Aus dem Gerichtssaal.

> Neuenbürg, 31. Okt. Im benachbarten Bir- kenfetd fand in der Nacht zum 18. August eine fürchterliche Schlägerei vor einer Wirtschaft statt zwischen sieben Goldschmieden. Dabei wurde in der Dunkelheit der 26jährige Ernst Höll durch zwei Dolchstiche in Herz und Nieren auf der Stelle ge­tötet. Tie Beteiligten standen jetzt vor der Straf­kammer, welche die Angeklagten zu 12 Monaten Gefängnis verurteilte. Der an der Schlägerei Hauptbeteiligte Goldarbeiter Karl Fischer, dessen Dolch man später in einer Holzbeige versteckt fand, erhielt 6 Monate. Der Dolch Paßte in die Wunde des Erstochenen.

st Ulm, 31. Okt. (Ein sonderbarer Räuber.) Wegen versuchten Straßenraubs hat sich der bisher noch nicht bestrafte 26 Jahre alte Geschäftsdiener Leopold Mölzer von Dobersberg in Oesterreich zu verantworten. Er hat in der Nacht vom 14./15. Juni 1912 in der Bahnhofstraße eine vom Dienst heimgehende Kellnerin überfallen und, wie die Anklage annimmt, ihr das Geldtäschchen zu ent­reißen versucht. Der ganze Vorfall hat, wie der Angeklagte erzählt und wie amtlich zum Teil fest- gestellt ist, eine interessante Vorgeschichte. Er war als stellenlos in München zugereist. Er traf in einer Wirtschaft eine AnzahlKollegen" (Leute mit verkrachten Existenzen seien Kollegen). Unter diesen wurde eine Wette vereinbart, wonach sich der An­geklagte mit 30 gegen 50 Mk. verpflichtete, ohne .einen Pfennig Geld von München nach Augsburg oder Ulm zu reisen und sich dort unter falschem Namen verhaften zu lassen, ohne daß der richtige Namen festgestellt werden könne. Aufs Wort muß­ten sich alle Beteiligten (lauter Leute, die schon mehr oder weniger auf dem Kerbholz hatten) ver­pflichten, weder Name noch Wirtschaft bei eventuel­lem Mißglücken zu verraten. Er könnte deshalb auch die Wirtschaft, wo das Geld deponiert sei, nicht angeben. Die Wette wurde perfekt. Der An­geklagte löste sich in München eine Fahrkarte nach einem Vorort, dort gab er sie über den Perron hinaus seinen Kollegen zurück und reiste alsblin­der Passagier". In Augsburg wollte er aussteigen. Zwei Schutzleute jagten ihm jedoch Angst ein und er zog es vor, bis Ulm weiterzufahren. Hier an­gekommen, ließ er zuerst alle Passagiere heraus. Mit der Miene eines sehr Bedauernswerten erzählte er dem Beamten, daß er gerade von der Schweiz angekommen sei, er habe geschlafen und habe jetzt kein Geld und kein Billett mehr. Er wurde ans Mitleid laufen gelassen. Der Vorfall am Bahnhof ist amtlich festgestellt. Der erste Teil der Wette war erledigt. Nun kam die Verhaftung. Der An­geklagte begab sich zunächst in den Wartsaal und schlief dort ein. Ein Bahnbeamter weckte ihn, schließlich kam auch ein Schutzmann. Um htefem zur Verhaftung Anlaß zu geben, habe er den Schutzmann angefahren und sei grob geworden, der Schutzmann habe ihn aber rkicht verhaftet, son­dern nur zum Wartsaal hinaüBgeworfen. 'Er sei dann gegen einhalb 2 Uhr in die Stadt gelaufen und habe wieder einen Schutzmann gesehen und nach ein paar Minuten auch ein Fräulein. Die­ses habe er angesprochen und angefaßt, es habe geschrieen und das Ziel war erreicht, er wurde verhaftet. Daran habe er nicht im entferntesten gedacht, daß er das Fräulein berauben wollte.

M L«sef»ucht. W

Wahrheit ist ein starker Trank,

Wer ihn braut, hat selien Dank;

Denn der Menge schlaffer Magen Kann ihn nur verdünn! ertragen.

Edwin Bormann

Dem Eismeer entgegen.*)

Von Roald Amundsen

Der einzige, der bei unserer Abreise Zeichen von Rühr­ung kund gab, war der Himmel, aber der tat es auch mit allem Nachdruck. Als wir in der Nacht vom sechzehnten auf den siebzehnten Juni oen Anker lichteten, regnete es in Strömen. Sonst war die Nacht still und dunkel, und nur unsere Nächsten waren auf das Schiff gekommen, um uns Lebewohl zu sagen.

Aber trotz Regen uno Dunkel eit und trotz des letzten Abschieds war die Stimmung auf oei Gjöa Heuer und froh. Die Jnlerimszeil der letzten Wo-t>--n, ohne echentliche Arbeit, hatte uns alle übermüdet. Für meme peuönbchen Gefühle kann ich keinen Ausdruck finden, .ina > nie es auch nicht. Die Anstrengungen der lehren Ze:l, u.n alles vollends in Ordnung zu bringen, die Uuruve, > ß wir immer und immer noch nich abfahren könnt.n. und meine verzweifelten Anstrengungen, die fehlend-n Gelder zufimmenzubrrngen dies alles hatte mich stark mitgenommen und nur Leib und Seele angegriffen.

*) Wir entnehmen diesen Äuf atz ve n I F- Lehmanns Ver­lag in München erschienenen hochbe emlame . e t kie Rorswest- Paffage von Roald Amundsen "

Lediglich die Erfüllung der Wette habe ihm vor­geschwebt. Vor der Polizei, vor dem Staatsan­walt und Untersuchungsrichter hatte er immer an­gegeben, er heiße Leopold Hitz (der Name eines Schulkameraden) und schwindelte von Reisen nach Asien, Aegypten, Türkei usw. Erst durch mühsame Nachforschungen konnte der richtige Name heraus­gebracht werden. Die Zurechnungsfähigkeit des An­geklagten, die schon früher angezweifelt wurde, als er sich in Frankfurt fälschlich bezichtigt hatte, einen Reifenden aus dem Zug -geworfen zu haben, wurde vom Sachverständigein nicht in Zweifel gezogen. Die Geschworenen erkannten auf versuchten Diebstahl. Die Strafe lautete auf 4 Monate Gefängnis.

st Stuttgart, 31. Okt. Im Prozeß Schwäbsch wurde heute die Verhandlung fortgesetzt. Es wur­den in Sachen der Betrugsanklage mehrere Sach­verständige und Zeugen gehört. Als Zeuge auch Patentanwalt Bosch, "der Anzeigen gegen den An­geklagten erstattet hatte. Zur Verhandlung kam dann die Strafsache wegen falscher Titelführung. Der Angeklagte hätte sich als Diplom-Ingenieur bezeichnet, ohne dazu berechtigt gewesen zu sein. Morgen Fortsetzung der Verhandlung.

Lus dem Reiche.

* Karlsruhe, 31. Okt. Gemäß ihrem am 24. Oktober einstimmig gefaßten Beschluß haben die Buchdruckereihilßsarbeßter in 10 hiesigen Druckereien geschlossen die Kündigungen ein­gereicht, die am 8. und 9. November äblaufen.

* München, 31. Ort. Die feierliche Beisetz­ung der Prinzessin Rup sprecht von Bayern fand heute vormittag unter überaus zahlreicher Anteilnahme der Bevölkerung in der gegenüber der Residenz gelegenen Theatiner Hofkirche statt. In Vertretung des Prinzregenten hatte sich.Prinz Ludwig von Bayern eingefunden. Prinz Eitel Friedrich von Preußen fungierte als Vertreter des deutschen Kaisers, der Erzherzog Franz Salvator vertrat den Kaiser von Oesterreich.

st München, 31. Okt. Aus Anlaß seines Na­menstages hat der Prinzregient aus der Luitpold- Jugendspende für die Jugendfürsorge Zuwendungen ari Vereine und Wohlfahrtsanstalten ohne Unter­schied der Konfession im Betrage von 237 100 Mark gemacht. Weiter hat er mit einem Kapital von 25 000 Mark eine Stiftung errichtet, die zum An­beuten an seine verstorbene EnkelinPrinzessin Rupprecht-Stiftung" heißen soll. Die Erträgnisse der Stiftung sollen dem Verein für Säuglingsfür­sorge in München zufließen, der unter dem Pro­tektorat der Verstorbenen gestanden hat. Die Ver­waltung der Stiftung! soll der Verein führen.

* Halle a. S., 31. Okt. Mit Rücksicht auf die Fleischnot wurde in Halle gestern eine große Hun d e s ch l ä ch t er ei Eröffnet, die schon am ersten Tag außerordentlich großen Zulauf hätte.

* Berlin, 31. Okt. Die "Nordd. Allg. Ztg."

meldet: Der zum Botschafter in London ernannte Fürst von Lichnowski verschob seine Abreise um eine Woche. Er wird sein Beglaubigungsschreiben dem König von England am 18. November auf Schloß Windsor überreichen, wo zu diesem Zeit­punkt Fürst und Fürstin Lichnowski empfangen werden. !

Aber nun war es überstanden, und niemand könnte die unsägliche Erleichterung beschreiben, die uns überkam, als dis Jacht vom Ufer wsgglitt.

Außer den sieben Teilnehmern an der Expedition waren nur noch meine drei Brüder an Bord, die uns zum Christian«- Fjord hinaus das Geleite gaben. Es war still und ruhig auf der Gjöa, die ganze Navigation wurde vorläufig von einem Schleppdampfer besorgt, den wir vor dem Bug hatten. Die Wache war dem Steuermann überlassen, sowie unfern sechs Hunden. Diese Hunde hatten schon bei der zweiten Expe­dition derFcamst die sie mit nach Hause gebracht hatte, gute Dienste geleistet. Arme Tiere! Es wäre besser ge­wesen, man hätte sie in Eis und Schnee zurückgelassen, anstatt sie dahin zu schleppen, wo sie sich, besonders in diesem Frühling, der so ungewöhnlich warm war, sehr übel befanden. Da standen sie nebeneinander angebunden und sahen in dem Regen jammerwürdig aus denn Regen ist das Schlimmste, was man einem Polarhund bieten kann. Schon auf der Herreise hatten sie eine S-efahrt in Regen- und Neoelwrtter durchmachen müssen, und jetzt war ihnen auf der Rückkehr eine zweite beschieden. Aber nun ging es ja auch müder dahin wo die armen Schelme daheim waren!

Um sechs Uhr morgens erreichten wir den Hafen von 5arten, wo wir zweihundert Kilogramm Schießbaumwolle eiunahmen. Sprengstoff kann bei einer Polarexp-ditto n von großem Nutzen sein, und ich würde es o's einen ent­schiedenen Fehler betrachten, wollte man ohne solchen aus- ziehen, selbst wenn es geschieh- wie das bei uns der Fall war daß man keine Verwendung dafür bekommt.

Um elf Uhr vormittags waren n Färder. Das Wetter hatte sich gebessert und der Regen aufgeböit. Als wir eben die Bugsiertrosse losmachen wollten, riß diese von selbst ab und ersparte uns dadurch die Arbeit. Mit vollen

Der BMmdrieg.

st Paris, 31. Okt. Die PanzerkreuzerLeon Gambetta",Viktor Hugo" undJules Ferrh" ha­ben den Befehl erhalten, nach Syrien zu gehen. Sie werden bereits heute abend Toulon verlassen. Der PanzerkreuzerBruix" der gegenwärtig vor Samos liegt, wird sich nach Saloniki btzgeben.

st Choi, 31. Okt. Die türkischen Truppen ha­ben begonnen, das persische Gebiet zu räumen. Die türkischen Soldaten verließen das Dorf Men- jany zwischen Choi und Dilman und begaben sich nach der Türkei.

st Saloniki, 31. Okt. S. M. S.Loreley" mit dem Exsultan Abdul Hami/d an Bord ist nach Konstantinopel in See gegangen.

Tie große Schlacht.

st Wien, 31. Okt. Die Neue Freie Presse meldet aus Sofia vom 31.: Infolge der Einnahme von Lüle Burgas durch die Bulgaren ist auch der öst­liche türkische Flügel aus dem Rückzug gegen Serai und Stranza begriffen. Die westlich von Jeniköj gewesene türkische Reserve in Stärke von 9 Di­visionen ist gegen das Zentrum der Schlachtfront verschoben worden, um einem weiteren Vordringen der Bulgaren Einhalt zu tun. Die Schlachtfront, die gestern sich von Lüle BurMs nach Visa erstreckte, wird heute durch die Orte Tschorlu-Serai Stranza gekennzeichnet.

* Sofia, 31. Okt. Die bulgarischen Truppen haben in einem dreitägigen Ringen bei Lüle-Bur- ggs die Oberhand behalten.

st Sofia, 31'. Okt. 6.30 Uht abends!. (Ag. Bulg.) In der Schlacht, die mit den Hauptstreitkräs- ten der türkischen Armee in Stärke von 150 000 Mann auf der Linie Bünar-Hissar-Lüle-Burgas seit 3 Tagen im Gange ist, hat die bnlgaß rische Armee den Fein- geschlagen und ihn «ge­zwungen, sich aus seinen befestigten Stellungen unter stürmischem Nachdrängen der Bulgaren zu­rückzuziehen. Die bulgarische Armee hat die ener­gische Verfolgung des Feindes ausgenommen, der in Unordnung und Panik sich auf Rasbj und Tschorln zurückzieht. Eine große Zahl von Ka­nonen, Fahnen, Munition und anderen Kriegs­trophäen sind den Bulgaren in die Hände gefallen, ebenso zahlreiche Gefangene. Die bulgarische Ver­luste find verhältnismäßig unbedeutend. Die Dör­fer Aiwali bei Lüle-Bnrgas und Marasch im We­sten von Adrianopel sind von den Türken ein­geäschert worden. Die gesamte christliche Bevölker­ung wurde niedergjemetzelt. Auch sämtliche Dörfer in der Gegend von Melnik HMen die Türken in Brand gesteckt. '

Montenegro.

* Wien, 30. Okt. DieReichspost" meldet: Die Montenegriner erlitten bei Berdica, Boltoja und Truscht in der Bojana-Ebene eine Nieder^ läge. Der Angriff machte das südliche Vorfeld Skutaris frei. Die Venetianerbrücke wurde auf Be­fehl des Stadtkommandanten in die Luft ge­sprengt. Die Miriditen lehüten es ab, sich den Montenegrinern anzuschließen.

Segeln fuhr die Gjöa nun bei dem Wind südwärts und senkte ihre Flagge zu einem letzten Gruß an die Lieben daheim. Lange verfolgten wir das Bugsierboot mit dem Fernrohr, lange schwangen wir unsere Mützen und beantworteten die erst mit dem Boot in weiter Ferne verschwindenden Grüße.

Nun waren wir also allein, und jetzt begann die Expe­dition im Ernst.

Schwerbelcchsm, wie die Gjöa war, ging es nicht sehr schnell vorwärts.' Da alles zum voraus seeklar gemacht worden mar, konnten wir sogleich unseren festen Dienst antreten. Die Wache wurde bestimmt, und die Freiwache zog sich zurück. Wie herrlich war es! Kein Umtrieb, keine widerwärtigen Gläubiger, keine langweiligen Menschen mit schlechten Prophezeiungen, oder zum mindesten mit spöttischen Gesichtern .... Nur wir sieben vergnügten, zufriedenen Menschen, die da waren, wo sie sein wollten, und nun in froher Hoffnung und festem Glauben der Zu­kunft entgegensteuerten. Der Well, die so lange düster und traurig vor mir gelegen hatte, sah ich jetzt wieder mit Mut und Lust entgegen.

Der Leuchtrurm von Lister war das letzte, was wir vom Festland sahen. In der Nordsee jagten ein paar Windstöße daher, die für die nicht Seefesten unter uns weniger be­haglich waren. Die Hunde waren jetzt losgebunden und liefen frei umher. An den Tagen, wo die See hoch geht und die Gjöa schlingert denn das kommt vor tauten sie von einem zum andern und studieren unsere Mienen. Die ihnen zugemeffene tägliche Kost ein getrockneter Fisch und ein Liter Wasser befriedigt ihren Appetit durchaus nicht, und sie versuchen es daher auf alle mögliche Weise, sich eine Extramahtzeit zu ergattern Alle miteinander sind alte Bekannte, und sie kommen ziemlich gut miteinander aus, wenigstens was den männlichen Bestand anbe:rifft. Bei den beiden Damen Kari und Silla hält dies schwerer.