dieser Annahme den Frieden gebracht hätte. Nichtsdestoweniger glauben und hoffen wir, dag er in der Tat grundlos ist. Die Tatsache, dag der Kaiser von Oesterreich ein eigenhändiges Schreiben an den Zaren gerichtet hat, wird allgemein als äußeres und sichtbares Zeichen einer wirklichen Entspannung zwischen den beiden Ländern gedeutet, und wenn wir sicher sein dürfen, dag Oesterreich und Rußland den Frieden halten, brauchen wir uns nicht ferner mit dem Alpdruck eines allgemeinen Krieges zu quälen. Viel Gerede ist von der rumänischen Frage gemacht worden. Es scheint indes, daß man weder in Sofia noch in Bukarest der Sache großes Gewicht beimißt. Es ist auch augenscheinlich aus den ersten Blick und höchst wahrscheinlich, daß Bulgarien den Krieg mit der Türkei nicht erneuern würde, wofern es nicht zu einer Art allgemeiner Verständigung mit dem Nachbarn gekommen wäre. Die Türken haben somit von auswärtigen Verwicklungen nichts zu erwarten, wenn nicht etwa die Verbündeten so große Erfolge erzielen sollten, daß die Konstan- tinopeler und vielleicht gar die kleinasiatische Frage aufgerollt würde. Das allerdings könnte zu Verwicklungen führen, aber auch nicht zum Vorteil der Türkei und sicher nicht zum Vorteil der Verbündeten. Der Ausblick, der sich auf Grund dieser Annahme eröffnen würde, zeigt uns die Türken so gründlich geschlagen und die Türkei so ganz zertrümmert, daß trotz aller Beteurungen von Friedensliebe die Mächte der Versuchung nicht widerstehen, einzugreifen, die Stücke aufzulesen und mit den Verbündeten zu teilen."
Konstantinopel, 4. Febr. Die Friedensverhandlungen werden, wie auf der Pforte versichert wird, trotz der Wiederaufnahme der Feindseligkeiten, nicht vollständig abgebrochen. Jeder der kriegführenden Staaten wird einen Unterhändler in London lassen. Diese Rumpf-Friedenskonferenz kann jederzeit die Verhandlungen wieder aufnehmen. Das jungtürkische Ministerium hat gestern einen Aufruf erlassen, in dem es das Volk zur Ruhe und Besonnenheit ermahnt. Die Bevölkerung solle nicht erschrecken, wenn die Kanonen von neuem donnern. Es fänden militärische Uebungen statt; die Bevölkerung wisse genau, daß diese militärischen Uebungen sehr schwerwiegender Natur sind und über das Schicksal der Türkei entscheiden.
Stadt» Bezirk und Nachbarschaft.
Calw, 5. Februar 1913.
Rückschau auf den Fasching. Die fällt für unfern Calwer Fasching kurz aus. Das, was ihm an den Faschingsmittelpunkten des Landes, in Rottweil, Rottenburg, Ellwangen, Gmünd und nicht zuletzt auch Stutt- ggart, seinen charakteristischen Stempel aufdrückt, die aufs höchste gesteigerte Ausgelassenheit und Ungebundenheit, Narrenfreiheit auf der Straße und — gegen jedermann, das sind für Calw unbekannte Dinge. Zwar seien früher, erzählen gebürtige Calwer, Umzüge und Maskeraden geradesogut wie in anderen Städten auch in Calw daheim gewesen, sie sind aber mit der Zeit sachte Unterlasten worden und die ganze Fastnachtsherrlichkeit bereiten sich ausschließlich die größeren Vereine in mehr oder weniger internem Rahmen. Dagegen wird es seine Richtigkeit haben, wenn gesagt wird, daß die allgemeine Beteiligung am Fastnachtstreiben zunimmt — bei alt und jung. Es gibt Leute, die das bedauern, daß nicht mehr die gesamte Bevölkerung die Trägerin solcher Fastnachtsveranstaltungen größeren Stils ist. Von findigen Köpfen nämlich läßt sich immer ein witziges, lokalgeschichtlich interessantes Fastnachtsspiel oder ein entsprechender Umzug zusammenbauen; woran es liegt, daß diese Umzüge bei uns dem Aussterben anheimfallen sollen, das zu untersuchen, wäre zweifellos lohnend.
Vielleicht sind unsrer Bevölkerung die Zeiten zu ernst, vielleicht fehlts an der Organisation und an Führern, vielleicht am Geld für derlei Dinge, oder am echten Humor — gar an all dem zusammen, kurz, die Fastnacht 1913 jedenfalls schlug dahinten bei uns keine hohen Wellen. Innerhalb der von den verschiedenen Vereinen durchgeführten Bälle, Kränzchen usw. war doch auch Gelegenheit gegeben, seine Narrenideen und Fastnachtsweisheiten anzubringen, entsprechend der Veranlagung und inneren Beschaffenheit des einzelnen. Vürger- gesellschast, Liederkranz und Museum boten ihren Mitgliedern fastnachtliche Unterhaltungen. Auf ihnen sah man zum Teil wirklich schöne und wertvolle Kostüme, die das Auge jedes Menschen von Geschmack erfreuten und sehr zur Belebtheit, zur Mannigfaltigkeit des gesamten Bildes beitrugen, ihm sogar den Hauptreiz gaben. Im Mittelpunkt des Fastnachtsballs der B.-E. stand die Darstellung eines Zigeunerlagers, das Museum arrangierte einen „Eesindeball bei Barons", und im Liederkranz gabs „Vermischtes". So viel bekannt ist, sind die Besucher dieser Faschingsabende von dem, was alles geschah, befriedigt gewesen. Mehr brauchts schließlich nicht. Ein anderer Teil der Fastnacht aber, wir möchten ihn den gemütlichen nennen, der ist wohl Aller Gemeingut und möchte von niemand vermißt werden. Das sind die „Fastnachtsküachla". Wenn man hier durch nichts auf der Straße an die ausgelassene Zeit erinnert worden wäre, so durch den feinen, zuckerigen, schmalzigen Duft, der, ach, so lieblich aus den Hausfluren, Fenstern und Zimmern ins Weite sich breitete und verriet, wie Mutter eifrig „Küachla backet". M, roch das zum Anbeißen schön. So läßt man sich Fastnacht schon eher gefallen, mit ihnen ist sie auch bekömmlicher, als man zieht mit irgend einer farbigen Fratze vor dem Antlitz durch die Straßen, johlend und schreiend. Heute ist Aschermittwoch, er soll denen, die's nötig haben, Veranlassung geben, Asche aufs fastnachtliche Haupt zu streuen. Wohl dem, ders nicht nötig hat, und mit ungeschmälertem Geldbeutel, gutem Gewissen und — ungebrochenem Herzen über die Zeit, da Karneval regierte, hinüberkam!
8cb. Mutmaßliches Wetter. Für Donnerstag und Freitag ist immer noch zwar vorwiegend trockenes, aber wechselnd bewölktes und zu kurzen Störungen geneigtes Wetter zu erwarten.
Für die Feier des allgemeinen Landesbußtags am Sonntag Jnvokavit, 9. Februar, wurden von der evangelischen Oberkirchenbehörde folgende Predigttexte bestimmt: 1. für die Vormittagspredigt Hosea 11, 7: „Mein Volk ist müde, sich zu mir zu bekehren; und wie man ihnen predigt, so richtet sich keiner auf"; 2. für den Nachmittagsgottesdienst Römer 11, 22: „Darum schauet die Güte und den Ernst Gottes: den Ernst an denen, die gefallen sind, die Güte aber an dir, sofern du an der Güte bleibest; sonst wirst du auch abgehauen werden".
Neuenbürg, 4. Febr. Am Sonntag hielt die Kraftwagengesellschaft „Neuenbürg-Herrenalb-Wildbad" ihre ordentliche Generalversammlung im Easthof zum Bären hier ab. Der Vorsitzende des Aufsichtsrats berichtete über die im letzten Jahr getroffene Betriebsausdehnung von Wildbad nach Tei- nach, Calw und Liebenzell, sowie über das erzielte Betriebsergebnis; ferner über die im letzten Herbst erbaute zweite Autohalle mit einem Aufwand von rund 1600 sowie über die Einrichtung einer Reparaturwerkstätte mit einem Aufwand von rund 1000 Die Gesellschaft hatte im letzten Jahr 4 Sommerwagen und 1 Winterwagen im Betrieb und blieb von bedeutenderen Verkehrsstörungen verschont. Das Betriebsergebnis war im großen ganzen befriedigend, nur
die neu a n g e s ch l o s s e n e Calwer Linie ließ etwas zu wünschen übrig. Beschlossen wurde, eine Dividende von vier Prozent auf das Aktienkapital zu gewähren und außerdem jedem Mitglied eine Freifahrt bis zu 45 Kilometer zu gestatten. Den Geschäftsführern wurde für das abgelaufene Betriebsjahr eine Gratifikation von zusammen 1350 ausgesetzt. Der restliche Reingewinn mit 756 -4t wurde auf neue Rechnung genommen. An dem Wagenmaterial wurden 20 Proz., an den Immobilien 5 Proz. und an den Mobilien 15 Proz. Abschreibungen gemacht. Ferner wurde im Interesse der Herbeiführung einer größtmöglichen Betriebssicherheit die Anschaffung eines weiteren 6. Sommerwagens genehmigt. Bei der Ergänzungswahl in den Aufsichtsrat wurden die ausscheidenden Mitglieder Kübler, Seuffer, Bechtle und Schnitzer wiedergewählt. Ebenso wurden die Geschäftsführer Lutz, Meißel und Lustnauer für weitere 3 Jahre neu bestätigt.
Neuenbürg, 5. Febr. In Langenbrand ist gestern abend 10 Uhr das Wohnhaus und die Scheune des früheren Briefträgers Jakob Bott niedergebrannt. Der Schaden beträgt 12 000 bis 15 000 -K. Ueber die Entstehungsurache ist man noch nicht genau unterrichtet.
Wildbad, 4. Febr. Mit dem 1. Februar hat die Flößerei auf der Enz von Notenbach abwärts, desgleichen aus der Nagold einschließlich des Zinsbaches aufgehört. — Im benachbarten Calmbach ereignete sich gestern vormitt, ein Bauunfall. Als der verheiratete Maurer Fritz Müller nach der Frühstückspause wieder an die Arbeit ging, wurde er von einer Diele getroffen, die der Sohn des Gipsers Proß gerade vom Varthschen Neubau herunterwarf. Müller erlitt einen Achsel- und einen Schienbeinbruch.
Pforzheim, 4. Febr. Ein stellenloser, 27 Jahre alter Kaufmann hat heute vormittag seiner 21jährigen Freundin die Kehle durchschnitten. Darauf machte er einen Selbstmordversuch, wobei er sich aber nur an der Hand verletzte. Hierauf stellte er sich selbst der Polizei.
Altensteig, 4. Febr. Gestern abend drohte in den Stallungen des Gasthauses zum Löwen ein Feuer auszubrechen. Es gelang den Nachbarn und einigen herbeigeeilten Feuerwehrleuten, den Brand zu löschen.
Aus Welt und Zeit.
Statistik der evangelischen Landeskirche Württembergs.
Das Amtsblatt des Evangel. Konsistoriums veröffentlicht das Ergebnis der Statistik für die evangel. Landeskirche Württembergs im Kalenderjahr 1911. Derselben ist folgendes zu entnehmen: Kinder evangel. Eltern wurden geboren 46 927, darunter aus gemischten Ehen 3615; evangel. getauft wurden 44 705, darunter aus gemischten Ehen 2148. 1232 Kinder aus gemischten Ehen wurden katholisch getauft. Die Taufe unterblieb bei 461 Kindern. Durch Sektenprediger wurden, soweit bekannt, 58 Kinder evangel. getauft. Evangelisch getraut wurden 12113 Paare. Von 1490 gemischten Paaren wurden 767 evangelisch, 410 katholisch, 43 von Sektenpredigern getraut, llngetraut blieben etwa 460 rein evangelische und 310 gemischte Paare. Von 29 212 verstorbenen Eemeindegliedern wurden 26 884 kirchlich bestattet. Die überwiegende Zahl der nicht kirchlich Bestatteten betrifft die Kinder. Bei 464 Fällen von Feuerbestattung wurde ein evangelischer Geistlicher beigezogen. Konfirmanden waren es 34 564, Kommunikanten 699 600. llebertritte zur evangelischen Kirche fanden statt 170, darunter von Katholiken 112, von Dissidenten 53. Ausgetreten sind 534 Personen, darunter 57 zur katholischen Kirche, 306 zu Dissidenten, 169 zu Freireligiösen oder ohne Anschluß an eine religiöse Gemeinschaft. Die kirchlichen Kollekten betrugen insgesamt 934 075 -4t, durchschnittlich 55,98 ^ auf den Kopf der evan-
hervor: „Sofort verkästen Sie dieses Zimmer, ich wünsche meine Schwester allein zu sprechen, und das lasten Sie sich gesagt sein, fortan trete ich für ihre Rechte ein! Ich werde Toskas Sache führen und mögen Sie tausendmal die Gesetze zu ihrem Schutze anrufen, ich löse die Bande, mit denen Sie dieses hilflose Geschöpf an sich gefesselt, und sollte ich bis zum König gehen, das schwöre ich Ihnen," setzte Achim hinzu.
Schützend schlang er den Arm um die Schwester, welche, die Hand auf ihr Herz gedrückt, noch immer regungslos auf der Schwelle der Türe stand, durch welche sie vor Adrians Mißhandlungen fliehen wollte.
Sie vermochte es noch gar nicht zu fasten, daß der lotgeglaubte, ach, so heiß ersehnte Rächer wirklich vor ihr stand, sie fürchtete noch immer, es könne wieder ein Trugbild sein, wie ihre fiebernde Phantasie ihr schon unzählige Male vorgegaukelt, sie hatte ganz verlernt, an Glück zu glauben. Als sie aber seine starke Hand auf ihrer Schulter fühlte und sein geliebtes Haupt sich mild und zärtlich zu ihr niederbeugte, da warf sie sich mit lautem, jubelndem Aufschrei an seine Brust — eine Welt von Empfindung lag in dem einen tränenerstickten Ruf „mein Bruder".
Auch Achims Auge wurde feucht. Wie blaß und schmal war das Eesichtchen geworden, das keine, auch noch so kleine Spur seiner früheren kecken Lebensfreudigkeit mehr trug. Tief ergriff ihn der wehe Schmerzens- zug, der sich um ihre Lippen eingegraben, die tiefen, dunklen Schatten, welche unter übergroßen Augen lagen. deren matter Glanz verriet, wie viele Tränen sie
vergossen, und fest, fest drückte er sie an sich. Dieses Herz wenigstens sollte ihr Heim bleiben jetzt und allezeit.
Adrian stand den Geschwistern gegenüber mit haßverzerrten Zügen, in ohnmächtigem Grimm die Hand zur Faust geballt.
„Sie werden mir für diese beleidigenden Worte Rechenschaft geben," rang es sich tonlos von seinen Lippen.
„Jederzeit," gab Achim kalt zurück, dann löste er sich zärtlich aus den fest seinen Hals umklammernden Armen seines Lieblings. „Armes, mattgeängstigtes Vögelchen," sagte er weich, „komm fort aus diesem Hause, das so traurige Erinnerungen für dich hat."
Achim hatte sich als Offizier genötigt geglaubt, die Duellforderung anzunehmen. Seine Kugel fuhr Adrian in die Brust, glitt aber an einem harten Gegenstand ab. Es war Toskas Photographie, die Colonna in jener verhängnisvollen Ballnacht von der kleinen Staffelei des Musikzimmers genommen und seither nicht wieder von seinem Herzen gelasten.
Achim erkannte das von Adrians Herzblut rot gefärbte Antlitz seiner Schwester und wandte sich ab, aber über seine finsteren Züge glitt ein milder Ausdruck. „So hat er sie wenigstens geliebt, der Unglückliche," murmelte er.
13. Kapitel.
Düster brannte das matte Licht der Nachtlampe in dem stillen Krankenzimmer, wo Adrian Colonna
im Wundfieber lag. Draußen rauschte der Regen und prasselte in gleichmäßig schweren Tropfen gegen dis beschlagenen Scheiben.
„Toska," ächzte der Kranke, „Toska, lege deine Hand auf meine Stirne, einmal nur, ehe ich sterbe!"
Der Krankenwärter erneuerte mitleidig die Eis- kompresse auf dem Haupte des Unglücklichen, doch erschrocken fuhr er herum, als sich leise die Türe öffnete und eine Frau plötzlich vor ihm stand.
Wirr und regendurchnäßt hingen die roten Locken um ihre Stirn, und heiß glühten die dunklen Augen unter den langen Wimpern hervor. Mit dem Ausdruck so unaussprechlich inniger Zärtlichkeit aber, wie man sie diesen festen Zügen gar nicht zugetraut, sank Beatrice neben Adrians Schmerzenslager in die Knie und bedeckte seine fieberheiße Hand mit ihren Tränen und Küssen. „Adrian, mein einzig geliebter Adrian." schluchzte sie. „Wars nicht genug, daß diese unselige Leidenschaft dein ganzes, hoffnungsreiches Leben zerstörte, muß sie dich auch noch in den Tod treiben? Aber du darfst nicht sterben," rief sie außer sich, „nicht jetzt, wo das Glück, das dich so lange floh, sich endlich dir zuwendet. Ich will, ich muß dein Leben den finsteren Mächten abringen!" Hastig sprang sie empor, warf den Mantel auf den ersten besten Stuhl, und winkte dem erstaunten Krankenwärter, ihr einen Moment aus den Korridor hinaus zu folgen.
(Fortsetzung folgt.)