Ter Fall Burger.
Heilbronn, 3. Sept. Ter Konkurs Burger ist nun, wie gestern kurz gemeldet, doch zustande gekommen. Laut Eröffnungsanzeige wurde zum Konkursverwalter Bezirksnotar Schneider bestellt; Konkursforderungen sind bis zum 22. September anzumelden, Prüfungstermin ist der 30. September. Es ist sicher, daß die Forderungen, wenn sie alle zur Anmeldung kommen, weit über 200 000 ^ betragen werden, worein sich etwa 100 Personen zu teilen haben, die meisten mit Beträgen von 1500—2000 etliche aber auch mit ansehnlicheren Summen. Burger hat seine Spekulationen in der Hauptsache durch einen Berliner „Bankier" namens Frankl betrieben, von dessen Qualität man einen ungefähren Begriff bekommt, wenn man hört, daß er vor einigen Wochen wegen Schwindeleien verhaftet worden ist. Der Berliner Börsenkurier berichtete nämlich unterm 15. August, „daß der Animierbankier Frankl wegen großer Schwindeleien verhaftet worden ist; u. a. hat er einen Referendar um 55 000 betrogen." Und mit diesem hat Burger umfangreiche Geschäfte gemacht, woraus sich das Verschwinden der großen Summe ohne Weiteres erklärt. Burger war seit 15. Mai 1882 im Dienste der Stadt Heilbronn, also über 31 Jahre, und damit der drittälteste Beanite der Stadt. — Zu der Affäre Burger schreibt die Neckarzeitung unter anderem: Burgers Spekulationen waren seit Jahren in Heilbronn bei vielen Stellen — und nicht bloß bei Banken — bekannt, es war ihm, wie uns versichert wird, darüber auch schon von der ihm Vorgesetzten Stelle vermahnender und warnender Vorhalt gemacht worden, aber ohne Erfolg. Er hatte sich völlig verrannt in den Glauben, daß es ihm doch noch glücken müsse — das ist der Glaube aller Spekulanten, und ebenso sicher teilte er in der Folge auch deren Schicksal: völliger finanzieller Zusammenbruch, wenn nicht noch mehr: Lug und Betrug und Unterschlagung fremder Gelder. Dieses Schicksal hat sich an ihm in geradezu erschreckender Weise erfüllt. Als seine eigenen Gelder den Spekulationen zum Opfer gefallen waren, ging er an Freunde und Bekannte mit dem Ersuchen um Darlehen; meist waren es 1500 Zl; später auch mehr, die er sich ausbat und angesichts seiner Stellung auch erhielt. Er stützte diese Anleihegesuche, die er allmählich zu einem völligen System ausbreitete, schließlich auf die gewagtesten und unwahrsten Behauptungen. Man möchte fast glauben, daß Burger seine mißliche Gesamtlage selbst nicht recht überschaut hat. Darauf möchten wir auch die Tatsache zurückführen, daß er nicht sofort, als die Sache zum Zusammenbruch kam, und als sein Urlaub ih mverlängert wurde, das Weite gesucht, sondern bis zum letzten Augenblick sich an die Hoffnung einer Rettung geklammert hat. Ein solcher Optimismus ist gerade bei einem Mann nicht zu begreifen, der doch im Finanzwesen Bescheid mußte. Daß die sämtlichen Kassen, die Burger für die Stadt in Verwaltung hatte, in Ordnung sind, ist ja erfreulich. Sehr bedauerlich ist dagegen, daß unter den privaten Geschädigten auch viele sind, die um ihre Altersriicklagen oder sonst um sauer Erspartes kommen, und darin offenbart sich die gemeine Gesinnung, die eine Begleiterscheinung solcher wilder Spekulationswut ist, daß ohne Unterschied alles diesem Moloch geopfert wird, was erreichbar ist.
Einkommensverhältnisse in Württemberg.
Die Sonderstatistik auf Grund einer Zndividual- erhebung aus den Einkommensteuerlisten auf 1. April 1910 hat ergeben, daß im ganzen Lande an Reinerträgen ermittelt wurden 1 290 344 118 Zl, welche nach Abzug der angemeldeten Schuldzinsen von 87 843 729 Zl ein steuerbares Einkommen von 1185 875 952 -R mit
einer Steuer für den Staat von 19 155 504 oll ergeben. An der Landessumme von 1 185 875 952 partizipiert die Landwirtschaft mit 202162 560 oll, die Forstwirtschaft mit 3 719 692 oll, der Gebäudebesitz mit 11 215183 Mark, das Gewerbe mit 220 998 756 oll, Angestellte, Arbeiter und freie Berufe mit 536 688 928 oll und die Träger von Mischeinkommen, d. h. Einkommensteuer- pflichtige ohne eine Einkommensquelle mit mindestens 60 der gesamten Quellenerträge mit 103 819 061 oll. Die Haupt- und Residenzstadt Stuttgart lieferte zu der Landessumme 281 918 515 oll, wovon entfallen auf Landwirtschaft 1 105 032 oll, Forstwirtschaft 18 473 oll, Ee- bäudebesitz 7 461 015 oll, Gewerbe 61 567 468 oll, Kapitale und Renten 49 179 951 oll, Angestellte, Arbeiter und freie Berufe 143 749 929 oll, Mischeinkommen 18 836 647 oll. Von den Landeskreisen steht der Neckarkreis eben wegen Eroß-Stuttgart mit 539 248127 -ll obenan, ihm folgt der Donaukreis mit 261 970 307 oll, dann der Schwarzwaldkreis mit 223 615 282 oll und zuletzt der Jagstkreis mit 161 042 236 oll steuerbarem Einkommen.
Stuttgart, 3. Sept. Durch Beschluß des Reichstags ist, wie erinnerlich, die Stelle des Gouverneurs in Stuttgart ab 1. Oktober aufgehoben worden. Die Geschäfte des Kommandanten von Stuttgart gehen nunmehr an den Inspekteur der Landwehrinspektion Stuttgart über.
Cannstatt, 3. Sept. Auf dem Wasen fand heute die Versteigerung der Plätze für Schaubuden und Karussells über das diesjährige Volksfest statt. Die Plätze auf der Neckarseite waren wieder sehr begehrt. Man bezahlte für den laufenden Meter bis zu 65 .>//,. Ein Kinobesitzer legte über 2000 ,>//. an. Für 19 Plätze auf der Neckarseite wurden allein über 15 000 Mark erlöst. Zur Versteigerung kamen über 50 Plätze. — Da der Verkehr auf dem Festplatz sich immer mehr steigert, sind die Feststraßen breiter gemacht worden.
Eßlingen, 3. Sept. Die sechs Metzgermeister haben an den Gcmeinderat ein Gesuch gerichtet, in dem sie ihn um Vermittlung in den zwischen ihnen und der Metzgergenossenschaft bereits seit 2 Jahren bestehenden Differenzen ersuchen. Der Inhalt des Gesuchs deckt sich im wesentlichen mit dem, was wir bereits berichtet haben. Die Metzgermeister, von denen verlangt wird, daß sie nicht mehr an Mitglieder von Vereinigungen Rabatt gewähren, andernfalls sie von der Metzgergenossenschaft ausgeschlossen werden, stehen auf dem Standpunkt, daß die ihnen von der Genossenschaft zu teil gewordene Behandlung gegen die guten Sitten verstoße. Sie seien zusammen mit 24 000 oll! an der Genossenschaft beteiligt. Das neue Statut der Genossenschaft enthält den Passus, daß jeder einzelne Genossenschaftler nur mit einem Vermögensteil von 2 oll! in das Vereinsregister ausgenommen ist und der Austretende soll seinen Geschäftsanteil von 2 oll. zurück erhalten. Es käme demnach für die Betreffenden bei ihrem Austritt bezw. Ausschluß aus der Genossenschaft ein bedeutender finanzieller Nachteil in Betracht.
Tübingen, 3. September. Heute früh wurde bei Schwärzloch der Amtsrichter Fritz Oesterlen aus Balingen erschossen aufgefunden. Die Leiche scheint schon 2 bis 3 Tage an dem Platz gelegen zu haben. Es liegt wahrscheinlich Selbstmord vor.
Göppingen, 3. September. Von sozialdemokratischer Seite wurde kürzlich auf Grund der vom städt. Arbeitsamt bekannt gegebenen Zahlen über die Arbeitsvermittlung in Göppingen, wornach auf 100 offene Stellen im Monat Juli d. Js. 242 männliche und 60 weibliche Arbeitsuchende kommen sollten, von einer steigenden Arbeitslosigkeit in Göppingen gesprochen und die Inangriffnahme von Notstandarbeiten ge
fordert. Der Jndustrieverband für Göppingen und Umgebung hat daraufhin bei seinen Mitgliedern durch Rundfrage festgestellt, wie hoch sich die Zahl der in den letzten vier Wochen erfolgten etwaigen Entlassungen und Neueinstellungen von Arbeitern beläuft. Nach dem jetzt vorliegenden Ergebnis der Rundfrage erfolgten in den in Betracht kommenden 78 Firmen indenletztenvierWochenmehralsdop- peltsovielNeueinstellungenalsEntlassun- g e n. 174 entlassenen Arbeitern stehen 426 neueingestellte gegenüber; außerdem können aber noch rund 160 brauchbare Arbeitskräfte, darunter 65 männliche und 58 weibliche gelernte und 36 ungelernte Arbeitskräfte neu eingestellt werden. Auch im Baugewerbe ist die Zahl der Eingestellten größer als die der Entlassenen; während in den letzten vier Wochen 60 Arbeiter entlassen wurden, sind rund 100 neu eingestellt worden. Von einer Arbeitslosigkeit kann also gar keine Rede sein. Die vom Arbeitsamt angegebene hohe Zahl der Arbeitsuchenden ist in der Hauptsache auf die große Zahl der Zugereisten und Durchreisenden, die für ständige Arbeit meist garnicht in Betracht kommen, zurückzuführen.
A«» Welt u«d Zelt.
Das Submissionswesen.
In der gestrigen Nr. ds. Bl. war in dem Bericht über den Allgemeinen Deutschen Jnnungs- und Handwerkertag von einem Vortrag die Rede, den der bekannte Berliner Obermeister Rahard über das Submissionswesen hielt, wo dieser seine auf dem Handwerkertag in Halle aufgestellten Behauptung» über die Mißstände im Verdingungswesen durch Beibringung von tatsächlichem Material bekräftigte. Diesem Vortrag seien nachstehende Ausführungen entnommen: Obermeister Rahard begann. „Als ich auf dem Handwerkertag in Halle die Mißstände im Verdingungswesen schilderte, erklärte die Norddeutsche Allgemeine Zeitung, daß ich übertrieben hätte. Ich muß daher jetzt Nachweisen, wie berechtigt meine Ausführungen waren." Der Redner verweist nun darauf, daß verschiedene Minister, insbesondere Herr v. Breitenbach, in Erlassen die Wünsche der Handwerkerorganisationen als maßgebend festgestellt haben, daß sich aber die untergeordneten Beamten nicht daran halten. So z. B. trägt der Redner eine große Reihe von Fällen vor, wonach die von dem Minister verlangte Zuziehung von Sachverständigen durch die Behörden nicht erfolgt ist, wonach die Zerlegung der Vergebungen in kleine Lose unterblieben ist, und wonach immer wieder das niedrigste Angebot berücksichtigt wird und häufig Generalunternehmer die ganzen Lieferungen unter Umgehung des Handwerks bekommen. Er trägt solche Fälle vor, u. a. aus Glei- witz, aus Sorau, Saarbrücken, Halberstadt, Magdeburg, aus dem Riesengebirge usw. Der Redner fügt daran folgende Bemerkungen: „Die Minister und die Parlamente haben endlich unfern Wünschen Rechnung getragen. Was nützt uns das aber, wenn die untergeordneten Beamten sich nicht daran halten. Wenn man das ganze Handwerk auf diese Weise ausnützt und aussaugt, dann bedeutet das einfach Agitation für die Sozialdemokratie. Man schädigt damit ja doch nur diejenigen Kreise, auf die sich die heutige Staats- und Gesellschaftsordnung allein noch stützen kann. Das will die Regierung nicht und kann sie nicht wollen. Um so mehr muß dafür gesorgt werden, daß die untergeordneten Beamten sich an die Weisungen der Regierung halten. In dieser Hinsicht wird uns nichts anderes übrig bleiben, als daß der Reichstag ein Reichsgesetz über das Verdingungswesen erläßt. Dann werden wir gegen die Beamten, die sich an das Gesetz nicht halten, auf
Das Schloß Dürande
4. von Joseph von Eichendorff.
Damals saß sie eines Abends spät mit der jungen Schwester Renate am offenen Fenster der Zelle, aus dem man in den stillen Klostergarten und über die Gartenmauer weit ins Land sehen konnte. Die Heimchen zirpten unten auf den frischgemähten Wiesen, überm Walde blitzte es manchmal aus weiter Ferne. Da läßt mein Liebster mich grüßen, dachte Gabriele bei sich. — Aber Renate blickte verwundert hinaus; sie war lange nicht wach gewesen um diese Zeit. „Sieh nur," sagte sie, „wie draußen alles anders aussieht im Mondschein, der dunkle Berg drüben wirst seinen Schatten bis an unser Fenster, unten erlischt ein Lichtlein nach dem andern im Dorfe. Was schreit da für ein Vogel?" — „Das ist das Wild im Walde," meinte Gabriele. —
„Wie du auch so allein im Dunkeln durch den Wald gehen kannst," sagte Renate wieder; „ich stürbe vor Furcht. Wenn ich so manchmal durch die Scheiben hinaussehe in die tiefe Nacht, dann ist mir immer so wohl und sicher in meiner Zelle, wie unterm Mantel der Mutter Gottes."
„Nein," entgegnete Gabriele, „ich möcht' mich gern einmal bei Nacht verirren recht im tiefsten Wald, die Nacht ist wie ein Traum so weit und still, als könnt' man über die Berge reden mit allen, die man lieb hat in der Ferne. Hör nur, wie der Fluß unten rauscht und die Wälder, als wollten sie auch mit uns sprechen und könnten nur nicht recht! — Da fällt mir immer ein Märchen ein dabei, ich weiß nicht, Hab ich's ge-, hört, oder hat mir's geträumt."
„Erzähl's mir doch, ich bete unterdes meinen Rosenkranz fertig," sagte die Nonne, und Gabriele setzte sich fröhlich auf die Fußbank vor ihr, wickelte vor der kühlen Nachtluft die Arme in ihre Schürze und begann sogleich folgendermaßen:
Es war einmal eine Prinzessin in einem verzauberten Schlosse gefangen, das schmerzte sie sehr, denn sie hatte einen Bräutigam, der wußte gar nicht, wohin sie gekommen war, und sie konnte ihm auch kein Zeichen geben, denn die Burg hatte nur ein einziges, fest verschlossenes Tor nach einem tiefen, tiefen Abhang hin, und das Tor bewachte ein entsetzlicher Riese; der schlief und trank und sprach nicht, sondern ging nur immer Tag und Nacht vor dem Tore auf und nieder wie der Perpendikel einer Turmuhr. Sonst lebte sie ganz herrlich in dem Schloß; da war Saal an Saal, einer imer prächtiger, als der andere, aber niemand drin zu sehen und zu hören, kein Lüftchen ging und kein Vogel sang in den verzauberten Bäumen im Hofe, die Figuren auf den Tapeten waren schon ganz krank und bleich geworden in der Einsamkeit, nur manchmal warf sich das trockene Holz an den Schränken vor Langeweile, daß es weit durch die öde Stille schallte, und auf der hohen Schloßmauer draußen stand ein Storch, wie ein Vedette, den ganzen Tag auf einem Bein."
„Ach, ich glaube gar, du stichelst auf unser Kloster," sagte Renate. Gabriele lachte und erzählte munter fort:
„Einmal aber war die Prinzessin mitten in der Nacht aufgewacht, da hörte sie ein seltsames Sausen durch das ganze Haus. Sie sprang erschrocken ans Fenster und bemerkte zu ihrem großen Erstaunen, daß es der Riese war, der eingeschlafen vor dem Tore lag und mit solcher grausamen Gewalt schnarchte, daß alle
Türen, so oft er den Atem einzog und wieder ausstieß, von dem- Zugwind klappend auf und zu flogen. Nun sah sie auch, so oft die Tür nach dem Saale aufging, mit Verwunderung, wie die Figuren auf den Tapeten, denen die Glieder schon ganz eingerostet waren von dem langen Stillstehen, sich langsam dehnten und reckten, der Mond schien hell über den Hof, da hörte sie zum erstenmal die verzauberten Brunnen rauschen, der steinerne Neptun unten saß auf dem Rand der Wasserkunst und strählte sich sein Binsenhaar; alles wollte die Gelegenheit benutzen, weil der Riese schlief; und der steife Storch machte so wunderliche Kapriolen auf der Mauer, daß sie lachen mußte, und hoch auf dem Dache drehte sich der Wetterhahn und schlug mit den Flügeln und rief immerfort: „Kick, kick dich um, ich seh ihn gehn, ich sag nicht wen!" Am Fenster aber sang lieblich der Wind: „Komm mit geschwind!", und die Bächlein schwatzten draußen untereinander im Mondglanz, wie wenn der Frühling anbrechen sollte, und sprangen glitzernd und wispernd über die Baumwurzeln: „Bist du bereit? wir haben nicht Zeit, weit, weit, in die Waldeinsamkeit!" — „Nun, nun, nur Geduld, ich komm ja schon," sagte die Prinzessin ganz erschrocken und vergnügt, nahm schnell ihr Bündel unter den Arm und trat vorsichtig aus dem Schlafzimmer; zwei Mäuschen kamen ihr atemlos nach und brachten ihr noch den Fingerhut, den sie in der Eile vergessen. Das Herz klopfte ihr, denn die Brunnen im Hofe rauschten schon wieder schwächer, der Flußgott streckte sich taumelnd wieder zum Schlafe zurecht, auch der Wetterhahn drehte sich nicht mehr; so schlich sie leise die Treppe hinab."
„Ach Gott! wenn der Riese jetzt aufwacht!" sagte Renate ängstlich. (Forts, folgt.)