Pforzheim, 6. Juni. Der Arbeiter Nagel, der vor acht Tagen seine Geliebte auf dem Felde durch einen Schutz in das Ohr tötete und sich nach der Tat selbst eine Kugel in den Kopf jagte, ist im Krankenhaus gestorben, ohne das Bewußtsein wieder erlangt zu haben. Ueber den Grund der Tat konnte man nicht ins klare kommen, da der Verstorbene nicht me hr vernehmung sfähig war.
Sturmschäden.
Horb, 5. Juni. Nach den weiteren jetzt vorliegenden Nachrichten ist auch Bondorf von dem Wirbelsturm schwer heimgesucht worden. Es ist dort kein einziges Haus unversehrt geblieben und man klagt über Mangel an Hilfskräften. In Mühlen hatte die Landenbergersche Fabrik, die 50 Arbeiter und Arbeiterinnen beschäftigt, den Hauptstoß auszuhalten. Das schwerverletzte Mädchen ist die 16jäh- rige Dorothea Lohmiller. Die Besitzer der zerstörten Häuser in Mühlen sind meist wenig bemittelte Arbeiter. Wenn sich nicht die Einwohner fast ausnahmslos in den Keller geflüchtet hätten, wären Verletzungen viel zahlreicher. Die neue für zwei Lokomotiven Raum bietende Maschinenhalle in Eutingen wurde wie Papier zerrissen und flog in Fetzen davon. Von den 1100 Einwohnern des Dorfes ist keiner ohne Schaden und Not geblieben. Der Orkan bestand aus zwei verschiedenen Stößen, von denen der erste um 4,25 Uhr, der zweite 5 Minuten später daherbrauste. Sie waren von solcher Wucht, daß die starken Masten der elektrischen Hochleitung mit samt den schweren Zementfundamenten aus dem Boden gerissen wurden, und daß auf dem Kirchhof Grabsteine, die schon Jahrzehnte Wind und Wetter standgehalten hatten, zugrunde gingen. Derganze Hochwald auf der 6 Kilometer langen Strecke von Egelstal bis Eyach ist zerstört. Die Zahl der schwerverletzten Personen in Mühlen wird jetzt insgesamt auf 5 angegeben. Zu Dutzenden haben die Leute leichtere Verletzungen erlitten. Die Gewalt des Weiters reichte bis vor Herrenberg. So wurden auf der Domäne Niederreuthin 400 kräftige Obstbäume entwurzelt. Eine Schätzung des angerichteten Schadens ist zurzeit noch gar nicht möglich, da die Felder und Baumgllter offenbar noch weit schlimmer betroffen wurden als die Ortschaften. Hilfe ist dringend notwendig. Mit einem bloßen Hinweis auf den Wohltätigkeitsverein wird hier ebensowenig auszurichten sein wie in Plochingen. — Das Unwetter hat auch in Ahldorf und Baisingen arg gehaust. In letzterem Ort sieht es ähnlich aus wie in Mühlen. 4 kleine Häuser sind vom Erdboden hinweggefegt. Noch gestern abend mußte, da auch der Fernsprecher zerstört wurde, durch Feuerreiter ein Teil der hiesigen Feuerwehr zu Hilfe gerufen werden. Die Aufräumungsarbeiten auf der Bahn wurden teils durch hiesiges, teils durch Tübinger und Rottweiler Werkstättenpersonal besorgt. Baisingen gleicht laut Schwäb. Volksbl. einem beschossenen Dorf. Dis Dächer sind abgedeckt, Giebel eingestürzt, angebaute Gebäude sind wie weggefegt. Die Straßen von Göt- telfingen und Eutingen her sind voraussichtlich tagelang nicht mehr passierbar, weil auf Markung Vai- singen gegen 1000 große Obstbäume entwurzelt daliegen. Der an die Baisinger Markung angrenzende Bondorfer Wald ist auf mehrere hundert Morgen wie weggemäht. — Nordstetten: Manche Tanne wurde geknickt, Tausende von Ziegeln, Hunderte von Fenster' zertrümmert. Sämtliche Gartengewächse
sind verloren, Kleefelder und Wiesen zum Teil wie gewalzt. Der Hopfen läßt kaum mehr auf Ertrag hoffen. Der Sturm mähte ganze Waldteile um; Vögel liegen tot umher. — Isenburg: Die bis zu hühnereigroßen Schloßen richteten in Baum- und Gemüsegärten großen Schaden an. In Unter-Isenburg wütete das Unwetter viel stärker als auf den Höfen. Hunderte von Dachziegeln und zahlreiche Fensterscheiben wurden zerschlagen. — Rexingen: Die hühnereigroßen Hagelkörner schlugen an vielen Gebäuden die Fensterscheiben ein. — Vittel- bronn: 20 Minuten andauernder Hagel, aber wenig Schaden. Kinderfaustgroße, aus 40 bis 50 zusammengeschmolzenen Hagelkörnern bestehende Schloßen. — M i l i t 8 r i s ch e H i l se wurde vom König!. Oberamt bereits gestern abend von der zuständigen Behörde erbeten. Das Eintreffen der Mannschaften, etwa 40 bis 50 Mann, dürfte heute im Laufe des Tages erfolgen.
Die Sturmschäden der Bühn.
Eine amtliche Nachricht über die Gewitter und Sturmschäden bei der Eisenbahn besagt: Gestern nachmittag wurde durch ein Gewitter, verbunden mit Wirbelsturm, der Eisenbahnbetrieb auf der Gäu- und oberen Neckarbahn gestört. Die vom Bahnhof Eutingen ausgehenden Telegraphen-, Fernsprech- und Läutewerkleitungen wurden unterbrochen, einzelne Signalmaste umgeworfen. Die Lokomotivremise in Eutingen wurde bedeutend beschädigt, am Dienstwohngebäude und am Güterschuppen wurde ein Teil des Daches abgedeckt. Zwei Gruppen Güterwagen wurden vom Sturm erfaßt und umgeworfen, ein Teil der Wagen fiel über den Bahndamm hinab. Der in Stuttgart-Hauptbahnhof 3,21 Uhr nachmittags abgehende Schnellzug 277 konnte in Eutingen nicht durchgelassen werden, er wurde deshalb über Herrenberg—Tübingen umgeleitet. In Mühlen wurde durch den Sturm das Dach des Güterschuppens zur Hälfte abgedeckt, auf dem Stationsgebäude wurde ein Schornstein umgeworfen und das Dach beschädigt. Einzelne Signalmaste wurden umgeworfen und die Telegraphenleitung zwischen Mühlen und Eyach unterbrochen. Abgesehen von Zug 277 konnten in Eutingen sämtliche Züge durchfahren, wegen Zerstörung der Signaleinrichtungen war jedoch große Vorsicht geboten, so daß Verspätungen unvermeidlich waren. Personen sind nicht verletzt worden.
Stuttgart, 6. Juni. Auf die Anfrage des Abgeordneten Schweizer (Ztr.) über den Umfang der Sturmschäden in Mühlen, Eutingen und Baisingen, und über die von der Regierung zu treffenden Maßregeln antwortete der Minister des Innern: Der Umfang des Schadens sei größer als beim Unglück in Plochingen; er werde erst im Laufe der nächsten Woche imstande sein, die Frag e zu beantworten.
Schramberg, 5. Juni. Gestern abend ^7 Uhr entluden sich über unserer Gegend gleichzeitig drei Gewitter, die von Hagel und Wolkenbruch begleitet waren. Während elfterer zum Glück wenig Schaden anrichtete, hatten die Wassermassen schlimme Verwüstungen zur Folge. Da die Kanalisation zu schwach war, strömten die Fluten in die Läden und Keller der Hauptstraßen. Im Hotel zur Post mußte bis Mitternacht gepumpt werden, um das Wasser her- ausauszuschaffen. Auch der Bahndamm unterhalb des Gaswerks wurde schwer beschädigt. Ein große Abteilung Arbeiter hatte mehrere Stunden an der Wiederherstellung zu tun.
Vom Dienstag liegen gleichfalls Nachrichten über schwere Gewitter und über Hagelschlag vor. In Welzheim tobte am Dienstag abend von Osten und Westen her ein heftiges Gewitter, verbunden mit Hagel. Die Feldfrüchte haben schwer gelitten, die Gartengewächse sind beinahe völlig vernichtet. Das Wasser schoß gleich einem Bach in den Straßen und hat an Gärten und Wiesen bedeutenden Schaden angerichtet. — JnGundelsheim wurden durch den Regen Gärten und Felder verschlammt. Die Weinberg wurden vom Hagel so übel zugerichtet, daß die Blätter durchlöchert und die Gescheine abgeschlagen wurden. An den Fruchtfeldern ist der Schaden gleichfalls groß.
Stuttgart, 5. Juni. Die Zweite Kammer nahm bei der heute fortgesetzten Beratung des Etats des Innern zum Kapitel 26 „Landjägerkorps" einen Antrag des Ausschusses an, die Haft- und Arreststrafen abzuschaffen und den Landjägern die Möglichkeit zu verschaffen, gemeinsame Wünsche auf ordnungsmäßigem Wege bei der Regierung und dem Landtag vorzubringen. Ein Zusatzantrag der Sozialdemokratie, der die Beseitigung des militärischen Charakters des Landjägerkorps forderte und die Koalitionsfreiheit der Mannschaften betraf, wurde abgelehnt.
Stuttgart, 5. Juni. Das Luftschiff „Sachsen" fuhr heute früh 6 Uhr von Baden-Baden nach Stuttgart, wo es um 8 Uhr landete. Nach halbstündigem Aufenthalt erfolgte die Weiterfahrt nach Frankfurt a. M., um 11,25 Uhr vormittags erfolgte die Landung vor der dortigen Halle.
Tübingen, 5. Juni. Im laufenden Sommerhalb- jahr zählt die Universität 2234 Studierende, darunter 45 weibliche. Gegen das Vorjahr sind das insgesamt 186 Studierende mehr. 1223 davon sind Württem- berger.
Döffingen OA. Böblingen, 5. Juni. Der 21 Jahre alte Gottlob Mundle von hier war am Bahnbau zwischen Magstadt und Maichingen beschäftigt. Bei einem Erdrutsch wurde er so unglücklich zwischen die Erdmassen und einen Rollwagen geklemmt, daß er außer mehreren Rippenbrüchen schwere innere Verletzungen erlitt, die seine sofortige Verbringung in das Böblinger Hospital notwendig machten, wo er einer sofortigen Operation unterzogen wurde. Die Verletzungen waren so schwerer Natur, daß Mundle durch den Tod von seinen Leiden erlöst wurde.
Vaihingen, a. F., 5. Juni. Hauptlehrer Wiedmaier an der Volksschule ging mit seiner 10jährigen Knabenklasse, 60 Schüler stark, an Stelle der Turnstunde an den Wiedmaier-Eissee, um zu baden. Nach Beendigung des Badens wurde abgezählt, jedoch es fehlte der Sohn des Christian Elsäßer. Nach längerem Suchen wurde der Knabe tot aus dem See gezogen.
Sondelfingen (O.-A. Urach), 6. Juni. Gestern mittag kam der erst kurz verheiratete Gipser Lutz, als er im hiesigen Schwefelbad arbeitete, einer elektrischen Hochspannleitung zu nahe und brach tot zusammen. Die Wiederbelebungsversuche blieben ohne Erfolg.
Schwaigern, 5. Juni. Gestern abend um 7 Uhr wurde bei einem Gewitter der 30jährige verheiratete Bauer Ernst Söhner auf seiner Wiese beim Mähen vom Blitz erschlagen. Er hinterläßt eine Frau und 4 kleine Kinder. Ein Mann, der mit ihm zusammen arbeitete, kam mit dem Schrecken davon.
Gmünd, 5. Juni. Gestern abend verunglückte auf einem Kontrollgang der Bahnwärter Martini. So-
Das Wirtshaus im Spessart. I
24) Erzählung von Wilhelm Hauff.
Den folgenden Tag führte Kalum-Bek seinen neuen Diener in sein Gewölbe im Basar. Er zeigte Said alle Schals und Schleier und andere Waren, womit er handelte, und wies ihm seinen besondern Dienst an. Dieser bestand darin, daß Said, angekleidet wie ein Kaufmannsdiener, und nicht mehr im kriegerischen Schmuck, in der einen Hand einen Schal, in der andern einen prachtvollen Schleier, unter der Türe des Gewölbes stand, die vorübergehenden Männer und Frauen anrief, seine Waren vorzeigte, ihren Preis nannte und die Leute zum Kaufen einlud; und jetzt konnte sich Said auch erklären, warum ihn Kalum-Bek zu diesem Geschäft bestimmt habe. Er war ein kleiner, häßlicher Alter, und wenn er selbst unter dem Laden stand und anrief, so sagte mancher Nachbar, oder auch einer der Vorübergehenden ein witziges Wort über ihn, oder die Knaben spotteten seiner und die Frauen nannten ihn eine Vogelscheuche; aber jedermann sah gerne den jungen, schlanken Said, der mit Anstand die Kunden anrief und Schal und Schleier geschickt und zierlich zu halten wußte.
Als Kalum-Bek sah, daß sein Laden im Basar an Kunden zunahm, seitdem Said unter der Türe stand, wurde er freundlicher gegen den jungen Mann, speiste ihn bester als zuvor und war darauf bedacht, ihn in seiner Kleidung immer schön und stattlich zu halten. Aber Said wurde durch solche Beweise der milderen Ge
sinnungen seines Herrn wenig gerührt und sann den ganzen Tag und selbst in seinen Träumen auf gute Art und Weise, um in seine Vaterstadt zurückzukehren.
Eines Tages war im Gewölbe vieles verkauft worden, und alle Packknechte, welche die Waren nach Hause trugen, waren schon versandt, als eine Frau eintrat, und noch einiges kaufte. Sie hatte bald gewählt und verlangte dann jemand, der ihr gegen ein Trinkgeld die Waren nach Hause trage. „In einer halben Stunde kann ich Euch alles schicken," antwortete Kalum-Bek, „nur so lange müßt Ihr Euch gedulden oder irgend einen anderen Packer nehmen."
„Seid Ihr ein Kaufmann und wollet Euren Kunden fremde Packer mitgeben?" rief die Frau. „Kann nicht ein solcher Bursche im Eedräng mit meinem Pack davonlaufen? Und an wen soll ich mich dann wenden? Nein, Eure Pflicht ist es nach Marktrecht, mir meinen Pack nach Hause tragen zu lasten, und an Euch kann und will ich mich halten."
„Aber nur eine halbe Stunde wartet, werte Frau!" sprach der Kaufmann, sich immer ängstlicher drehend. „Alle meine Packknechte sind verschickt —"
„Das ist ein schlechtes Gewölbe, das nicht immer einige Knechte übrig hat;" entgegnete das böse Weib. „Aber dort steht ja noch solch ein junger Müßggänger; komm, junger Bursche, nimm meinen Pack und trag ihn mir nach."
„Halt, halt!" schrie Kalum- Vek. „Das ist mein Aushängeschild, mein Ausrufer, mein Magnet! Der darf die Schwelle nicht verlassen!"
„Was da!" erwiderte die alte Dame und steckte Said ohne weiteres ihr Paket unter den Arm. „Das ist ein schlechter Kaufmann und elende Ware, die sich nicht selbst loben und erst noch solch einen müßigen Bengel zum Schild brauchen. Geh, geh, Bursche, du sollst heute ein Trinkgeld verdienen."
„So lauf im Namen Arimans und aller bösen Geister," murmelte Kalum-Bek seinem Magnet zu; „und siehe zu, daß du bald wiederkommst. Die alte Hexe könnte mich ins Geschrei bringen auf dem ganzen Basar, wollte ich mich länger weigern."
Said folgte der Frau, die leichteren Schrittes, als man ihrem Alter hätte zutrauen sollen, durch den Markt und die Straßen eilte. Sie stand endlich vor einem prachtvollen Hause still, pochte an, die Flügeltüren sprangen auf, und sie stieg eine Marmortreppe hinan und winkte Said zu folgen. Sie gelangten endlich in einen hohen, weiten Saal, der mehr Pracht und Herrlichkeit enthielt, als Said jemals geschaut hatte. Dort setzte sich die alte Frau erschöpft auf ein Polster, winkte dem jungen Mann, seinen Pack niederzulegen, reichte ihm ein kleines Silberstück und hieß ihn gehen.
Er war schon an der Türe, als eine Helle, feine Stimme „Said" rief; verwundert, daß man ihn hier kenne, schaute er sich um, und eine wunderschöne Dame, umgeben von vielen Sklaven und Dienerinnen, saß statt der Alten auf dem Polster. Said, ganz stumm vor Verwunderung, kreuzte seine Arme und machte eine tiefe Verbeugung. (Forts, folgt.)