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Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw
88. Jahrgang
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Erscheinungsweise: 6 mal wöchentlich. Anzeigenpreis: Im Oberamts- bczirk Calw für die einspaltige BorgiSzeile 10 Pfg., außerhalb desselben 12Psg.. Reklamen 25 Pfg. Schluß für Jnseratannahme 10 Uhr vormittags. Telefon 9.
Freitag, de« 6. Juni 1913.
Bezugspreis: In der Grabt mit Lrägeriohil Mk. I.2S vierteljährlich, Post, bezugspreis für den Orts- und Nachbarortsverkehr Mk. 1.20, im Fernverkehr § Mk. 1.30. Bestellgeld in Wtzrtt°.,:herg 30 Pfg., in Bayern und Reich 42 Pfg.
Amtliche Bekanntmachungen.
Die Schultheißenämter
werden unter Hinweisung auf tz 3 der zum Vollzug des Oberamtsarztgesetzes ergangenen Verfügung der Ministerien der Justiz, des Innern, sowie des Kirchen- und Schulwesens vom 17. März 1913 (Reg.-Bl. S. 82) davon in Kenntnis gesetzt, daß durch das Kgl. Medizinalkollegium zum
Stellvertreter des König!. Oberamtsarztes in Calw bestellt worden ist:
für die wichtigen Amtsgeschäste: Der Königl. Oberamtsarzt in Neuenbürg; für die sonstigen Amtsgeschäfte: Dr. Mezger in Calw.
Calw, den 6. Juni 1913.
K. Oberamt.
Amtmann Rippmann.
Der Niedergang des Osmanischen Reiches.
(Fortsetzung).
Professor v. Düring charakterisiert die Türken als Gentlemen ihres Landes, sie seien liebenswürdig, persönlich vornehm, vertrauenswürdig, mildtätig, weichen Gemüts, gut, diskret — und doch gingen sie an sich zugrunde. Und an die Begründung seiner Ansicht, daß „freie" Kolonisten, d. h. außertürkische Bauern, Handwerker, in Kleinasien nicht bestehen könnten, knüpft er die bündige Verurteilung der türkischen Verwaltung: „Das, was die Türken unter Regierung, unter Verwaltung, unter Recht verstehen, ist die unbedingte Verneinung alles dessen, was wir Europäer darunter verstehen! ... An der Verrottung der Verwaltung im Innern, der gegenüber selbst die — wenig zahlreichen! — besten, einsichtigsten, verhältnismäßig ehrlichsten, wohlwollendsten Beamten vollkommen machtlos sind, macht man sich keine Vorstellung." . . . Die Erhebung der Steuern in Form von Zehnten lasten nach seiner Beurteilung gleich einem Fluch aus dem Land: Die Ernte ist vom Feld ins Dorf gebracht. Das Dreschen — d. h. das Austreten des Kornes aus den Aehren durch belastete Schlitten und durch die Ochsen und Büffel — geschieht meist auf gemeinsamer Tenne. Da von dem Getreide der Zehnten zu nehmen ist, muß zunächst ein Beamter der Regierung kommen, um die entweder in Natura oder in Geld abzuliefernde Menge der Ernte zu bestimmen. Die Bauern melden nun der zuständigen Behörde, daß das Getreide zum Dreschen bereit ist. Das Wetter ist noch gut; es droht aber bald Witterungsumschlag; ein Regen mindert den Wert der Ernte. Vor Erscheinen des Beamten darf jedoch mit der Arbeit nicht begonnen werden. Die Bauern kommen wieder stundenweit her zur Regierung, sie bitten, sie betteln — schließlich bieten die Leute das Doppelte, das Dreifache des Zehnten, um mit der Arbeit beginnen zu dürfen! Wo die Ablösung des Zehnten in Geld erfolgt, wird die Schraube auf andere Weise in den verschiedensten Formen angesetzt. Die Einschätzung der Ernte geschieht auf dem Halm, durch eine Kommission, die aus Beamten, zum Teil aus Gemeindemitgliedern, besteht. Zunächst müssen nun die Bauern schon dieser Kommission einen Bakschisch zahlen, damit sie die Einschätzung nicht zu hoch macht. Dieser Bakschisch, zur Steuer hinzugeschlagen, macht für die Bauern ein unbedingt mehrfaches des Zehnten aus. Die Mitglieder dieser Einschätzungskommission sind durchweg aus den wohlhabendsten, einflußreicheren, größeren Grundbesitzern gewählt. Sie sind den hohen Beamten unentbehrlich, als Geldquelle in Tagen der Not, als gelegentliche Verteidiger gegen Anklagen in Stambul.'Diese Großgrundbesitzer schätzen nun sich gegenseitig niedrig ein, und die Regierungsbeamten stimmen, um ihre eigenen „Reserven" zu schonen, dem bei; die kleinen Bauern werden geschröpft." Auf welche Weise, das zeigt v. Düring an einigen Beispielen:
„Nehmen wir an, das Ergebnis der Ernte würde auf 100 Zentner (Gerste, Weizen, Mais, Reis, Baumwolle usw.) eingeschätzt, davon hätte der Bauer 10 Zentner abzuliefern. Die Einschätzungskommission weiß ganz genau, daß so viel nicht geerntet wird. Hat sie leidlich günstig für den Bauern eingeschätzt, so habe ich erlebt, daß nach einem ausgiebigen Regen die Bauern gerufen wurden, und die Maisernte sofort bedeutend höher nachträglich eingeschätzt wurde! Das wirkliche Ergebnis sei 75 Zentner. Unweigerlich muß der Bauer 10 Zentner abliefern. — Es ist Geldablösung vorgesehen. Die Ernte sei wieder auf 100 Zentner geschätzt, 10 Zentner sind abzuliefern, sagen wir zu 5 der Zentner. Diese 50 -R muß er bezahlen, und wenn der Zentner auch nur die Hälfte kostet und der Ertrag der Ernte die Hälfte ist. Aber mit diesen ungesetzmäßig eingehobenen gesetzmäßigen Steuern ist die Sache lange nicht erledigt! Fast alle Beamten, die dienstlich reisen, beanspruchen mit den sie begleitenden Gendarmen von der Bevölkerung des Orts, des Dorfes, das sie mit ihrer Anwesenheit beglücken, freie Verpflegung. Was sich der Bauer selbst nicht leistet, muß er den Beamten geben: er muß einen Hammel, Hühner, Truthühner schlachten, die Eier, die saure Milch, das.Gebäck, die Beu- recks, Blätterteige, die zu jeder türkischen Mahlzeit gehören, und die zahllosen Kaffees liefern. — Aber auch damit ist es noch nicht genug. Von den Steuern bleibt nichts, aber auch gar nichts in der Provinz, das Palais früher, jetzt die Hauptstadt, verschlingt alles. Nun soll eine Schule, ein Militärdepot, ein Krankenhaus, ein neues Regierungsgebäude, eine Moschee oder, zum Thronbesteigungstage, ein Brunnen gebaut werden — man muß in der Hauptstadt melden, daß unter den Auspizien eines Padischah die dankbare, glückliche Bevölkerung freiwillig diese Bauten ausfllhrt. Da wird einfach jedem Dorfältesten die Verpflichtung auferlegt: Du mußt so und so viel in deinem Dorf aufbringen! — Wird die Wirtschaft eines Beamten gar zu unerträglich, so raffen sich manchmal angesehene Bauern auf, um sich persönlich in Abordnung nach Stambul zu begeben, um dem Padischah ihre Klagen vorzutragen. Zunächst ist schon die Vorbereitung zu diesem Schritt gefährlich. Dringt das geringste darüber an die Oeffentlichkeit, so wird eine Verschwörung gegen die Regierung konstruiert, oder es wird — da auch im Lande selbst strenge Patzvorschriften bestehen, einfach die Abreise verhindert. Gelingt es der — hierfür mit nicht unbedeutenden Bestechungsmitteln selbstverständlich ausgerüsteten — Abordnung, Gehör zu finden, wohl meistens durch einen Gegner des hohen Beamten im Palais, so ist damit die Gefahr nicht beendet. Gelingt es den Bauern nicht, sofort die Absetzung des Beamten zu erlangen, wird eine Untersuchüngskom- mission eingesetzt und entsandt, so wird in der Mehrzahl der Fälle ihre Lage sehr schwierig. Mit wenigen Ausnahmen wird es darauf ankommen, wer mehr Geld geben kann, die Bauern oder der hohe Beamte."
(Fortsetzung folgt.)
Stadt, Bezirk und Nachbarschaft
Calw, 6. Juni 1913.
Vom Rathaus.
Oeffentliche Sitzung des Gemeinderats unter dem stellvertretenden Vorsitz von G.-R. Hermann Wag - neram Donnerstag, 5. Juni, nachmittags von 5 Uhr ab. Anwesend sind außer dem Vorsitzenden 8 Gemeinderäte. — Vom Ministerium des Innern ist ein Erlaß eingelaufen, in dem die Einrichtung eines 10- tägigen Fortbildungskurses für Polizei unterbeamte (Wachtmeister) bekannt gegeben wird und die Beschickung dieses Kurses auch von Calw aus angeregt wird. Der Gemeinderat verzichtet aber darauf, er beruft sich u. a. auch darauf, daß sowohl Stadtschultheiß Conz als auch Stationskommandant Sautter ähnliche Kurse mit den in Be-
; tracht kommenden Leuten abgehalten hat. — Der ^Vezirksrat erklärt sein Einverständnis mit der Abmachung bezüglich der Breite des Wegs von der Krankenhauszufahrtsstraße nach dem Hohen Felsen und der Einfahrt in den Schützschen Garten. — Dem Gesuch des Zimmermeisters Marquardt von Effringen um Niederlassung eines Platzes am Oe- länderle zum Werksatzanlegen für dem Architekten Braun zu erstellende Wohnhäuser wird stattgegeben. M. muß für das Haus 10 Zl an die Stadtkasse bezahlen. Die Ueberlassung geschieht widerruflich. — Der Totengräber will gegen die ihm von der Stadt gereichte Entlohnung von 10 -N die Entfernung von Abraum an Wegen und Gräbern des Friedhofs künftig nicht mehr vornehmen. Die 10 deckten ihm nicht einmal seine eigenen mit der Arbeit verbundenen Unkosten. Dem Totengräber verblieb bisher auch das Gras vom Kirchhof. Die Stadtpflege schlägt vor, die Abraumarbeiten durch städtische Arbeiter ausführen zu lassen, womit der Eemeinderat einverstanden ist. — Die Lieferung von 200 Zentner Nußkohlen für den Bedarf der städtischen Gebäude wird an Friedr. Gärtner, diejenige von 40 Zentner Anthrazit an Wilhelm Dingler vergeben. — Schluß der Sitzung gegen ^7 Uhr.
Das diesjährige Kinderfest findet nun nicht, wie anfänglich festgesetzt, am Samstag, den 14. Juni, sondern am Montag, den 16. Juni, in Verbindung mit der Feier des 25jähr. Regierungsjubiläums des Kaisers statt. Damit die Beteiligung an dem Feste eine größere und allgemeinere werde, haben die hiesigen Vereine von dem Festausschuß eine Einladung zur Teilnahme an dem Festzug erhalten. Zur Deckung der Kosten des Kinderfestes wird z. Zt. wieder eine Haussammlung vorgenommen. Möge diese viele freundliche und willige Geber finden.
Sensen und Wetzsteine. Alljährlich zur Zeit der Heuernte werden die Landwirte von Hausierern überschwemmt, die ihnen unter den volltönendsten Anpreisungen und Namen minderwertige Fabrikate zu hohen Preisen verkaufen. Die deutsche Sensenindustrie ist heute so weit vorgeschritten, daß es möglich ist, die beste Sense zu einem Verkaufspreis von 2 ^ bis 2.50 Mark anzubieten. Ebenso ist es mit den Wetzsteinen, die der Landwirt nur unter Garantie kaufen sollte, denn sonst kann er jeden Ackerstein benützen, der ebenso wertlos ist. Da der Verkauf dieser Artikel Vertrauenssache ist, so wäre dem Landwirt am besten gedient, wenn er sich an alte, bodenständige Firmen wenden würde, bei denen er Gewähr hat, fachmännisch und gut bedient zu werden.
Lotterie. In der Preußisch-Süddeutschen Klassenlotterie wurde die Prämie von 300 000 mit einem Gewinn von 1000 -R auf die Nr. 61 819 gezogen.
si. Von der Post. In Oberweiler, hiesigen Oberamts, wird vom 14. Juni ab eine öffentliche Sprechstelle in Betrieb genommen, die sich auch mit der Annahme, Beförderung und Bestellung von Telegrammen befassen wird und für den Unsallmeldedienst eingerichtet ist.
scd. Mutmaßliches Wetter. Für Samstag und Sonntag ist sommerlich warmes, vorherrschend trockenes und gewitteriges Wetter zu erwarten.
G Dachtel, 5. Juni. Am 6. Juli findet in Merklingen ein Sängerfest mit Preissingen statt, und zwar wird innerhalb und außerhalb Gaues gesungen. An den beiden letzten Sonntagen nahm der Eaudirigent, Hauptlehrer Wiedmeyer-Merklingen, bei den innerhalb Gaues in Veracht kommenden Gesangvereinen die Proben zu den Massenchören vor, am vorletzten Sonntag in Dachtel, Eechingen und Stammheim, vergangenen Sonntag in Simmozheim, Alt- und Neuhengstett. Als Massenchöre werden gesungen: „Sonntag ist's" von Breu und „Mein Heimatland" von Kruesch. Soviel bis jetzt seststeht, singen innerhalb Gaues 4 Vereine im niederen und 1 im höheren Volksgesang.