270.
Amts- und Anzeigeblatt für den OberamtsbezirL Calw.
87. Jahrgang.
«richeinungsweise: Smal wöchentlich. Anzeigenpreis: Im Oberamts- Lezirr Talw für die einspaltige BorgiSzeile 10 Psg.. außerhalb desselben 12 Psg.. Reklamen LS Psg. Schluß für Jnseratannahme 10 Uhr vormittags. Teleson st
Samstag, den 16. November 1912.
Bezugspreis: In der Stadl mir Trägerlohn Mk. 1.25 viertelZöhrlich. Post- bezugspreiS für den OrtS- und 9tnchbarortsucrkehr Mk. 1.20. im Fernverkehr Mk. 1.30. Bestellgeld in Württemberg 30 Psg.. in Bayern und Reich 42 Pfg.
Der Balkankrieg.
Barbarische Kriegführung.
Aus Semlin in Ungarn schreibt der Korrespondent der „Vossischen Zeitung" seinem Blatte, für das er im bulgarischen Hauptquartier tätig sein sollte, einen aufsehenerregenden Bericht über seine Behandlung durch die Bulgaren und über die bulgarischerseits geübte Schönfärberei in Sachen humaner Kriegführung. Man liest da: Zweifellos sind die Schilderungen türkischer Grausamkeiten in vielen Fällen richtig, doch ist meiner Ansicht nach die beiderseitige Kampsesweise leider mehr eine Schlächterei als ein Krieg. Allerdings hat man alle Vorkehrungen getroffen, zu verhindern, daß diese Kampfesweise nicht zur Kenntnis Europas gelangte, und eben deshalb hat man die Korrespondenten in dieser Weise eingesperrt. Der beiderseitige Hatz ist so grotz, datz die Offiziere beinahe nicht imstande sind, ihre Leute zum ruhigen Schietzen anzuhalten. Sie wollen nur mit dem Bajonett vorgehen und Blut sehen. In den offiziellen Kriegsberichten wird stets eine höhere Zahl von verwundeten Türken als Bulgaren angegeben. Trotzdem habe ich in den langen Zügen mit Verwundeten ausschließlich Bulgaren gesehen. Wo sind die Verwundeten Türken hingekommen? Einer meiner Freunde, der nicht Journalist ist, kam nach Kirk Kilisseh während des dortigen Kampfes. Er erzählte mir, wie die Bulgaren nach dem Kamps, vom Hatz entflammt, abgeschnittene Türkenköpfe auf Bajonette gespießt und so umhergetragen haben. Er hat persönlich gesehen, datz türkische Leichen verstümmelt wurden. Für die eigenen Verwundeten hätten die Bulgaren sehr aufopfernd gesorgt, aber es habe, sagte er mir, an Wagen gefehlt, um die Verwundeten schnell wegzuschaffen. Um so weniger war es möglich, den verwundeten Türken zu helfen. Diese meine Mitteilungen haben nur den Zweck, die Ansicht zu beseitigen, als wären Grausamkeiten nur von türkischer Seite begangen worden. Barbarei kämpft eben mit Barbarei, jahrhundertelanger Hatz gegen jahrhundertelange Unterdrückung. So ist ein Brand entstanden, von dessen Wildheit Europa keine Ahnung hat.
Köln, 16. Nov. Die „Köln. Ztg." meldet aus Konstantinopel: Hier herrscht große Beruhigung, nachdem bekannt geworden ist, daß auf ein energisches russisches und englisches Einschreiten in Sofia Bulgarien auf seine Absicht, Konstantinopel zu besetzen, verzichtet hat. Man hofft daher auf einen günstigen Verlauf der Friedensverhandlungen, umsomehr, als in Finanzkreisen verlautet, datz eine französische Anleihe in Bulgarien unter der ausdrücklichen Bedingung eines Verzichts auf einen Einmarsch in Konstantinopel und einer späteren Einverleibung Adrianopels erfolgt sei.
Stadt, Bezirk und Nachbarschaft.
Calw, 16. November 1912.
. X Der Kandidat der Sozialdemokratie vor seinen Wählern. Der seitherige Proporzabg., Eewerkschaftsbe- amter Reichel-Stuttgart, den die Sozialdemokratie als Bewerber um Calw für den Landtag aufgestellt hat, sprach gestern abend im kleinen Saal des Badischen Hofes vor etwa 75 Anwesenden über die Tätigkeit des verflossenen Landtags. Auch Gegner der Kandidatur hatten sich eingestellt, im übrigen setzte sich die Teilnehmerschaft aus überwiegend den Arbeiterkreisen Angehörigen zusammen, (darunter viele Vahnangestellte) so datz der Beobachter den Eindruck gewann, daß er sich hier unter dem Kern der Calwer sozialdemokratischen Wähler befinde. Den Vorsitz in der Versammlung führte Herr Robert Störr und als solcher eröffnete er diese. Herr Reichel begann seine Rede mit Angriffen gegen die Aeutzerung Payers, der vergangene Landtag habe so gut gearbeitet, datz dem kommenden fast nichts mehr zu tun übrig bleibe und gegen die Worte Hautzmanns, der Rohbau des Landes sei erstellt, es handle sich jetzt darum, die Inneneinrichtung wohnlich zu gestalten. Es sei manches Gesetz im vergangenen Landtag zustande
gekommen, das nicht im Interesse der Minderbemittelten liege, führte er gegen Payer an u. gegen Hautzmann' Die Inneneinrichtung wohnlich zu machen, das sei Arbeit der Zukunft, die der Sozialdemokratie Vorbehalten bleibe. So habe die Stuttgarter Stadtschultheitzenwahl gezeigt, datz in Württemberg noch nicht einmal das fundamentalste Recht des Bürgers, das der Gleichberechtigung, durchgeführt sei, sonst hätte die Regierung die Nichtbestätigung von Lindemanns eventueller Wahl nicht schon vor der Wahl verkündet. — Sehr ungerecht ist die Art der Besteuerung der mittleren und kleinen Schichten. Die Befürchtung, datz die großen Vermögen des Landes sich ins Ausland zurückziehen, wenn sie kräftiger herangezogen würden, sei darum nicht am Platze, weil im Ausland diese Vermögen ebenso und noch stärker besteuert würden. Die Sozialdemokratie verlange Erhöhung der Einkommensteuer für die großen Vermögen, Ausbildung der veralteten Kapitalsteuer, Ausgestaltung des Erbschaftssteuerzuschlages. In der Frage der Staatsvereinfachung seien die bürgerlichen Parteien in bezug auf Abschaffung der Kreisregierungen ziemlich einmütig gewesen. Aber das habe die Volkspartei doch abgehalten, z. B. für Abschaffung der unnötigen Gesandtschaften zu stimmen. Die seien so unnötig wie ein Kropf und Hautzmann hätte sich hier als guter Operateur bewähren können. Die Volksschulfrage gab Herrn Reichel Anlatz, die Rüstungen eines Staates in gewissem Umfange als berechtigt zuzugestehen; aber dazu müsse erst die Voraussetzung gegeben sein, datz im Innern dieses Landes das Volk gute Verhältnisse finde, datz es sein Vaterland lieben und bereit sein könne, Angriffe eines Gegners abzuschlagen. Gute Sozialpolitik: gute Arbeiterschutzgesetze, Ausbau der Eewerbein- spektion, Arbeitskammern, Landwirtschaftskammern, Arbeitslosenversicherung usw. Aber die sozialpolitische Gesetzgebung gehe langsamer. Er anerkenne, datz die württembergische Gewerbeinspektion ihre Schuldigkeit tue, aber die bestehenden Einrichtungen reichten nicht aus, um den großen Gefahren, die die moderne Industrie dem Industriearbeiter mit sich bringt, wirkungsvoll entgegenzutreten. Als Ausgaben des neuen Landtages bezeichnete Herr Reichel den Ausbau der Wasserkräfte u. Schaffung einer neuen Wegordnung. Durch schärfere Heranziehung des Besitzes könnten die sich daraus ergebenden Kosten aufgebracht werden. Die Sozialdemokratie stütze sich in ihrer Arbeit in erster Linie auf die Arbeiterschaft, sie stütze aber jede Bestrebung, die auf Förderung anderer Schichten abziele. Sie erstrebe eine schrittweise Verstaatlichung derjenigen Produktion- und Industriezweige, „die vermöge ihrer wirtschaftlichen Entwicklung zur Verstaatlichung reis sind und auf Verstaatlichung drängen, weil ihre Weiterexistenz gewissermaßen in einen Gegensatz zu der Allgemeinheit gekommen ist (z. B. Bergbau, Kalibau usw.) Daraus wird das schrittweise Hineinwachsen in den sozialistischen Staat, wo die Interessen der Allge- minheit wahrgenommen werden. Für die Aufhebung der Tierärztlichen Hochschule, meinte Reichel wörtlich, konnte die Sozialdemokratie mit gutem Gewissen stimmen, da ja auch die konservative Partei, die doch eine Bauernpartei sei, dafür gestimmt habe. Mit der Aufforderung, sozialistisch in den Landtag zu wählen, schloß Herr Reichel seinen Vortrag. — Die Diskussion gestaltete sich sehr lebhaft und lehrreich. In ihr zeigte sich der revisionistische Standpunkt des Referenten, der schon stark im Vortrag durchleuchtete, am unverhohlensten und der liberale Gegner hatte es tatsächlich nicht leicht, ihn zu fassen. Zunächst griff Amtsgerichtssekretär Siber die Stellung der sozialdemokratischen Fraktion in der Simultanschule an, die unter allen Umständen durchgegangen wäre, wenn die Sozialdemokratie mitgetan hätte und weiter hob er hervor, datz die sozialdemokratischen Vertreter des Landtags in bezug auf den Ausbau der Wasserkräfte nicht die verständige Auffassung an den Tag gelegt hätten, wie der Referent. Die Tierarzneischule sei sehr viel von den Landwirten
um Abgabe von Gutachten angegangen worden; sie habe als staatliches Institut volles Vertrauen bei ihnen genossen. Bezüglich der Lohnkämpse der Staatsarbeiter könne den liberalen Parteien, jedenfalls nicht Herrn Staudenmeyer, nicht der Vorwurf gemacht werden, datz nicht die Interessen auch der Arbeiter wahrgenommen worden wären. Er habe ohne Unterschied in der Parteirichtung zu machen, den Bezirk im letzten.Landtag würdig vertreten und darum fordere er jeden denkenden Wähler auf, sein Vertrauen wiederum Herrn Staudenmeyer zu schenken. — Diesen, mit viel Wärme und Lebhaftigkeit vorgetragenen Worten, denen der Referent sofort wieder ausführlich unter dem Beifall seiner Anhänger ausführlich entgegnete, folgte eine Interpellation Herrn Dinglers an Herrn Reichel über das sozialistische Zukunftsprogramm für die Landwirtschaft. Die Auseinandersetzung hierüber gestaltete sich sehr sachlich und darum lehrreich. Auch für die Fragen dieses Redners hatte Herr Reichel seine Antworten. Schließlich sprach sich noch Postsekretär Kauffmann über die Sozialdemokratie als Kulturpartei aus, wobei er manchen schönen, idealen Gedanken oortrug und so der Debatte wieder eine Höhe gab, die ihr im Feuer teilweise verloren gegangen war. Das Schlußwort des Referenten ging gleichfalls auf des Vorredners Ausführungen ein und es ist nicht unwichtig, datz Herr Reichel unter anderem sagte: Auch Westmeyer, wenn er gewählt würde, werde den wllrttembergischen Staat nicht auf den Kopf stellen. Um 12 Uhr schloß der Vorsitzende die Versammlung.
st. 1 . Preußisch-Süddeutsche Klassenlotterie. Am 3. Ziehungtage der 5. Klaffe, Montag den 11. Nov. d. I., sind folgende Gewinne auf durch württ. Lotterie-Einnehmer vertriebene Losnummern gefallen: 15 000^ auf Nr. 189543; je 3 000-^ auf Nr. 175680,176466,176815, 176852.184343. 186303. 188904; je 1000^ auf Nr. 30829, 174213, 174626. 177406, 186432, 186529, 187616, 189831; je 500 XC aus Nr. 30906, 34770, 174469 176356, 176810, 177466, 178340, 179856 187557, 188915. Außerdem 199 Gewinne zu 240 (Ohne Gewähr).
Im Gewinnrade verblieben: 2 Prämien, zu 300000 -Xt, 2 Gewinne zu 200000 2 zu
150000 2 zu 100000, 2 zu 75 000 2 zu
60000 .//, 4 zu 50000 2 zu 40000 -//. 18 zu
.30000 -6, 26 zu 15000 X/, 80 zu 10000 166
zu 5000 X/, 2426 zu 3000 X/, 4190 zu 1000 ^ und 6650 zu 500 - // neben zahlreichen Gewinnen zu 240
b. Lotterie. In der am Donnerstag vormittag erfolgten Ziehung der Preußisch-Süddeutschen Klassenlotterie fielen 30 000 -kl auf die Nr. 141 351, 10 000 ,tl aus Nr. 30 248, 9636. In der Nachmittagsziehung fielen 200 000 aus Nr. 123 499, 30 000 -kl auf Nr. 74 173 203 221, 15 000 .<l auf Nr. 112 012, 182 748, 10 000 M auf Nr. 102 457, 186 607, 5000 -1l auf Nr. 11 324. 52 212, 86 402, 188 909. (Ohne Gewähr.)
scb. Mutmaßliches Wetter. Der von Westen kommende Hochdruck verspricht keine lange Dauer, doch ist unter seinem Einfluß für Sonntag und Montag noch vorwiegend trockenes und kaltes Wetter zu erwarten.
solid. Schwarzwälder Blockhäuser. In Süd- und Mitteldeutschland findet man noch die schöne deutsche Stadt, die in ihrer Gemütlichkeit und Stille wirklich noch Heimatgefühle aufkommen läßt. Das einfachste Haus in ländliche Stille ist einer noch so prächtigen Erotzstadtwohnung vorzuziehen. Ein großer Kostenunterschied besteht nicht; insbesondere, seit in den letzten Jahren eine starke Bewegung für Holzhausbanten allenthalben Förderung gefunden hat, kann man schon mit verhältnismäßig geringen Mitteln zu einem eigenen Hause kommen. Das Schwarzwälder Blockhaus, wie es übrigens als Spezialität von dem Architekten Otto Braun in Calw gebaut wird, zeichnet sich durch große Widerstandsfähigkeit gegen Witterungseinflüsse aus, infolge des Ausbaus mit Duroplatten. Durch dieses sind die Häuser im Sommer kühl und im Winter mit