Bad Liebenzell. 24. Juni. Bevor in nächster Woche das Kurtheater (Stuttgarter Schauspielhaus) seine Vorstellungen beginnt, wollen am nächsten Sonntag abends 8 Uhr einheimische Kräfte die Aufführung des Uhland- 'schen „Ernst, Herzog von Schwaben", welche im Februar so großen Beifall gefunden hat, wiederholen. Bei der vielen Mühe und Zeit, die zur Einübung des Stücks von lauter Freiwilligen aus hiesigen Kreisen verwendet worden ist, und bei den hohen Kostümkosten dürfen wir wohl auf zahlreichen Besuch auch von auswärts rechnen. Etwaiger Ueberschuß soll dem Eemeindehausbaufonds zugeführt werden. Wir glauben, unfern Kurgästen und allen Besuchern dieser Aufführung einen genußreichen Abend zusichern zu können. Es hat gewiß einen besondern Reiz, dieses llhland'sche Drama, in dem die schwäbische Treue gefeiert und verherrlicht wird, von Kräften aus dem BUrgerstand aufgefüht zu sehen. (Wir verweisen auf den gestrigen Anzeigenteil.)
Württemberg.
Stuttgart, 24. Juni. Die Regierung veröffentlicht den Entwurf eines Gesetzes, betreffend den Rechnungshof. Der künftige Rechnungshof wird unmittelbar dem König unterstehen und stellt eine selbständige Staatsbehörde dar. Seither wurde in Württemberg die Rechnungsprüfung durch die Oberrechnungskammer und die etatsrechtliche Prüfung durch die Stände vorgenommen.
Stuttgart, 24. Juni. Die Vorstandswahlen des Katholischen Lehrervereins hatten folgendes Ergebnis: Hauptlehrer Pollich-Emünd, Rektor Schmid-Aalen, Hauptlehrer Epple-Rottweil, Reger-Saulgau, Arb-Ulm, Riede-Schrezheim, Herter-Stuttgart, Schall-Grotzeislin- gen, Strohmaier-Ravensburg.
Stuttgart, 23. Juni. Die Zentrumspartei Eroß- Stuttgart hat anläßlich des am 22. Juni auf der Uhlandshöhe abgehaltenen, von sämtlichen Bezirken Eroß-Stuttgarts äußerst zahlreich besuchten Parteisommerfestes folgende Resolution angenommen: „Die Zentrumspartei Eroß-Stuttgart nimmt anläßlich ihres gutbesuchten Parteisommerfestes mit voller Befriedigung davon Kenntnis, daß die Zentrumsfraktion im württembergischen Landtag mit aller Entschiedenheit entsprechend der Forderung des Zentrumsprogramms für eine moderne Reform der Kreisregierungen eintrat und sich gegen eine unzweckmäßige Zentralisation der letzteren als Mittelinstanzen in Stuttgart wandte. Die Zen- trumspartei Eroß-Stuttgart bedauert aufs lebhafteste die beleidigenden, durchaus ungerechtfertigten Angriffe des Abgeordneten Konrad Haußmann auf Herrn Vizepräsidenten Dr. v. Kiene und weist sie mit aller Endschiedenheit zurück. Gerne benützt sie diesen Anlaß, um ihren hochverdienten, unermüdlichen Führer, Dr. v. Kiene, ihres uneingeschränkten, vollen Vertrauens und ihrer steten Dankbarkeit zu versichern."
Vvihingen a. F., 24. Juni. Bei den Maurerseheleuten Stephan hat sich der Storch mit dem 7. Knaben eingestellt. Der König hat die Patenstelle übernommen und den Eltern ein Geschenk von 20 zugehen lassen.
Tübingen, 24. Juni. In die hiesige chirurgische Klinik wurden die zwei lebensgefährlich verletzten Kinder des Zimmermanns Maisch aus Steinenbronn eingeliefert, die gestern abend von einem Automobil der Linie Tübingen-Degerloch überfahren worden waren. Die Schuldfrage ist noch nicht geklärt.
Eßlingen, 24. Juni. In der letzten Sitzung des Bezirksrates beantragte der Vorsitzende, an
läßlich der Katastrophe vom 1. Juni ds. Js. den Eewitterbeschädigten in Plochingen aus den Mitteln der Oberamtssparkasse 5000 zu verwilligen und dazu die Zustimmung der Amtsversammlung einzuholen. Der Bezirksrat war mit diesem Vorschlag einverstanden.
Urach, 24. Juni. Der 24 Jahre alte Elektriker Beck aus Klingenstein, beschäftigt in der Baumwollspinnerei Leuze, kam aus Unachtsamkeit der Hochspannungsleitung zu nahe, was seinen Tod herbeiführte.
Serres OA. Maulbronn, 24. Juni. Eine 53 Jahre alte ledige Bauerntochter ist bei einem epileptischen Anfall die Haustreppe hinabgestürzt und war infolge eines Schädelbruchs sogleich tot.
Ehingen, 24. Juni. Bei den Erabarbeiten für die Kanalanlage vom Bezirkskommandogebäude zur Schmiech wurde der verheiratete Taglöhner Fuchsloch von Erdmassen verschüttet. Im Bezirkskrankenhaus starb er an den Verletzungen, die er erlitten hatte. Der Verunglückte war 58 Jahre alt und galt als fleißiger, nüchterner Mensch. Er hinterläßt eine Witwe mit vier Kindern.
Künzelsau, 24. Juni. Der dreijährige Knabe des Bauern Gottlob Ries in Olnhausen kam unter die Räder der Mähmaschine und wurde sehr schwer verletzt.
Meckenbeuren, 24. Juni. Vom Schusterstuhl zum Mathematikprofessor hat es ein hiesiger Schuster gebracht. Er verkaufte sein ganzes Schuhwarenlager an einen Herrn aus Stuttgart in der Weise, daß die ersten 100 Paar Schuhe 15 Pf., die zweiten Hundert 30 Pf., die dritten Hundert 60 Pf. usf. kosteten. Als die Zählung 2200 Paar ergab und die Ankaufssumme über 300000 ^ betrug, soll der Käufer weniger erfreut gewesen sein.
Waldsee» 25. Juni. Gestern abend gegen 6 Uhr ging ein gewaltiges Hagelwetter über Stadt und Bezirk nieder, das großen Schaden anrichtete. In manchen Gemeinden von Jstendorf, Mühlhausen, Osterhofen, Schwarzach u. a. waren die Felder ganz weiß mit Schlossen bedeckt; die schön dastehenden Feldfrüchte wurden zum großen Teil vernichtet, auch hat der Blitz einigemale eingeschlagen und gezündet_
Aus Wett und Zeit.
Würzburg, 24. Juni. Der Kommandeur des 9. Infanterieregiments in Würzburg, Oberst Clauß, erließ folgenden Tagesbefehl: „Dem Regiment gebe ich mit Freude und Stolz bekannt, daß sich siebzehn Offiziere und Sanitätsoffiziere des Regiments sofort bereit erklärt haben, dem schwererkrankten Soldaten Frankfurter durch Transfusion, das heißt, durch Ueberführung von eigenem Blut an den Patienten hilfreich deizustehen, als dem Regiment die Notwendigkeit einer solchen Operation, um das Leben des Soldaten zu retten, bekannt wurde. Der Leutnant Dittmar hat sich gestern diesem ärztlichen Eingriff unterzogen. Es ist zu hoffen, daß durch seine Opserwilligkeit das Leben des Soldaten erhalten bleibt. Namens des Regiments, dem solche Bereitwilligkeit und solcher Opfermut zur hohen Ehre gereichen, spreche ich den Herren, die sich bereit erklärt hatten und besonders Herrn Leutnant Dittmar aufrichtigsten und herzlichsten Dank und vollste Anerkennung aus. Ich zweifle nicht, daß sich auch eine große Anzahl von Unteroffizieren und Mannschaften zu solcher edlen Tat bereilgefunden hätte. Das Regiment ist aber besonders stolz darauf, daß es einem Offizier ver
gönnt gewesen ist, einem Soldaten helfen zu können. An dieser ritterlichen Tat wollen alle Angehörigen des Regiments ersehen, daß die Offiziere wie im Kriege so auch im Frieden es als eine ihrer vornehmsten Aufgaben erkennen, allen Untergebenen ein leuchtendes Beispiel an Kameradschaft und Opfermut zu geben, und daß sie bereit sind, wenn es gilt, hierzu auch Gesundheit und Leben zu opfern."
Berlin, 23. Juni. Der Kaiser wird am 25. Juli zu einem dreitägigen Besuch in Kopenhagen eintreffen. Die Kaiserin ist gestern abend von Hamburg nach Potsdam im Sonderzug zurückgekehrt.
Berlin, 24. Juni. Zum heutigen 75. Geburtstag Gustav von Schmollers gedenken die Blätter der Tatsache, daß der Jubilar, ein Württemberger, seit mehr als drei Jahrzehnten Historiograph der brandenburgi- schen Geschichte ist. Schmoller trug zur Hebung des nationalökonomischen Fachstudiums an der Berliner Universität wesentlich bei. An äußeren Zeichen der Anerkennung seines Wirkens habe es ihm nicht gefehlt. Auf seinen Wunsch werde für heute von allen festlichen Veranstaltungen Abstand genommen.
Solingen, 25. Juni, In Ohligs ermordete in einem Anfall von Geistesstörung der Fabrikarbeiter Hampel seine Frau und seinen 12 jährigen Sohn, übergoß die Leichen mit Benzin und steckte sie in Brand. Dann schnitt er sich selbst die Schlagadern durch und stürzte sich aus seiner im 2. Stock belesenen Wohnung auf die Straße, wo er tot liegen blieb.
Oppeln, 24. Juni. Ein Gastwirt in Beneschau erschlug gestern in einem Anfall von Geisteskrankheit seine Frau und seine 12jährige Tochter. Es handelt sich hier um einen Fall temporären Wahnsinns, denn bereits vor 25 Jahren hat der Gastwirt zwei seiner Kinder erwürgt und war damals von den Gerichten wegen Geisteskrankheit freigesprochen worden.
Toulon, 24. Juni. An Bord des noch nicht in Betrieb gesetzten nach Südamerika bestimmten Dampfers „Eallia" brach heute morgen in einer Kabine Feuer aus. Das 183 Meter lange Schiff, das eine Wasserverdrängung von 13000 Tonnen hat, brannte fast völlig aus.
London, 24. Juni. Präsident Poincare traf heute nachmittag 3,30 Uhr auf dem Viktoria-Bahnhof in einem Sonderzug ein und wurde von König Georg herzlich empfangen und dem Premierminister Asquith und Sir Edward Grey vorgestellt. Der König fuhr dann mit dem Präsidenten im offenen Wagen durch die festlich geschmückten Straßen nach dem St. James-Palast, wo Poincare Wohnung nimmt. Um '/«5 Uhr nachmittags stattete der Präsident dem Königspaare einen offiziellen Besuch im Vuckinghampalast ab.
Madrid. 24. Juni. Der spanische Kriegsminister fordert vom Ministerrat zur Niederwerfung des marokkanischen Aufstandes die sofortige Mobilisierung eines Armeekorps und dessen Entsendung ins Rifgebiet. Falls diese Truppen nicht genügen sollten, müsse ein Expeditionskorps von insgesamt 80 000 Mann die Spanien gehörende Nordküste Afrikas vollständig von den Aufständischen säubern, um dem Guerillakrieg ein- für allemal ein Ende zu machen.
Konstantinopel, 24. Juni. Die Hinrichtung der zum Tode verurteilten 12 Mörder des Eroßwesirs, einschließlich Damad Paschas, fand heute morgen 3 Uhr statt. Alle Verurteilten starben gefaßt.
Das Wirtshaus im Spessart.
39) Erzählung von Wilhelm Hauff.
Die Gesellschaft, die im obern Zimmer versammelt war, erholte sich nach diesem Auftritt allmählich von ihrem Schrecken. Sie wären, wie es nach großem Unglück oder plötzlicher Gefahr zu geschehen pflegt, vielleicht sogar heiter gewesen, hätte sie nicht der Gedanke an ihre drei Gefährten beschäftigt, die man vor ihren Augen hinweggeführt hatte. Sie brachen in Bewunderung des jungen Goldschmieds aus, und die Gräfin vergoß Tränen der Rührung, wenn sie bedachte, daß sie einem Menschen so unendlich viel zu verdanken habe, dem sie nie zuvor Gutes getan, den sie nicht einmal kannte. Ein Trost war es für alle, daß der heldenmütige Jäger und der wackere Student ihn begleitet hatten, konnten sie ihn doch trösten, wenn sich der junge Mann unglücklich fühlte, ja der Gedanke lag nicht gar zu ferne, daß der verschlagene Waidmann vielleicht Mittel zu ihrer Flucht finden könnte. Sie berieten sich noch miteinander, was zu tun sei. Die Gräfin beschloß, da ja sie kein Schwur gegen den Räuber binde, sogleich zu ihrem Gemahl zurückzureisen und alles aufzubieten, den Aufenthalt der Gefangenen zu entdecken, sie zu befreien; der Fuhrmann versprach, nach Aschaffenburg zu reiten und die Gerichte zur Verfolgung der Räuber aufzurufen. Der Zirkelschmied aber wollte seine Reise fortsetzen.
Die Reisenden wurden in dieser Nacht nicht mehr beunruhigt; Totenstille herrschte in der Waldschenke, die noch vor kurzem der Schauplatz so schrecklicher Szenen gewesen war. Als aber am Morgen die Bedienten der Gräfin zu dem Wirt hinabgingen, um alles zur Abfahrt fertig zu machen, kehrten sie schnell zurück und berichteten, daß sie die Wirtin und ihr Gesinde in einem elenden Zustande gefunden hätten. Sie lägen gebunden in der Schenke und flehten um Beistand.
Die Reisenden sahen sich bei dieser Nachricht erstaunt an. „Wie?" ries der Zirkelschmied. „So sollten diese Leute dennoch unschuldig sein? So hätten wir ihnen unrecht getan, und sie standen nicht im Einverständnis mit den Räubern?"
„Ich lasse mich aufhängen, statt ihrer," erwiderte der Fuhrmann, „wenn wir nicht dennoch recht hätten. Dies alles ist nur Betrug, um nicht überwiesen werden zu können. Erinnert ihr euch nicht der verdächtigen Mienen dieser Wirtschaft? Erinnert ihr euch nicht, wie ich hinabgehen wollte, wie mich der abgerichtete Hund nicht losließ, wie die Wirtin und der Hausknecht sogleich erschienen und mürrisch fragten, was ich denn noch zu tun hätte? Doch es war unser, wenigstens der Frau Gräfin, Glück. Hätte es in der Schenke weniger verdächtig ausgesehen, hätte uns die Wirtin nicht so mißtrauisch gemacht, wir wären nicht zusammengestanden, wären nicht wach geblieben. Die Räuber hätten uns überfallen im Schlafe, hätten zum wenigsten unsere Türe bewacht, und diese Verwechselung des braven jungen Burschen wäre nimmer möglich geworden."
Sie stimmten mit der Meinung des Fuhrmanns alle überein und beschlossen, auch die Wirtin und ihr Gesinde bei der Obrigkeit anzugeben. Doch um sie desto sicherer zu machen, wollten sie sich jetzt nichts merken lassen. Die Bedienten und der Fuhrmann gingen daher hinab in das Schenkzimmer, lösten die Bande der Diebeshehler aus und bezeigten sich so mitleidig und bedauernd als möglich. Um ihre Gäste noch mehr zu versöhnen, machte die Wirtin nur eine kleine Rechnung für jeden, und lud sie ein, recht bald wieder zu kommen.
Der Fuhrmann zahlte seine Zeche, nahm von seinen Leidensgenossen Abschied und fuhr seine Straße. Nach diesem machten sich die beiden Handwerksburschen auf den Weg. So leicht das Bündel des Goldschmieds war, so drückte es doch die zarte Dame nicht wenig. Aber noch viel schwerer wurde ihr ums Herz, als unter der Haustüre die Wirtin ihre verbrecherische Hand hinstreckte, um Abschied zu nehmen. „Ei, was seid Ihr doch für ein junges Blut," rief sie beim Anblick des zarten Jungen, „noch so jung und schon in die Welt hinaus! Ihr seid gewiß ein verdorbenes Kräutlein, das der Meister aus der Werkstatt jagte. Nun, was geht es mich an, schenket mir die Ehre bei der Heimkehr, glückliche Reise!"
Die Gräfin wagte vor Angst und Beben nicht zu antworten, sie fürchtete, sich durch ihre zarte Stimme zu verraten. Der Zirkelschmied merkte es, nahm seinen Gefährten unter den Arm, sagte der Wirtin Ade und stimmte ein lustiges Lied an, während er dem Walde zuschritt.