign Office veröffentlicht den Tert der Note an Rußland, worin es abgelehnt wird, die enalifch-russischen Verträge zur Ratifikation zu empfehlen.
London, 23. Nov. Wie der „Daily Erpreß" wissen will, bedeutet die Erklärung, daß die Note der Sowcets vom 27. Oktober verschwunden sei, die höfliche Umschreibung der Tatsache, daß sie vernichtet wurde. Durch dieses diplomatische Manöver werde Rakowski die Demütigung erspart, seine Note zurücknehmen zu müssen.
Im „Daily Ehrnnicle" wird die Hoffnung ausgedrückt, daß die Regierung keine aünstige Gelegenheit vorüberaeben lasse, ein angemessenes Abkommen mit Rußland zur Wiederherstellung der Handelsbeziehungen abzuschließen. — In der „Mornkng Post" wird die britische Note an Rußland als ein Zeichen begrüßt, daß die Negierung Valdwins im G"- gensat; zu der Macdonalds. Herr im eigenen Hause sei. In Moskau, so schreibt das Blatt, werde man jetzt erkennen müssen, daß. wenn die antibritische Propaganda fortdauere, die Anerkennung der Sowjetreaierung durch England wieder aufhören werde. Wie die ..Mornina Post", so nennt auch die ..Times" die Note der britischen Regierung eine Warnung an Moskau. Das Blatt vertritt übrigens die Ansicht, daß die Aktion der Negierung Boldwins die Schaffung normaler Beziehungen zwischen England und Rußland besser fördern werde, al-- die dauernden Zugeständnisse der Regierung Macdonalds. . . .
Aus Stad! und Land.
Altensteig 24. November 1924 ,.* Die Approbation als Arzt wurde im Prüfungsjahr 1923-24 u. a. erteilt: Otto Ritter, Nagold, Sohn des Reg.-Rats a. D.
Gemeinderatssitzung am 21. November; anwesend: der Vorsitzende und 12 Gemeinderäte. In einer neulich abgehaltenen besonderen Sitzung wurde Polizeiwachtmeister Settels in Eningen u. a. einstimmig zum hiesigen Polizeiwachtmeister gewählt. Er wird seine Stelle am 1. Dez. antreten, eine Wohnung ist für ihn bereit gestellt. — Die am 19. und 21. November vorgenommenen Stammholz-, Stangen-, Nutz- und Breunholzverkäufe werden mit Ausnahme eines Stangenverkaufs vom Enzwald genehmigt; letztere sollen wiederholt in kleineren Losen zum Verkauf kommen. — Genehmigung findet ferner der Holzhaucrlohn- vrrtrag der städt. Forstverwaltung mit den städt. Waldarbeitern für das Wirtschaftsjahr 1925. — Die Württ. Girozentrale Stuttgart gibt der Stadlgemeinde ein weiteres Darlehen von 25000 Mk. zum Zinssatz von 17 Prozent einschl. Verwaltungskostenbeitrag ; der bezügliche Darlehens- Vertrag wird genehmigt. — Um ein klares Bild über die finanzielle Auswirkung des städt. Haushalts im laufenden Rechnungsjahr zu bekommen, wird vom Vorsitz-"'k-en die Vorlage des 1824er Voranschlags bis zur nächsten Sitzung in Aussicht gestellt. — Die Ausschellgebühren werden aus 1 Mk. für Hiesige und 3 Mk. für Auswärtige erhöht. Bezüglich des spruchreif gewordenen Personalabbaus bei der Stadtpflege wird bestimmt, daß auf 1. Januar zunächst eine Hilfskraft außer Verwendung kommen soll. Wz.
* Von der Reichstagswahl trennen uns jetzt noch zwei Wochen und zwar die wichtigsten, bei denen die Agitation tüchtig ersetzen wird. Am heutigen Abend wird hier Landtagsabgeordneter Schees-Tübingen im Sternen für die Deutsche demokratische Partei sprechen.
Besichtigung. Der gestrige Sonntag führte die Vorstände der allgem. Krankenkasse Nagold, Calw und Neuenbürg in ihrem neuen Erholung.heim „Korbmattfelsenhof" in Baden-Baden zu einer würdigen Einweihungsfeier zusammen. Einmütig war das Lob, ein solch schönes und herrsch gelegenes Heim in einer Badestavr zu besitzen, die alle Vorbedingungen zur schnellen Genesung und Ec Haltung de. Arbeitskraft bietet und wo nicht nur die oberen 10000, sondern auch die anderen 90 000 Ruhe und Erholung finden sollen. (Näherer Bericht folgt.) s.
* Die Eröffnung des Waldfriedhofs, die anläßlich I der Beerdigung des verstorbenen Steuer sekretärs I. Fackler j am Samstag Nachmittag erfolgte, fand in schlichter Weise s statt. Ein großer Zug von Teilnehmern bewegte sich unter ^ den Trauerweisen der hiesigen Stadtkapelle zum neu an- j gelegten, vom Städtchen etwas weit entfernten, aber sonst j ideal gelegenen Waldfriedhof. Bei der Abzweigung der ^ Waldfriedhofstraße von der Egenhauser Straße sang der
- Liederkranz den Choral „Wohlauf, wohlan zum letzten Gang", s Als dann der Trauerzug im Waldfriedhof angelangt und i mit dem Sarg vor der Kapelle Ausstellung genommen hatte,
' leitete die Harmonie die kurze Eröffnungsfeier mit dem < schön gesungenen Choral „Wenn mein Stündlein vorhanden s ist" ein. Stadtpfarrcr Horlach er sprach einige Schrist-
- Worte und ein Gebet und der Liederkranz beschloß den Er- > öffnungsakt mit dem erhebenden Lied „lieber den Sternen s^wohnet Gottes Friede". Es folgte sodann die Beer-
- sigung F a ckl e rs. Am schön geschmückten Grab, dem ^ ersten des Waldfriedhofs, der bestimmt ist, das jetzige und s die kommenden und gehenden Geschlechter in sich aufzu- s nehmen, hielt Stadtpfarrer Horlacher die Grabrede, in s welcher er der Persönlichkeit des Abgeschiedenen liebevoll
gedachte und zugleich auf die Eröffnung des Waldfriedhofs überleitete, in welchem bestattet zu werden des Entschlafenen letzter Wunsch war. Mächtig krachten die Böllerschüsse, die dem Kriegervereinskameraden galten und brachen sich an dem gegenüberliegenden Höhenzug der Stadt. Nachrufe hielten Regierungsrat Huberich, der im s Namen des Finanzamts Altensteig dem treuen Beamten vom alten Schlag herzliche Worte widmete und im Namen der Beamten des Finanzamts einen Kranz niederlegte, Kriegervereinsvorstand Grüner, welcher im Namen des Kriegervereins sprach und dem langjährigen Mitglied des Vereins und lieben Kameraden einen Kranz widmete, Kanzlist Fegert, der im Namen des Reichsfinanzbeamtenvereins einen Kranz niederlegte und schließlich Ver- waltungsaktuar Kalmbach für den Beamtenbund. Mit dem allgemein gesungenen Choral „Himmelan, nur himmelan" fand die Beerdigung des allgemein geschätzten und beliebten Beamten und Mitbürgers und die denkwürdige Eröffnung des schönen, stimmungsvollen Waldfriedhofs ihren Abschluß.
Der Waldfriedhof wurde in den Jahren 1923 und 1924 nach einem Entwurf von Gartenarchitekt Lilienfein- Stuttgart angelegt und die Kapelle nach dem Plan von Prof. Schuster-Stuttgart erbaut. Es war ein bedeutsamer Schritt der hiesigen Stadt, diesen Entschluß zu fassen, nicht nur weil die Idee der Waldfriedhöfe neu und in Württemberg bis jetzt eigentlich nur ein Vorgang mit dem Stuttgarter Waldfriedhof geschaffen war, sondern weil die Ausführung des Entschlusses nicht nur ein schönes Stück Wald, sondern auch ein recht schönes Stück Geld kostete, denn was die Stadt unter Stadtschultheiß Welker schafft, das schafft sie in der Regel auch ganz. Es ist eine Freude zu sehen, wie schön das Werk gelungen, im Frieden des Waldes eine würdige Beerdigungsstätte zu schaffen. Der Waldsriedhof ist mit seiner großzügigen Anlage zugleich eine Sehenswürdigkeit geworden, die manchen Fremden anlocken wird. Hübsche Wegweiser sorgen dafür, daß ihn auch der Fremde leicht finden kann. In einem schön bestandenen, ideal gelegenen, nach Osten abhängbnden Gelände wurden dem Waldfriedhof 10 ganze Morgen gewidmet, umzäunt, eine schöne Fahrstraße mit Nebenweg, in den allerdings die Linden zu weit hereingepflanzt sind, und verschiedene saubere Zuwege errichtet, zahlreiche Tannen im Gelände des Waldsriedhofes geschlagen um geeignete Be- j gräbnisplätze für Reihen-, Gruppen- und Einzelgräber zu i schaffen, aber doch auch genügend Bäume stehen gelassen, i um den Charakter als Waldfriedhof zu erhalten, das Ge- ! lände ausgeglichen, in Gruppen geordnet, Straßen und Wege angelegt, einige lausend junge Pflanzen, Nadel- und Laubholz, eingesügt, eine hübsche Kapelle mit anschließender Wandelhalle erbaut, in leicht erreichbarer Nähe der Kapelle auch eine ordentliche Bedürfnisanstalt errichtet und innerhalb des Friedhofs eine solide Schutzhütte erstellt und zahlreiche solide Sitzbänke angebracht. Ein stattliches Steinkreuz, das ein Gegenstück zur Kapelle bildet, gibt der Anlage eine ernste Note. Die schöne Anlage atmet in ihrer Ausgeglichenheit eine Ruhe und einen Frieden, der nie gestört werden möge. Möge die Jugend und das Alter sich stets des Ernstes dieser Stätte bewußt bleiben und dazu beitragen, daß das was hier durch große Opfer seitens der Stadt gesckaffen wurde, stets pfleglich behandelt wird und sauber erhalten bleibt!
— Hilfe für auswanver've Kranen «nd Miw-rrrn. Immer wieder macht man die bed"''kstche Erfahrung, daß answandernde Frauen und Mädchen ibre Reise in- Ausland antreten, ohne sich über die ihnen daher -"nwt'enden Gefahren und den Schutz, der ihnen aegcn i-'selben geboten wird, klar zu sein. So fallen sie ans den Bahnhöf-m, unterwegs und besonders in den Hafenstädten stets von neuem als ahnungslose Opf-w schlechten Menscben in die Hände. Es muß dah.r in der Osssentlichkeit unermüdlich auf die wichtige Arbeit der Auswanderers'»rsorge für Frauen und Mädchen, vor allem aus die Arbeit des Vereins der Trenn>i"ncn junger Mädchen hingewiesen werden. Dieser bietet allen nach dem Ausland reisenden Mädchen und Frauen völlig unentgeltlich seine Reisefürsorge an. Durch seine über ganz Deutschland verbreitete Bahnhofsmission und durch seine Schiffsmissirm in Hamburg und Bremen vermittelt er .Hilfeleistungen beim Nmsteigen und Nächtigen in fremden Städten, sowie sachdienlichen Rat in Hafenstädten und Begleitung bis aufs Schiss, ja zuverlässige Abholung im Ueberseehafen. Das Büro des Vereins, Stuttgart. Mo- serür. 12 (Babnhofsmission) übernimmt bei zeitiger Anfrage mündlich oder schriftlich unter Angabe der Abreise — Datum und Zeit von zu Hause, Angabe von Ankunft — Datum und Zeit in Hamburg und Bremen, sowie Angabe des Schiffsnamens, Auskunft und Anmeldung mit Erkennungszeichen.
* Klosterreichenbach. 21. Nov. (Ter Nachfolger des ff Dr. Hahn.) Gestern fand hier auf dem Rathaus die Wahl eines Arztes für den hiesigen Distrikt statt Unter 14 Bewerbern kamen 3 in die engere Wahl, aus welcher dann Dr. Mutschler als gewählt hcrvorging. Derselbe war seit dem Ableben des Herrn Dr. Hahn, wie auch schon früher wiederholt bei Urlaub und dergl. als Stellvertreter tätig.
* Möttlmgen, 21. Nov. (Goldene Hochzeit.) Am 19 November beging hier in aller Stille das Ehepaar Joh' Graze, Ortssteuerbeamter a. D., das Fest der goldenen Hochzeit. Der Jubilar ist 75, die Jubilarin 73 Jahre alt. Beide sind noch verhältnismäßig rüstig und führen noch selbständigen Haushalt.
Stnt-g^rt, 23. Nov. (Zu den Reichstagswahlen.) Im Ministerium des Innern trat der Kreiswahlansschuß zur Beschlußfassung über die zur Reichstagswahl eingereichten 11 . Kreiswahlvorsstlliqe der Sozialdemokratischen Partei, Teutschnationale VolkSvartei (Württ. Bürgerpartei), Zentrum. Kommunistische Partei, Deutsche Volkspartei (Nationalliberalei, Nationalsozialistische Freiheitsbewegung Groß-Deutschland (Völkischsozialer Block), Deutsch-Demokratische Partei, Wirtschaftliche Vereinigung des württ. Mittelstandes, Bauern- und Weingärtnerbund, Häußerbund und Frei-Wirtschafts- bund, zusammen. Es wurde beschlossen, den vierten Bewerber auf der Liste der Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung, Karl Gölz, zu streichen, da Zustinr- mungserklärung und Bescheinigung der Wählbarkeit des Bewerbers erst nach Fristablauf eingstroffen Maren. Im übrigen haben sich Beanstandungen nicht ergeben. Der Wahlleiter erörterte dann die Gründe für die vorläufige Nummerierung, die infolge der gesetzlichen Bestimmungen einige Lücken aufweist.
8 0. Geburtstag. Am 23. November beging Oekonomierat Karl Warth seinen 80. Geburtstag. 4g Jahre stand er im Dienst der Stadtverwaltung Stuttgart. Lange Jahre führte er den Vorsitz im Württ. Weinbauverein und im Württ. Obstbauverein, die ihn zum Ehrenmitglied und Ehrenvorstand ernannten. Ehrenmitglied ist er auch im Verschönerungsverein.
Freispruch. Das Schwurgericht hat den 55 Jahre alten verheirateten Polizei-Oberwachtmeister Jos. Hahn in Ludwigsburg, der in der Nacht auf 31. Juli im Hof einer Wirtschaft in Ludwigsburg den 41 Jahre alten kriegsinvaliden Arbeiter Eugen Augenstein durch einen scharfen Schuß aus seiner Tienstwaffe aus Notwehr tödlich verletzt hat, nach mehrstündiger Verhandlung freigesprochen.
Ueberfall. In der Nacht auf Donnerstag ist ein in Bernhausen wohnhafter Mann, der sich zu Fuß nach Hause begeben wollte, im Walde zwischen Stuttgart und Degerloch von einem Unbekannten überfallen, körperlich mißhandelt und seiner Barschaft in Höhe von etwa 900 Mark beraubt worden. Tie Kriminalpolizei hat als Täter dieses gemeinen Verbrechens den 42 Jahre alten ledigen Fuhrmann Paul Straif von Degerloch ermittelt und festgenommen. Straif, der schon mehrfach in Irrenanstalten untergebracht war, hatte das Geld im Stiefelrohr versteckt.
Castnstatt, 22. Nov. (Freispruch.) Mit einem bemerkenswerten Fall hatte sich das Stuttgarter Amtsgericht zu befassen. Ein Cannstatter Bürger , der auf der Rückkehr von der Jagd bei Uhlbach von einem Hund mittlerer Größe mit wütendem Gekläff angefallen wurde, hatte erst versucht, mit dem Gewehrkolben das Tier abzuwehren, das dadurch aber nur noch wütender wurde. Als auf seine Aufforderung an den Hundebesitzer das Tier nicht zurückgerusen wurde, lud er seine Waffe und gab eine Schrotladung auf das Tier ab, das alsbald tot zusammenbrach. Gegen den Jäger war nun Strafantrag gestellt worden wegen Zerstörung fremden Eigentums und Abschießens einer Feuerwaffe in der Nähe menschlicher Wohnungen. Ter Angeklagte machte unverschuldete Notwehr geltend und erzielte einen Freispruch.
Buntes Allerlei.
ep.-Au Jakob Bökmes Geburtstag. Am 17. November waren es 300 Jahre, seit in Görlitz ein einfacher Schuhmachermeister geworben ist, der auf das religiöse und noch mehr auf das phstosovhische Decken der europäischen Kulturwelt einen bedeutsamen Emfliiß auSgeübt hat. Es war Jakob Böhme, der Philoso- phus teutonicus, wie ihn einer seiner gelehrten Freunde nannte Im Jahr 1575 als Bauernsohn in M- Seidenberg bei Görlitz geboren, wegen weaen schwächlichen Körpers nicht zum Beruf des Vaters bestimmt, sondern in eine Schuhmacherlehre getan, fühlte Böhme iich dann auf einer Wanderschaft, bei Gebet und estri- ^gem Lesen der Bibel und der Schrift"« von Paracelsus, Schwenkfeld und andern Mtststkern über die Glaubens- streitiaksiten seiner Zeit erhoben, mit göttlichem Licht umfangen und ins höchste Frend-nrerih verseht Trotz keiner visionären Anlage hat er seine Vflichten als Geschäftsmann und Familienvater, nachdem er sich im Jahre 1599 häuslich in Görliz niedergelassen, ehrenvoll! erfüllt und es auch zu einem eigenen sch''^don- freien Hans gebracht. Im Jahr 1624 mußte er nach langiährigen Anfeindungen aus Görlitz wei-ben und begab sich nach Dresden, wo er am Hof und bei den Geistlichen sich hohes Ansehen erwarb; er starb aber bald nach Rückkehr nach Görlitz mit den Worten: „Nun fahr ich ins Paradies". Seine Lehre ist getragen von dem Bestreben aus einer Schau innerem ttlicher Voraänge, die Entstehung und Erlösung der Welt zu erfassen: bei allem Seltsamen und Verworrenen, das seine zahlreichen Schriften enthalten, ist doch ein tiefer religiöser Zug verbunden mit sittlichem Ernst unverkennbar. „Wie ist doch Gott allen Dingen so nah! lind doch begreift ihn kein Ding, es stehe ihm denn still und ergebe ihm den eigenen Willen. Dann wirkt er durch alles, gleich wie die Sonne durch alle Welt wirkt." Besonderes Verständnis hat Böhme in unserem Schwabenland gefunden. Tie religiösen Denker Oetii^ ger und Michael Hahn, die Philosophen Schelling und Hegel sind von seinen Gedanken tief beeinflußt; aber auch die deutschen Romantiker hat er angeregt und in England Bewunderer gesunden; auch in unserer Zeit wird er entsprechend einem vielfach fühlbare» Zug nach, Verinnerlichung wieder neu gewürdigt. ^