Württemberg.

Die Landflucht

und der Zug in die größeren Städte und Industrie­zentren in Württemberg werden besonders deutlich durch die nachstehenden Ziffern illustriert. In der Volkszählungsperiode 1905 bis 1910 be­trugen in Stuttgart: der Geburtenüberschuß 15 060, die Bevölkerungszunahme 33118, somit die Zuwanderung 18 058 Personen; in den übrigen 18 Städten mit über 10 000 Einwohnern: Geburtenüberschuß 23102, Vevölkerungszunahme 36 289, somit Zuwanderung 13187 Personen; in den 29 Städten mit 5000 bis 10000 Ein­wohnern: Geburtenüberschuß 11 509, Bevölke­rungszunahme 16 605, somit Zuwanderung 5096 Personen; in den übrigen 1851 Gemeinden Württembergs: Geburtenüberschuß 107175, Bevölkerungszunahme 49 383, somit Abwanderung 57 792 Personen. Zusammengefaßt ergab sich also in den 48 Gemeinden mit über 5000 Einwohnern eine Zuwanderung von 36 341 Personen, in den übrigen 1851 Gemeinden dagegen eine Abwande­rung von 57792 Personen; hierbei wunder­ten aus Württemberg in nichtwürttembergische Ge­biete 21 451 Personen mehr ab, als von dort zu- wanderten. Von den Gemeinden mit über 5000 Ein­wohnern weist verhältnismäßig Fellbach mit seiner rasch zunehmenden Industrie die größte Zuwande­rung mit 1246 Personen auf, während die Parzellen­gemeinde Baiersbronn verhältnismäßig die größte Abwanderung mit 642 Personen zeigt, indem sie nur um 57 Personen, gegenüber einem Geburtenüberschuß von 699 Köpfen, zunahm. Von den Städten mit über 10000 Einwohnern weist nur Gmünd eine Abwanderung, und zwar von 280 Personen, auf (Ge­burtenüberschuß 1026, Bevölkerungszunahme 746 Köpfe). Auf eine Verminderung der Landflucht Hinz »wirken, wird stets Aufgabe des Staates und der Ge­meinden im Interesse einer gesun­den Weiterentwicklung Eesamtwürt- tembergs sein. Hierzu ist vor allem nötig, daß die Berwertungs- und Erwerbsmög­lichkeiten, die Erwerbstätigkeiten und der Verkehr auf dem Lande erleichtert werden und daß der Staat bei der Unterbringung von Be­hörden, Anstalten und sonstigen Einrichtungen das Land so gebührend berücksichtigt, wie es dessen schwä­cherer wirtschaftlichen Kraft entspricht.

Stuttgart, 9. Juni. Die bürgerlichen Kollegien haben zum Regierungsjubiläum des Kaisers 50 000 Mark für erholungsbedürftige Schulkinder gestiftet. Die Stiftung wird den Namen Kaiser-Wilhelm- Jubiläums-Stiftung erhalten.

Plochingen, 9. Juni. In einer Versammlung der durch den Orkan vom letzten Sonntag Geschädigten wurden die Schritte beraten, um eine wirksame Unterstützung der Beschädigten herbeizuführen. All­gemein herrscht noch immer Unzufriedenheit über die zu niedrige amtliche Abschätzung des Schadens. Man ist der Ansicht, daß der Gesamtschaden, der im Ort und an den Feldern und Gärten angerichtet worden ist, mit 400 000 <4l nicht zu hoch geschätzt ist.

Plochingen, 9. Juni. Ein ganz gewaltiger Ver­kehr entwickelte sich auch am gestrigen Sonntag in unserem vom Sturm so schwer heimgesuchten Ort. Obwohl die Arbeiten seither rasch gefördert wurden,

Das Wirtshaus im Spessart.

2-) Erzählung von Wilhelm Hauff.

Bald hatte Said erreicht, was er wollte. Am näch­sten Mittwoch, dem Tag, wo sich die jungen Leute aus den vornehmsten Ständen auf einem öffentlichen Platz der Stadt versammelten, um ihre kriegerischen Uebungen zu halten, sagte er zu Kalum, er wolle diesen Abend für sich benützen, und als dieser es erlaubt hatte, ging er in die Straße, wo die Fee wohnte, pochte an, und sogleich sprang die Pforte auf. Die Diener schienen auf seine Ankunft schon vorbereitet gewesen zu sein, denn ohne ihn erst nach seinem Begehren zu fragen, führten sie ihn die Treppe hinan in ein schönes Gemach; dort reichten sie ihm zuerst das Waschwasser, das ihn un­kenntlich machen sollte. Er benetzte sein Gesicht damit, schaute dann in einen Metallspiegel und kannte sich beinahe selbst nicht mehr, denn er war jetzt von der Sonne gebräunt, trug einen schönen, schwarzen Bart und sah zum mindesten zehn Jahre älter aus, als er in der Tat zählte.

Hierauf führten sie ihn in ein zweites Gemach, wo er eine vollständige und prachtvolle Kleidung fand, an welcher sich der Kalif von Bagdad selbst nicht hätte schämen dürfen an dem Tag, wo er im vollen Glanze seiner Herrlichkeit sein Heer musterte. Außer einem Turban vom feinsten Gewebe mit einer Agraffe von Diamanten und hohen Reiherfedern, einem Kleid von schwerem, rotem Seidenzeug, mit silbernen Blumen

bleibt doch noch ein gutes Stück zu bewältigen. Viele Dächer sind fertiggestellt und die anderen notdürftig überdacht, aber nunmehr kommt der Schaden auch im Innern der Gebäude zum Vorschein. Die Ver­kaufsstellen waren gestern bis abends 8 Uhr statt wie seither bis 3 Uhr offen. Eine Menge angehäufter Schutt von Dachplatten ist noch abzuführen. Der Betrieb der Braunschen Fabrik, wo 60 Arbeiter be­schäftigt waren, konnte noch nicht aufgenommen wer­den. An der Kelter ist noch keine Arbeit angefangen worden, da es an Arbeitskräften mangelt.

Schorndorf, 9. Juni. Bei der Vertretersitzung der Vereinigten Gewerkschaften stand auch das Kin­derfest zur Beratung. Nach längerer Debatte wurde folgender Beschluß gefaßt:Nachdem uns von seiten des Stadtvorstandes sowie des Bezirksschulinspektors auf unsere Anfrage die Versicherung gegeben wurde, daß mittags bei dem Kinderfest auf den Rummel des Kaiserjubiläums nicht eingegangen werde, ist für uns keine Veranlassung mehr vorhanden, von uns aus ein besonderes Kinderfest abzuhalten. Es soll im Laufe des Sommers ein Sommerfest, verbunden mit Kinderfest, abgehalten werden. Die Sitzung spricht jedoch die Erwartung aus, daß die oben genannten Herren an ihrem gegebenen Versperchen festhalten."

Hardt (O.-A. Oberndorf), 9. Juni. Am Freitag abend stürzte der beim Kalkbauern Flaig bedienstete im 22. Lebensjahre stehende Knecht Alois Günter von hier infolge Bruches eines Brettes von der Bühne und erlitt so schwere Verletzungen, daß er am Sams-! tag abend starb. ^

Vlaubruren, 9. Juni. Auf dem Schießstand des Veteranen- und Kriegervereins ereignete sich gestern ein Unfall. Ein Schütze hatte ein eigenes Gewehr und hat die Patronen dazu selbst laboriert; dazu ver­wendete er ein rauchloses Pulver und hat, mit dessen Kraft nicht vertraut, die Patronen überladen. Gleich beim ersten Schuß war das Gewehr dem Ueberdruck nicht gewachsen und zersprang. Dem Schützen wurde dabei das vordere Glied des linken Zeigefingers ab­gerissen und Haut und Fleisch am ganzen Finger bis auf den Knochen abgelöst. Außerdem wurde der Handballen schwer verletzt. Der Zeigefinger mußte vollständig abgenommen werden; der Handballen wurde mehrfach genäht; es ist fraglich, ob der eben­falls verletzte Daumen erhalten werden kann.

Aulendorf, 9. Juni. Gestern und heute hielt hier der neue Eisenbahnerserband seinen 4. Verbandstag ab. Die Beratungen begannen imLöwen". Der Verein hat das 4. Mitgliedertausend überschritten, er besitzt ein Vermögen von 6800 -4k. Die Verhand­lungen leitete der Verbandsvorsitzende Zahn-Stutt­gart. Für die christlichen Gewerkschaften sprach Sek­retär Ersing (Karlsruhe), für die Konservative Par­tei Sekretär Krug-Stuttgart. An den König, den Ministerpräsidenten und den Präsidenten der Gene­raldirektion wurden Telegramme gesandt. Verbands­und Kassenbericht erstatteten Verbandssekretär Groß und Kassier Stark. _

A«, Welt ««d Zeit.

Aus dem Reichstag.

Berlin, 9. Juni. Die heutige erste Sitzung nach der kurzen Zwischenpause befaßte sich mit der Er­ledigung einer Reihe von rückständigen Arbeiten und Gesetzentwürfen, die man noch gern vor der Beratung der Wehr- und Deckungsvorlage und vor der Ver­tagung in den Herbst hinein erledigt sehen wollte. Das Haus hörte dem Bericht der Reichsschuldenkom­mission, den der Nationalliberale Zimmermann er­

stattete, kaum an. Nach einer Debatte über die Aende- rung zweier Wahlkreise, im Eroßherzogtum Sachsen und Herzogtum Sgchsen-Meiningen, die man ohne wesentliche Diskussion bewilligte, beriet man über die Aenderung des Schutzgebietsgesetzes, daß zur Ver­einfachung und Beschleunigung des Verfahrens bei der Verleihung von Rechtsfähigkeit an nicht wirt­schaftliche Vereine und Stiftungen in den Schutz­gebieten die dem Bundesrat zugewiesenen Befugnisse fortan vom Reichskanzler wahrgenommen werden sollen, der seinerseits die Ermächtigung haben soll, diese dem Gouverneur zu übertragen. Semler (Natl.) verlangte die Ueberweisung des Gesetzent­wurfes an eine Vierzehner-Kommission, was das Haus beschloß. Nach dieser letzten Arbeit kam man zu dem Gesetzentwurf auf Abänderung des Gerichts­verfassungsgesetzes, wonach Schöffen und Geschworene in Zukunft Reisekosten vergütet und Tagegelder er­halten. Der Staatssekretär Dr. Lisco empfahl die Annahme dieses Gesetzes, auch der Sozialdemokrat Peus. Zustimmende Erklärungen im Aufträge ihrer Fraktionen gaben noch Schedlbauer und Holtschke (Kons.), sowie Warmuth (Reichsp.). Schließlich stimmte man auch diesem Gesetzentwurf zu. Man konnte recht bald zur Beratung eines Ge­setzentwurfes über die Form der Verhinderung Wech­sel- und scheckrechtlicher Verhandlungen im Auslande übergehen, der überwiesen wurde an eine Kommis­sion, und nahm dann einen Vertagungsantrag an. Bevor man jedoch auseinanderging, kam es noch zu einer lebhaften Geschäftsordnungsdebatte, die man heute schon zu Beginn der Sitzung erwartet hatte und die sich darum drehte, ob man zuerst über die Wehrvorlage oder den Wehrbeitrag am morgigen Tage debattieren solle. Spahn vom Zentrum, Graf Westarp von den Konservativen und Schultz von der Reichspartei wiederholten ihre im Namen der Budgetkommission abgegebenen Erklä­rungen, die dahin gingen, daß keine Ausgabe ohne Deckung erfolgen solle. Nachdem sämtliche Redner keinen direkten Einspruch gegen die vom Präsidenten verlesene Tagesordnung, die die Beratung der Wehr­vorlage in erster Linie in Aussicht nimmt, erhoben hatten, stellte der Präsident Dr. Kaempf fest, daß gegen die Tagesordnung kein Widerspruch erhoben worden sei, welche Feststellung besonders bei der Lin­ken Heiterkeit hervorrief, da man trotz der abgegebe­nen Erklärungen nunmehr doch zuerst über die Wehr­vorlage beraten wird.

Berlin, 9. Juni. In der gestrigen Sitzung wurde sich die Budgetkommission einig über die Ein­schätzungsfrage der Landwirtschaft zum Wehr­beitrag. Der Antrag der Fortschrittlichen Volks­partei, den Verkaufswert land- und forstwirtschaft­licher Grundstücke nach dem Pachtpreis von Grund­stücken gleicher Art nach dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre einzuschätzen, wird abgelehnt. Der Zen­trumsantrag mit dem Machen als Ertragswert mit Berücksichtigung des Wertes entlohnter, fremder Ar­beitskräfte wird angenommen mit den Stimmen des Zentrums, der Konservativen und eines Teils der Nationalliberalen. Der Antrag Paasche-Erzberger, beim Ertrag der land- und forstwirtschaftlichen Grundstücke auch die Verwertbarkeit eines Jagdrechts zu berücksichtigen, wird gleichfalls angenommen. Der Gärtnereiantrag Behrens wird abgelehnt. Heute wurde beschlossen, daß Wertpapiere, die in Deutsch­land einen Börsenkurs haben, mit dem Kurswert, Forderungen, die in das Schuldbuch einer öffentlichen Körperschaft eingetragen sind, mit dem Kurswert der

durchwirkt, fand Said einen Brustpanzer von silbernen Ringen, der so fein gearbeitet war, daß er sich nach je­der Bewegung des Körpers schmiegte, und doch zugleich so fest, daß ihn weder die Lanze noch das Schwert durch­dringen konnten. Eine Damaszenerklinge in reich ver­zierter Scheide, mit einem Griff, dessen Steine Said unschätzbar beuchten, vollendeten seinen kriegerischen Schmuck. Als er völlig gerüstet wieder aus der Türe trat, überreichte ihm einer der Diener ein seidenes Tuch und sagte ihm, daß die Gebieterin des Hauses ihm dieses Tuch schicke; wenn er damit sein Gesicht abwische, so werde der Bart und die braune Farbe verschwinden.

In dem Hof des Hauses standen drei schöne Pferde; das schönste bestieg Said, die beiden andern seine Die­ner, und dann trabte er freudig dem Platze zu, wo die Kampfspiele gehalten werden sollten. Durch den Glanz seiner Kleider und die Pracht seiner Waffen zog er aller Augen auf sich, und ein allgemeines Geflüster des Staunens entstand, als er in den Ring, welchen die Menge umgab, einritt. Es war eine glänzende Ver­sammlung der tapfersten und edelsten Jünglinge Bag­dads; selbst die Brüder des Kalifen sah man ihre Rosse tummeln und die Lanzen schwingen. Als Said heran­ritt, und niemand ihn zu kennen schien, ritt der Sohn des Eroßwesirs mit einigen Freunden auf ihn zu, grüßte ihn ehrerbietig, lud ihn ein, an ihren Spielen teilzu­nehmen, und fragte ihn nach seinem Namen und seinem Vaterland. Said gab vor, er heiße Almansor und kom­me von Kairo, sei auf einer Reise begriffen und habe

von der Tapferkeit und Geschicklichkeit der jungen Edeln von Bagdad so vieles gehört, daß er nicht gesäumt habe, sie zu sehen und kennen zu lernen. Den jungen Leuten gefiel der Anstand und das mutige Wesen Said-Al- mansors; sie ließen ihm eine Lanze reichen und ihn seine Partie wählen, denn die ganze Gesellschaft hatte sich in zwei Parteien geteilt, um einzeln und in Scharen gegeneinander zu fechten.

Aber hatte schon Saids Aeutzeres die Aufmerksam­keit auf ihn gelenkt, so staunte man jetzt noch mehr über seine ungewöhnliche Geschicklichkeit und Behendigkeit. Sein Pferd war schneller als ein Vogel, und sein Schwert schwirrte noch behender umher. Er warf die Lanze so leicht, weit und sicher ans Ziel, als wäre sie ein Pfeil, den er von einem sicheren Bogen abge­schnellt hätte. Die Tapfersten seiner Gegenpartei be­siegte er, und am Schluß der Spiele war er so allge­mein als Sieger anerkannt, daß einer der Brüder des Kalifen und der Sohn des Eroßwesirs, die auf Saids Seite gekämpft hatten, ihn baten, auch mit ihnen zu streiten. Ali, der Bruder des Kalifen, wurde von ihm besiegt, aber der Sohn des Eroßwesirs widerstand ihm so tapfer, daß ste es nach langem Kampf für bester hiel­ten, die Entscheidung für das nächste Mal aufzusparen.

Den Tag nach diesen Spielen sprach man in ganz Bagdad von nichts als dem schönen, reichen und tapfern Fremdling; alle, die ihn gesehen hatten, ja selbst die er besiegt hatte, waren entzückt von seinen edlen Sitten, und sogar vor seinen eignen Ohren im Gewölbe Kalum-