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Alteusteig, Dienstag Leu 22. Juli.
I Jahrgang 1924
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Politische Streiflichter.
! „Der bisherige Verlauf der Londoner Konferenz und die Lehren ihrer Vorgeschichte müssen den Realpolitiker aufs eindringlichste warnen, bei Keiner Stellungnahme zur Londoner Konferenz die Wehren von Versailles zu vergessen. Es gibt keine gemeinsamen Weltinteressen der Demokratie, es gibt nur nationale Interessen, die sich bei gesunden Völkern immer in den Vordergrund des Denkens und Handelns stellen, mag ihre Staatsform eine deino- rraüsche, mag sie eine andre sein. In Frankreich wie in England beobachten wir, daß die demokratischen Maatsmänner nur insoweit handlungsfähig sind, als sie mit denjenigen Kreisen übereinstimmen, die sie in Deutschland als nationalistisch zu verdächtigen und zu Nutz und Frommen des Auslandes dem deutschen Kolk als Verderber seiner Zukunft hinzustellen suchen. 8st nicht Poincare, der den Demokraten Herriot an dllzu sichtbaren Fäden lenkt, ein Nationalist, und Kaldwin, der die demokratischen Neigungen Macdo- dalds in den Schranken der englischen Traditionen hält, ein Konservativer? Man verlangt von uns, daß wir die nationalistischen Elemente des Auslandes über unser deutsches Schicksal bestimmen lassen, aber einen großen Teil der nationalen Kreise Deutschlands von dem Mitbestimmungsrecht ausschließen sollen. Wenn kür Deutsche uns gegen eine ausländische Zensur in der Heranziehung der am Staate interessierten Bevölkerungsschichten zur Regierung wehren, so hüten wir, nachdem wir das Märchen vom internationalen Zusammenwirken der Demokratie in Versailles und den auf diesen Zwangsvertrag folgenden fünf Jahren am eigenen Leibe kennen gelernt haben, unser vitales Recht, herriot vertritt in London Frankreich! und nicht die Demokratie. Er hat von seinem Standpunkt recht, er vertritt die Machtziele seiner Nation gegen den Rhein, die sie seit Jahrhunderten mit Gewalt gegen ein Volk, das schon seines innern Haderbedürfnisses wegen den äußeren Frieden wollte, durchzusetzen versucht hat. Ten Erfolg, den ihren Zielen Wider Erwarten die Unterstützung der Welt in Waffen gesichert hat, will sie nach dem Sieg mit militärischen und imperialistischen Mitteln erweitern. Wir billigen Herriot gern den guten Glauben zu, den er bei Uebernahme seines Amtes gehegt haben mag, daß er sich den imperialistischen und militaristischen Gewalttaten seines Landes rntgegenstellen könne, nicht etwa, um Deutschland Gerechtigkeit und Frieden zu bescheren, sondern um seinem kWnen Lande die innere Gesundheit und die Sicher- heit der Zukunft zu sichern. Bei dem guten Glauben hat es sein''Bewenden. Im realen Widerstreit der militärischen, wirtschaftlichen und politischen Rrch- »mgen Frankreichs scheiterte sein Idealismus. Die Besprechung in Cheauers war der letzte Ausfluß semes demokratischen Denkens, ab-r ihr Ergebnis erzwang Ün Pariser Damaskus" — so schreibt die „Köln. Ztg.
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.Dias Pariser Programm ist zur Grundlage der londoner Besprechungen gemacht worden. Tamrt ist bereits für Deutschland eine äußerst eindringliche Warnung vor allen Illusionen ausgesprochen. In diesem Pariser Programm hat Macdonald seinem Kollegen herriot die größten Konzessionen gemacht, weil er sonst mne schwere Gefährdung der an sich schon schwache Position der französischen Regierung und damit auch mne Gefährdung seiner Londoner Konferenz befürch- A mußte. Herriot hat erklärt, daß er mit Pmncare Eig darin übereinstimme, daß die Fristen zur Rau- , mung der besetzten Gebiete überhaupt noch nicht zu i Kufen begonnen haben. Von einer Räumung der Ruhr
war zwischen Mäcdonald und ^HedLISt kSlNe VW« .' Ebenso behält sich Herriot das Recht zu selbständigen neuen Einbrüchen vor. Auch die Eisenbahnen will er nicht freigeben, sondern der militärischen Kontrolle Frankreichs weiter unterstellen. Man bereist eigentlich nicht, was unter diesen Umständen !der Londoner Kongreß noch für einen Zweck hat. Frankreich hat das Gutachten, wenn es bei diesen Entschlüssen bleiben sollte, zerrissen, und Herriot hätte bewiesen, daß er zu schwach ist, eine Politik der Verständigung einzuschlagen. Auch der famose Beschluß der Reparationskommission, wonach unter anderem die 800-MiMonen- Anleihe erst voll gezeichnet sein müßte, ehe von einer „Ausführung" des Sachverständigenplans gesprochen werden könne, bedeutet die bewußte Sabotage des Tawes-Gutachtens. Tenn es ist, wie selbst das englische Mitglied dieser Kommission, Bradburh, ausführte, natürlich nicht mit der vollen Aufbringung dieser Anleihe zu rechnen, wenn nicht zuvor die wirtschaftliche Einheit des Deutschen Reiches wiederhergestellt ist. Man sieht hier deutlich, welche Pläne Frankreich mit der Wiederbelebung jener Kommission
' beabsichtigt hat.
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Nach der über Sonntag eingetretenen Wendung in London ist man in Frankreich hochbefriedigt, ja man frohlockt. Tie Einigung über die Sanktionen ist verschachert, denn Frankreich kann nach wie vor Sonder- aktionen vornehmen, nur darf der Zinsendienst für die 800-Millionen-Anleihe nicht gefährdet werden. Für !30 Millionen Anleihezinsen — soviel hat Deutschland jährlich für die kommende Anleihe zum mindesten auszubringen — wurde die Garantie verschachert, die der Dawesplan dem geknebelten Deutschland geben wollte. Tie Amerikaner zeigen sich lediglich vom Geld sackstandpunkt aus. Gebt uns Zinsen — dann erhaltet ihr Sanktionen! Das war der Leitstern der amerikanischen Vertreter. Deshalb haben sie mehr Herriot als Macdonald unterstützt. Ter „Manchester Guardian" schrieb dieser Tage: „Deutschland ist zur Annahme des Tavesplanes bereit, aber es meint wirklich jden Dawesplan und nicht eine fein erdachte Verrenkung desselben." Unter diesen Umständen werden die deutschen Vertreter, die noch in dieser Woche nach London sollen, vor eine schwere Aufgabe gestellt. Denn ohne Räumung des Ruhrgebiets und ohne Sicherungen für Deutschland, wird tm Reichstag keine Mehrheit für den Sachverständigenplan zu finden sein. Das Organ Stresemanns „Zeit" l schreibt zu dem neuesten Londoner Kompromiß: „Eine derartige grundsätzliche Anerkennung der Gebiets-Sank- z tionen wäre Kr die deutsche Auffassung schlechterdings Unannehmbar. Es ist ferner äußerst bedenklich, daß,
der Vorschlag itM mehr zum Ausdruck «ringt, daß nach Feststellung deutscher Verfehlungen Sanktionen gegen Deutschland nur von allen Verbündeten gemeinsam beschlossen werden dürfen. Dadurch wird die These Herriots anerkannt, wonach Frankreich seine Handlungsfreiheit behält, wenn eine Verständigung der Verbündeten nicht erzielt wird. Tie behandelten Fragen sind von solcher Bedeutung, daß sie die Oeffent-- lichkeit in hohem Maße bewegen müssen, da von der entgültigen Entscheidung dieser Punkte auch die Stev- lnng der deutschen Regierung zum Sachverständigengutachten mit beeinflußt wird."
Londoner Kompromisse.
Die Einigung in der Sanktionsfrage.
London, 21. Juli. Heber den Stand der Arbeiten des erste» Konferenzausschusses berichtet der „Observer", daß der erste Konferenzausschutz seine Beratung beendet hat und im Stande ist, der Konferenz einen einstimmigen Bericht zn unterbreiten.. Er habe Houngs Vorschläge finanzieller anstelle politischer Garantien für die Inhaber der Bonds angenommen und beschlossen, daß im Falle der Erklärung eines dentschen Verzugs der Generalagent für die Reparationszahlungen und ein Vertreter der Bondsinhaber befragt werden solle«, bevor Sanktionen ergriffen werde». Durch diese Entscheidung sei die britische Delegation vollauf befriedigt worden. Der Ausschuß habe ferner beschlossen, daß zur Verwirklichung des Dawesberichts keiner der Alliierten in keinem Fall besondere Sanktionen ergreifen darf, während jeder der Alliierten für alle Angelegenheiten, die außerhalb des Dawesplanes liegen, seine ihm durch die Artikel 17 und 18 des Anhangs des Versailler Vertrags gegebenen Rechte voll behält. — Der Berichterstatter bemerkt dazu, es sei nicht wahrscheinlich, daß außerhalb des Dawesplanes eine Lage entstehen werde, die die Reparationen in Mitleidenschaft ziehen werde, weshalb die getändene Lösung des strittigen Punktes besriediOoyd soi. .
Paris, 21. Juli. Der „Temps" erblickt in dem abgeschlossenen Kompromiß in der Frage der Verfehlungen und der. Sanktionen vier Vorteile. Es verhindere vor allem de» Zusammenbruch der Konferenz, also auch den Zusammenbruch des Dawesplanes. Es führe die Vereinigten Staaten wieder an die Seite der Alliierten und es enthalte ein« allgemeine Verpflichtung der Alliierten, die sich das Versprechen gaben, gemeinsam und rasch wirkungsvolle Sanktionen zu ergreifen, um jeder Verfehlung Deutschlands z» begegnen. -
Die Räumungsfrage.
London, 21 Juli. Heber die Arbeiten der zweiten Kommission (Freigabe der Pfänder) meldet der Berichterstatter: Diese Arbeiten bilden jetzt die wichtigste Aufgabe. Zunächst hat der französische Sachverständige Seydoux de« französisch-belgischen PlN« entwickelt, gegen den die englischen Sachverständigen mehrere Einwendungen erhoben haben. Hierbei hat es sich in der Hauptsache um den Zeitpunkt gehandelt, «« dem das Sachverständigenprogramm in Kraft trete» soll. Eine weitere Schwierigkeit ist in der zweiten Kommission im Zusammenhang mit der Rückerstattung der rheinischem Eisenbahnen an Deutschland aufgetreten. Der Oberbefehlshaber der englischen Besatzungstruppen im Rheinland, General Eodley, hat sich gegen das französisch-belgische System ausgesprochen, das die Beibehaltung von 3000 französischen und 1000 belgischen Eisenbahnern im Dienste der Reichseisenbahngesellschaft für die drei sira- !tegi>chm Strecken Aachen—Krefeld, Trier—Koblenz und Trier—Mainz vorsieht. General Godley trat für die restlose Wicderanwendung der Rheinlandakte ein. Es werden also neue Verhandlungen zwischen den französischen und ^englischen Sachverständigen nötig sein.
> Paris, 21. Juli. Wie der Sonderberichterstatter von Havas aus London meldet, hat der Unterausschuß der zweiten Kommission, der sich mit der Frage der Wiederher«, KSnng d«r wirtschaftliche« Freiheit Deutschlands beschäf-, tigt, Sitzungen abgehalten. Der Berichterstater will wissen, daß sich eine Annäherung des französisch-belgischen Standpunktes an den britischen Standpunkt in der Frag« der wirtschaftlichen Räumung des Ruhrgcbiets bemerkbar macht«.
Ein grundsätzlicher Beschluß der zweiten Kommission bezüglich Pfänderfreigabe.
WTB. Paris, 21. Juli. Nach dem Londoner Sonderberichterstatter der Havasagentur ist der Unterausschuß der zweiten Kommission (Freigabe der -Pfänder) heute Vormittag in längerer Sitzung zu folgendem grundsätzlichen Beschluß gekommen: Deutschland hat zunächst fünf Bedingungen zu erfüllen, von denen die Reparationskommission in ihrem Beschluß vom 15. Juli die Feststellung abhängig gemacht har, daß der Sachverständigenplan als ausführbar zu betrachten sei. Die Alliierten haben sich für diesen Fall auf folgendes geeinigt: 1.) Die deutschen Behörden werden wieder in ihren Funktionen eingesetzt, die sie hinsichtlich der Steuer und Zollerhebung in den z. Zt. besetzten Gebieten vor dem 1. Januar 1923 erfüllt haben. Diese Wiedereinsetzung hat im Rahmen des Versailler Vertrags durch eine Entscheidung der Rheinlandkommission und entsprechend den Bedingungen des Sachverständigenberichts zu erfolgen. 2.) Die von den französisch-belgischen Behörden beschlagnahmten Bergwerke, Kokereien und industriellen Betriebe werden zurückerstattet. 3.) Die Micum wird zurückgezogen. 4.) Der Personenverkehr wird wieder hergestellt und die requirierten Güter werden zurückerstattet.
Neues vom Tage.
" Aus den Reichstagsausschüsse«.
Berlin, 21. Juli. Der Rechtsansschnß des Reichstags stimmte dem Anträge seines Unterausschusses ans Einführung der Wiederaufnahme des Verfahrens gegenüber den Urteilen der bayerischen Volksgerichte zu. Der Haushaltsausschuß des Reichstags beschäftigte sich mit der Frage der Erwerbslosenfürsorge. Auf Antrag des Zentrums und der Bayerischen Volkspartei wurde eine OOprozentige Erhöhung der Familienzuschlage beschlossen.
Die Rücknahme der Ausweisungsbefehle gilt nicht für das altbesetzte Gebiet.
Düsseldorf, 21. Juli. Die Verfügung des Generals De- goutte, nach der alle Ausweisungsbefehle bis auf die na«