Amtsblatt für den Bezirk Nagold und für Altensteig-Stadt. Allgemeiner Anzeiger für die Bezirke Nagold, Lalw und Freudenstadt
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238.
Altenfteig, Samstag den 7. Oktober.
Jahrgang 1V22
SonnLagsgedanken.
- Unvergäuglichkcit.
Es kann traurig stimmen, wenn man das ewig> lvogende Aus und Ab in der Natur sieht: den Frühling mit seinem nicht endenwollenden Blühen, der den Tod zu verhöhnen scheint — und wie auf ihn eben doch der Herbst folgt, der die Natur ersterben läßt, ohne daß alle Blüten eine Frucht getragen hätten. Das ist ein Abbild des Menschenlebens. Wir müßten drob verzweifeln, daß der Tod uns wegrasft, wo doch so viele Keime in uns auf Erden keine Frucht getragen haben, wenn wir nicht den Glauben an ein ewiges Leben hätten, das die Entfaltung aller in uns liegenden Entwicklungsmöglichkeiten gewährt.
Prof. H. Lang.
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Zirm Sonntag.
Wintersorgen erheben immer mächtiger ihr Haupt. Viele wissen nicht, wie sie diesmal durchkommen sollen. Tag und Nacht quält sie der Gedanke an kommenden Hunger und Kälte. — Was soll man dazu sagen? — Von schönen Worten wird niemand satt, fromme Redensarten geben nicht warm. Wir sagen bloß das eine auch angesichts dieser furchtbaren Not: Vergesset das Wort nicht: „Größer als der Helfer ist die Not ja nicht!" Lasset euch aber zugleich fragen: Habt ihr schon einmal ganzen Ernst damit gemacht, euren Gott in allem walten zu lassen, ohne daß ihr ihm ins Wort oder in den Arm gefallen wäret, weil ihr es noch besser zu verstehen meintet als Er? Darum handelt es sich! Wie wollen wir seinen Hirtenstab fassen, wenn wir unseren eigenen zerbrechlichen Stecken nicht fallen lassen? Daß wir uns doch durch die furchtbare Not vor Gott innerlich arm machen ließen, damit uns Gott reich machen kann. Auch reich an genügsamer Dankbarkeit und gegenseitiger Hilfsbereitschaft. So wird er uns nicht verlassen noch versäumen. M. St.
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Zur Lage.
Der Herbst zieht über das deutsche Land mit trüben Nebeltagen und Regengüssen ohne Ende, die letzten Hoffnungen des Landwirts auf das Einbringen der verzögerten Ernte vernichtend. In den Höhenlagen der Alb und des Schwarzwalds steht immer noch Haber und Oehmd auf dem Feld, und allüberall hat man Sorge um die Kartoffeln, die bei der nassen Witterung der Fäulnis zu verfallen drohen. Aussaat, Wein- und Obsternte sind gleichermaßen erschwert und gefährdet. Tie Frage der Volks- ernährung für das laufende Wirtschaftsjahr und den kommenden Winter ist zum wichtigsten Problem unserer gesamten Innenpolitik geworden. Tie Regierung hat bereits eine Reihe von Maßnahmen getroffen, die die Ernährung sichern sollen. Sie betreffen das Verbot der Verarbeitung von Obst, Kartoffeln und Getreide zu Schnaps und alkoholischen Getränken, die Zuckerversorgung und anderes. Um das „tägliche" Brot werden sich in den kommenden Wochen bittere Kämpfe abspielen, die aus das politische Gebiet Hinüberstreifen. Unter dem Druck der grenzenlosen Teuerung mußte der Preis für das erste Drittel des Umlagegetreides verdreifacht werden. Eine weitere Niedrighaltung des Getreidepreises hätte die Landwirte veranlaßt, vom Getreidebau zum Futterbau überzugehen, also hemmend für die Produktion gewirkt. Ueber die Höhe des Getreidepreises soll der Reichstag in der dritten Oktoberwochc entscheiden. Auf sozialistischer Seite ist man bestrebt, mit Rücksicht auf die Notlage weitester Volkskreise die Preise unter den Produktionskosten zu halten, während Reichsregierung und bürgerliche Parteien eine angemessene Produktionskostenberechnung und Berücksichtigung der Geldentwertung erstreben. Tie Ursache dieser Brotnot liegt letzten Endes in unseren trostlosen Finanzverhältnisscn, unserer Geldentwertung, die es unmöglich macht, das deutsche Volk mit Auslandsge- trcide so zu versorgen, daß der Hunger gebannt wird. Im Lause des Winters muß bei fortschreitender Geldentwertung der zwei Pfundlaib markenfreies Brot auf 100 Mark und darüber kommen. Tie Verbilligung des Brotes durch das Reich für die minderbemittelten Kreise hat hwerzeik die Entente untersagt. Ob sie in neuen Verhandlungen mehr Entgegenkommen beweist, steht noch -ahin. Auch die für 15. Oktober in Kraft tretende Be- ksenzung des Markenbrotes auf eine gewisse Einkommens- üobe dürste keine fühlbare Erleickteruna in der Brotver
sorgung bringen. So meldet sich als der fühlbarste Ausdruck unserer Armut und des Versailler Erdrvsfelungs- diktats der deutsche Hunger mitten in der Erntezeit des Jahres. Ja es rst Herbst geworden, das deutsche Sterben beginnt...
Tas Fieberthernwvreter der deutschen Wirtschaft, der Dollarkurs ist Wied ^ rm Steigen. Balutaelend, Kreditnot, Geldknappheit trotz der Tag und Nacht arbeitenden Geldpapierdruckmaschinen, wahnsinnige Teuerung, Preisrevolution und Wucherunwesen, das alles sind die Erscheinungen eines kranken Wirtschaftskörpers, eines Zerfalls von rasten, einer sozialen Umwälzung, die zur Proletarisierung des Mittelstands führt. Wir zehren vom Marl des deutschen Wirtschaftskörpers, werden täglich ärmer, schränken unsere Lebenshaltung immer mehr ein und sehen kein Ende einer Entwicklung, die zum völligen Zerfall führen kann. Tie Reichsindexziffer für die Lebenshaltungskosten (Ernährung, Heizung, Beleuchtung und Wohnung) stieg im September auf 11376 gegenüber 7029 im August. Tie Tarife bei der Eisenbahn werden im Güterverkehr am 15. Oktober um 60 Prozent, im Personenverkehr am 1. November um 100 Pwzeuh am 1. Dezember um wettere 50 Prozent gesteigert und auf 1. Januar sollen sie auf das Hundertfache Friedenspreise erhöht werden. Rene erhöhte Kohlenpreise zehen damit Hand in Hand. Die Station Oesterreich haben wir nahezu erreichst, dahinter grinst das Gespenst Sowjetrußland mit Hungersnot, Bürgerkrieg und Wahnsinn. Wird es gelingen, dieser Entwicklung Einhalt zu tun? Solange die Fände im Westen keine Vernunft an- grhmen und solange das deutsche Voll nicht aus seiner Zerrissenheit und Uneinigkeit herauskommt und sich zu rettenden Taten in einer Volks- und Notgemeinschaft besinnt, gibt es kein Halten auf der schiefen Ebene des Abrutsches ins Elend. Bis aufs Mut ziehen uns die Fronvögte am Rhein aus. De« Mitgliedern der feindlichen Kontrollkommissionen hat die Bvtschafterkonferenz die Bezüge, die das Deutsche Reich bezahlen muß, auf das Dreifache erhöht, so daß selbst der französische Unteroffizier auf eine Million Mark im Jahr kommt, während die höheren feindlichen Offiziere durchweg mit 3 Millionen sich „begnügen" müssen. Und die Rheinlandtruppen haben nach einem französischen Watt auf Reparationskosten eine Weinrechnung von einige« hundert Millionen Reichsmark hinterlassen. Das Ht nichts anderes als Krieg in anderer Form. Wo Amben die verantwortlichen Männer im Reich die all dieses — es könnten ganze Berge dieser Schandwirtschast der Welt vorgezeigt werden — dem deutschen Volk vor Augen führen, eine Rechnung immer und immer wieder aufmachen, was uns täglich mW stündlich aus bloßem Uebermut, auf reiner Wernichtungswut mitten im „Frieden" geraubt wird? Oder hat man sich so auf „Erfüllungspolitik" eingestellt, daß man glaubt, mit Papiwnilliouen gut Wetter machen zu können?
Gewiß hat der Reichskanzler dieser Tage endlich einmal die FrcM der Schuld am Krieg auf Grund neuer Veröffentlichungen aufs Tapet gebracht und Frankreichs bösen Willen erneut sestgeftellt. Das Echo aus Frankreich auf diese Klarlegung war, wie zu erwarten, ein recht herbes. Nachdem man in der Orientkrise etwas Ruhe hä, droht fast die ganze französische Presse, jetzt mühten erneut die Reparattonsfragen behandelt und Gewaltmaßnahmen gefordert werden. Tie Frage der Schuld am Krreg weist man durch tue deutsche lütter schrift in Versailles als geklärt zurück. Und doch hat das neue Kaiser- buch, dessen Veröffentlichung noch immer weitergeht, zur Schuldfrage unzweideutige Darstellungen gebracht, die Poincare veranlassen, dazu eine Broschüre zu schreiben.
Ter frühere britische Schatzkanzler Mac Kenna hat sich bei der Zusammenkunft der Vertreter der amerikanischen Bankiers in Neuyork über die Reparationssrag« in höchst bedeutsamer Weise ausgesprochen, so deutlich, daß man es auch in Paris verstehen müßte. Au keiner Zeit seien Deutschlands Neberschüsse genügend gewesen, um die Zahlungsbedingungen des Londoner Ultimatums zu erfüllen. Daß Deutschland dies jetzt tun könnte, sei völlig ausgeschlossen. Keine Regierung könne bei der heutige« Lage Deutschlands einen zwangsweisen Verkauf dm deutschen Sachwerte durchsetzen. Eine Vorbedingung für das Aushalten des Marffturzes sei, daß lange Zeit nichts mehr von Deutschland verlangt werde. Nur eine freie
nis von Deutschlands Zahlungsunfähigkeit in den ausländischen Wirtschafts- und Finanzkrcisen immer mehr durchdringt) nur nicht in Frankreich, das ganz im Banne der Gewaltpolitik Poincares steht. So läuft die Reparationsfrage als Grundübel unseres Elends fest auf dem Gleise der französischen Politik. Die Ernennung de- französischen Justizministers Barthou, eines Gesinnungsgenossen Poincares, zum Vorsitzenden der Reparationskommission läßt für die Zukunft nichts Gutes erhoffen. Auch die Aeußerungen des französischen Finanzministers de Lasteyrie in der Pariser Handelskammer, dex behauptete, die Deutschen hätten noch keinerlei Zahlung auf das Reparationskonto geleistet, Deutschland ziehe es vor, Bankerott zu machen, statt seine Verpflichtungen zu erfüllen, gehören in den Rahmen dieser Politik. Auf der Konferenz in Brüssel soll das Reparationsproblem gelöst werden. Darob wird aber das Jahr verstreichen — und die Lösung nicht gefunden sein, zumal Amerika immer deutlicher zu erkennen gibt, daß es auf seine Forderungen an die Alliierten nicht verzichtet, also die Verbandsschulden keine Minderung erfahren. England macht unterdessen die stärksten Anstrengungen, seine Verpflichtungen an Amerika abzutragen.
Trotz der Schwere der Zeit soll der innerpolitische Kamps erneut entbrennen: Auf 3. Dezember ist die W ah l des Reichspräsidenten vorgesehen, um das seitherige Provisorium zu beseitigen. Wenn man die Presse der Koalitionsparteien recht zu lesen versteht, so unterliegt es keinem Zweifel, daß der bisherige Reichspräsident Ebert die meisten Aussichten hat, gewählt zu werden. Ob der Zeitpunkt der Wahl wirklich zweckmäßig ist angesichts der wirtschaftlichen und außenpolitischen Lage, erscheint sehr fraglich. — Zwei große politische Prozesse werden auch weiterhin das Interesse der Oesfentlichkeit in Anspruch nehmen: der Rathenau-Mvrdprozeß vor dem Staatsgerichtshof in Leipzig, der nach dem Mschluß des Verhörs der 13 Angeklagten vertagt ist und der Fechenbach-Prozeß in München, wobei es sich um Landesverrat aus der Zeit Eisners handelt.
Die Weltpolitik dieser Woche stand im Zeichen der Orientkrise, zu deren Beilegung die Konferenz in Mudama beitragen soll. Sie scheint aber noch nicht einmal recht begonnen zu haben, zumal die Griechen sich bisher nicht einfanden. Zum Wochenschluß wird die Lage im Orient wieder pessimistisch beurteilt. England rüstet weiter, die Türken beachten nicht die neutrale Zone und in MunÜania kommt mau über die Festlegung eines Programms nicht hinaus.
Neues vom Tage.
schuften festsetzen. Man sieht also erneut, daß. die Erkeunt-
2ns ^eudgerichisgesetz.
Berkin, 6. Okt. Der Reichsrat hat den Entwurfs eines Jugendgerichtsgesetzes nach den Ausschußbeschlüs- fen angenommen. Der Entwurf setzt die Altersgrenze für die Strafmündigkeit vom zwölften auf das vierzehnte Lebensjahr hinauf. Nicht strafbar ist aber auch ein Jugendlicher, der näch erreichter Strafmün» digkeit aber vor Vollendung seines achtzehnten Lebensjahres eine Straftat begeht, wenn er zur Zeit der Tat «och dem Grade seiner geistigen oder sittlichen Entwickelung unfähig war, das Ungesetzliche der Tat einzusehen, oder seinen Willen dieser Einsicht gemäß zu bestimmen. Für Personen, die zwischen dem zwölften und achtzehnten Lebensjahr eine Straftat begehen. Wird der Grundsatz aufgestellt, daß das Gericht zwischen Strafe und Erziehung wählen und eventuell beide nebeneinander anordnen kann.
Wi-Scr eine Kanzlerredc.
Konstanz, 6. Okt. Gestern abend waren Vertreter der hiesigen Behörden, sowie Abgeordnete des Reichsund Landtaas aus dem Bezirk Konstanz im Insel- Hotel vom Reichskanzler Dr. Wirth, der am Bodensee seinen Urlaub verbringt, zu Gaste geladen. Nach einer Begrüßungsansprache durch den Oberbürgermeister hielt der Reichskanzler eine längere Rede. Er be- zeichnete es als Hauptaufgabe der deutschen Politik der letzten Jahre, die Einheit des Reiches zu retten. Tas kei gelungen. Tie Atmosphäre des Hasses schwinde von Jahr zu Jahr-. Das Reparationsvroblem sei heute in ganz andere Bahnen gelenkt als zu Anfang. Der Reichskanzler rechtfertigte die deutsche Politik. Auch eine andere Parteikonstellation könne keine andere Politik treiben. Der Kanzler sagte weiter, kein Stand könne allein das deutsche Volk retten. Tas D*nze Volk müsse mithelfen. Nach dem Zusammenbruck liabe mckt die Parole Geltuna ..Redublik oder