Erst h-eute abend kurz vor 7 Uhr wurde für Stuttgart-Stadt das Ergebnis der Proporzwahl vom Samstag bekannt gegeben. Der Proporz ist ein umständliches Verfahren und die Feststellung des Resultats, besonders in Bezirken mit vielen Wahlberechtigten, sehr zeitraubend. Aber auch Ver­zögerungen, die der Komik nicht entbehren, trugen dazu bei, daß. das Ergebnis so spät festgestellt werden konnte. So hatte z. B. ein Rathaus-Auf- wärter den Auftrag, aus dem 70. Bezirk in Hes­lach das Resultat nach dem Rathaus zu bringen. In seinem Eifer gab der Gute zwar die abgje- gebenen Wahlzettel auf dem Rathause ab, aber das Aktenstück mit den amtlich ermittelten Ziffern behielt er seelenruhig in seiner Tasche. Zwei Stun­den lang mußten Telephon und Boten in Bewegung gesetzt werden, ehe es gjelang, ihn und damit das sehnlich st erwartete Schriftstück zu finden.

Der Termin für den Landesproporz.

Die Wahl der l? Abgeordneten der beiden Landeswahlkreise ist auf Mittwoch, den l 8. De­zember angesetzt worden. Die Wahlvorschläge müs­sen bei dem Vorsitzenden der gemeinsamen Landes­wahlkommission, Ministerialdirektor von Scheurlen, unter der Adresse: Ministerium des Innern, Stutt­gart, Dorotheenstraße l, spätestens bis Dienstag, den 3. Dezember abends 7 Uhr eingereicht sein. Die Erklärung der Verbindung mehrerer Wahlvor­schläge muß spätestens bis Montag, 9. Dezember, abends 7 Uhr, dem Vorsitzenden der Landedwahl- kommission gegenüber abgegeben fein.

Blätterstimmen zur Landtagswahl.

DerSchwäbische Merkur" betont, daß die nationalliberale Partei, von beiden Seiten be­drängt und in die Enge getrieben, diesmal den Hauptstoß auszuhalten hatte und daß der Erfolg den Erwartungen, die man an das Bündnis mit der Volkspartei geknüpft hatte, nicht entspricht. Das Abkommen sei zwar von der Deutschen Par­tei allgemein u. von der Volkspartei im großen ganzen loyal durchgeführt worden, von der letzteren aber an einigen Stellen doch nur mangelhaft, besonders in Maulbronn. Was die Abmachungen der Par­teien anlangt, so ist wesentlich die Klausel des Wahtabkommens, die eine volle Bindung nur da bestehen läßt, wo die eine oder die andere der Vertragsparteien mit ernsthaften Kandidaturen in den zweiten Wahlgang eintritt. Nur mit Ans­nützung aller gebotenen Möglichkeiten könne es ge­lingen, die Deutsche Partei wie auch die Volkspartei annähernd in der alten Stärke in den Halbmond­saal zu bringen. Zum Schluß erwähnt der Mer kur- Die Sozialdemokratie sei schließlich doch der Todfeind der bürgerlichen Gesellschaft. DerBe­obachter" empfiehlt eine verständige Taktik und ein entschiedenes Zusammenhalten der Linken als Gesamtbegriff, unter den er auch die Sozialdemo­kratie einrechnet. Das führende Organ der Volks­partei spricht davon, daß der Rechten voraus­sichtlich auch beim Abschluß der Wahlen zu einer Mehrheit im neuen Landtag immer noch acht Sitze fehlen würden und daß diese ihr nur dann Zu­

fällen könnten, wenn Nationakkiberale, Volkspartei und Sozialdemokratie jede Verständigung und Fühl­ung unter sich ablehnen und sich gegenseitig in völliger Verkennung der Situation weiter bekämp­fen würden. DieSchwäbische Tagwascht" ist natürlich mit dem Ausfall zufrieden, der für die sozialdemokratische Partei 5 Mandate mehr erbrachte als der erste Wahlgang! im Jahre 1906. Bei den bürgerlichen Parteien sei alles so gekommen, wie es kommen mußte. Statt den 5 Mandaten, die der Beobachter vom Samstag dem Bauernbund zu­sprach, habe dieser bereits 10 und man müsse sich fast wundern, daß es nicht noch zwei mehr seien. Ueber die Frage eines Großblocks in zweiten Wahlgang schreibt das Blatt: Bei der Volkspartei scheint die Einsicht zu dämmern. Aber die Volks­partei ist gebunden durch das Abkommen. Sie wird kaum in der Lage sein, den von Haußmann ange- tündigten entscheidenden Schlag gegen rechts zu führen, zu dem sie allerdings die Notlage zwingt. Das Organ der württembergischen Sozialdemokra­tie spricht deshalb zum Schlüsse davon, daß ihre eigene Taktik sich nach der der bürgerlichen Par teien und insbesondere danach richtenwerde, ob die liberalen Parteien sich zu jenem entscheidenden Vor­stoß gtzgen die Rechte aufschwingen werde. Die konservativeDeutsche Reichs Po st" stellt fest, daß das Bündnis zwischen Volkspartei und natio­nalliberaler Partei den verbündeten Parteien im ersten Mahlgang nicht einmal so viel Mandate zuzuführen vermochte, als die Konservativen und der Bund erhielten. Diesem habe das liberal de­mokratische Bündnis nicht im geringsten gescha­det, im Gegenteil habe es in einigen Bezirken an ihre Seite gleich im ersten Mahlgang das Zentrum geführt, was sehr fraglich gewesen wäre, wenn fick nicht Deutsche Partei und Volkspartei so innig und nahe verbunden hätten. DieDeutsche Bo lts z e i t u u g" sagt: Das Zentrum hat sich, auch dieses Mal wieder als der unüberwindliche Turm erwiesen. Die Volkspartei sei geschwächt. Die Leid­tragenden aber bei dem liberalen Wahlbündnis seien die Nationalliberalen. Man habe es ihnen oft genug voraus getagt, daß sie sich von der -Volkspartei gründlich über das Ohr hauen ließe. Die Wahl vom ! 6. November bedeute einen kleinen Ruck nach rechts. DieNeckar-Zeitung" sagt: Die Lehre dieses Wahlkampfes heißt: Organisation.

Der neue Reichsetat.

Ter Militäretat.

Ans Anlaß der Heeresverstärkung sollen im Rechnungsjahr >913 neu errichtet 'werden: l Inspektion der Eisenbahntruppen, 1 Eisenbahn- Brigadestab, 93 Maschinengewehrkompagnien, l Ka­vallerie-Regiment mit niedrigem Etat, ll Schein­werferzüge, 1 selbständiges Eisenbahnbataillon, die 4. Kompagnie des Kraftfahrbataillons, die 4. Kom­pagnie bei fünf Trnintbataillonen, l Remontedepot, 1 Ariilleriedepot in Altona unter Wegfall des Ne-

ben-Artilleriedepots in Stade: außerdem je 1 Ba­taillon Infanterie mit niedrigem Etat in Sach­sen und Württemberg sowie 1 ReAmentsstab und

1 Bataillon Fnßartillerie in Sachsen. ,>

Etatserhöhungen treten ein: bei dem Mi- titärreitinstitut, bei 31 fahrenden Batterien Feld­artillerie von niedrigem auf den mittleren Etat, bei 12 fahrenden Batterien Feldartillerie vom mitt­leren auf den hohen Etat, bei den Bataillonen der Eisenbahnregimenter Nr. 1 bis 3, bei der Betriebsabteilung der Eisenbahntruppen, bei der Bersuchsabteilung nebst Versuchstompagnie der Ver- kehrstrnppen, bei dem Kraftfahrbataillon, beim !Luftfchifserbataillon Nr. 2, beim Telegraphenbatail- lon Nr. 1: außerdem in Württemberg bei vier Bataillonen Infanterie vom niedrigen auf den mittleren Etat.

Nmgewandelt werden:-'die Maschinenge­wehr-Abteilungen Nr. 1 und 3 in Mafchtnengpwehr- Kompagnien, 17 reitende Batterien Feldartillerie niedrigen Etats in fahrende hohen Etats, 10 rei­tende Feldartillerie-Abteilungen hohen Etats von

2 Batterien zu 6 Geschützen in solche von 3 Batte­rien zu 4 Geschützen.

An sonstigen neuen oder Fortsetzung wichtiger Maßnahmen sind zu erwähnen: Errichtung einer Militärknranstalt auf der Insel Borkum unter Weg­fall der Militärturanstalt in Norderney, Errichtung eines Genesungsheims in Eberbach lRheingau i, Ein­stellung von 100 Studierenden bei der Kaifer-Wil- Helm-Akademie, Gewährung des Stadtbriefportos an alle Bezirkstommandos, Regelung! der Rations- und Pferdegeldgebüh-r sowie der Entschädigung für die Pferdehaltung, Erhöhung der Rauhfutterration bei der Kavallerie um 1000 Gramm Heu bei allen Rationsfätzen, Erhöhung der Tagelöhne an Ar­beiter und Arbeiterinnen infolge Einführung einer- neuen Lohntafel, Fortsetzung der Versuche usw. auf verkehrstechnischem Gebiet.

Bei den einmaligen Ausgaben sind an neuen Maßnahmen zu erwähnen: Neubau eines Betleidungsamt in Ettlingen, von 2 Kasernen für je 2 .Kompagnien Infanterie in Königsberg i. P., je einer Kaserne für ! Bataillon Infanterie in Schrimm und Wreschen, einer solchen für bine fahrende Abteilung Feldartillerie nebst Regiments­stab sowie einer Regiments-Offizierspeifeattstalt in Frankfurt a. M., bauliche Maßnahmen aüf dem Bürgerwerder Breslau, Neu- und Erweiterungsbau­ten zur Schaffung lagermäßiger Unterkunft auf Borkum, Neu- und Umbauten zur Verbesserung der Unterkunft von 2 Bataillonen Infanterie in Hannover, Neubau einer Kaserne für l Bataillon Infanterie und Ergänzungsbanten für l Maschinen­gewehr-Kompagnie daselbst, Neubau von 2 Schieß­ständen in Hanau, Ersatzbau der Schießstände' auf der kleinen Bult in Hannover, Anlage einer Schwemmtanalisation auf den Truppenübungsplät­zen Döberitz und Elsenborn, Beschaffung von Ver­bindezelten neuer Art für Sanitätskomvagnien, Aenderung der Ausrüstung der Festungssanitäts- devots und Einrichtung von Festnngsverbandsräu- men, Ergänzung des Geräts der Pionier-Beläger- ungstrcnns, Erweiterung der Uebungsplätze in

Drr Mongolei Glück und Ende.

Der Beginn des Jahres 1912 sah die Unab- hängigskeitserklärung der Mongolei, das zu Ende ge hende Jahr sieht ihre Abhängtgheitsertlärung von Rußland: so umfaßt dies für den neuen wie fin­den alten Orient ereignisreiche Jahr der Mongolei Glück und Ende. Als um die Jahreswende 1911/1912 derlebende Buddha", dessen offizielle BezeichnungTfchibzun Damba Kntnchtn" ist, wäh­rend er gewöhnlichBogdo-Göggen" genannt und von den RussenCheptun Dampa Hntnttn" titu­liert wird, von den Mongolenfürsten zum Ober­haupt der Chaltamongolen ausgernfen und der chine'ischeReädent vernieten wurd', wurde va-g-tegt, daß diese Unabhängigkeitserklärung, die mit Hilfe des rollenden Rubels vollzogen worden war, lediglich zur höheren Ehre des Zarenreiches vor sich gehe, und daß die sogssnannte. Selbständigkeit des neubegründeten Mongjolenreiches einen jener weltpolitischen Scherze, darstelle, die wir ja in neuerer Zeit genugfanr kennen gelernt haben. War doch jene Unabchängigkeitserklärnng nur eine wohl- berechnete Fortsetzung des russisch-chinesischen Kon­flikts, der mit dem vielumstritlenen Knldschaver- trag vom Jahre >881 begonnen hatte und der jetzt mit dem neuesten russisch-mongolischen Ab­kommen das Ende findet, das von seiten der Po­litiker des Zarenreiches mit anerkennenswerter Ge­schicklichkeit und mit kluger Benutzung der gegen­wärtige»' Weltlage, in der die europäische Divio matie durch den Baltanconflitt hinreiche nd besä äs - tigt ist, ins Wert gesetzt wurde.

Während die europäische Diplomatie über die Regntie'-'nra der Erbschaftsmasje destrankeil Man­nes" im alten Orient mit mehr Eifer als Er­folg sinnt und grübelt, schickt sich Rußland an. Las Erbe des kranken Mannes im neuen Orient bei lebendigem Leibe anzutreten. Denn nichts anderes

als eine Amputation der Mongolei vorn Reich der Mitte bedeutet das Abkommen, worin die Regier­ung des Zaren der 'Mongoleiähre Unterstützung bei der Aufrechterhaltung der autonomen Verwalt­ung, die sie errichtet hat, sowie in dem 'Recht auf ein nationales Heer und in dem Bestre­ben, chinesische Truppen und chinesische Ansiedler von ihrem Gebiete fernzu halte n", zusagt. Frei lich wird in der offiziösen russischen Erläuterung hinzugefügt, daß das Abkommen der Regelung-der Beziehungen zwischen der autonomen Mongolei zu China nicht vorgreise, und daß die russische Re­gierung keinen Grund habe, eine Verständigung über die Anerkennung der chinesischen Souveränität durch die mongolische Regierung zu verhindern, wenn nämlich die chinesische Regierung' sich dem Abkom­men in seinen grundlegenden Prinzipien anschließen wolle. Diese letztere Einschränkung mit der wei­teren Feststellung, daß die Regierung des Zaren auf Grund des S ch n tz v e r t r a g e s sofort die di­plomatische Vertretung der Mongolei im Ausland übernehmen werde, läßt anerkennen, daß die russische Regierung in diesem Fall China ge­genüber nach dem Motto jenes Feldwebels ver­jährt, der dem Rekruten zurief: Kerl, halt's Maul, wenn du mit mir sprichst!

Nun haben freilich, wie aus Schanghai be­richtet wird, die mongolischen Für st e>n in Urga an die chinesische Regierung! einen Protest gegen den Geheimvertrag des Kntnchtn gerichtet, aber bei dem Mongolenvolt selbst dürfte, dieser Protest wenig Widerhall finden, schon deshalb, weil ihnen der Kntnchtn, das im Kloster Urga residierende Oberhaupt der "buddhistischen Geistlichkeit, als die auf Erden fortdauernde Fleischwerdung des hei" gen Dranata, das heißt als wirkliche Gottheit gilt. Allerdings hat der gegenwärtige Kutuchiu, der der achte seines Zeichens und der Sohn eines tibetanischen Zollbeamten ist, durchaus nichts Gött­

liches an sich, sondern der Forscher Hans Leder berichtet ans eigener Kenntnis von ihtn:Er war früher ein liebenswürdiger und sehr intelli­genter Mensch, aber er trinkt jetzt schon lanW zu viel Champagner und Kognak und neigt in seiner göttlichen Unverantwortlichkeit zur Ueber- hebung, Willkür und Grausamkeit." Was die Ueber- hebnng und Willkür betrifft, so werden ihm diese die Russen, so weit das in ihre Zwecke paßt, schon austreiben: im übrigen aber ist er einSelbst­herrscher" nach ihrem Herzen. A bissel Lieb' und a bissel Treu und a bissel Wntti ist immer dabei.

Und die Mongolei ist ein lohnendes Objekt. Ihre Bedeutung für Rußland liegt vor allem in der: wirtschaftlichen Kräften des Landes, denn neben der Mandschurei ist die Mongolei der wich­tigste Lieferant von Vieh und Pferden für alle Städte, die auf der russischen Seite des Umars liegen. Auch bietet das Land guten Boden fnr l den Anbau von Weizen und Bohnen, es ist reich an Mineralien, nicht nur an Kohle, Eisen und Kupfer, sondern auch an Silber und Gold. Das in sich zerfallene, durch revolutionäre Gärungen mürbe und morsch gewordene chinesische Riesen- reich ist nicht in der Lage, dem Einspruch der Mongolenfürften Folge zu geben und den Russen diesen fetten Bissen "zu entreißen. Von anderer Seite aber hat das Reich der Mitte leine Sekun- dantendienste zu erwarten, denn mit Japan hat das Zarenreich sich geeinigt, als es jenem die Südmandschurei als Interessensphäre zuerkannte. England wird sich in Tibet schadlos halten, und die nordamerikanische Union dürfte unter dem demokratischen Regiment noch weniger Neigung als vorher haben, in Ostasien Konfliktspolitik zu trei­ben. So wird der Friedenszar, auch wenn er was aber noch gar nicht so sicher ist - im alten Orient leer ausgeht, doch im neuen die NollÄ eines Mehrers des Reiches" spielen können.