im Auslande der Landessprache mächtig sein sollten. So sehr ich anerkenne, daß dieser Wunsch etwas für sich hat. kann ich nicht zugeben, datz die Kenntnis dere Lan­dessprache unerläßlich ist. Auch andere Staaten erfüllen diese Pflicht nicht. Der Vorwurf, datz wir bei der Besetzung wichtiger Posten zu viel Zeit verstreichen lassen, ist ebenso unbegründet, wie der Vorwurf der ausgedehnten Urlaube. Bernstein (Soz.) tritt ver­schiedenen Einwänden entgegen, die gegen seine vor­gestrigen Ausführungen gemacht worden sind. Es werde keine Vernunft-, sondern eine Machtpolitik getrieben. Das Gehalt des Staassekretärs wird bewilligt. Beim TitelBesoldung der Konsularbeamten" wird von verschiedenen Seiten berichtet, datz die konsularische Hilfe Deutschen gegenüber oft versage und es wird demgegenüber rühmend die Bereitwilligkeit der eng­lischen und amerikanischen Konsuln hervorgehoben. Abg. Molkenbuhr (Soz.) klagt darüber, datz bei konsularischen Behörden den Bittstellern überhaupt schwer ein Schutz gewährt werde. Der Titel wird be­willigt und der Etat des Auswärtigen Amtes in zwei­ter Lesung verabschiedet. Reichskanzlei. Am Re- gierungstisch erscheinen Reichskanzler von Vethmann- Hollweg, und die Staatssekretäre Delbrück und Lisco. Dr. Eradnauer (Soz.): In den 25 Jahren der Re­gierung des jetzigen Kaisers ist das Volk ohne Ein­fluß auf die Leitung des Staates geblieben. Wir sind Gegner des Jesuitengesetzes, müssen aber eine klare Stellung der Regierung in dieser Frage verlangen, da­mit es dem Zentrum nicht ermöglicht wird, ein doppel­tes Geschäft zu machen: auf der einen Seite die nöti­gen Jesuiten zu erhalten, und auf der anderen Seite mit der Bedrückung des katholischen Volkes durch Auf­rechterhaltung des Jesuitengesetzes Agitation zu trei­ben. Ueber die Ausweisung in Magdeburg und Braun­schweig hat sich Herr v. Jagow nicht ausgelassen. Er war offenbar auf die Frage nicht präpariert. (Heiter­keit links.) Das Verhalten der Braunschweiger Polizei­behörde ist geradezu ein Schandmal für deutsche Zu­stände. (Vizepräsident Dr. Paasche ruft den Redner zur Ordnung.) Die wichtigste Aufgabe des Reichs­kanzlers als preußischer Ministerpräsident ist aber die Reform des Wahlrechts. Als eine Hauptforderung müssen wir die nach einem Ministerverantwortlichkeits­gesetz erheben. Reichskanzler von Bethmann- Hollweg: Seit ich im November vorigen Jahres über die Jesuitenfrage im Reichstage gesprochen habe, ist das Novum eingetreten, datz der Reichstag einen Antrag auf Aufhebung des Jesuitengesetzes angenom­men hat. Der Bundesrat hat darüber noch keinen Be­schluß gefaßt. Der Staatssekretär des Innern hat bei den Regierungen der Einzelstaaten Rückfrage gehalten, um das Verhältnis des Reichsrechts zum Landesrecht zu klären. Darauf geht der Reichskanzler auf den Fall Compöre Morel ein und sagt: Was wir an Verstär­kung für unsere Armee tun wollen, darüber wird von Deutschland ganz allein gesprochen. Wir brauchen da kein Mitreden von fremden Herren, mögen sie nun an sich kompetent sein, ihre Ansicht zu äußern oder nicht. (Beifall rechts.) Ich glaube doch wirklich, der Ansicht der großen Mehrheit des Reichstags und jedenfalls der ganzen Oeffentlichkeit Ausdruck zu geben, wenn ich sage, datz der Fall Sohst vom Kaiser in einer Weise erledigt worden ist, datz er für uns alle erledigt ist. Nachdem der Reichskanzler den Inhalt des Kaufver­trages vom 15. 12. 08 mit Sohst mitgeteilt hatte, fährt er fort: Müssen wir nicht tagtäglich von der sozialdemo­kratischen Presse Verhöhnung unseres Gottesglaubens gefallen lassen? In einem Artikel derLeipziger Volks­zeitung" wurden Einrichtungen des christlichen Glau­bens in einer Weise behandelt, datz ich allerdings den

Herrn Staatssekretär des Reichsjustizamtes gebeten habe, zu prüfen, ob nicht auf strafrechtlichem Wege einge­schritten werden kann. (Unruhe und Hohnlachen links.) Ebenso wird über die Vaterlandsliebe in dem Sinne, wie sie die große Mehrheit des deutschen Volkes ver­steht, von Ihnen unausgesetzt gelärmt und gespottet. (Sehr richtig, rechts.) Wir werden uns den Gottes­glauben nicht verkümmern lassen durch die Angriffe, die Sie hier dagegen richten. (Stürmischer Beifall rechts und in der Mitte. Zischen bei den Sozialdemo­kraten.) Liesching (F. Vp.): Eine reine Freude haben wir nicht an der Reichspolitik. In der Jesuiten­frage sollte die Regierung bald zu einer Entscheidung kommen. In der Angelegenheit des französischen De­putierten wäre es besser gewesen, wenn die Polizei nicht so ängstlich gewesen wäre. Die Vorkommnisse wie im Falle Sohst bedauern wir, da sie zeigen, datz der Kaiser falsch informiert wird. Auch wir verlangen eine Reform des Wahlrechts, insbesondere fordern wir die Verhältniswahl. Staatssekretär Dr. Delbrück erwidert dem Abgeordneten Liesching. Hüttmann (Soz.) begründet den sozialdemokratischen Antrag auf Vorlage eines Gesetzentwurfes zur Einführung des Pro­portionalwahlrechts bei den Reichstagswahlen. Nach einer Rede des Abgeordneten Eradnauer (Soz.) wird die Debatte geschlossen. Die Abstimmung über die Verhältniswahlresolution macht Hammelsprung er­forderlich, der 88 Stimmen für und 90 Stimmen ge­gen den sozialdemokratischen Antrag ergibt. Da das Haus somit beschlußunfähig ist, wird die Sitzung abge­brochen und die Erledigung des Etats des Reichskanz­lers und der Reichskanzlei um 7.20 Uhr auf Donners­tag 1 Uhr vertagt; außerdem Wahlprüfungen und Etat des Reichstages.

Die Budgetkommission beschäftigte sich heute eingehend zunächst mit den Neuforderungen für technische Truppen und sodann mit der Vermehrung und den Leistungen der Bezirks­kommandeure bzw. Offiziere, welche ziemlich scharfe Kritik fanden. Schließlich kamen die Lieferungen für die Militär­küchen aufs Tapet; auch hier erfolgten scharfe Angriffe und Behauptungen von Durchstechereien, denen der Kriegsmini­ster entschieden entgegentrat.

Aus dem Landtag.

Stuttgart, 16. April. Die Zweite Kammer hat gestern nachmittag die Beratung des Gesetzentwurfes über die Er­höhung der Zivilliste des Königs begonnen und nach länge­rer Besprechung gegen die Stimmen der Sozialdemokraten dem Finanzausschuß überwiesen. Heute wurde in der Be­ratung des Kultusetats fortgefahren und bei Kapitel Höhere Knabenschulen lebhaft debattiert. Ein Ausschußantrag wurde angenommen, die Bitte der nach dem 1. April 1911 an der Oberstufe angestellten Professoren um andere Regelung ihrer Eehaltsverhältnisse der Regierung zur Berücksichtigung zu überweisen. Annahme fand gleicherweise ein Kommissions­antrag betr. Zuschüsse zu den Gehältern der elementaren Fachschullehrern und der Bürgerschullehrer.

Stuttgart, 16. April. Der Finanzausschuß beriet heute nachmittag den Gesetzentwurf betreffend die Er­höhung der Königlichen Zivilliste. Der Entwurf wurde mit allen gegen die drei sozialdemokratischen Stim­men des Ausschusses angenommen.

Stadt, Bezirk und Nachbarschaft

Calw, 17. April 1913.

Ergänzung. Zu dem Leitartikel in gestriger Num­mer,Steuern, die der Gesetzgeber vergaß", schreibt man uns:In dem sonst viel Gutes und Richtiges ent­haltenden Artikel in Nr. 87 d. Blattes werden in einem Zitat aus derChristlichen Freiheit" von Lic. Traub

auch die Kirchen als besonders geeignete Steuerobjekte hervorgehoben und es wird ihnen zum Vorwurf ge­macht, daß sie sich nicht selbst bereit erklärt haben, zur Wehrsteuer beizutragen. Dabei wird ausgesprochen: Der Besitz der evang. und kath. Kirchengemeinschaften ist wahrhaft ein erstaunlicher". Dieser Satz kann we­nigstens in Beziehung auf Württemberg nicht unwider­sprochen bleiben. Die örtlichen Kirchenvermögen sind bei uns Land auf, Land ab mit wenigen Ausnahmen recht bescheiden. Ein Gesamtkirchenvermögen besitzt unsere evang. Landeskirche bis jetzt überhaupt nicht. Das Kirchengut wurde bekanntlich bei uns vom Staat eingezogen und soll jetzt erst ausgeschieden werden. Da­durch werden aber der evang. Kirche so wenig Reich- tümer zuflietzen, datz sie, um nur ihre eigenen Bedürf­nisse notdürftig bestreiten zu können, wird von ihren Gliedern eine Landeskirchensteuer erheben müssen, wie dies in unserem Nachbarland Baden schon seit Jahren eingeführt ist."

Hk. Schiffsliste für billige Briese nach den Vereinigten Staaten von Amerika (10 Pfg. für je 20 Gramm). Die Portoermäßigung erstreckt sich nur auf Briefe, nicht auch auf Postkarten, Drucksachen usw., und gilt nur für Briefe nach den Vereinigten Staaten von Amerika, nicht auch nach ande­ren Gebieten Amerikas, z. B. Canada. Kronprinz Wilhelm ab Bremen 22. April, Prinz Friedrich Wilhelm ab Bremen 26. April, Kronprinzessin Cecilie ab Bremen 29. April, Amerika ab Hamburg 1. Mai, George Washington ab Bre­men 3. Mai, Kaiser Wilhelm der Große ab Bremen 6. Mai, Kaiser Wilhelm II. ab Bremen 13. Mai. Postanfchluß nach Ankunft der Frühzüge. Alle diese Schiffe sind Schnell­dampfer oder solche, die für eine bestimmte Zeit vor dem Abgänge die schnellste Beförderungsgelegenheit bieten. Es empfiehlt sich, die Briefe mit einem Leitvermerk wiedirek­ter Weg" oderüber Bremen oder Hamburg" zu versehen.

8cd- Mutmaßliches Wetter. Für Freitag und Samstag ist zunächst milderes, dann bei zunehmender Bewölkung zu leichten Niederschlägen geneigtes Wetter zu erwarten.

Nagold, 15. April. An Stelle des Stadtschult- heitzenamtssekretärs Schumacher, der Urlaub zur Be­werbung um die Stelle eines Verwaltungsaktuars in Altensteig erhielt, haben die bürgerlichen Kollegien in geheimer Abstimmung den Eemeinderat Schaible als Stadtschultheitzenamtsverweser und den Gemeinderat I. Mayer als Stellvertreter, sowie Stadtpfleger Lenz als stellvertretenden Standesbeamten gewählt.

Altensteig, 17. April. Den Heidelbeeren, die in ihrer Entwicklung noch weit zurück sind, hat die Kälte nicht ge­schadet, da sie durch den Schnee gut gedeckt waren. So ist im nördlichen Schwarzwald, in dem auch die meisten Obst­bäume weniger verletzt durchgekommen sind, die Möglichkeit einer befriedigenden Beeren- und Obsternte immer noch vor­handen. Heidelbeeren sind der Reichtum der Waldbewohner und bringen hoffentlich auch Heuer eine gute Einnahme in die entlegenen Waldorte.

Freudenstadt, 16. April. Zwischen Halbmeil und Schiltach ist der von Hausach nach Freudenstadt fah­rende Personenzug an einem nicht geschlossenen Ueber- gang abends auf ein Langholzfuhrwerk gestoßen. Der Lokomotivführer bemerkte das Hindernis im letzten Augenblick und bremste so scharf, datz der Zusammenstoß abgeschwächt und niemand verletzt wurde. Immerhin wurde die Lokomotive so stark beschädigt, datz von hier eine Ersatzmaschine abgesandt werden mutzte, die den Zug mit dreiviertelstündiger Verspätung hierher brachte.

Sindelfingen, 16. April. Als gestern nachmittag der Metzger Haarer von Vaihingen mit seinem Fahrrad nach Böblingen fahren wollte, um Vieh aufzukaufen, wurde er auf der Staatsstraße im StadtwaldJägerpfad" von zwei Bürschchen mit Steinen geworfen und am Kopf verletzt. Er

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Superbe, exzellent!" nickte der Franzose.Ick werden sein die Marchand Natan Schuster aus Luckau und werde begleiten in Geschäften die Voyage. Wird sich gehn die Route über Wittemberg, Frankfort, Mayence bis nach Straßbourg. Dort in die Dome, Monasterium beatae Mariae Virginis, werden wir dann Mariage macken. S' il plait ü Dieu!" Und Monsieur Soulard begann vergnügt zwischen den Zäh­nen zu pfeifen:Mademoiselle voulez-vous danser . . ."

Vis morgen oder übermorgen kann alles für die Reise vorbereitet sein," fuhr Lange eifrig fort;denn in der jetzigen Zeit wäret Ihr, Kapitän Soulard, doch auf die Dauer in Berlin nicht sicher."

Brümmer nickte beistimmend, während seine bessere Hälfte tief und schwer seufzte und ihr Batisttuch an die verquollenen Augen führte.

Non, mes Amis! Sein sick nicht so fatal! Haben sick eine Passeport von die Etat-major de I'armöe du Nord, General Adlercreutz. Kann sick passieren partout, kann sick bleiben, wo sick will, müssen sick toujours durchlassen durch les lignes des sentinelles."

Alles ganz schön und gut!" meinte Lange bekümmert: Kann uns auf unserer Reise, wenn wir Kosaken und anderen Reiterbanden der Verbündeten begegnen sollten, sehr von Nutzen sein. Habe aber kein großes Zutrauen, daß die preußi­schen Generale und Beamten das Papier lange respektieren werden! Wir haben ihren Gehorsam ja bei Groß-Beeren und Dennewitz gesehen! He?"

O, es sein Hochverräter und Filous!" brummte Soulard, ernster geworden.Es sein besser pour le Monde, wir reisen morgen."

Brümmer, dessen Fuchsaugen spähend und lauernd von einem zum andern wandelten, um die Worte jedes Sprechers vom Munde abzulesen, beeilte sich, auszurufen:Ich werde euch den Wagen besorgen. Ich weiß, wo ihr einen solchen und zwei kräftige Pferde billig kaufen könnt."

Gut, Brümmer; Ihr besorgt den Wagen, und morgen fahren wir," sagte Lange bestimmt, sich erhebend.

Zu Hause machte Lange seine Tochter mit dem Plan der Reise nach Halle bekannt, den schwerverwundeten Hans Hoya zu pflegen, und sobald es angehe, mit nach Berlin zu nehmen. Mit Hellen Dankestränen warf sich das junge Mädchen an seine Brust und küßte ihn zärtlich, so daß der alte, mürrische Mann selbst ganz gerührt wurde. Lenchen ging zum Glück für den Vater bald auf ihr Zimmerchen, damit sie alles für die bevorstehende Reise herrichte. Ruhiger geworden, stellten sich allerhand Bedenken und Zweifel ein. Wie kam es, daß der Vater, der doch vorher so feindlich gegen Hoya gewesen und jede Annäherung desselben schroff zurück- gewiesen hatte, nun plötzlich so viel Teilnahme für ihn zeigte? Hatte er sich endlich selbst und sein Volk wieder­gesunden, nach den herrlichen Siegen auf Leipzigs Fluren? Ihre vertrauende Kinderseele hoffte und wünschte es. Aber immer stand nahe bei ihr etwas Angstvolles, das sie nicht erkennen konnte.

Am Morgen des nächsten Tages, dem 25., fuhr eine Kutsche vor dem Hause des Rentiers Lange vor. Auf dem Bock, neben dem Kutscher, saß in seiner Verkleidung Mon­sieur Soulard. Er hockte bewegungslos da, tief in seinen Mantel vermummt, um von Helene unerkannt zu bleiben. Der Supernumerarius Brümmer hatte sich geschäftig ein­gefunden, brachte alle nötigen Papiere vom Magistrat und der Polizei mit und half die Sachen, Schachteln und Koffer, in den Wagen tragen. Dann knallte der Kutscher mit der Peitsche, die Gäule zogen an, und von dannen rumpelte und polterte das Gefährt über den Straßendamm dahin. Lenchen aber war es, als würde sie nie, nie das traute, stille Häus­chen in der Landsberger Straße Wiedersehen. Tränen trüb­ten ihre Blicke, und sie mutzte gewaltsam die kleine, bebende Hand auf das bang klopfende Herz pressen, um es zu be­ruhigen.

Die Fahrt ging über Potsdam nach Treuenbrietzen, wo die Reisenden in einem elenden Easthause übernachteten und für Geld und gute Worte kaum die notwendigsten Lebens­mittel erhalten konnten. Im Morgengrauen des nächsten Tages ging es weiter. Von nun an mehrten sich die grau­sen Spuren des Kampfes. Ueberall verbrannte Dörfer und Gehöfte, schwarze, geborstene Mauern, verschüttete Brunnen, gefällte Bäume,zerstampfte, mit Unrat bedeckte Felder, ab und zu eine Leiche. Helene schauerte zusammen und drückte angstvoll das erblaßte Eesichtchen in die Lederpolster des Wagens.

(Fortsetzung folgt.)